Ema

Chile 2019 · 107 min. · FSK: ab 16
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: , ,
Kamera: Sergio Armstrong
Darsteller: Mariana Di Girolamo, Gael García Bernal, Paola Giannini, Santiago Cabrera, Cristián Suárez u.a.
Aus der unübersichtlichen Gegenwart Freiheit schöpfen
(Foto: Koch Films/Studiocanal)

Porträt einer Frau mit Feuer

Die Poesie des Flammenwerfers: Pablo Larraíns Ema ist ein Kino-Märchen im Delirium

»You wouldn’t believe what I've been through/ You've been so long/Well it’s been so long/
And I've been putting out the fire with gasoline/ Putting out the fire/ With gasoline«

David Bowie »Cat People«

Die Bilder zeigen die Nacht über einer Hafen­stadt. Eine Verkehrs­ampel steht in Flammen. Eine junge Frau blickt auf sie, geht dann seelen­ruhig weg. Es sind rätsel­hafte, poetische Bilder, manchmal surreal, manchmal sozi­al­rea­lis­tisch, mit denen dieser Film beginnt. Es dauert eine Weile, bis sich aus ihnen doch ein Zusam­men­hang und damit eine Geschichte heraus­schält. Aber dieser frag­men­ta­ri­sche, dezen­trierte Eindruck hat Gründe. Er entspricht den Figuren und Situa­tionen, von denen Pablo Larraín erzählt. Mit seinem siebten Spielfilm kehrt der chile­ni­sche Filme­ma­cher nach seinen etwas betont »poli­ti­schen« Filmen und seinem frag­wür­digen Hollywood-Ausflug mit Jackie wieder nach Chile zurück, genau gesagt in die Hafen­stadt Valpa­raiso.

Eine Ahnung davon, was dies für ein Film ist, gibt der Trailer, auch wenn hier fälsch­li­cher­weise der Eindruck erweckt wird, es könne sich um ein Musical handeln. Im Zentrum steht die Titel­figur »Ema«, eine junge Frau (gespielt von der super-charis­ma­ti­schen Mariana Di Girolamo), die als Tänzerin in einer Compagnie arbeitet, und nebenbei an Schulen unter­richtet. In kurzen facet­ten­haften Momenten, die sich in Ort und Figuren schnell abwech­seln, in der Chro­no­logie springen und getrieben von der modernen Musik von Nicholas Jaar, zu der Ema tanzt, schält sich folgendes heraus: Ema ist mit dem Choreo­gra­phen Gaston (Gael García Bernal) zusammen; weil er zeugungs­un­fähig ist, hatten sie ein Kind adoptiert. Doch dieser Polo entpuppte sich als destruk­tives und gefähr­li­ches Kind: Er verbrannte das Gesicht von Emas Schwester schwer, worauf Ema und Gaston den Jungen den Behörden zurück­gaben. Die Umgebung bestraft vor allem Ema dafür: An der Schule wird sie von den übrigen Lehrern gemobbt; zwei Szenen zeigen die Sozi­al­ar­bei­terin, die den Ex-Eltern sagt: »fix your rotten heads before you adopt children.«
Ema stellt fest: »Die Leute schauen uns an, als ob wir einen Hund mit einer Plas­tik­tüte erstickt hätten.«

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Ema, eine Mill­en­nial der besseren Art, also ein Mensch ohne Skrupel und Hyper­mo­ra­lismus, eine spiri­tu­elle Cousine des »Girl with the Dragon Tattoo« und Verwandte der post­apo­ka­lyp­ti­schen Mad Max-Heldin-Furiosa, erscheint als Drifterin; sie will kein »good girl« sein. Wir folgen ihr durch die Nacht und ahnen, dass sie schon längst über Wege nachdenkt, Polo, der bei neuen Adop­tiv­el­tern lebt, zurück­zu­ge­winnen. Der Film flaniert auf ihren Spuren durch ein poetisch verfrem­detes Chile von heute. Man kann das präten­tiös finden, aber eigent­lich ist es auch sehr beiläufig erzählt. Man sieht Ema tanzen, neue Freun­dinnen gewinnen, in Bars und auf Partys, bei Sex mit Männern wie Frauen, mit Freunden. Und sie kommt ihrem Ziel näher.

Unter­bro­chen wird das immer wieder von Bild-Montagen, Passagen, in denen wir der Figur einfach folgen und sich Szenen lose anein­an­der­reihen. Von Tanz­szenen wie dieser, die sich aus der Film­hand­lung halb lösen, sich zugleich verdichten und beschleu­nigen, und mit Poesie aufge­laden sind. Und einen Flam­men­werfer, der die Leinwand kurz in ein riesiges Feuer taucht. Man sieht, wie Autos abge­fa­ckelt werden – Berlin grüßt voll klamm­heim­li­cher Freude.

Für Ema ist das Ernst und Spaß zugleich, feuriger Exzess, wenn sie ein Feuer­teufel wird und in einer Szene Feuer spuckt, »wie das feurige Sperma eines Elefanten«, in einer anderen mit ähnlichem Vergnügen den Wasser­werfer eines Feuer­wehr­mannes betätigt.

Auch sonst ist Ema ein Kino-Märchen im Delirium. Larraín, der weißgott schon andere, schlech­tere Phasen als Regisseur hatte, propa­giert hier ein Kino, das die Idee einer photo­gra­phi­schen Repro­duk­tion der äußeren Welt, jenes Ideal der Kino-Spießer, ablehnt, und statt­dessen dyna­mi­sche Empfin­dungen zeigen will. Gezeigt wird nicht ein Gegen­stand, sondern ein Rhythmus, Bewegung, eine Atmo­s­phäre. Und das ist so rätsel­haft, wie schön.

Alle Formen von Nach­ah­mung und Spie­ge­lung – der Künstler und der Betrachter auf der einen, das Abge­bil­dete auf der anderen Seite – sind überholt und haben nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun. Man muss das alles nicht überhöhen. Man sieht es einfach gern.

Das alles kommt mir sehr typisch chile­nisch vor, ich kann mir Ema nicht als einen Film aus Argen­ti­nien oder Mexiko vorstellen. Auch nicht aus Spanien – was ich schreibe, weil man den Film am ehesten noch mit Melo­dramen verglei­chen kann.

Gerade all jenen, die Pablo Larraín – wie ich – bisher nicht mochten, möchte ich diesen Film ans Herz legen. Allen, die seinen Stil gewollt und um Aufmerk­sam­keit buhlend fanden, manie­riert, von falschem Forma­lismus geprägt, allen, die ihn bislang verdäch­tigten, politisch eine erzkon­ser­va­tive bis reak­ti­onäre Agenda zu propa­gieren. Nichts von alldem könnte man auch über »Ema« sagen.

Endlich mal ein Film, der nicht nach 20 Minuten verstanden und vorher­sehbar ist, nicht glatt ist, sondern gegen­wärtig, rau und unklar. Larraín erzählt in Facetten, in unzu­sam­men­hän­genden Szenen und immer wieder über­ra­schenden Bildern. Ein Film, der aus der unüber­sicht­li­chen Gegenwart nicht Nihi­lismus schöpft, sondern voll­kom­mene Freiheit.

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Dietmar Dath hat es vor einem Jahr im FAZ-Blog aus Venedig besser und schöner gesagt, als ich es kann: »Bei 'Ema' hört das Spiel der Frau, die hier eine Frau spielt, welche mit sich und anderen spielt, an keinem der Punkte auf, über die alle anderen Filme nicht heraus­treten, es wird mit Haut und Haaren der Ernst vom Spiel verschlungen und umgekehrt, das Werk ist komplett pervers und Pablo Larraín ein Irrer. Aber ein sehr ruhiger. Ich meine das als Lob. Ich fürchte mich vor diesem Mann und vor seinem Star, der unbe­greif­li­chen Mariana Di Girolamo. Die sind nicht von hier, von dieser Welt, wo man Handeln einer­seits und So-tun-als-ob ande­rer­seits unter­scheiden kann. Die sind von einem Planeten, wo böse Musik wie Grund­wasser unter allem strömt, siedend heiß, von Feuer nicht verschieden. Wer auf eine Pres­se­kon­fe­renz geht, um sich Filme wie 'Ema' erklären zu lassen, wird nicht viel erfahren. Wer aber den Kopf auf den Boden legt, damit dieser Film drüber­fahren kann, wird was ganz Beson­deres erleben.«

»I teach freedom« beschreibt Ema sich selbst. Für den Film gilt das auch.