The Act of Killing

Dänemark/N/GB 2012 · 115 min.
Regie: Joshua Oppenheimer, Christine Cynn u.a.
Kamera: Carlos Arango De Montis, Lars Skree u.a.
Schnitt: Nils Pagh Andersen, Erik Andersson, Charlotte Munch Bengtsen u.a.
Verstörende Heile-Welt-Phantasie eines Mörders

Muss man mit Mördern Mitleid haben?

Man stelle sich einmal vor: Ein paar ehemalige Nazi-Mörder, die nie für ihre Taten verur­teilt wurden, würden sich dieser vor der Kamera brüsten, und sie dann in einem fiktiven KZ-Film, der von fern die Klischees eines Gangs­ter­films übernimmt, recht dilet­tan­tisch nach­stellen. Dazwi­schen würden sie verlegen lächelnd, aber nie wirklich scho­ckiert Einz­el­heiten aus Folter­keller und Gaskammer berichten und irgend­wann über gele­gent­liche Alpträume klagen. Unmöglich? Wohl schon. Im Ansatz ist dies aber genau das, was in The Act of Killing mit einer anderen Vergan­gen­heit geschieht.

»Mich verfolgen die Menschen, die ich mit Draht umbrachte.« Die anderen offenbar weniger, aber das reicht dafür, das dem ehema­ligen Folter­knecht von seinem mitfüh­lenden Kollegen der Gang zum Nerven­arzt empfohlen wird. Auch Massen­mörder haben es offenbar nicht leicht im Leben; Alpträume plagen scheinbar so einige von ihnen, und manchmal ertappt man sich in diesem Film dabei, dass man Mitleid haben möchte mit Menschen, die hunderte ihrer Artge­nossen auf exqui­si­teste Weise zu Tode gefoltert haben. Und wenn ihnen dann nach Stunden mühse­ligen Bear­bei­tens der Gedulds­faden riss, genügten ein paar Schläge mit dem Base­ball­schläger, oder eine Draht­schlinge, um die Sache zu beenden. Oder man blies den Opfern sofort mit einer groß­ka­lib­rigen Waffe das Hirn aus dem Schädel, waren ja schließ­lich Kommu­nisten, oder Linke, oder Chinesen – zu genau nahm man es nicht zur Zeit der blutigen Kommu­nis­ten­ver­fol­gung, die in Indo­ne­sien Mitte der 60er Jahre unter Präsident Sukarno auf US-ameri­ka­ni­sche Veran­las­sung begann – Peter Weirs Ein Jahr in der Hölle skizziert eindrucks­voll diese Periode – und die bis in die 1980er Jahre andauerte, und das histo­ri­sche Zentrum dieses Films bildet. Zum Anti­kom­mu­nismus kam seiner­zeit auch anti-chine­si­scher Rassismus.

Der US-Ameri­kaner Joshua Oppen­heimer hat diese Zeit jetzt in seinem inzwi­schen von vielen Vorschluß­lor­beeren und Preisen unter­füt­terten Doku­men­tar­film The Act of Killing auf überaus origi­nelle Weise rekon­stru­iert. Der doppel­sin­nige, den Zuschauer gespalten hinter­las­sende Grund­ein­druck dieses Films liegt, wie seine Grund­pro­ble­matik, bereits in diesem Titel: Das englische »Act« bedeutet ja nicht nur »Tat« oder »Handlung«, sondern auch die Arbeit des Schau­spie­lers, und verweist so auf einen spie­le­ri­schen Zug, der dann im Zusam­men­hang mit seinem Thema Massen­morde und Folter durch rechte indo­ne­si­sche Para­mi­litärs und Milizen auch eine frivole Note erhält.

Gespielt wird hier nämlich fort­wäh­rend. Die Bilder des Films stammen fast sämtlich aus der Gegenwart. Oppen­heimer suchte die Mörder auf, die bereit­willig und mit unver­hoh­lenem Stolz Auskunft geben. Schnell erklären sie sich bereit, ihre Taten in Form eines an einschlägigen Vorbil­dern (von Bollywood-Kitsch bis Der Pate) orien­tierten Film­pro­jekts nach­zu­spielen. Während des Spiels kommen manche von ihnen zum Nach­denken und zur Reflexion ihrer Taten.

THE ACT OF KILLING ist vers­tö­rend und erschre­ckend, nicht zuletzt auch durch die Bana­litäten, denen der Zuschauer hier zwei Stunden lang ausge­setzt ist. Man sieht Menschen in Haiwaii-Hemden und geschmack­losen Wohnungen mit beschei­denem Wohlstand, man hört die üblichen, gerade in Deutsch­land gut bekannten Ausreden der Mitläufer und Diktatur-Schergen: »It was wrong but we had to do it.« Vorge­tragen in selbst­herr­li­chem, arro­ganten Ton.

Das Inter­es­san­teste sind vor allem in der ersten Stunde des Films die Einblicke ins heutige Indo­ne­sien: Man sieht eine martia­li­sche Feier von Para­mi­litärs, hört der Rede ihres Komman­die­renden zu, und ahnt, wie es wohl in Europa zur Zeit der Condot­tiere zuge­gangen sein muss – ein Abgrund aus Dummheit, Kitsch und Bruta­lität.
Dann aber soll man Leuten bei Läute­rungs­prozessen zugucken, die man gar nicht sehen und von denen man nichts weiter wissen will – es reicht, wenn sie für den Rest ihres Lebens in irgend­einem Loch verschwinden würden. Wenn man die Schergen in ihrer privaten Umgebung aufsucht, dann funk­tio­niert The Act of Killing wie einer jener Doku­men­tar­filme, in denen alte Nazis in ihren Villen im warmen Süden aufge­sucht werden, mit dem kleinen Unter­schied, dass diese Täter nichts leugnen, sich kaum heraus­reden. Sie sind mehr oder weniger Überz­eugte. Man ist da wütend, aber auch ein bisschen neugierig, etwas über Beweg­gründe, Motive und Gefühle zu erfahren. Täter als Täter, in ihrem Tätersein zu verstehen.

Dann aber, wenn sie erstmal zu spielen beginnen, wird der Film moralisch uner­träg­lich, und nach kurzer Befrie­di­gung eines voyeu­ris­ti­schen Moments auch ästhe­tisch anstren­gend. Denn jetzt geht es nicht um Vers­tändnis sondern um Gefühl. Was soll man Mördern und Folterern nun für Gefühle entge­gen­bringen? Der Film scheint von uns Mitleid zu erwarten, zumindest Teilnahme. Aber warum sollten wir?
Hier verwan­delt sich die Seh-Erfahrung insofern, dass man Tätern bei der Therapie zuguckt. Das hat für angehende Thera­peuten womöglich hand­werk­li­chen Sinn. Doch sonst?

Formal dominiert das thea­tra­li­sche Element, man sieht Menschen beim Einüben von Rollen zu beim Spielen und Nach­spielen zu. Das Kraft­volle und Surreale des Films, das Produzent Werner Herzog im Pres­se­ma­te­rial bemerkt, liegt vor allem in den Fakten, die hinter den Bildern stehen, weniger in den Bildern selbst. Es wird viel geredet in diesem Film, mitunter auch zerredet, und bis einzelne großar­tige Sätze fallen, sich kathar­ti­sche Momente ereignen, ist für Film wie Zuschauer weite Wege zurück­zu­legen.

Man sieht die Mörder »als Menschen«.

Dass sie das sind, steht außer Frage, zugleich ist die Tatsache, dass man es dennoch eigens betonen muss, genau der Punkt. Denn dass die Mörder noch Menschen sind, ist so selbst­ver­s­tänd­lich nicht ange­sichts der Unmensch­lich­keit ihrer Taten. Und deren unfass­bare Bruta­lität, die schwer erträg­liche Alltäg­lich­keit ihrer Verbre­chen, des Sadismus ist es, die sie von anderen Menschen unter­scheidet, und vor allem charak­te­ri­siert – nicht die Tatsache, dass sie auch Familie haben, nett zu ihren Enkeln sind, und gerne Fußball gucken.

Die Alpträume, die sie quälen, der Ekel der sie ange­sichts ihrer Vergan­gen­heit übermannt, ist bedau­er­lich. Zugleich ist wohl nicht nur ein Relikt über­holter Senti­men­ta­lität, zu bemerken, dass ihre seit Jahr­zehnten in irgend­wel­chen Dreck­löchern verscharrten Opfer derartige Zipper­lein wohl sehr gern gegen das einge­tauscht hätten, was ihnen von diesen netten alten Herren angetan wurde. 40 Jahre später gestatten die sich nun auch ein wenig Erschüt­te­rung und haben dafür in Joshua Oppen­heimer ein williges Sprach­rohr gefunden, der dem Ganzen auch noch ein hübsches Kunst­män­tel­chen umhängt.

Trotzdem hat The Act of Killing einen doppelten Verdienst: In Indo­ne­sien bedeutet der Film einen über­fäl­ligen Tabubruch. Für einen europäi­schen Zuschauer ist es ein weiterer in der Reihe vieler Doku­men­tar­filme über Massaker und Genozide, die statt des direkten Zeigens von Fakten einen kunst­vollen, im Ergebnis aber auch umständ­li­chen und »um die Ecke gedachten« Zugang versuchen – und damit die Bruta­lität faktisch abdämpfen und vergeis­tigen. Aufs Thema bezogen ist dies allen­falls dadurch zu recht­fer­tigen, dass ein direkter Zugang mangels Material unmöglich ist.
Dies ist das falsche Ergebnis.. Die trockene Betrof­fen­heit sorgt dafür, dass der Zuschauer immer auf der sicheren Seite bleibt.

Immerhin fordert Oppen­hei­mers Zugang zum erneuten Nach­denken über Grund­sat­zfragen heraus: Wie kann man unbe­schreib­liche Taten dennoch zeigen, ohne Kitsch, ohne falsche Annähe­rung an die Täter?

Denn salopp gespro­chen kann es uns völlig egal sein, ob sich einige Massen­mörder und Folterer, der nie für seine Taten zur Rechen­schaft gezogen wurden, manchmal schlecht fühlen, und, wie in einem Fall, am Ende übergeben – dieses Gefühl müsste sich besser beim Zuschauer einstellen.