Großbritannien/S/USA 2017 · 101 min. · FSK: ab 6 Regie: Björn Runge Drehbuch: Jane Anderson Kamera: Ulf Brantås Darsteller: Glenn Close, Jonathan Pryce, Christian Slater, Max Irons, Annie Starke u.a. |
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Bis ins tiefste Beziehungsgrauen eindringend |
Vielleicht mag es ein wenig verfrüht klingen, schon jetzt von der Post-#MeToo-Ära zu sprechen, doch da die Filmindustrie gesellschaftliche Entwicklungen oft schneller verarbeitet als der gemeine Mensch, befinden wir uns vielleicht nicht gefühlt, aber tatsächlich bereits im Übergang von einer Phase des Widerstands und der Analyse zu so etwas wie einer Neupositionierung, die mit einer Reihe von Filmen einen Sog entwickelt, der fast unwiderstehlich ist. Am charakteristischsten an dieser Filmwelle ist vielleicht die Neuschreibung von Geschichte, die AutorInnen in einem völlig neuen Licht bewertet und #MeToo gewissermaßen um ein paar Jahrhunderte oder auch nur Jahrzehnte vordatiert. Ich denke hier an schon in den Kinos laufende oder in Kürze startende Biobics wie Haifaa Al Mansours ein wenig zu konventionelles Porträt über die Autorin von »Frankenstein«, Mary Shelley, an Wash Westmorelands dichtes Psychogramm von Colette oder Marielle Hellers großartig vielschichtigen Can You Ever Forgive Me über die erfolglose Autorin Lee Israel.
Einen anderen, »fiktiveren« Weg geht der schwedische Regisseur Björn Runge, der bereits in seinem Film Happy End (2011) Beziehungskonstellationen und Geschlechterrollen gnadenlos und zärtlich zugleich hinterfragte. Mithilfe des gleichnamigen Romans von Meg Wolitzer – eine jener Autorinnen, die sich seit ihren ersten Veröffentlichungen konsequent für eine weibliche »Geschichtsschreibung« einsetzte – konzentriert sich Runge dieses Mal jedoch auf nur eine Familie, die von Joseph Castleman (Jonathan Pryce), der gerade den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekommen hat. Mit seiner Frau Joan (Glenn Close), seinem Sohn David (Max Irons) und dem gerade nur so geduldeten Biografen Nathaniel Bone (Christian Slater) macht er sich auf den Weg nach Stockholm, um dort die üblichen Rituale der Preisverleihung zu genießen und – zu erdulden.
Denn das Preisverleihungs-Ritual entwickelt sich sehr schnell zu einem klassischen Rite-de-Passage, nach dem die Beteiligten nicht mehr die Gleichen sind. Runge erzählt dabei geschickt und unaufdringlich nicht nur, wie schnell hierarchische Liebesbeziehungen zu hierarchisch geprägten Arbeitsbeziehungen werden können, sondern wie unmerklich und dadurch irreversibel Beziehungslügen bis in die nächste Generation tradiert werden. Aber vor allem räumt Wolitzer in ihrem Roman und Runge in seiner Adaption mit der männlichen Vorherrschaft in der Literatur auf. Denn indem Runge in einer zweiten, historischen Ebene, die Lebenslinie des Ehepaars Castleman erzählt, wirft er auch einen schonungslosen Blick auf die Tortur, der sich eine Frau unterziehen musste, wollte sie in den 1950ern und 1960ern als Autorin ernstgenommen werden; ein Bogen, der sich inzwischen bis zu den Tagen von Mary Shelley spannen lässt. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass es Autorinnen dennoch und auch im Zeitrahmen von Runges Film gelang sich durchzusetzen, man denke nur an Amerikanerinnen Patricia Highsmith, Susan Sontag, Ursula K. Le Guin oder die große anglo-irische Autorin Iris Murdoch.
Überzeugen schon diese Rückblenden in ihrer pointierten Wucht, so ist es dann aber vor allem die auch zeitlich den größten Raum einnehmende Gegenwartsebene, die Runges Film zu einem dichten, hervorragend inszenierten Kammerspiel um Familienwahrheiten, Geschlechter-Stereotype und die vertrackten Wege einer Liebesbeziehung macht. Zementiert wird die Stärke der Inszenierung und ihrer Dialoge (Jane Anderson) dabei von einem bis in die kleinsten Nebenrollen treffend besetzten Cast, allen voran einer bis ins tiefste Beziehungsgrauen eindringenden, überragenden Glenn Close.