| USA/GB 2025 · 119 min. Regie: Lynne Ramsay Drehbuch: Lynne Ramsay, Enda Walsh Kamera: Seamus McGarvey Darsteller: Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Keith Stanfield, Sissy Spacek, Nick Nolte u.a. |
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| Überlegtes Gedankenspiel zur Selbstzerstörung... | ||
| (Foto: Black Label Media / Cannes Press Service) | ||
»Stirb doch, Liebes!« oder im Original: »Mátate, amor« – so heißt ein erfolgreicher Roman der in Frankreich lebenden argentinischen Schriftstellerin Ariana Harwicz, aus dem Jahr 2012.
Darin geht es darum, was passiert, wenn Mutterschaft zu einem Gefängnis für eine Frau wird. Ihre Entfremdung von Mann und Kind wird zur Ursache für Fluchtfantasien und eine Infragestellung der eigenen Identität.
Die schottische Filmemacherin Lynne Ramsay (We Need to Talk About Kevin; You Were Never Really Here) nimmt diesen intimen Roman zum Ausgangspunkt einer filmischen Tour de Force rund um das traumatische Ich-Verhältnis einer Frau, die sich selbst nur allein im Wald richtig fühlen kann, und deren Phantasien immer wieder in turbulente Gefilde abdriften.
Jetzt kommt
der Film in die Kinos, die Hauptrollen spielen Jennifer Lawrence und Robert Pattinson
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Als große romantische Liebe beginnt alles: Ein Paar, Grace und Jackson, zieht zurück aus der Stadt in die Provinz, ein schönes Grundstück inmitten der Natur und ein altes Haus werden zum neuen Heim.
Grace wird schwanger. Pures Glück.
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Die Kamera von Die My Love ist großartig, genauso wie der Musikeinsatz. Und wie die Darbietung von Jennifer Lawrence, der Hauptdarstellerin, die den ganzen Film tragen muss. Lawrence, bekannt aus so unterschiedlichen Werken wie dem Autorenfilm Winter’s Bone, aber auch der Jugendkultserie Tribute von Panem und den Superhelden der X-Men, knüpft dabei an ihre Rolle in Mother! von Darren Aronofsky an.
Es geht um die destruktiven Kräfte in einem jeden von uns, um den tief-sitzenden Wunsch nach Selbstzerstörung und nach dem radikalen Bruch mit den Überresten eines ehelichen Lebens, das als große romantische Love-Story begonnen hat.
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Dies ist kein Film für Cannes! Dort hatte ich den Film gesehen und einfach nur hundsmiserabel schlecht gefunden. »Total versemmelt« schrieb ich, und verstehe auch immer noch warum. Aber trotzdem: heute ist es mir egal.
Heute geht es mir hier nun eher wie den Kollegen im artechock-podcast »Filmquartett« letzte Woche mit Kelly Reichardt. Mastermind fand ich nun tatsächlich gähnend
langweilig und wundere mich, wie man fast eine Stunde darüber reden kann – und warum? Aber fair enough – ich frage mich das, was sie zu Reichardt fragen, im Fall von Lynne Ramsey: Weshalb interessieren und faszinieren mich diese Filme überhaupt, und auch dieser?
Die Schottin Lynne Ramsey wurde im internationalen Indie-Kino des beginnenden 21. Jahrhunderts durch ihre unbestechliche Eigenwilligkeit bekannt: Immer wieder weigerte sie sich, den idiotischen Anforderungen der heutigen Filmindustrie und Mainstreamausrichtungen nachzugeben, um sich einem konservativen, ungebildeten und an jeder Herausforderung uninteressierten, auf nichts neugierigen Massenpublikum anzubiedern.
Die natürliche Folge war eine sehr geringe Produktivität: Mehrfach wurde Ramsey aus Projekten entlassen oder stieg selber aus. Bekannt sind The Lovely Bones (2009) und Jane got a Gun (2015), die nach ihrem Rauswurf/Abgang schließlich von Peter Jackson bzw. Gavin O’Connor inszeniert wurden.
Aber solch eine Vorgeschichte garantiert noch keine Qualität. Das einzige, was sich feststellen lässt: Die My Love ist vielleicht nicht geglückt, aber sehenswert missglückt.
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Grace heißt Anmut. Oder Gottesgnade.
Grace versteht sich besser mit Jacksons senilem Vater Harry (gespielt von Nick Nolte) als mit dessen schlafwandelnder Mutter Pam, gespielt von Sissy Spacek. Nach der Geburt ihres Kindes taucht Grace zunehmend ab in eine beunruhigende Selbstbezogenheit, für die sie zunächst ihren Partner verantwortlich macht: Jackson ist oft beruflich abwesend, beteiligt sich kaum an der Kinderbetreuung und bringt obendrein noch einen kläffenden Hund ins Haus.
Grace, eine Schriftstellerin, wird zunehmend frustriert und deshalb verrückt. Oder umgekehrt. Erst sind es nur kleine Veränderungen, die sie durchläuft, zarte Realitätsverschiebungen, dann wird es krass: Grace säuft, vernachlässigt ihr Kind, verschwindet stundenlang, krabbelt wie ein Tier durch den Wald, verführt den Nachbarn, zerdeppert das Badezimmer, kratzt mit bloßen Händen die Wand kaputt (und ihre Hände).
Die Regisseurin gibt ihrer Protagonistin freien Lauf für alle nur denkbaren selbstzerstörerischen Ausbrüche. In Ramseys esoterischer Inszenierung wird Sex zur gewalttätigen Auseinandersetzung, die Natur zum brennenden Wald, die Ehe zur Hölle und das Zeitgefühl zu einer Schleife, die Vergangenheit und Gegenwart in dem gleichen Chaos vermischt, das angeblich im Kopf der Frau herrscht – einer Frau, der Jennifer Lawrence durch ihr körperliches Spiel wiederum echte
Glaubwürdigkeit verleiht.
Ramsey will vom Wunsch nach Selbstzerstörung und dem radikalen Bruch mit den vergifteten Überresten einer Ehe und des Lebens an der Seite ihres Mannes Jackson (Robert Pattinson in einem sehr guten Auftritt) erzählen.
Ramsays effekthascherische Herangehensweise setzt auf dauernde Irreführungen des Zuschauers, auf Schocks, Verschiebungen vom Realen ins Traumhafte und unsichere Zeitsprünge. Das Endergebnis ist ein Film, dessen größter Anreiz in einem angekündigten Chaos liegt, das die Bilder mehr als deutlich werden lassen. Alles wird bis zum Äußersten getrieben, formell ist der Film mehr schrill als berührend, mehr willkürlich als ehrlich – und landet dabei immer wieder in inszenatorischen Sackgassen.
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Von Anfang an wird hier die Natur zu einem eigenen Darsteller: Das Grün der Wiesen und des prachtvollen Waldes ist ein Rückzugsraum für Grace.
So handelt dieser Film nicht nur von einer bipolaren Hauptfigur, sondern er erzählt uns auch viel über das Animalische im Menschen. Und über die Wahrheit der US-amerikanischen Musterehen und ihrer »Desperate Housewives«.
Trotzdem weiß diese Odyssee letztlich nicht, was sie sein will. Sie taumelt verloren zwischen Tragödie, halluzinogenem Horror, pechschwarzer Familien-Komödie und einem Melodram über Weiblichkeit, romantische Beziehungen, Mutterschaft und mentale Krisen. All das stützt sich auf zwei Figuren, die trotz des großartigen Spiels von Pattinson und Lawrence weder besonders interessant noch sympathisch sind. Das ungleiche Duo tut sein Möglichstes, um die innere Zerrissenheit und ein einfallsloses, sich im Kreis drehendes Drehbuch zu tragen.
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Man könnte sagen, Lynne Ramsay muss sich nicht schämen – das erratische Fundament ihres Films sinkt nie auf das heutige Mainstream-Niveau, und ihr Versuch, mit einer relativ sinnlichen und experimentellen Herangehensweise die Karten im Verlauf dieses Films neu zu mischen, ist grundsätzlich willkommen, auch wenn der Ausgang der Geschichte für erfahrene Kinogänger relativ vorhersehbar ist.
Doch die Unschärfen des Werks haben unausgegorene Seiten: Denn der Film idealisiert eine verantwortungslose Mutter, und bagatellisiert zugleich die kindische Selbstbezogenheit der Hauptfigur Grace und ihre Krankheit.
Aber Die My Love vermeidet alle Verniedlichung von Wahnsinn und modische Achtsamkeits-Rhetorik und fesselt als überlegtes Gedankenspiel zur Selbstzerstörung und zur rohen, aggressiven Manie des 21. Jahrhunderts…