Everything Will Change

D/NL 2021 · 92 min. · FSK: ab 12
Regie: Marten Persiel
Drehbuch: ,
Kamera: Felix Leiberg
Darsteller: Noah Saavedra, Jessamine-Bliss Bell, Paul G. Raymond, Vibeke Hastrup u.a.
Ein bisschen Doku, ein bisschen Märchen...
(Foto: farbfilm/Filmwelt)

Die drei ??? und die verschwundene Giraffe

Pathetisch aufgeladenes Sendungsbewusstsein: In Marten Persiels Klimakatastrophen-Doku-Science-Fiction-Roadmovie-Märchenfilm sterben keine Arten, aber dafür Handlung und Kinokunst

Gibt es das? Einen gut gelaunten Empö­rungs­film? Offenbar schon. Ever­ything Will Change ist alles Mögliche. Unter anderem auch ein hip gemachter, mindes­tens äußerlich aufwen­diger Film. Wie im Märchen geht es los – und im Prinzip geht es auch so weiter. Auch wenn es anders klingt, hat dieser Titel nichts mit Inflation, Pandemie, oder Krieg zu tun. Mit dem Klima­wandel und vor allem unserer menschen­ge­machten Reaktion auf ihn aller­dings schon.

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»Was ist das denn?« – »Guck Dir mal diesen Hals an...«
Dialog­aus­schnitt

Es war einmal... Giraffen. Was war das noch mal? In der Welt in der dieser Film spielt, im Kontinent Europa auf der Erde des Jahres 2054, sind sie ausge­storben. Genauer noch: man weiß gar nicht was das ist, eine Giraffe.

Tiere gibt es überhaupt nicht mehr viel, dafür Beton, Glas, Digi­ta­li­sie­rung. Die Häuser ähneln Contai­nern, Verhält­nisse sind steril, die Haare der Leute ziemlich bunt. Eines Tages stößt ein junger Mann auf das Foto mit – einer Giraffe. Faszi­niert von dem ihm unbe­kannten Wesen, forscht er nach und erfährt vom Arten­sterben der vergan­genen Jahr­zehnte.

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Mit der durchaus umstrit­tenen Fake-Doku­men­ta­tion This Ain’t Cali­fornia wurde der in West­berlin geborene 48-jährige Marten Persil vor zehn Jahren bekannt. Seitdem hat er an seinem zweiten Langfilm gear­beitet – und auch bei diesem handelt es sich wieder um einen Spiel­film­film mit doku­men­ta­ri­schen Elementen.

Über Handlung, Absicht und Selbst­ver­ständnis infor­miert besser als ich es könnte, der seltsam aufge­bla­sene Wikipedia-Eintrag zum Film mit einer Ausführ­lich­keit und Kritik­lo­sig­keit, dass sie nur aus dem Team kommen kann. Genauso wie der Fehler, die Wertung der Film­be­wer­tungs­stelle unter die Rubrik »Kritiken« einzu­ordnen.

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»Die Menschen, die in den 2020er Jahren auf ihre Umwelt geschaut haben, wussten sehr genau, was los war.«
Dialog­aus­schnitt

Im Zentrum dieser Mischung aus Spielfilm und Doku­men­tar­film stehen drei junge, gebildete Hipster, die sich auf eine Reise in geheime und versteckte Archive machen. Die drei finden auf analogen Daten­trä­gern heraus, dass es nach dem Jahr 2020 ein verhee­rendes Arten­sterben auf der Erde gab. Und dass diese Kata­strophe vor den nach­fol­genden Genera­tionen verschwiegen wurde: Dafür montiert Persiel aktuelle, selbst gedrehte Inter­view­se­quenzen – mit Wissen­schaft­lern, Akti­visten und Künstlern – mit Archiv­auf­nahmen von Tieren, die gegen­wärtig vom Aussterben bedroht sind.

Ein bisschen Doku, ein bisschen Märchen, und ein bisschen Verschwö­rungs­theorie ist das Ganze also. Ein Klima­ka­ta­stro­phen-Doku-Science-Fiction-Roadmovie-Märchen­film, der mehr aufrüt­teln, als infor­mieren will, und ähnlich wie seine jungen Helden einer utopi­schen Genera­tion jederzeit ausstrahlt, dass er die richtige Haltung und die richtige Moral mit großen Löffeln einge­nommen hat.

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»Euch gehört diese Zeit, wo jederzeit etwas Krasses passieren kann.«
Dialog­aus­schnitt

Alles ist auch sehr thesen­haft angelegt und sehr gut gemeint. Stilis­tisch ist der Film in rasantem Tempo erzählt – wie in einem klas­si­schen Action­film.

Das Haupt­pro­blem dieses in vieler Hinsicht proble­ma­ti­schen Films ist aber, dass er unfrei­willig komisch ist: Persiel gibt mit dem pathe­tisch aufge­la­denen Sendungs­be­wusst­sein seines Films dem Zuschauer keine Chance, zu einer eigenen Haltung und Einschät­zung zu kommen.

So steht man am Ende etwas ratlos vor diesem agita­to­ri­schen Film, der in keiner Szene über­rascht, aller­dings tolle Natur­auf­nehmen zeigt, die im Stil den schönsten Tier­sen­dungen im Fernsehen ähneln.

Während der Film ein so didak­ti­scher wie enthu­si­as­ti­scher Appell für Biodi­ver­sität und gegen das Arten­sterben wird, stirbt unter soviel Thesen­bal­last die schon zuvor auf ein Minimum geschrumpfte Handlung.

Die hübschen Bilder rühren und bezaubern, die Wirkung ist verfüh­re­risch, die ange­deu­teten Lösungen bleiben aber schlicht und ober­fläch­lich.