Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne

Les barbares

Frankreich 2024 · 104 min. · FSK: ab 12
Regie: Julie Delpy
Drehbuch: , ,
Kamera: George Lechaptois
Darsteller: Julie Delpy, Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte, Ziad Bakri, Jean-Charles Clichet u.a.
Die Barbaren - Willkommen in der Bretagne
Die vielen Seiten einer Medaille...
(Foto: Weltkino)

Culture Clash light

Julie Delpy versucht den Themen Migration und Fremdenhass komödiantisch zu begegnen, was dem ernsten Anliegen erst einmal gut tut

Julie Delpy ist immer wieder für Über­ra­schungen gut. Schon als Schau­spie­lerin hat sie sich nie mit einmal etablierten Scha­blonen wie etwa ihrer flirrend-melan­cho­li­schen Leich­tig­keit in den Richard-Linklater-Filmen Before Sunset (2004) oder Before Midnight (2013) zufrieden gegeben, sondern dann auch wieder dunkle Abgründe gesucht, wie etwa in dem völlig unter­schätzten Psycho­thriller The Lesson (2023). Auch hinter der Kamera setzt sich diese Neugier auf neue Formate bzw. die Dekon­struk­tion gängiger Formate durch. Nach eher leichten roman­ti­schen Komödien wie 2 Tage New York (2012) lieferte sie mit My Zoe 2019 ein beklem­mendes Mutter­drama ab, um nun mit Die Barbaren – Will­kommen in der Bretagne wieder nach Frank­reich zurück­zu­kehren und sich auf eine weitere Komödie einzu­lassen. Doch geht es dieses Mal nicht um die üblichen roman­ti­schen Verwick­lungen von Zeit und Raum, sondern will Delpy ein bislang eher als Drama aufbe­rei­tetes Thema komö­di­an­tisch ergründen.

Delpy erzählt in Die Barbaren von einem breto­ni­schen Dorf, das – politisch korrekt – eine ukrai­ni­sche Familie aufnehmen will, am Ende aber konster­niert fest­stellen muss, dass keine Ukrainer mehr zu »vergeben« waren und statt­dessen eine syrische Familie in der breto­ni­schen Provinz aufschlägt. Allein diese Grund­kon­stel­la­tion ist es wert, Delpys Film eine Chance zu geben, denn erinnert man sich parallel zu Delpys Film an Ken Loachs Drama The Old Oak (2023), in dem ebenfalls eine syrische Familie in einem provin­zi­ellen Städtchen Zuflucht sucht, gewinnt Delpys Versuch, es anders zu machen, noch einmal mehr an Gewicht.

Denn statt Düsternis und Verzweif­lung und einem guten Einzel­kämpfer steht bei Delpy nur ein armer und recht normaler Irrer auf der ganz und gar bösen Seite, sind es die Schat­tie­rungen der Norma­lität und nicht des popu­lis­ti­schen Extrems, die Delpy inter­es­sieren. Nach ein paar unnötigen Sequenzen, in den ein wenig zu viel geblödelt wird, fangen sich Delpys Barbaren und werden das Dorf­en­semble, von denen Delpy selbst die Rolle der nimmer­müden, enthu­si­as­ti­schen gutmen­schigen »Dorf­leh­rerin« verkör­pert, zunehmend dem »Ernst des Lebens« zugeführt, ohne dass dabei gleich die Komödie aufge­op­fert werden muss.

Das gelingt nach bewährtem Schema über das Format des »Culture Clash«, der hier betont light und über­ra­schend anders gestaltet wird. Denn die vermeint­li­chen Barbaren aka Syrer haben nicht nur bildungs­bür­ger­liche Hinter­gründe, sondern sprechen dazu auch noch Fran­zö­sisch. Damit verdreht Delpy die üblichen Stereo­typen, sind die wirk­li­chen »Barbaren«, die vor Unwissen nur so triefen, natürlich die Einhei­mi­schen selbst, auch wenn Delpy hier erneut Mut beweist, geschickt variiert und immer wieder über­rascht.

Doch Delpy will eigent­lich mehr. In einem Interview mit der FAS sagte sie: »Es geht mir darum, zu verstehen, warum Menschen rassis­tisch sind, warum sie Angst vor Auslän­dern haben, warum sie Einwan­derer fürchten. Was ist der Mecha­nismus, der Menschen mit Hass erfüllt, sie dazu bringt, sich zu bekämpfen oder zu töten? Das Eintau­chen in die mensch­liche Seele ist für mich immer inter­es­sant, zu unter­su­chen, wer wir sind. ... Meine Komödie ist eine Möglich­keit, die Angst, die ich in mir habe, zu trai­nieren und in Schach zu halten.«

Dass Delpy ihre eigene Angst mit einem Film wie diesem bezwingen kann, lässt sich gut nach­voll­ziehen. Gleich­zeitig gelingt es ihr so wenig wie Loach, ihrem tieferen Anliegen gerecht zu werden. Denn am Ende steht auch hier der Zuschauer vor verschlos­senen Türen, ist die Zustands­be­schrei­bung in all ihrer Drastik zwar relevant und über­zeu­gend, doch warum Menschen rassis­tisch sind, warum sie Angst vor Auslän­dern haben, was es mit diesem Mecha­nismus auf sich hat, der Menschen mit Hass erfüllt, bleibt ungeklärt, wird nicht einmal zu einer vagen Ahnung. Mit ein wenig mehr psycho­lo­gi­scher und wissen­schaft­li­cher Unter­füt­te­rung – etwa über eine in die Handlung inte­grierte Rolle wie die eines charis­ma­ti­schen Migra­ti­ons­for­schers wie Hein de Haas oder den auf der Suche nach dem Kern von Fake News wandelnden fran­zö­si­schen Ethno­logen Julien Bonhomme – wäre mehr möglich gewesen.