USA 2024 · 129 min. · FSK: ab 16 Regie: Ron Howard Drehbuch: Noah Pink Kamera: Mathias Herndl Darsteller: Jude Law, Ana de Armas, Vanessa Kirby, Daniel Brühl, Sydney Sweeney u.a. |
![]() |
|
Traurige Tropen... | ||
(Foto: Leonine) |
Natürlich kann man von einem Oscar-Preisträger und klassischen Hollywood-Regisseur wie Ron Howard, der seit den 1980er Jahren mit Filmen wir Nightshift (1984), Willow (1988), Apollo 13 (1995), A Beautiful Mind (2001), Frost/Nixon (2008) oder mit Hillbilly Elegy (2020) große Erfolge feierte, nicht unbedingt die Wahrheit erwarten, wenn es um eine wahre Geschichte geht. Auch wenn die wahre Geschichte wie eine völlig unglaubliche, also unwahre Geschichte klingt.
Die Geschichte handelt von dem Berliner Arzt Friedrich Ritter (Jude Law) und seiner Lebensgefährtin Dora Strauch (Vanessa Kirby), die sich Ende der 1920er Jahren aufmachen, um auf einer der Galapagos-Inseln zu leben. Floreana ist eigentlich nur ein unwirtlicher Ort, der in der Vergangenheit allenfalls von Walfängern besucht wurde. Doch darum geht es Ritter und Strauch nicht. Sie wollen auf Floreana eine neue, ganzheitliche, auf Vegetarierertum, Nudismus und Nietzsche beruhende Philosophie konzipieren, die von Ritter geschrieben und von Strauch als Muse und Beraterin unterstützt wird und die den Irrungen und Wirrungen der Menschen endlich ein Ende setzen soll.
Das erinnert an einen anderen frühen deutschen Aussteiger, an August Engelhardt, den es mit ähnlich vor-hippiesken Ideen 1902 nach Papua-Neuginea verschlug, um dort als eine Art Ritter der Kokosnuss den »Kokovorismus« zu predigen und mehr als hundert Jahre später in Imperium zu einer Romanfigur des Schweizer Schriftstellers Christian Kracht zu werden.
Auch Ritters Geschichte wurde – lange vor dieser Verfilmung – festgehalten: durch die Erinnerungen von Margret Wittmer, die unter dem Titel »Postlagernd Floreana« ihre Begegnung mit Ritter und die Ereignisse des Jahres 1935 autobiografisch nachzeichnete. Bekannter aber waren die Artikel von Georges Simenon zu dem Thema. Der Autor der Maigret-Krimis befand sich auf einer Weltreise, als er in New York von den Ereignissen erfuhr und darauf eine Artikelserie verfasste, die 1935 im Paris-Soir erschien und heute auf Wikipedia als Galápagos-Affäre nachzulesen ist.
Ritter hätte die großen Zeitungen eigentlich nicht gebraucht, denn da war er ja eigentlich schon, da er erfolgreich von seiner Mission und seiner modernen Robinsonade in zahlreichen Zeitungen der Welt berichtete. Das lockte jedoch u.a. die Verfasserin der oben erwähnten Erinnerungen, Margret Wittmer (Sydney Sweeney) und ihren Mann Heinz Wittmer (Daniel Brühl) auf die Insel, die sich mit ihrem kranken Sohn nach Floreana aufmachten, um ein gesünderes Leben zu leben, vor allem aber um möglichst weit weg von den braunen Parolen eines neuen Deutschlands zu sein. Doch kaum auf Floreana angekommen, wird den Wittmers klar, dass die Ritters nichts von ihnen wissen wollen, sie auf sich gestellt sind. Und als dann auch noch eine fadenscheinige Baronin (Ana de Armas) mit zwei jungen Geliebten auf der Insel auftaucht, um ein Hotel zu bauen, beginnt das fragile Beziehungsgefüge noch einmal mehr zu kollabieren, mehr noch, als durch die einsetzende Trockenheit die Ressourcen immer knapper werden.
Was dann passiert, erinnert zum einen an Filme wie den Herr der Fliegen und das Gedankenspiel, Nietzsche als Nachbar haben zu müssen oder einen Anhänger der Literatur von Ernst Jünger auf einen in Verdun traumatisierten Soldaten treffen zu lassen. Zusammengenommen also eine Eskalation, deren Ausgang zumindest ungewiss ist. Diese Ungewissheit ist auch in den literarischen Vorlagen dominant. Weder Wittmer noch Simenon haben darüber geschrieben, wie es zu den Todesfällen auf der Insel kam, sondern nur, dass es diese Todesfälle gab, haben die markanten Leerstellen also explizit als Leerstellen belassen...
Was als literarische Leerstelle gut funktioniert, kann für Filme allerdings ein allzu großes Risiko sein. Weshalb Ron Howard und sein Drehbuchautor Noah Pink sich wohl entschieden haben, auch das »Wie« dieser Geschichte zu erzählen. Das gelingt über ein hervorragendes Ensemble und immer wieder irrwitzige Dialoge überraschend gut und dass der Film wegen seines schmalen Budgets nicht an Originalschauplätzen, sondern in Australien gedreht wurde, ist nebensächlich, da die Geschichte an sich eine erzählenswerte Geschichte ist.
Und das nicht nur, weil sie als exotischer Thriller funktioniert, in dem Mensch und Natur ihr wahres Gesicht zeigen und sich sowohl Gefühl als auch Intellekt und Populismus als menschliche Stolpersteine offenbaren und man sich fragen muss, was überhaupt noch bleibt, um als Mensch mit anderen Menschen koexistieren zu können. Sondern auch, weil sich diese Geschichte wie ein Fallbeispiel für unsere Gegenwart ansieht. Denn so wie Floreana ein Mikrokosmos mit begrenzten Ressourcen ist, ist natürlich auch unsere Gegenwart aufgestellt, in der ebenfalls nur nur noch eine weitere »natürliche« oder »menschliche« Komponente ausreichen dürfte, um die Katastrophe einzuleiten.