Italien/F 2021 · 121 min. · FSK: ab 12 Regie: Nanni Moretti Drehbuch: Nanni Moretti, Federica Pontremou, Valia Santella Kamera: Michele D'Attanasio Darsteller: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher, Adriano Giannini, Elena Lietti u.a. |
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Da gibt es nichts zu lachen: Nanni Moretti als Pater familiae | ||
(Foto: 24 Bilder) |
'Cause sometimes you just feel tired, feel weak
And when you feel weak, you feel like you wanna just give up
But you got to search within you, and try to find that inner strength
And just pull that shit out of you
And get that motivation to not give up, and not be a quitter
No matter how bad you wanna just fall flat on your face and collapse(Eminem: 'TILL I COLLAPSE)
Der Film ist mit fast zwei Stunden eher lang und könnte doch gern auch länger sein! Man versinkt im Kinosessel und lässt das Leben seine dramatischen Geschichten erzählen … doch was bleibt nach ein paar Tagen davon übrig?
Nanni Moretti hat mit Drei Etagen den Roman »Über uns« von dem israelischen Autor Eshkol Nevo verfilmt und die Handlung nach Rom verlegt. Der Schriftsteller vertraute dem Regisseur und beteiligte sich in keiner Weise am Produktionsprozess, was eine gewisse Souveränität ausstrahlt und vielleicht öfter nachgeahmt werden sollte.
Krachend beginnt der Film, mit einem spektakulären Autounfall: Plötzlich steht ein Wagen, nach wilder Irrfahrt, im Arbeitszimmer eines Wohnhauses und damit im Leben von drei recht gut situierten Familien, die in diesem Haus wohnen. Ein Reigen aus Schuld und Verantwortung wird in Gang gesetzt und wirbelt den Staub der Gewohnheit und Sicherheit auf. Vor allem der Fahrer des Unfallwagens, ein junger Mann (Alessandro Sperduti), betrunken bei der Fahrt, muss sich den Folgen seiner Tat stellen, es kam eine Frau zu Schaden. Auch für die Eltern des Mannes, beide Richter, wird dies zu einer Zerreißprobe ihrer Ehe und Elternschaft. Nanni Moretti spielt den liebevollen Ehemann und knallharten Vater, der seine Frau zur unmenschlichen Entscheidung zwingt, zwischen ihm und ihrem Sohn zu wählen. Margherita Buy als seine vermittelnde, feinfühlige Ehefrau Dora, deren Mimik zwischen Liebe, Angst, Unsicherheit und Verzweiflung oszilliert, beeindruckt mit mimischen Zwischentönen.
Auch in den anderen Etagen gibt es Probleme. Lucio (Riccardo Scamarcio) aus dem Erdgeschoss muss nun sein Arbeitszimmer wieder herrichten. Viel mehr beschäftigt ihn allerdings die Frage, was im Park vorgefallen ist, als seine siebenjährige Tochter mit dem dementen alten Nachbarn, der oft auf sie aufpasste, umherirrte, weil beide nicht den Weg nachhause fanden. Er steigert sich in seine Angst vor einem eventuellen Missbrauch seiner Tochter hinein und verliert dabei jedes Maß und den Blick für seine Mitmenschen. Da ist es eine willkommene Abwechslung, als sich eine jugendliche Nachbarin (Denise Tantucci) sehr für ihn interessiert. Und dann ist da noch die junge Mutter Monica (Alba Rohrwacher), deren Mann die meiste Zeit außerhalb Roms arbeitet, so dass sie ihr erstes Kind allein zur Welt bringen und dann auch mehr oder weniger allein erziehen muss. Über ihr liegt der lange Schatten ihrer Mutter, welche psychisch krank ist, und auch Monica beginnt Dinge zu sehen, die andere nicht sehen.
Moretti filmt dies alles eher nüchtern, in oft starren und langen Einstellungen, was einen reibungsvollen Kontrast zu den heftigen Emotionen der strauchelnden Figuren bildet. So senkt sich aufgrund der vielen Tiefschläge und schicksalhaften Fehlentscheidungen und -entwicklungen langsam ein tragischer Schleier über den Zuschauer, eine narkotische Dumpfheit von antiker Tragödiendimension, was sich auch durch zwei größere Zeitsprünge und ein paar Hoffnungstupfer (Tango, Liebe, Versöhnung) kaum verändert. Aber was steckt hinter diesen Dramen? Sind es noch die antiken Götter, die mit Menschen wie mit Marionetten spielen? Ist es ein monotheistischer Gott, der ein geschlossenes Sinngefüge aus Gut und Böse, Himmel und Hölle anzubieten scheint? Oder kann uns wenigstens die Psychologie Erklärungen dafür liefern, warum Menschen handeln, wie sie handeln? Moretti gibt auf diese Fragen keine Antworten. Eine Katharsis im aristotelischen Sinn kann sich so nicht einstellen, denn wir wissen nicht, wofür das Leiden gut ist oder was es ausgelöst hat. Und so bleibt nach dem Abklingen der Narkose wenig übrig außer einer Menge Fragen. Warum ist die Vater-Sohn-Beziehung derart krass gescheitert, warum kann sich die Mutter nicht für ihren Sohn entscheiden? Woher kommen die übergroßen Ängste des Vaters vor dem Missbrauch seiner Tochter? Und so weiter. Reicht es, menschliches Unglück und seine Folgen einfach nur abzufilmen? Reicht es, Figuren wie Perlen einer Kette hintereinander aufzufädeln, anstatt die Verflechtungen deutlicher herauszuarbeiten?
Moretti selbst sagt dazu, dass er mehr an den Folgen der Krisen interessiert war als an den Krisen selbst und er deshalb – im Gegensatz zum Roman – im Drehbuch die zwei Zeitsprünge von jeweils fünf Jahren eingefügt hat. Das ist natürlich ein anderer Ansatz, als der, zu versuchen, Krisen und Fehlentwicklungen zu erklären.
Zu seiner gesellschaftlichen Deutung seines Filmes sagt er: »In dieser Geschichte beobachten wir die Tendenz zur Isolation, zur Entfremdung von einer Gemeinschaft, die wir entweder nicht wahrnehmen oder deren Offenheit wir nicht erkennen. […] Der Film will uns dazu auffordern, offen zu werden für die Welt außerhalb unserer vier Mauern. Es ist unsere Entscheidung, ob wir uns in eine dieser drei Etagen zurückziehen.« Zu dieser Aufforderung zur Offenheit passt sicher die Figur der Dora, welche sich am stärksten weiterentwickelt und bei der sich eine Emanzipation von ihrer eher unterwürfigen Ehefrauenrolle und eine eigenständige Position ihrem Sohn gegenüber abzeichnet. Auch die durch die Stadt tanzenden Tangopaare am Ende des Filmes zeigen einen öffnenden Blick aus den drei Etagen des Hauses, laden zu einer spielerischen Sicht auf die Dinge ein, verleihen dem ernsten Film einen Hauch von Poesie.
Die Konzeption des Filmes ist aus Morettis Sicht also durchaus schlüssig, keine Frage. Manchen mag sie aber nicht überzeugen, weil die Geschichten insgesamt recht willkürlich oder gar nicht verknüpft erscheinen, weil man über die Beobachterrolle nicht hinauskommt, weil man zusehen, aber nicht verstehen kann. Die Emotionalität bleibt distanziert, aseptisch. Wer über die Verknüpfungen, Hintergründe und inneren Kämpfe zum Thema der Schuldverstrickung mehr erfahren will, dem seien die Filme von Alejandro González Iñárritu ans Herz gelegt, z. B. 21 Gramm (2003) oder Babel (2006).