USA/GB/CH/F 2019 · 95 min. · FSK: ab 16 Regie: Harmony Korine Drehbuch: Harmony Korine Kamera: Benoît Debie Darsteller: Matthew McConaughey, Isla Fisher, Snoop Dogg, Zac Efron, Jonah Hill u.a. |
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Frauenfummler in Frauenfummel |
Da sitzt er und tippt. Breitbeinig, die Füße auf dem Tisch, zwischen den Beinen eine Reiseschreibmaschine. Tipp… Tiiipp… Tipp… geht es langsam dahin. Zwischen den Buchstaben ein Zug am Joint und ein Schluck vom alkoholischen Getränk, irgendeinem glamourösen Cocktail. Wir sehen Moondog beim Schreiben seines nächsten Bestsellers zu. Und: Wir sitzen mitten in seiner verfilmten Poetry, die sein Leben erzählt, und assistieren sozusagen der performativen Romanwerdung, denn das neue Buch wird »Beach Bum« heißen und genau das erzählen, was der Film auf der Leinwand vollführt. Bum!
Ja, das ist Harmony Korine, sophisticated und durchtriebener US-Regisseur, der mit dem Drehbuch zu Larry Clarks Kids 1995 seinen skandalisierten Leinwand-Einstieg gab. Immerhin war hier Teenager-Sex zu sehen, Kids war ein freizügiger Film mit Minderjährigen, wie er heute nicht mehr möglich wäre. Zwei Jahre später dann Gummo, Korines augenblicklich zum Kult erhobenes Low-Budget-Debüt, das von einem anderen Amerika erzählte. Einem Amerika der Wütigen, Verträumten, Jungen, fast alles Laien, die sich sozusagen selbst spielten, auch Korine trat auf und seine damalige Freundin Chloë Sevigny, heute Schauspielerin der ersten Hollywood-Liga.
Mit Gummo war der Ruf Korines, den Zuschauer keinesfalls zu schonen, da. Gesteigert hat sich das 1999 noch einmal mit Julien Donkey-Boy, der in Deutschland gar nicht in die Kinos kam, und erlebte zehn Jahre später seinen dadaistischen Höhepunkt: In Trash Humpers sehen wir marodierende Greise in Windeln und Rollstuhl, die in Point Break-Manier eine Wohnsiedlung unsicher machen, ein straightes Gegengift zum Geriatrie-Kitsch von der Kuschel-WG statt Altersheim. Der Film wurde mit einer VHS-Kamera gedreht, die Korine auf dem Müll gefunden haben soll, mit zwei Videorekordern wurde geschnitten. Entsprechend schäbig und abgerockt sah das Ganze aus.
Nach einer Serie von Kurzfilmen (z.B. Mac and Plak 2010) und Musikvideos (Blood of Havana 2010), im ähnlichen Stil wie Trash Humpers gedreht, kehrte Korine erst 2012 auf die Leinwand zurück. Spring Breakers zeigte trunkene und fickbereite Studentinnen im legendären Spring Break, den Frühlingsferien der Universitäten. In bonbonbunten Bikinis präsentieren sie am Strand von Florida möglichst viel Haut, immer wieder werden Ärsche in die Kamera gehalten, eine überbordende und grenzgängerische Exzessivität, der mühsam ein Plot angelegt war, als wäre es ein überflüssiges Kleidungsstück. Aufmerksamkeits-Trigger für den Film wurde vor allem der Cast, der Korine einem größeren Publikum, das vermutlich mit den falschen Erwartungen ins Kino kam, bekannt machte. Die trink- und fickfreudigen Mädels waren echte Glamour-Girls, die Schauspielerinnen, Sängerinnen und Models Vanessa Hudgens, Ashley Benson und: Selena Gomez. Sie trafen auf Jeff Franco.
Nach Spring Breakers und einer siebenjährigen Pause, die er mit Dior-Werbung und einem Rihanna-Musikvideo vor der Skyline Miamis füllte, legt Korine jetzt mit Beach Bum seinen zweiten Florida-Film vor, der wie die Fortsetzung von Spring Breakers wirkt, auch wenn hier alle in nicht mehr ganz frischem Alter sind und allein schon deshalb subversiv dem Schönheitsideal unter der ewigen Sonne widersprechen. Korine hat viel gelernt in den sieben Jahren, die Bilder erstrahlen in der Commercial-Hochglanzästhetik, und alles leuchtet wie bei Spring Breakers in den Farben von Langnese und LSD. Zumindest wird viel gekifft. Weil es so warm ist, hat man nicht viel an, was praktisch ist, will man kopulieren. Gezeigt wird im ersten Drittel die Welt der reichen Kotzbrocken, denen keine Verschwendung zu viel ist, und bei denen sich das Übertreten der Etikette der leisten kann, der eins ist: stinkreich. Den geschmacklosen Schriftsteller Moondog halten sie sich wie einen Hofnarren, er darf die Wahrheit sagen, die High Society beschimpfen, sich danebenbenehmen.
Gespielt wird er von Oscar-Gewinner Matthew McConaughey, der in Dallas Buyers Club schon mal den unkonventionellen Underdog gab, an seiner Seite sind außerdem Stars wie Rapper Snoop Dogg, Jonah Hill, Regisseur des unglaublichen Mid90s, und Teenager-Schwarm Zac Efron zu sehen. Das Konzept, das Spring Breakers schon einmal geübt hat, geht auch hier auf geniale Weise auf, wenn sich die Stars von ihrer unvorteilhaften, exzessiven, grenzüberschreitenden Seite zeigen: Willkommen in Anti-Hollywood.
In der Welt der Schönen und Reichen darf man sich danebenbenehmen, so lange man einer der Ihren ist, übertragen gilt das auch für die Schauspieler: ein Film wie Beach Bum ist für Hollywood-Stars möglich, solange sie bereits im Starsystem drin sind. Als Moondog dann seine Frau und Milliardärin in einer Trunkenheitsfahrt verliert, wird der jetzt Vermögenslose auch sogleich ausgestoßen. Ab da zeigt uns Korine die dark side of Florida, die Welt der Underdogs, die in Miami auf der Straße leben und im Schatten der symbolträchtigen Geld-meint-Phallus-Skyscraper dahinexistierten. Wenn jetzt aber Sozialrealismus käme, wäre man nicht in einem Korine. Der Film findet im buchstäblichen Trash seinen eigentlichen Fetisch, treibt nebenbei den Plot auf eine märchenhafte Spitze. Wie Hans im Glück dreht auch Moondog immer mehr auf – bis Drogenrausch und Geldsegen wieder verpuffen.
Moondog hat in seinem Leben viel Spaß. Eigentlich ist er Dichter. Und hält gelegentlich vor grölendem Publikum Lesungen aus früheren Erfolgen. Die meiste Zeit aber verbringt der Spätvierziger lieber mit Bootstrips auf dem Meer, oder er hängt einfach am sonnenverwöhnten Küstenstrand von Florida ab, in Gesellschaft von Mädchen, Drogen und vor allem von Margharita-Drinks. Er ist auch verheiratet, mit Minnie, und seine Gattin findet das alles gut, und vor allem hat sie genug Geld, um das Leben ihres Gatten so nebenbei mitzufinanzieren. Doch dann stirbt sie überraschend. Moondog erbt zwar, aber bevor er an das Geld herankommt, muss er die einzige Bedingung des Testaments erfüllen und endlich sein Buch fertigschreiben.
So weit der großartige Plot dieses faszinierenden, einmaligen Films. Im Zentrum steht aber gar nicht die Handlung, sondern die Figur selbst und ihr Leben. Harmony Korine erzählt von einem Hippie, einem dauerbekifften, antibürgerlichen Satyr, der irgendwie ein etwas vulgärerer, aber auch extremerer Bruder im Geiste von jenem »Big Lebowski« ist, dem »Dude«, dessen Alltag die Coen-Brüder vor 20 Jahren in der gleichnamigen Komödie erzählten. Matthew McConaughey spielt ihn frech und selbstgefällig, ein Lebenskünstler, der mit seinen Exzessen für die Zuschauer zur faszinierenden, gelegentlich auch abstoßenden Figur wird.
Heute zählt Harmony Korine zu den wichtigsten Autorenfilmern Hollywoods. Werner Herzog spielt in seinen Filmen mit. Er ist ein Filmemacher, der verstört, aneckt, Fragen stellt. Die Teenager von Suburbia, der wohlhabenden Vororte des weißen Amerika, die in den Zeiten von Aids und Pornofizierung der Gesellschaft aufwuchsen – das waren lange die Themen von Harmony Korine. Für den Welterfolg Kids des Fotografen Larry Clark schrieb Korine 1995 mit erst 22 das Drehbuch, und dann für Ken Park des gleichen Regisseurs. Aber auch der »White Trash«, der »weiße Müll«, also jene Unterschichten Amerikas, die keiner besonderen Minderheit angehören, sondern dem, was einmal Mehrheit war, haben diesen Regisseur schon immer seltsam fasziniert. In Gummo portraitiert er einen Jungen in Trailerparks, in Spring Breakers Kleinbürgergirls, die es noch im Zustand innerer Unschuld einmal im Leben so richtig krachen lassen, bevor sie hinter der Registrierkasse enden, als Kellnerin in einem Diner, mit zu vielen Kindern und einem prügelnden Mann. »Spring Breakers« war
ein Meisterwerk, eine atemberaubende Ode an das bessere und andere Leben, auf den Hedonismus.
Beach Bum ist im selben Geist gedreht, Licht und Farben von Florida wurden vom selben Kameramann, dem Franzosen Benoît Debie eingefangen. Und wieder ist die Musik ein entscheidender Bestandteil.
Um Hedonismus, um das Glück im Hier und Jetzt, ohne den Glauben an Gott und ein Morgen geht es auch hier. Moondog will überhaupt nichts, außer Spaß. Seine Philosophie erklärt dieser moderne Dandy als ein »halluzinatorisches Verhältnis zur Welt«, so kann man nur in Florida oder in Kalifornien leben und mit genügend Geld: La Dolce Vita in Florida. Man kann das Dekadenz nennen, oder wie bei Fellini als ein mit sicherem Gespür erstelltes Portrait unserer aller Zukunft beschreiben, man kann darin auch eine ziemlich präzise Momentaufnahme der geistigen Situation unserer Epoche erkennen und eine Farce über den Stand der Dinge des Kapitalismus, und seine Folgen.
Natürlich ist überhaupt nichts problematisch oder verurteilenswert daran, einfach nur Spaß haben zu wollen. Aber Harmony Korine zeigt damit das Provozierende an unser aller Leben.
Korine ist außerdem ein großartiger Stilist und ein Künstler der Montage. So oder so ist Harmony Korines Beach Bum ein hemmungsloser, so düsterer wie witziger Film-Trip.
Das ist, so scheint es, auch ein Film zu #MeToo: Frauen finden ihn doof, Männer lustig – so zeigen die ersten Reaktionen. Nur die amerikanischen Kritikerinnen sind da mehr auf Männerlinie.
Ein ungewöhnlicher und schon darum sehenswerter Film ist dies auf jeden Fall. Der Rest liegt mal wieder im Auge der Betrachterin.