Irland/Belgien 2024 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: Todd Komarnicki Drehbuch: Todd Komarnicki Kamera: John Mathieson Darsteller: Jonas Dassler, Phileas Heyblom, August Diehl, Moritz Bleibtreu, Nadine Heidenreich u.a. |
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Beten oder handeln? | ||
(Foto: Kinostar) |
»Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Denn, was ›immer‹ wahr ist, ist gerade heute nicht wahr. Gott ist uns ›immer‹ gerade ›heute‹ Gott.«
– Dietrich Bonhoeffer, DBW 11, S. 332
Um Todd Komarnickis Bonhoeffer gerecht zu werden, muss man ihn, so wie Bonhoeffer es in den eingangs zitierten Worten über die Kirche schreibt, wohl am Besten vom »Heute« aus betrachten.
Denn gestern, also vor den US-Wahlen geriet Todd Komarnickis Filmbiografie noch unter heftigen Beschuss. Das lag auch daran, dass Komarnicki seinen Film den Angel Studios die weltweiten Vertriebsrechte übertrug, einem Verleih, der hauptsächlich evangelikale Filme vertreibt und ein Zielpublikum bedient, das Trump seit Jahren schon wohlgesonnen ist. Der Verleih zeigte auf den US-Plakaten Bonhoeffer mit Waffe (die er im Film nie in die Hand nimmt) und untertitelte ihn mit »Pastor. Spy. Assassin.« Die Instrumentalisierung Bonhoeffers durch rechts-evangelikale Kräfte war beängstigend, denn hätte Trump die Wahl verloren und wäre eine »unselige« Regierung an die Macht gekommen, wäre der Film und sein »Held« ein idealer Persilschein für jene guten Christen gewesen, die nicht mehr tatenlos zusehen wollten, dass ihnen das Himmelreich auf Erden genommen wird. In einem offenen Brief in der Zeit im Oktober 2024 wurde dagegen genauso angegangen wie vom Großneffen Bonhoeffers und den Hauptdarstellern Jonas Dassler (Bonhoeffer), August Diehl (Martin Niemöller) und Moritz Bleibtreu (Bonhoeffers Vater) als auch dem Regisseur selbst, der in Interviews immer wieder versichert, dass sein Film im Kern ein antifaschistischer Film sei.
Nach den US-Wahlen und vor dem deutschen Filmstart, mit »bereinigtem« Filmplakat und ohne Untertitel, sieht sich Bonhoeffer völlig anders. Nicht mehr als evangelikaler Aufruf, für Trump zu kämpfen, sondern ihn vielmehr zu stürzen. Denn gerade die Szenen, in denen Bonhoeffer im Film über die pervertierte Macht von Demagogen spricht, der man sich widersetzen müsse, ja mehr noch, sich eine bekennende Kirche grundsätzlich von der herrschenden Macht distanzieren müsse, um »glaubhaft« zu bleiben, auch wenn einen dadurch, wie Bonhoeffer sagt, manchmal nur ein Stall und keine Herberge am Ende des Weges erwartet und es vielleicht keine Erdbeeren zu naschen gibt, dafür aber Worte zu ernten sind.
Komarnickis Bonhoeffer zeigt vor allem die langsame, fast unmerkliche Machtergreifung der Nazis durch die Augen seines Helden, eine Sichtweise, die umso überzeugender ist, als Bonhoeffer durch lange Auslandsaufenthalte in den USA und später England auch andere, »lebendigere« Versionen des Glaubens kennengelernt hat. Vor allem in New York und Washington stieß er auf das »Böse« in Form von gnadenlosem Rassismus gegenüber Schwarzen und erlebte im von schwarzer Kultur geprägten Harlem eine andere Welt. Diese Zeit garniert Komarnicki mit biografischen Details, die nicht immer historisch belegt sind. Zwar hat Bonhoeffer in einer Gemeinde in Harlem gewirkt, doch dass er selbst in »schwarzen« Jazz-Clubs am Klavier saß, ist nicht verbürgt, gibt dem Film aber natürlich das, was eine Filmbiografie zum Leben erweckt, die in diesem Fall letztendlich auch den Bonhoeffer erklären soll, der in die verkrustete Struktur der evangelischen Kirche Deutschlands einbricht, um sie zum Leben zu erwecken und zum Widerstand gegen Hitler zu bewegen und um auf andere Weise einen Rassismus zu bekämpfen, gegen den er in den USA nichts ausrichten konnte.
Auch in den in Deutschland verorteten Szenen weicht Komarnickis Film immer wieder stark von der historischen Wahrheit ab. Martin Niemöllers eindrückliches Nachkriegsschuldeingeständnis etwa wird in eine Predigt während der NS-Zeit, vor Niemöllers Festnahme, verlegt. Die hier als Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime dargestellte Bekennende Kirche war weniger Widerstandsnest als ein Versuch, die theologische Integrität der Kirche wiederzuerlangen. Auch ist es wohl laut zahlreicher Aussagen ausgeschlossen, dass Bonhoeffer ganz und gar von seinem Pazifismus abließ, sondern vielmehr ein suchender Zweifler bis zu seinem Tod durch Erhängen blieb, ein Mord, der dann auch nicht vor einer Grundschule auf dem Land, sondern im KZ Flossenbürg vollzogen wurde. Und auch die im Film gezeigten direkten Beteiligungen von Bonhoeffer an Bombenattentaten auf Hitler dürften eher der Drehbuchfantasie Komarnickis als dem realen Geschehen entspringen.
Doch ist Bonhoeffer auch keine Dokumentation, sondern ein Spielfilm mit immer wieder dramaturgischen Schwächen und vor allem zum Ende hin mit zu viel Pathos, der sich historischer Ereignisse nur bedient, um seine Geschichte zu erzählen und letztendlich einen moralischen Stand- und Anknüpfungspunkt für unsere Gegenwart zu finden. Und den macht Komarnicki durchaus überzeugend deutlich, fordert er doch vor allem nicht zur zum Nachdenken darüber auf, was die Kirche damals war, sondern was sie heute noch ist. Sie ist keine Institution mehr, deren Einlassungen in die Politik, so wie im Film gezeigt, in Tageszeitungen erwähnt werden, sie ist inzwischen zu einer stummen Kirche geworden und nur mehr eine von vielen sozialen Blasen, die allein innerhalb ihrer Blase gehört wird, darüber hinaus aber kaum.
Das ist umso beängstigender, als durch den Ausfall, das langsame Verblassen der Kirche und einer die Gesellschaft horizontal verbindenden Institution, auch der letzte »universelle« moralische Kompass verloren gegangen ist. Denn auch wenn die deutsche evangelische Kirche im »Dritten Reich« »versagt« hat, gab es doch einen weltweiten Disput der Kirche, gab es Positionierungen, die auch die Politik beeinflusst haben.
Komarnickis Bonhoeffer verwebt dieses Gesellschaftsdrama mit dem individuellen Lebensdrama und bietet dadurch die leicht zugängliche Möglichkeit, über den Film weitere Schritte zu gehen, die Wahrheit hinter der Fiktion zu suchen und über die Vergangenheit die Gegenwart besser zu verstehen.