11:14

USA/Kanada 2003 · 86 min. · FSK: ab 16
Regie: Greg Marcks
Drehbuch:
Kamera: Shane Hurlbut
Darsteller: Hilary Swank, Colin Hanks, Rachel Leigh Cook, Henry Thomas, Patrick Swayze u.a.
In der Ödnis der Provinz: Hilary Swank

Schlampen, Deppen, Säufer

Ein Mann fährt nachts in seinem Auto nach Hause. Er tele­fo­niert mit dem Handy, man spürt, dass es kein wirklich guter Tag war für ihn, und er wird nicht besser werden in den nächsten Minuten. Es ist Punkt 11.14 Uhr abends, da fällt ganz unver­mit­telt etwas auf sein Auto. Ein mensch­li­cher Körper, wie sich bald heraus­stellt, und ehe der Fahrer überhaupt entscheiden kann, was er am besten tut, wie er – stark ange­trunken fahrend – den Eindruck zerstreuen könnte, am Tod der Person, die jetzt mit zerschmet­tertem Schädel neben seinem Auto liegt, Schuld zu haben, hält ein anderer Wagen, dessen Fahrerin nicht genau hinguckt, einen »Wild­un­fall« vermutet und in aufdring­li­cher Hilfs­be­reit­schaft die Polizei anruft. Die bizarre Komik dieser ersten Szene liegt nicht zuletzt im sich ständig stei­gernden Miss­ge­schick, daran, wie sich dieser Unglücks­rabe in wenigen Minuten in einem Geflecht aus purem Zufall und absurdem Pech verhed­dert. Konse­quent tut Jack, so heißt der Fahrer, auch noch das Falsche und ebenso konse­quent geht es schief. Die Leiche verfrachtet er in den Koffer­raum, da kommt schon die Polizei und es dauert nicht lang, bis sie ihm auf die Schliche kommt, und Jack jäh in den Wald flieht

Doch dies alles entpuppt sich nur als schrille Expo­si­tion für eine noch schril­lere Geschichte: 11:14 – der Titel von Greg Marcks für nur sechs Millionen Dollar Budget produ­ziertes Regie­debüt verweist auf den Augen­blick, der für gleich fünf parallele Hand­lungen zur Schick­sals­mi­nute werden wird: Drei puber­tie­rende Voll­deppen machen einen drauf, indem sie voll­ge­dröhnt mit dem Auto durch die Stadt fahren, und aus dem Fenster pinkeln – bevor das bittere Ende kommt, als sie in einen Unfall verwi­ckelt werden. Eine nicht sehr helle Tank­stel­len­be­die­nung täuscht mit ihrem Freund, einem depperten Maul­helden, einen Überfall vor und schießt sich dazu selber in den Arm, ein Vater mit über­trie­benem Beschützer­in­stinkt vertuscht einen Mord, für den er seine Tochter verant­wort­lich glaubt, und diese Tochter, die 16-Jährige Dorf­schlampe, erpresst gleich zwei junge Männer gleichz­eitig mit einer vorge­täuschten Schwan­ger­schaft.

Eine ziemlich verzwickte und komplexe Story ist es, die Regisseur Greg Marcks da ausge­tüf­telt hat. Alles hängt mit allem zusammen – dieser Typ des Mosa­ik­films, den man eigent­lich für ein vergan­genes Phänomen der 90er Jahre gehalten hatte – von Pulp Fiction über Exotica bis Short Cuts – kommt gerade wieder etwas in Mode: Nach Magnolia war Crash das neueste, schon weitaus weniger ambi­tio­nierte Beispiel für eine solche, an die Panoramen des 19. Jahr­hun­derts ange­lehnte Technik der Narration, die aus der Macht und dem kuriosen Humor des Zufalls drama­tur­gi­sche Funken schlägt. Es geht hier also um mehr, als um eine bestimmte Handlung und bestimmte Charak­tere – der Regisseur hat offenbar keine geringere Absicht, als das Schicksal und das Leben selbst darzu­stellen. Mit Crash teilt Marcks in jedem Fall den – aus »old europe«-Sicht – »typisch ameri­ka­ni­schen« alttes­ta­men­ta­ri­schen Mora­lismus, den Hang dazu, Verstöße seiner Figuren gegen die »Family Values« und andere Normen des besseren Amerika konse­quent zu bestrafen – natürlich erst, nachdem seine Kamera und wir Zuschauer uns ein wenig daran weiden durften. Kino als Katharsis könnte man folgern, viel­leicht aber auch nur etwas billiger Voyeu­rismus und insofern von den brüchigen, weitaus offeneren Schick­sal­sym­pho­nien von Altman, Egoyan oder Anderson weit entfernt.

Auf den zweiten Blick erscheint auch das an diese Beispiele ange­lehnte Erzähl­ver­fahren reichlich banal, fast schon als Taschen­spie­ler­trick, mit dem Bedeutung und Komple­xität vor allem vorge­täuscht wird. Genau genommen vertäut 11:14 nur fünf, für sich genommen allen­falls mäßig inter­es­sante Kurzfilme mitein­ander, denen der Regisseur für sich genommen zu Recht nicht vertraut. Auch die Umdrehung der Chro­no­logie, mit der sich dieser Film im Krebsgang a la Memento zu seinem auch nicht wirklich über­ra­schenden Ende fort­be­wegt, erscheint bald vor allem präten­tiös.

Immerhin besticht der Film durch seine Darsteller: Im Jahr 2003, als der Film gedreht wurde, war Hilary Swank noch weit von ihrem dies­jäh­rigen Oscar­ge­winn entfernt, eigent­lich weg vom Fenster, doch ihr Auftritt als unsichere Ange­stellte knüpft nahtlos an ihre White-Trash-Portraits in Boys Don’t Cry und zuletzt Million Dollar Baby an. Auch mit Barbary Hershey und Patrick Swayze gibt es ein erfreu­li­ches Wieder­sehen. Den besten Auftritt liefert aber Rachel Leigh Cook als kleine dumme, zugleich bauern­schlaue Klein­stadt-Lolita.

Am ehesten lässt sich 11:14 noch als ein etwas zynischer Film über das Grauen der Provinz schätzen: So trist, so sex- und gewalt­be­sessen stellt man sie sich vor, die Wirk­lich­keit im allzu oft, gerade von Hollywood verklärten Small-Town-Amerika.