Corsage

Österreich/L/D 2022 · 114 min. · FSK: ab 12
Regie: Marie Kreutzer
Drehbuch:
Kamera: Judith Kaufmann
Darsteller: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Jeanne Werner, Manuel Rubey u.a.
Eine Kaiserin raucht
(Foto: Alamode)

Eine Kaiserin zeigt den Stinkefinger

In ihrem feministisch-historischen Gedankenspiel Corsage bürstet Marie Kreutzer den Kitsch-Mythos der Kaiserin Elisabeth gegen den Strich

»Wenn diese ganze Existenz nur provi­so­risch ist, wozu braucht man die Bestän­dig­keit suchen?«(Elisabeth von Öster­reich-Ungarn)

»Dass die gewöhn­liche Geschichts­schrei­bung als angenehm gilt, führe ich auf denselben Grund zurück, aus dem eine gewöhn­liche Unter­hal­tung als angenehm gilt: Ihr Charakter ist aus Höflich­keit und Lüge zusam­men­ge­setzt.«(Friedrich Nietzsche)

Ein deutscher TV-Mythos wird entzau­bert: Romy Schneider als »Sissi« hat lange das mediale Bild der Kaiserin Elisabeth von Öster­reich bestimmt und die Schau­spie­lerin mit der Rolle verschmolzen. Nun spielt Vicky Krieps die Kaiserin und zeigt uns neue Seiten, weniger erbau­liche.

Die öster­rei­chi­sche Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin Marie Kreutzer lädt uns in Corsage zu einem histo­ri­schen Gedan­ken­spiel ein: Was wäre, wenn Kaiserin Elisabeth von Öster­reich-Ungarn ihr Korsett, als Symbol ihrer weib­li­chen Unter­drü­ckung und unbarm­her­ziger Reprä­sen­ta­ti­ons­pflichten, abge­streift hätte? In Cannes, wo der Film im Mai in der Sektion »Un Certain Regard« Premiere feierte, kam das gut an, die Haupt­dar­stel­lerin Vicky Krieps erhielt den Darstel­ler­preis.

Wien 1877: Die bezau­bernde, für ihre Schönheit gerühmte Sissi wird 40. Sie lässt sich wie immer in ihr brutal enges Korsett schnüren und stellt sich den Anfor­de­rungen des Hofze­re­mo­ni­ells. Aller­dings nimmt sie sich stra­te­gi­sche Auszeiten. Den lang­wei­ligen Feier­lich­keiten entkommt sie durch eine routi­niert vorge­täuschte Ohnmacht. Denn ihr Leben am Wiener Hof ist quälend lang­weilig. Was Spaß macht oder Geist erfordert, ist verboten. Dazu kommt der tägliche Kampf um die Aufrecht­erhal­tung ihres jugend­li­chen Erschei­nungs­bildes. Das Messen ihrer Taille beim Schnüren des Korsetts ist dabei ein uner­bitt­li­ches Ritual. Die Paral­lelen zum Schicksal Lady Dianas in Spencer (2021) sind unüber­sehbar: Zwei royale weibliche Super­stars, die ihre fest­ge­legte, auf ihre äußere Erschei­nung fokus­sierte öffent­liche Rolle zunehmend als zerstö­re­risch und belastend empfinden, die aus ihrem goldenen Käfig ausbre­chen wollen. Aber während sich Pablo Larraín in Spencer eng an histo­ri­sche Fakten hält und sich in der Ausstat­tung um größt­mö­g­liche Authen­ti­zität bemüht, wählt Marie Kreutzer einen anderen Weg. Sie geht weit über das histo­risch Über­lie­ferte hinaus und baut bewusst alle möglichen Anachro­nismen in ihre Insze­nie­rung ein. Da ist ein Telefon, moderne Lampen sind zu sehen, die ganze höfische Kulisse will gar nicht – abgesehen von den Kostümen – authen­tisch sein. Die reprä­sen­ta­tiven Bauten der Öster­rei­chisch-Unga­ri­schen Monarchie wirken so hässlich herun­ter­ge­kommen, wie es die Monarchie politisch viel­leicht schon war. Das ist für den Zuschauer zunächst irri­tie­rend verfrem­dend und verhin­dert ein wohliges Kostüm­film-Feeling. Der Blick wird aber geschärft. Noch inter­es­santer wird der Umgang mit der histo­ri­schen Authen­ti­zität natürlich bei der Darstel­lung der Kaiserin. Corsage greift eman­zi­pierte Verhal­tens­weisen der histo­ri­schen Person auf, so etwa die häufigen und langen Reisen Elisa­beths, die es ihr ermö­g­lichten, jenseits des strengen Proto­kolls zu leben, oder die bewusste Förderung einer Affäre ihres Mannes mit einer jungen Frau. Und da wäre noch das berühmte Anker-Tattoo auf der Schulter. Aber Marie Kreutzer geht weit darüber hinaus, ihre Prot­ago­nistin begehrt deutlich sichtbar auf, verwei­gert, protes­tiert und scho­ckiert ihr Umfeld. Kreutzer lässt sie beim Verlassen des Saales den Stin­ke­finger recken, sich die charak­te­ris­ti­schen langen Haare abschneiden und syste­ma­tisch eine Doppel­gän­gerin entwerfen und anlernen, um endlich dem Diätzwang zu entgehen und die lästigen öffent­li­chen Auftritte schwänzen zu können. Den größten Sprung von der histo­ri­schen Elisabeth weg wagt sie dann mit dem über­ra­schenden Schluss des Filmes.

Vicky Krieps spielt Elisabeth trotz ihrer 40 Jahre als etwas kindlich-trotzige Frau, die eher durch Gesten aufbe­gehrt als durch heftige Wort­du­elle. Wie meistens in ihren Rollen ist ihr Charakter nicht recht greifbar, bleiben ihre Blicke melan­cho­lisch unbe­stimmt, das Tempe­ra­ment luftig. Natürlich sind da das unsä­g­liche Korsett, das Turnen, die Diäten, das lang­wei­lige Reprä­sen­tieren. Aber eine tragische Schwere, wie bei der bravourös und konse­quent leidenden Kristen Stewart in Spencer will dabei nicht aufkommen. Immerhin hat Elisabeth ihre Frei­heiten. Sie ficht mit ihrem Mann, reitet, turnt. Sie nimmt sich lange Auszeiten, im Film die Besuche beim skurrilen Bayern­könig Ludwig II. (Manuel Rubey), einem kind­li­chen Seelen­bruder, dem sie zeigt, wie man Ohnmachten vortäuscht, mit dem sie auch mal (plato­nisch) das Bett teilt und mit dem sie Boot fährt. Es geht entspannt und heiter zu, Ludwig ermahnt sie, nicht in seinem See Selbst­mord zu begehen, da er ihm gehöre. Ein etwas flacher Histo­ri­en­witz. Auch in England hat sie Spaß beim Ausreiten mit ihrem Reit­lehrer, einer Freund­schaft plus oder beim Foto­gra­fieren mit einer neu entwi­ckelten Kamera. Der Film reiht diese Reise­sta­tionen etwas lang­weilig und belanglos anein­ander, und man versteht nicht recht, was diese Frau antreibt. Will sie einfach nur chillen, Spaß haben? Was bedeuten ihr ihre Kinder? (Die histo­ri­sche Elisabeth nahm zum Beispiel ihre jüngste Tochter oft auf ihre Reisen mit.) Will sie Politik gestalten? Sucht sie nach dem Sinn des Lebens (siehe obiges Zitat)? Oder leidet sie, wie man es von Prin­zessin Diana weiß, an Depres­sionen? Man weiß es nach dem Anschauen des Filmes nicht.

Auf jeden Fall will sie nicht mehr in Wien mit seinen ganzen Zwängen und Anfor­de­rungen sein. (Dass das adelige Leben auch für andere Fami­li­en­mit­glieder uner­trä­g­lich sein konnte, zeigt das Schicksal ihres Sohnes Rudolf, der sich gemeinsam mit seiner jungen Geliebten das Leben nahm.) Es wird für den Zuschauer aber nicht recht ersicht­lich, wo der point of no return ist, an dem diese Elisabeth anfängt, radikaler ihr Ding zu machen, von ihrem harmlos-dumpfen Mann (Florian Teicht­meister) ein Gespräch über Politik zu fordern, auf den Tisch zu hauen, sich die ikoni­schen langen Haare abzu­schneiden. Als Modell einer femi­nis­ti­schen Selbst­er­mäch­ti­gung scheint dieses Luxus­leben mit seinen für diese Zeit recht großen Frei­heiten nicht recht zu taugen. Ihr Leiden am Leben scheint im Film auch noch eine andere Wurzel zu haben als die höfischen Zwänge. Aber ihr Unglück bleibt vage, wie das Spiel der Haupt­dar­stel­lerin. Das Unglück Lady Dianas inmitten der eiskalten Atmo­s­phäre der briti­schen Königs­fa­milie in Spencer ist da sehr viel besser nach­zu­voll­ziehen.

Über­ra­schende oder aufre­gende Szenen finden sich in dem elegisch fließenden Film eher wenig. Inter­es­sant sind die Szenen Elisa­beths mit ihrer Tochter Valerie (Rosa Hajjaj), welche sich zu hundert Prozent mit ihrer adligen Rolle iden­ti­fi­ziert, die sich für ihre Mutter schämt und ihr vorwirft, sie würde sich wie ein Kind benehmen. Sie versteht ihre Mutter nicht und diese erklärt sich auch nicht näher. Mit diesem Gegen­satz­paar hätte man viel erzählen können über die unter­schied­li­chen Sicht­weisen auf das Leben im Korsett.

Der freie Umgang mit histo­ri­schen Fakten oder eine verfrem­dende Insze­nie­rung, etwa durch den Sound­track, kann inter­es­sante neue Perspek­tiven eröffnen wie Sofia Coppolas Marie Antoi­nette, welcher mit seinem anachro­nis­ti­schen Pop-Sound­track und seiner subjek­tiven Köni­ginnen-Perspek­tive eine wunder­bare Ausdeu­tung der totalen Blasen-Welt­ab­ge­wand­heit des Hochadels dieser Zeit schuf und damit ein Stück weit die Fran­zö­si­sche Revo­lu­tion erklären half. Und Tarantino brach in Inglou­rious Basterds ein für alle Mal das Tabu, einen histo­ri­schen Diktator im Film­kunst­werk unhis­to­risch töten zu können, was eine irgendwie seltsam befrei­ende Befrie­di­gung auslöste. Dem femi­nis­tisch-histo­ri­schen Gedan­ken­spiel von Marie Kreutzer fehlt es aber insgesamt an Über­zeu­gungs­kraft und Emotion, weil der Film trotz seiner Verfrem­dungen, die viel­leicht auch dem Budget geschuldet sind, und ein paar biogra­fi­schen Umdeu­tungen der histo­ri­schen Person nichts Neues über die generelle Unter­drü­ckung der Frau in dieser Zeit erzählt und auch kein echtes Interesse an dieser »neuen«, anderen Elisabeth wecken kann. Geht es hier vor allem darum, das kitschige Sissi-Bild der Marischka-Trilogie aus den 1950-er Jahren zu zerstören?