Gaza mon amour

Palästina/F/D/P 2020 · 88 min. · FSK: ab 12
Regie: Tarzan Nasser, Arab Nasser
Drehbuch: ,
Kamera: Christophe Graillot
Darsteller: Salim Daw, Hiam Abbass, Maisa Abd Elhadi, George Iskandar, Manal Awad u.a.
Reformvorschlag für eine ganze Gesellschaft
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen)

So erlösend wie ein Lachen

Die Tragikomödie der Nasser-Brüder entzieht sich so klug wie überraschend allen Nahost-Stereotypen, ist aber dennoch gesellschaftspolitisch relevant und auch noch an Liebe interessiert

Es ist selten, dass man aus dem Gaza-Streifen etwas anderes hört oder sieht als die üblichen Kata­stro­phen um die regie­rende Hamas und die verhassten Israelis. Das kann durchaus unter­haltsam, klug und wuchtig sein, so wie etwa in der dritten Staffel von Fauda (2020). Oder, um wenigs­tens im Rahmen der erwei­terten besetzten Gebiete zu bleiben, auch sehr komisch – man erinnere sich nur an die großar­tige israe­lisch-paläs­ti­nen­si­sche Komödie Tel Aviv on Fire (2018).

Dass es auch einen dritten Weg gibt, zeigt die Tragi­komödie Gaza mon amour der Brüder Tarzan und Arab Nasser, die gemeinsam Regie führten und ein Drehbuch schrieben, das sich so klug wie über­ra­schend den gewöhn­li­chen Nahost-Stereo­typen entzieht. Denn Gaza mon amour erzählt zum einen – vom poli­ti­schen Komplex völlig losgelöst – vom Lebens­alltag des 60-jährigen Fischers Issa (Salim Daw), der sich in die Witwe Siham (Hiam Abbas) verliebt. Siham hat mit ihrer rebel­li­schen, geschie­denen, nach Freiheit dürs­tenden Tochter aller­dings anderes im Kopf, als auf das Werben von Nasser zu reagieren. Aber auch Issas Liebe zu Siham gerät immer wieder ins Wanken. Nicht nur muss er seinen ganz normalen Alltag leben, Fische fangen und verkaufen, kochen und Freunde besuchen, sondern er sieht sich auch dem über­grif­figen Verhalten seiner Schwester ausge­setzt, die ganz andere Bräute im Sinn hat als Siham, die sich in ihren Augen wegen der Scheidung ihrer Tochter moralisch disqua­li­fi­ziert hat. Und dann kommt auch noch die doppelte Moral der Hamas ins Spiel, nachdem Nasser eine antike Statue mit erigiertem Penis bei einem Fang in seinem Netz gefunden und an Land gebracht hat.

Die hier ange­deu­teten mora­li­schen Verwick­lungen machen die Stärke von Gaza mon amour aus. Nicht nur, weil die Nassers sie gekonnt in einem schönen Doppel­plot verwinden, sondern weil die Kritik, die sie über so groteske wie ernüch­ternde Alltags­be­ob­ach­tungen formu­lieren, weit über die Selbst­kritik hinaus­geht, die norma­ler­weise aus dem Hamas-domi­nierten Gaza-Streifen dringt. Denn im Grunde stellen sie nicht nur die Hamas mit ihrer korrupten Doppel­moral bloß, sondern fordern eine Reform der ganzen Gesell­schaft, die beim viel­leicht Grund­sätz­lichsten, was Menschen verbindet, beginnen sollte: der Liebe.

Das mag so hinge­schrieben ein wenig naiv klingen, doch entwi­ckelt Gaza mon amour mit jeder weiteren Minute eine fast schon rebel­li­sche Lust am Leben und an der Wahrheit, die nicht nur die verkrus­teten reli­giösen Struk­turen gelungen hinter­fragt, sondern endlich einmal einen so unbe­fan­genen wie klugen Alltags­blick auf eine zerris­sene, aber an Reformen inter­es­sierte Gesell­schaft ermö­g­licht. Eine Gesell­schaft, die mehr als nur ein maro­die­render Gegner Israels ist, eine Gesell­schaft, die sich ohne diesen Konflikt wohl schon längst vom gegen­wär­tigen Radi­ka­lismus eman­zi­piert haben dürfte.

Aber nicht nur wegen dieser subtil vermit­telten Erkennt­nisse und der gelun­genen Grat­wan­de­rung zwischen Tragödie und Komödie ist Gaza mon amour ein wichtiger Film. Nein, er ist allein schon deshalb wichtig und sehens­wert, weil es ihm gelingt, in diesem Umfeld sogar noch zu einer wasch­echten roman­ti­schen Komödie zu werden und mit einem alles erlö­senden Lachen einen Schluss­punkt zu setzen, das den besten Film­küssen in nichts nachsteht.