Spanien/Mexiko 2010 · 147 min. · FSK: ab 16 Regie: Alejandro González Iñárritu Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Armando Bo, Nicolás Giacobone Kamera: Rodrigo Prieto Darsteller: Javier Bardem, Maricel Álvarez, Eduard Fernández, Diaryatou Daff, Cheng Tai Shen u.a. |
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Opas Macho-Kino fürs Arthouse-Publikum |
Im Diesseits ist die Hölle los: Uxbal kümmert sich abseits der Legalität um all jene Illegalen, die täglich in Barcelonas Hafenvierteln stranden. Er hat auch mal ein Lächeln oder ein freundliches Wort, aber im Prinzip ist er ein cooler Typ, stoisch und knallhart, wo immer es nötig ist. Für diese Ankömmlinge, sind er, seine Kontakte und seine schmuddeligen Eurobündel trotzdem überlebensnotwendig – die Gefühle sind ebenso kontaminiert, wie das Geld, und er verdient daran ziemlich gut. Aber er muss auch viel abgeben, denn er ist am Ende auch nur ein kleines Rädchen in der großen Ausbeutungsmaschine der Schattenwirtschaft. Alles das erfährt man ziemlich am Anfang des Films, ebenso wie, dass Uxbal unheilbar an Prostata-Krebs erkrankt ist, und bald sterben wird. So ist dieser ganze Film ein langes Lied vom großen Abschied, von der Welt, von der Vergebung der Sünden und ihrer Unmöglichkeit – klassisches Aschermittwochskino.
Der Mexikaner Alejandro Gonzalez Iñarritu ist seit jeher berühmt für hochkonstruierte Dramaturgien: In seinem Debüt Amores perros (2000) verknüpft ein Unfall die mexikanische Hauptstadt in schicksalsschweren Episoiden; auch in 21 Gramm (2003), dessen Titel nichts weniger, als »das Gewicht der Seele« bezeichnen soll, ist es ein Unfall, der drei Menschen verbindet. In Babel (2006) schließlich zog eine Gewehrkugel auch moralische Furchen über ganze drei Kontinente. Alles fließt in diesem mit Stars gepflastertem, postmodernem Globalisierungskino: Viel Blut sowieso, aber immer noch viel mehr Tränen – ein spirituelles, sehr katholisches, sehr überhitztes, ein bisschen verschwitztes Hochdruck-Filmemachen, das ebenso begeistert, wie ermüdet, das man filmisch bewundern muss für seine Multiperspektivität und seine virtuose Inszenierungskunst, und das doch auch anstrengen und ziemlich nerven kann. Man kommt aus diesen Filmen, und fühlt sich erschöpft wie nach einem unfreiwilligen Dampfbad-Besuch. Iñarritus bester Film ist allerdings nach wie vor sein erster, danach wird es mit jedem Film immer ein bisschen uninteressanter und vorhersehbarer.
Biutiful heißt das neueste Opus Iñarritus, und leider setzt es diese absteigende Qualitätslinie fort. Noch bedeutungsheischender als bisher, spirituell bis an den Rand des Esoterischen, versucht der Regisseur ein weiteres Mal eine Form von Grenzüberschreitung. Das Grundrezept ist dasselbe: Wieder stapelt der Regisseur diverse Möglichkeiten an menschlichem Leid übereinander und arrangiert sie säuberlich zu einer Passionsgeschichte ohne diesseitige Erlösung: Babys, die sterben, Erwachsene, die sterben werden; unschuldige Kinder, die leiden; illegale Einwanderer, die noch mehr leiden; Manisch-Depressive, die sündig werden; Ausbeuter, die noch sündiger werden – Feelbad-Kino par excellence, dass sich darin suhlt dem Betrachter ein schlechtes Gewissen zu machen.
Allerdings ist der Grundton diesmal viel ruhiger, und das ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass Iñarritu erstmals nicht mit seinem Stamm-Drehbuchautor Guillermo Arriaga zusammengearbeitet hat – beide hatten nach Babel ihre Zusammenarbeit im Streit beendet. Im Zentrum steht daher diesmal auch nicht die ganze Welt, sondern ausschließlich die herrliche katalanische Metropole Barcelona, die hier vor allem in ihren hässlicheren Seiten gezeigt wird, darin aber wie nicht anders zu erwarten, doch irgendwie immer noch sehr schön aussieht. Der Film spielt vor allem im Hafenviertel Santa Coloma, das man im Kino kaum je gesehen hat. Hier hausen vor allem die Migranten und sans-papiers der Metropole.
Statt zehn Hauptfiguren auf einmal gibt es diesmal nur eine, jenen todkranken Uxbal. Der macht sich vor allem Sorgen um seine zwei Kinder, sehr berechtigte, denn die Mutter, seine Exfrau ist manisch-depressiv. Nebenbei unterhält er sich auch noch mit den Toten, denn er ist eine Art Medium ins Jenseits, gehört also jener Welt schon ein bisschen an, in die er bald übertreten muss.
Was will man über so eine Geschichte denken, die wohl am ehesten als sozialrealistischer Mystery-Autorenfilm bezeichnet werden muss? Schuld und Sühne, ernsthafte Anstrengung, grandioses Scheitern – da denken manche gleich an ja natürlich in Spanien zuerst mal: Luis Buñuel, an Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman, und, klar, der darf nicht fehlen: Andrej Tarkowski – Regisseure der vermeintlich konsequenten Versenkung ins Spirituelle. Aber nicht immer wenn das Kino bizarre Bildwelten zeigt und gewagte Thesen bebildert, ist es auch ein Meisterwerk.
Muss, was so ernsthaft tut, immer auch tief und also große Kunst sein? Vielleicht doch eher nicht. Im Gegenteil: Biutiful ist alles, was an Melodramen immer schon schlecht war: pathetisch, übermäßig auserzählt, pseudo-authentische Filmsprache, zur Story noch die Wucht aus rasantem Schnitt und hysterisierter Musik, Tränendrüse. Es ist wohl auch eine Generationsfrage. Kaum überraschend sind es vor allem die älteren oder die immer schon alten Zuschauer, die diesen Film schon bei seiner Cannes-Premiere mochten. Opas Kino fürs Arthouse-Publikum.
Biutiful, der so heißt, weil die Kinder Uxbals dieses Wort in einer bedeutungsschweren Szene so schreiben, bietet zwar einerseits einen großartigen Auftritt von Javier Bardem in der Rolle des sterbenden Helden und schönen Schmerzensmannes, in der er nahezu permanent im Bild ist. In fast jeder anderen Hinsicht ist dies aber ein nervtötender, unangenehmer und stilistisch selten geglückter Film. Mit zweieinhalb Stunden ist er viel zu lang, vor allem aber ist er viel zu unmittelbar – nie gönnt er dem Betrachter mehr als ein paar Sekunden der Ruhe, der Erholung. Biutiful ein Macho-Kino, dass aus fortwährenden filmischen Stärke-Posen besteht. Und das ist auf die Dauer noch schwerer auszuhalten als alles Leid dieser Erde.