Colette

USA/GB 2018 · 112 min. · FSK: ab 6
Regie: Wash Westmoreland
Drehbuch: , ,
Kamera: Giles Nuttgens
Darsteller: Keira Knightley, Dominic West, Eleanor Tomlinson, Denise Gough, Aiysha Hart u.a.
Auf dem Weg zu einem neuen Menschen

Außen Frau, innen Frau, ganz Frau!

Viel­leicht mag es ein wenig verfrüht klingen, schon jetzt von der Post-#MeToo-Ära zu sprechen, doch da die Film­in­dus­trie gesell­schaft­liche Entwick­lungen oft schneller verar­beitet als der gemeine Mensch, befinden wir uns viel­leicht nicht gefühlt, aber tatsäch­lich bereits im Übergang von einer Phase des Wider­stands und der Analyse zu so etwas wie einer Neupo­si­tio­nie­rung, die mit einer Reihe von Filmen einen Sog entwi­ckelt, der fast unwi­der­steh­lich ist. Am charak­te­ris­tischsten an dieser Filmwelle ist viel­leicht die Neuschrei­bung von Geschichte, die Auto­rInnen in einem völlig neuen Licht bewertet und #MeToo gewis­ser­maßen um ein paar Jahr­hun­derte oder auch nur Jahr­zehnte vorda­tiert. Ich denke hier an schon in den Kinos laufende oder in Kürze startende Biobics wie Haifaa Al Mansours ein wenig zu konven­tio­nelles Porträt über die Autorin von »Fran­ken­stein«, Mary Shelley, oder Marielle Hellers großar­tige Suche nach der erfolg­losen Autorin Lee Israel in CAN YOU EVER FORGIVE ME.

Auch Wash West­mo­re­lands viel­schich­tiges Biopic Colette über die fran­zö­si­sche Autorin, Varie­tékünst­lerin und Jour­na­listin Sidonie-Gabrielle Colette (1873-1954) bewegt sich in diesem Fahr­wasser. Idea­ler­weise läuft West­mo­re­lands Film zeit­gleich mit einem der wenigen fiktiven Filme – also ohne biogra­fi­sche Elemente zur Erhärtung der neuen histo­ri­schen Posi­tio­nie­rung – an. Obwohl ein halbes Jahr­hun­dert vor Björn Runges anlau­fender Meg Wolitzer-Verfil­mung Die Frau des Nobel­preis­trä­gers spielend, werden in beiden Filmen sehr ähnliche Geschichten erzählt. Was im Grunde nicht weiter über­rascht, finden sich doch auch noch heute, weitere 50 Jahre später nicht auszu­mer­zende Gender­s­te­reo­typen in fast allen Lebens­lagen. Erstaun­lich dabei ist vielmehr, dass es in West­mo­re­lands Colette der Autorin, die wie in Runges Film ebenfalls für ihren Mann im Geheimen die Bücher schreibt, tatsäch­lich gelingt, sich zu eman­zi­pieren. Und das nicht nur lite­ra­risch, sondern auch auf Bezie­hungs- und sexueller Ebene.

Anders als Runge, der sich im Kern für ein verdich­tetes Kammer­spiel entscheidet, bettet West­mo­re­land sein Coming-of-Age einer Autorin aller­dings in weitaus größere gesell­schaft­liche Bezüge ein. Wir sehen nicht nur Colette und ihren klein­bür­ger­li­chen, länd­li­chen Hinter­grund, sondern werden auch Zeuge des neu anbre­chenden Jahr­hun­derts und seines Verspre­chens neuer gesell­schaft­li­cher Utopien. Zwar heiratet Colette (Keira Knightley) noch ganz konform den viel älteren Schrift­steller Henry (Dominic West), doch als Gattin eines Autors – und schnell auch Co-Autorin – sozia­li­siert das Leben der Pariser Bohème auch Colette rasch zu einem neuen Menschen. Erst fügsam, eman­zi­piert sie sich nicht nur über das Schreiben, sondern auch den Tanz und schließ­lich auch über Bezie­hungen, die das klas­si­sche Mann-Frau-Bindungs­muster hinter sich lassen.

West­mo­re­land verfällt dabei jedoch nie propa­gan­dis­ti­scher Weich­zeich­nerei. Statt­dessen wandelt West­mo­re­lands Colette auf einem ähnlich schmalen Grat zwischen Sieg und Nieder­lage, Stärke und Schwäche, Selbst­be­wusst­sein und Selbst­zweifel wie die Prot­ago­nistin seines letzten Films Still Alice (2014). Und ähnlich ambi­va­lent und komplex wie damals Julianne Moore in Still Alice darf auch Keira Knightley ihre Rolle inter­pre­tieren und wird damit wohl auch am ehesten der histo­ri­schen Vorlage gerecht.

Ähnlich diffe­ren­ziert – und das ist viel­leicht die eigent­liche Stärke an West­mo­re­lands Colette – wird auch der histo­ri­sche Komplex behandelt, wird doch schnell deutlich, dass jedem Öffnen der Gesell­schaft für Neue­rungen ein Schließen folgt und es damit gar nicht mehr so erstaun­lich ist, dass das, was Colette möglich war, Runges Heldin in Die Frau des Nobel­preis­trä­gers verwehrt bleibt.

Die Perspektive eines »bösen Mädchens«

Den Nobel­preis hat Colette zwar nie bekommen, aber das mag auch nur daran gelegen haben, dass das richtige Leben dieser fran­zö­si­schen Schrift­stel­lerin (1873-1954) und Pionierin weib­li­cher Gleich­be­rech­ti­gung noch aufre­gender war als jeder ihrer Romane – obwohl viele dieser Romane ziemlich direkte Para­phrasen ihres Lebens waren, vor allem jene insgesamt sechs, in denen ihre Heldin Claudine im Zentrum steht.

»Claudine – das bin ich!« sagt Colette auch im Film des Englän­ders Wash West­mo­re­land über dieses schil­lernde Roman-Alter-Ego. Colette, das zur Erin­ne­rung, war eine Sensation der Belle Epoque. Eine Vorkämp­ferin des Femi­nismus und der Frau­en­rechte, eine Best­seller-Autorin, aber keines­wegs eine Charlotte Roche ihrer Zeit, sondern eher deren Gegenteil: Ihre Claudine-Romane waren zwar höchst libertär, eine Art gehobener Schul­mäd­chen­re­port, aber aus dem Blick­winkel eines »bösen Mädchens«, das die herr­schenden Normen infrage stellt und heraus­for­dert – rebel­lisch, und dabei sehr dezent und sensibel in der Schil­de­rung weib­li­chen Begehrens.

Der Film Colette erzählt, wie es zu diesen Büchern kam, die den Ruhm der jungen Frau begrün­deten. Denn wie viele Frauen ihrer Gene­ra­tion floh die 19-Jährige 1892 vor dem strengen Eltern­haus in eine Ehe mit einem wesent­lich älteren Mann – und damit in eine Voll­jäh­rig­keit, die aber zugleich mit der neuen Abhän­gig­keit vom Gatten erkauft wurde. Colette war aller­dings keine, die sich wie ein Vogel im goldenen Käfig halten ließ, und ihr Mann, der Schrift­steller Henry Gauthier-Villars auch keiner, der das wollte. »Ich möchte an allem teilhaben, und nicht wie eine kleine Hausfrau behandelt werden«, sagt die Colette dieses Films. So war diese Part­ner­schaft im Gegenteil über fünfzehn Jahre eine für ihre Zeit durchaus gleich­be­rech­tigte und vor allem libertäre Ehe, in der beide Seiten das Leben und die Freiheit der Bohème im Fin-de-Siècle genossen. Und Gauthier-Villars erkannte das Talent seiner Frau und ermun­terte sie zu Schreib­ver­su­chen. Davon profi­tierte nicht zuletzt auch er selbst: Denn Colette begann als Autorin, deren Werke um die prüde Jahr­hun­dert­wende anfangs unter dem Namen ihres Mannes erscheinen mussten. Bald ließ sie sich aber nichts mehr von anderen sagen und setzte sich in der von Männern bestimmten patri­ar­chalen Welt durch – wie zur selben Zeit nur wenige andere Frauen.

Keira Knightley spielt die Colette als moderne, heutige, ebenso kesse wie intel­li­gente junge Frau, die ihr Recht und stell­ver­tre­tend das aller Frauen auf erotische und künst­le­ri­sche Selbst­ver­wirk­li­chung einfor­dert. Dazu gehörte eine Existenz als Salon­löwin, wo Colette unter anderem zu Marcel Proust, Paul Valéry und André Gide Kontakte knüpfte. Dazu gehörten frei­zügige Auftritte als Tänzerin und Schau­spie­lerin in Varieté-Shows und in frühen Stumm­filmen.

Dazu gehörte aber erst recht ein offen bise­xu­elles Liebes­leben: Colette verließ ihren Mann und hatte im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg Bezie­hungen zu der Ameri­ka­nerin Georgie Raoul-Duval (Eleanor Tomlinson) und der adeligen »Cross­dres­serin« Mathilde de Morny (Denise Gough), die als »Missy« für einige Jahre auch ein Pariser Thea­ter­star war – ein Kuss zwischen Colette und Missy auf der Bühne des »Moulin Rouge« war 1906 Pariser Stadt­ge­spräch. Noch vor 1914 heiratete Colette erneut, bald darauf hatte sie sich dann endgültig auch als Künst­lerin durch­ge­setzt: 1920 schlug man sie zum »Ritter der Ehren­le­gion«, und bis zu ihrem Tod lebte Colette anerkannt und wohl­ha­bend durch eigenes Einkommen.

All das bildet den bunten, aber eben auch hoch­in­ter­es­santen Hinter­grund dieses ebenso unter­halt­samen wie intel­li­genten Films. In mancher Hinsicht ist Colette zwar auch eine weich­ge­spülte Darstel­lung dieses Frau­en­le­bens, gehobenes Well­ness­kino für über­wie­gend weibliche, nicht mehr ganz junge Zuschauer. Und thema­tisch unter anderem auch ein Zeichen für die Folgen von »#Me Too« und die geschärfte Aufmerk­sam­keit mancher Kreise für Frau­en­schick­sale in patri­ar­chalen Welten.

Stilis­tisch ist dieser Film ähnlich wie Colettes Romane keine revo­lu­ti­onäre Kunst: Eher gekonntes Kunst­hand­werk als eine Infra­ge­stel­lung oder wenigs­tens Irri­ta­tion unserer Lebens- und Denkweise, aber um so inter­es­santer als Zeit­geist­phä­nomen. Man sieht eine schrei­bende Frau – das, was man in der heutigen Marke­ting­s­prache dann eine »starke Frau« nennt – in einer Männer­welt und großbür­ger­li­chen Kunst­szene, und man begegnet einer Umwelt, die das nicht sieht, nicht sehen will oder sehen kann.

Die Colette dieses Films ist wie ihr reales Vorbild auch eine ganz unzeit­ge­mäße Heldin: Eine Rebellin, die nichts und niemanden für das eigene Schicksal verant­wort­lich macht, außer sich selber. Lebens­lange Selbst­be­schei­dung, Frust und Leid oder Schuld­zu­wei­sungen an die Umwelt, wie sie einem in dem Film Die Frau des Nobel­preis­trä­gers in Form der Glenn-Close-Figur begegnet, sucht man hier vergebens. Das macht ihn zu einem außer­ge­wöhn­li­chen Film und Colette zu einer hoch­in­ter­es­santen Frau­en­figur, einem Vorbild auch für unsere Zeiten. Colette war eine Selfmade-Frau, eine, die sich zeit­le­bens nichts sagen ließ.