Tschechien 2004 · 90 min. Regie: Vít Klusák, Filip Remunda Drehbuch: Vít Klusák, Filip Remunda Kamera: Vít Klusák, Filip Remunda Schnitt: Zdenek Marek |
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Hinter dem Schein |
Ceský sen – Der tschechische Traum, das ist das verrückte Projekt der Filmstudenten Vít Klusák und Filip Remunda: die Eröffnung eines Supermarktes, nein, eines Mega-, eines Giganto-, kurz, eines Hypermarktes zu inszenieren. Mit allen Mitteln: Fernseh-, Radio-, Print- und Plakatwerbung, dem Versprechen schönster Schnäppchenangebote, eine gigantische Baustelle auf der grünen Wiese ...
Der tschechische Traum ist aber auch der Traum einer Nation, mit der Aufnahme in die EU noch besser Anschluss zu finden an die schöne Neue Waren- und Konsumwelt, die freien Märkte, von denen man 15 Jahre zuvor hinter dem eisernen Vorhang noch abgeschnitten war.
Nicht zuletzt ist Der tschechische Traum aber auch der Traum seiner Inszenatoren Klusák und Remunda, die für Buch, Regie, Kamera verantwortlich zeichnen:
Durch eine Aktion wieder ein Bewusstsein zu wecken für das, was hinter dem glamourösen Schein verborgen liegt. Denn dass etwas dahinter liegt, das Gute, Wahre, Schöne, daran glauben die beiden Filmstudenten ungebrochen.
Es ist manchmal nicht einfach, zwischen der Fassade und dem Eigentlichen zu unterscheiden – das zeigen schon die Diskussionen in der Werbeagentur, die die Promotion für das »Cesky-Sen«-Supermarkt-Eröffnungs-Projekt übernommen hat. Natürlich ist man sich bewusst, dass hinter dem übergroßen Transparent auf der grünen Wiese kein Hypermarket verborgen ist: Aber wie verklausuliert müssen die Slogans sein, um trotzdem den Anschein zu wahren, und wie sehr dürfen sie für Produkte werben, die es dort niemals zu kaufen gibt?
Eine fantastische Idee jedenfalls, ein bombastisches Projekt und ein wahres Wunder, dass die beiden Initiatoren tatsächlich Geldgeber fanden. Die mussten natürlich in die Natur dieses Traumes eingeweiht sein, um die Aktion in diesem Ausmaß zu finanzierten: Prag war gepflastert mit »Cesky-Sen«-Reklame, und echte Werbespots im echten Fernsehen zählten rückwärts den Countdown zur gefaketen Eröffnung.
Normalerweise erwartet man, in Dokumentarfilmen die Wahrheit gezeigt zu bekommen (oder sie geben zumindest vor, sie zu zeigen ...). Dieser hier zeigt die Konstruktion einer großen Lüge – und deren Wirkung.
Denn bei der »Supermarkt-Eröffnung« hört der Film nicht auf, auch die Reaktionen – der Leute auf der Straße, aber auch der Medien – sind ein Teil des Spektakels. Dabei überrascht nicht, dass in den Pressereaktionen eher über die Verschwendung
öffentlicher Gelder lamentiert wird (zu einem Viertel wurden die Produktionskosten von Filmhochschule und öffentlicher Filmförderung aufgebracht) als über den Hintergrund des ganzen Schwindels. Immerhin, der Verband tschechischer Werbetreibender kam nach ethischer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass das Projekt von der betreffenden Agentur rechtmäßig beworben wurde: versprochen wurde den neugierigen Konsumenten nichts ...
Film und Werbung als Traumfabrikation – selten hat ein einzelner Film so viele Facetten dieser Gleichung gezeigt. Bis hin zum Trailer, der »realistische« Szenen einer Prügelei enthält, die so nie stattfand. Aber die Publikums-Erwartungen, geschult durch Reality-TV, lassen sich durch ein bisschen mehr Action gerne kitzeln.
Der tschechische Traum führt niemanden vor: Wir dürfen uns selber fragen, was dieses atemberaubende Projekt mit unserem eigenen Leben zu tun hat. Der amüsante Augenöffner wäre nur halb angekommen, wenn wir ihn distanziert als Blick auf Konsumentenverwirrung in einem ehemals kommunistischen Land ansehen ...