USA 2017 · 121 min. · FSK: ab 12 Regie: Oren Moverman Drehbuch: Oren Moverman Kamera: Bobby Bukowski Darsteller: Richard Gere, Laura Linney, Steve Coogan, Rebecca Hall, Chloë Sevigny u.a. |
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Plumpe Luxuskritik |
»Ich geh' da nicht hin« – »Aber es dauert drei Monate, um dort einen Tisch zu bekommen.« – »Ist mir egal. Ich habe keine Lust auf diese Leute.« – »Es klingt superexklusiv und sexy, wie ein Trip nach Frankreich.« – »Unter der deutschen Besatzung vielleicht.«
Dialog zu Beginn von »The Dinner«
Das betont Pickfeine, das Opulente, das Formbewusste steht im Kino fast immer für »decadence«, fürs Morbide und ist nicht erst seit Hannibal Lecter dazu angetan, die Figuren, die sich in ihm wohlfühlen, zu denunzieren. Wer unter ihnen aber gegen Luxus, Reichtum und grundsätzliche Verschwendung ist und auch so redet, während er sich das Gänsebrüstchen im vierten Gang in den Mund führt, der muss ein guter Mensch sein.
So einer ist Paul, von Steve Coogan verkörperter, frühverrenteter und latent depressiver Geschichtslehrer. Stan ist von großen Minderwertigkeitskomplexen geplagt und überträgt diese auf die ganze Welt, auf die er mit einem alles verschlingenden Kulturpessimismus blickt. Je länger der Film dauert, um so weniger legt The Dinner uns nahe, mit Pauls Welthass zu sympathisieren.
»Ich bin der einzige in der Familie, der normal geblieben ist. Und Stan kandidiert für ein öffentliches Amt. Schwachsinn!« – Vor allem allerdings ist Paul der jüngere Bruder von Stan, einem von Richard Gere schillernd zwischen Moral und Berechnung gespielten prominenten Kongress-Politiker in Washington.
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Zu dem titelgebenden Dinner in einem französischen Drei-Sterne-Lokal von jener Sorte, für die man Monate im Voraus einen Tisch reservieren muss, und die seinen Bruder an das Paris unter deutscher Besatzung erinnern, zu diesem Abendessen kommt Stan mit seiner Assistentin im Schlepptau, und wird in den nächsten zwei Stunden fortwährend durch wichtige Telefonate gestört.
Hierher haben sich die beiden Brüder mit ihren Gattinnen (gespielt von Rebecca Hall und Laura Linney) verabredet, um eine Familienangelegenheit zu regeln, die mit »delikat« mehr als höflich umschrieben ist: Beider Söhne haben gemeinsam einen schwarzen Obdachlosen angezündet und beim Sterben gefilmt – nun werden sie von dem Adoptivsohn Stans erpresst. Was tun?
Diese Frage führt in Oren Movermans erhitztem Kammerspiel zu einer zweistündigen gegenseitigen familiären Zermarterung, bei der alle möglichen alten Geschichten unter dem Teppich hervorgeholt werden.
Illustriert werden soll damit der psychische und moralische Bankrott von Nordamerikas weißer Oberklasse – denn auch Hautfarben, verschiedene Spielarten des Rassismus und das Erbe des US-Bürgerkriegs vor 150 Jahren spielen eine Rolle. Eine für ihr Verhältnis entscheidende Begegnung der Brüder in der Vergangenheit fand zudem in Gettysburgh statt, am Mahnmal für die entscheidende blutige Schlacht des Bürgerkriegs.
Stans Adoptivsohn, der Erpresser ist schwarz – genau wie das Opfer. Und genau wie die Assistentin des Politikers, die nicht etwa mit beim Essen dabei ist, sondern draußen in der Vorhalle warten müss.
Das calvinistische Schuld-und-Familienzerfleischungs-Drama, das der holländische Schriftsteller Herman Koch in seinem Roman »Angerichtet« entfaltet, der dem Film zugrundeliegt, zehrt vor allem von der Selbstbezichtigung einer Gruppe Wohlstandbürger und vom Selbst-Hass des Westens, der hier offen zutage tritt.
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Leider aber haben die Dialoge, weder den Witz eines Woody Allen, noch den sarkastischen Zynismus eines David Mamet, so wenig, wie sich Regie und Bildgestaltung zwischen einem kühlen Kammerspiel à la Roman Polanski und dem forciertem Kunstwillen von Das Fest entscheiden.
Stattdessen wird psychologisiert, was das Zeug hält, wobei die zwei Dutzend angedeuteten Traumata dieser
Familienaufstellung in forcierten Rückblicken exzessiv visualisiert werden. So verspielt Moverman seine Ausgangssituation, die das Zeug dazu gehabt hätte, ein Abgesang auf die gegenwärtige US-Elite zu sein, die auch in ihren liberalen Teilen längst alle Bodenhaftung verloren hat.
Familienpolitik und bürgerlicher Anstand, Hysterie und Hate-Crime, Reichtum und Rassismus: In Dinner bereitet Regisseur Oren Moverman seinen Figuren und uns im Publikum ein Essen, das irgendwann allen im Hals steckenbleibt. Stattdessen serviert er plumpe Luxuskritik. Die allzu einfache moralisch-politische Position des Regisseurs steht von Anfang an unverrückbar fest: »Ich liebe die Reichen nicht.« – das sagte aber auch schon Francois Hollande, bevor er gewählt wurde.