Dänemark 2013 · 80 min. · FSK: ab 0 Regie: Ask Hasselbach Drehbuch: Anders Ølholm Kamera: Niels Reedtz Johansen Darsteller: Oscar Dietz, Nicolas Bro, Samuel Ting Graf, Amalie Kruse Jensen u.a. |
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Magie der Übergänge |
Es ist schon erstaunlich, wie gut es die dänische Filmindustrie versteht, aus wenig viel zu machen. Der schon zur Filmgeschichte zählende Dogma-Film mit all seinen Epigonen und gereiften Regisseuren, der inzwischen zu einem fast in jedem Genre blitzenden Super-Autorenfilm mutiert ist. Und dann die seit einigen Jahren hinzugekommenen hochgelobten TV-Produktionen wie »Borgen« oder »Die Brücke«. Wo nehmen die das her, wie machen die das?
Vielleicht ist es wie mit der Kernfamilie – tust du deinen Kindern Gutes, werden sie dir Gutes tun. Und damit wären wir auch wieder beim dänischen Film. Ein Viertel des Jahresbudgets der dänischen Filmbranche wird in Kinderfilme investiert. Die Auswirkungen sind faszinierend – 2010 z.B. waren ein Viertel der 100 000 Zuschauer der Kopenhagener Filmothek jünger als sieben Jahren alt; es werden regelmäßig für Schulen reservierte Vorführungen gezeigt, mit einer Prorgrammstruktur, die sowohl das Vorschulalter als auch ältere Kinder bedient. Unterstützt wird diese Politik mit Leitfäden für Lehrer, auf die auch Eltern Zugriff haben, um gemeinsam die Rezeption der Filme erarbeiten zu können. Und nicht zuletzt lässt sich auf der Website des Instituts eine bedeutende Auswahl an Filmen kostenlos herunterladen.
Bei der Qualität der Filme sieht es nicht viel schlechter aus. Man denke nur an Vibeke Muasyas Kidnappet, Giacomo Campeottos Golden Apple oder den großartigen Karla Og Jonas von Charlotte Sachs Bostrup, der fulminant Außenseitergeschichte mit Lovestory und Sozialdrama koppelt.
Auch Ask Hasselbalchs Antboy gehört in die Kategorie überraschender Genre-Amalgate, die wie die besten Pixar-Produktionen nicht nur kinderkompatibel sind, sondern auch Erwachsene in ihren Sog ziehen. Das liegt nicht nur daran, dass Antboy aus dem Fundus des amerikanischen Superheldenfilm schöpft, sondern auch eine Geschichte von der Ohnmacht der Erwachsenenwelt erzählt.
Der 12-jährigen Pelle (Oscar Dietz) ist stiller Außenseiter. Keiner nimmt ihn wahr, doch dafür schlägt ihn auch niemand. Anders als der zweite – geschundene – Außenseiter der Klasse, Wilhelm (Samuel Ting Graf), der über einen comic-vertäuten Superheldenkosmos seiner Lage entflieht, träumt Pelle eigentlich nur einen Traum: endlich ein klein wenig größer zu werden und besser gesehen zu werden. Doch es ist ausgerechnet Pelle, dem durch den Biss einer mutierten Ameise völlig überraschend Superheldenfähigkeiten wachsen, die er allerdings erst in einer sich vorsichtig entwickelten Freundschaft mit Wilhelm kontrollieren lernt. Antboy erinnert in diesen Passagen nicht nur an die Magie der Schwäche, wie sie von Pixar und Disney in ihren besten Produktionen zelebriert wurde, sondern vielleicht noch mehr an die Meister der amerikanischen und belgischen Comicschulen: an Will Eisner und seinen legendären Gerhard Shnobble, vor allem aber an einen anderen Kinder-Superhelden wider Willen, Peyos Benny Bärenstark.
Sind die Eltern bei Peyo jedoch völlig abwesend, stellen sie in Antboy Ohnmächtige dar, die das Prekariat ihres Sohnes mit betonter pädagogischer Nonchalance verdrängen, so dass wie in fast allen guten Kinderbüchern, die Kinder auf sich allein gestellt sind.
Hasselbachs Antboy funktioniert dabei am besten in seinen Übergängen: der Mutation von Schwäche zu Stärke, der Verwandlung von Einzelgängern zu Freunden, dem Hinübergleiten vom Kindlichen ins Erwachsene. Erst mit der Forcierung des Tempos über eine Inkorporierung des Bösen verliert Antboy an Stärke und etwas von seiner Einzigartigkeit. Paradoxerweise gerade durch das, was den dänischen Film so stark macht – vielleicht, weil er einfach aus wenig nicht nur viel, sondern zuviel machen will.