Norwegen/Island 2006 · 96 min. · FSK: ab 16 Regie: Jens Lien Drehbuch: Per Schreiner Kamera: John Christian Rosenlund Darsteller: Trond Fausa Aurvaag, Petronella Barker, Per Schaaning, Birgitte Larsen u.a. |
Nein, das ist wirklich kein Leben. Alle sind ausgesprochen höflich und nett, gehen ebenso geregelter wie sinnfreier Arbeit nach, interessieren sich in ihrer Freizeit insbesondere für Inneneinrichtung, der Alkohol beamt nicht, der Kakao hat keinen Geschmack, und die Farben der Welt sind dezente Grau-, Grau-blau- und Grau-grün-Töne, in die sich nur gelegentlich ein Spritzer Rot mischt, wenn einer der wenigen, störenden Unzufriedenen es nicht mehr aushält und sich aus seinem Fenster auf einen spießbewehrten Metallzaun stürzt.
Was ihm aber nicht viel hilft, denn Selbstmord gibt’s hier keinen. Den hat höchstens der ein oder andere schon hinter sich. Denn nein, das hier ist wirklich kein Leben. Es ist das Leben nach dem Tod.
Andreas (Trond Fausa Aurvåg) ist ebenso in diese Welt geraten: Ein Schritt vor eine einfahrende U-Bahn. Schnitt. Und schwups, findet er sich als einziger Passagier eines Reisebusses wieder, der ihn in einer kahlen, leeren Landschaft vor einer verlassenen Tankstelle absetzt, wo er von einem routiniert beflissenen Ein-Mann-Begrüßungskommitee in Empfang genommen und in die Stadt gebracht wird. Jene Stadt, in der man sich eben um alles für ihn kümmert – Wohnung, Job; und schließlich eine Ehefrau und später eine Geliebte zu finden, fällt auch nicht schwer. Um alles, außer dieses suspekten Gefühls, dass da noch MEHR sein muss.
Es versteht sich von selbst, dass Den brysomme mannen mit seinem Jenseits eigentlich das Hier und Jetzt meint. Und es geht eben weder, wie der unglückliche deutsche Verleihtitel suggeriert, darum, was diese ins Surreale überzeichnete Normalität Anders macht als unseren Alltag, noch steht überhaupt im Vordergrund dieses Land – sondern wie es in so einer Welt den Störenfrieden, einem »lästigen Mann«
(so ungefähr lautet der O-Titel übersetzt) ergeht.
Man probiert es mit Andreas zunächst im Guten. Ist freundlich, hilfsbereit, stets bereit, ihn endlich mit offenen Armen in den Reihen der Angepassten empfangen zu dürfen. Und auch, als Andreas trotzdem nicht aufhören will mit seiner Unzufriedenheit, als er seiner Sehnsucht, die hier keiner verstehen kann, nicht endlich das Maul stopfen will, wird man nie offen bedrohlich, gewalttätig. Der Blick der Mächte dieser Welt auf Andreas
bleibt der von wohlmeinend strengen Eltern auf ein uneinsichtiges Kind, für das man doch nur das Beste will.
Es ist dieser Tonfall des Films, der ihn so genial macht. Den brysomme mannen (oder The Bothersome Man, für alle, die ihn noch als eins der Highlights des Fantasy Filmfest 2007 im Hinterkopf haben) ist letzlich eine Art surreale Komödie – aber eine dieser Art von Komödien, die in Wahrheit viel finsterer, bitterer, härter sind als jedes Drama, das sich in Sack und Asche kleidet und sich dauernd tränenerstickt auf die Brust klopft, wie
schlimm denn alles sei.
Nein: Den brysomme mannen zeigt ruhig und mit chirurgischer Präzision den Terror der Normalität. Es ist ein Film für alle, die schon mal das gruselige Erlebnis gehabt haben, von jemandem unverständig angeschaut zu werden, wenn man sagt, dass Bürojob, Ehe und Eigenheim nicht Anfang und Ende des Glücks sein können. Alles ist so höflich und hohl, dass einen friert; es gibt ein Eheanbahnungsgespräch, das kann mit den besten Momenten von
Loriot mithalten (»Was machen Sie sonst so?« »Ich interessiere mich für Kücheneinrichtungen.« »Interessant.«). Und der Film versteht sich grandios auf die Darstellung der subtilen, unoffensichtlichen Formen von Aggression, mit denen jene Stimmen unhörbar gemacht werden, die den kollektiven Selbstbetrug stören könnten.
Den brysomme mannen ist auch jene Art Film, die, egal wie großartig sie 100 Minuten lang sind, ein Fehltritt in der 101. Minute noch immer ruinieren könnte. Man hält gegen Schluss regelrecht den Atem an, bangend, dass jetzt doch noch die falsche Wendung, ein finaler Missgriff im Ton kommen könnte. Einmal ist der Film tatsächlich auch ganz knapp davor – da setzt er dann seiner grauen Welt für ein paar Sekunden eine konkrete Utopie entgegen und riskiert dabei,
zu naiv und einfach zu werden. Aber auch hier weiß er genau, wann er abbrechen muss, wie weit er grade noch gehen darf.
Zum Glück: Den brysomme mannen bleibt bis zur letzten Einstellung perfekt, findet genau das richtige Ende. Es ist einer dieser seltenen Filme, deren Existenz einen wieder ein Stück weit mit der Welt versöhnt – die jenes »Mehr!« bieten, nach dem man im Kino (und im Leben sowieso) andernorts so unerfüllt sehnsüchtig verlangt.