Dahomey

Frankreich/Senegal 2024 · 67 min.
Regie: Mati Diop
Drehbuch:
Kamera: Josephine Drouin Viallard
Schnitt: Gabriel Gonzalez
Artefakt 26 in neuen Räumen, doch dem kolonialen Diskurs nicht entkommen...
(Foto: Les Films du Bal – Fanta Sy)
74. Berlinale 2024

Verpasste Chancen

Mati Diops Restitutions-Dokumentation hat zwar den Golden Bären gewonnen, der Sache, um die es geht, aber einen ärgerlichen Bärendienst erwiesen

The slave trade is the ruling principle of my people. It is the source and the glory of their wealth… the mother lulls the child to sleep with notes of triumph over an enemy reduced to slavery – King Ghezo in: Martin Meredith (2014), The Fortunes of Africa. New York: PublicAf­fairs

Jury-Entschei­dungen sind selten eine einhel­lige Sache. So ist es sehr oft nicht unbedingt der beste Film, der gewinnt, sondern der beste Kompro­miss. Im Fall von Mati Diops Resti­tu­tions-Doku­men­ta­tion Dahomey müssen die Verwer­fungen zwischen den Jury-Mitglie­dern aller­dings schon besonders groß gewesen sein, um zumindest den mit 67 Minuten kürzesten Film im Wett­be­werb als besten Film zu prämieren.

Dabei nimmt sich Diop mit Dahomey eines in den letzten Jahren immer rele­vanter werdenden Themas an, das der Resti­tu­tion von in Kolo­ni­al­zeiten entwen­deten Ritual- und Kunstar­te­fakten – in diesem Fall die im Jahr 2021 erfolgte Rück­füh­rung von 26 Benin-Bronzen aus Pariser Muse­ums­be­s­tänden; ähnliche Kontin­gente gibt es auch in den USA und Deutsch­land, das sich inzwi­schen so wie Frank­reich zu einer Rückgabe der Bronzen entschieden hat.

Wie schon in ihrem preis­ge­krönten Film Atlan­tique sind auch in Diops Doku­men­ta­tion über die Zurück­füh­rung der Kunst­schätze des König­reichs Dahomey in das heutige Benin Geister am Werk, ist auch hier die Über­que­rung des großen Wassers ein Heils­ver­spre­chen. Nur halt in anderer Richtung. Diops Film zerfällt dementspre­chend in zwei Teile. Im ersten wird die Verpa­ckung im Musée Quai Branly und die Verschif­fung der rituellen Gegen­s­tände begleitet, dabei rückt vor allem Artefakt 26, eine Statue von König Ghezo, ins Zentrum, die über ein elek­tro­nisch verzerrtes Voiceover des haitia­ni­schen Schrift­stel­lers Makenzy Orcel von der Zeit in den dunklen Kellern des Pariser Museums, von seinen Erin­ne­rungen an Afrika und von seinen Gedanken bei der Rückkehr in seine Heimat erzählt. Diese so pathe­tisch wie dann auch inhalt­lich platte Sprach­ein­lage, mit der Diop mögli­cher­weise den atlan­ti­schen Drei­ecks­handel damaliger Zeiten thema­ti­sieren will, ärgert vor allem auch deshalb, weil sie Ghezo zwar folk­lo­ris­tisch schwur­beln lässt, dabei aber die durchaus ambi­va­lente Rolle Ghezos im damaligen Skla­ven­handel nicht einmal in Ansätzen aufgreift.

Die Diffe­ren­zie­rung, die hier wünschens­wert gewesen wäre, nimmt Diop dann jedoch im zweiten Teil ihres Films auf, der die Ausstel­lung der Artefakte im Präsi­den­ten­pa­last von Benin City zeigt und dann endlich die Nach­fahren der alten Geister zu Wort kommen lässt, die Studenten der Univer­sität von Abomey-Calavi, die in einer von Diop und ihrem Regie­as­sis­tenten Gildas Adannou gelei­teten Debatte über den Sinn der Zurück­füh­rungen, die dahinter stehende Symbol­po­litik Macrons und die Querelen um die Sicht­bar­ma­chung der Artefakte – wie etwa sollen sich Schüler vom Land diesen Besuch leisten? – ringen. Dieser wirkliche Höhepunkt in Diops Film macht dann auch vers­tänd­lich, was in Europa kaum einer mehr versteht: dass Kultur­erbe immer auch ein unschätz­barer Motor kultu­reller Identität und wirk­li­cher Unab­hän­gig­keit ist.

Doch auch hier, im stärksten Teil von Dahomey, macht sich die inhalt­liche Kürze und auch stilis­ti­sche Nach­läs­sig­keit der Produk­tion bemerkbar – die idea­ler­weise in einem Arte-Themen­schwer­punkt gezeigt werden könnte – denn was hätte hier besser passen können, als sowohl die bis heute koloniale Perspek­tive des Westens im Vorfeld der Resti­tu­tionen anzu­deuten als auch die über­ra­schende Kritik aus den vermeint­lich eigenen Reihen, der Resti­tu­tion Study Group, die dem Rück­füh­rungs­pro­ze­dere vorwarf, die mit dem »Blutgeld« der Sklaven herge­stellten Statuen an die Nach­fahren der Skla­ven­händler zu über­führen statt sie in den neuen Heimaten der Nach­fahren eben dieser Sklaven zu belassen. Ein Film der verpassten Chancen und schnöden, künst­le­ri­schen Symbol­po­litik.