Abenteuer eines Mathematikers

Adventures of a Mathematician

Deutschland/PL/GB 2020 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Thorsten Klein
Drehbuch:
Kamera: Tudor Vladimir Panduru
Darsteller: Philippe Tlokinski, Esther Garrel, Sam Keeley, Sabin Tambrea, Philipp Christopher u.a.
Recht vorhersehbare Abenteuer
(Foto: Dragonfly Films)

Wenig abenteuerlich

Thor Kleins Verfilmung der Autobiografie des polnischen Mathematikers Stan Ulam wird seinem Titel nur bedingt gerecht

Der Mathe­ma­tiker Stan Ulam (Philippe Tłokiński) ist ein charis­ma­ti­scher Typ und ein bril­lanter Kopf. Er ist jedoch nicht verkopft, sondern äußerst cool. Er fährt schnelle Autos und liebt heiße Partys und produ­ziert Witze wie am Fließband. In seinen Vorle­sungen an der Harvard­uni­ver­sität wendet er die Wahr­schein­lich­keits­rech­nung auf das Poker­spiel an. Seinen besten Freund, den Ungarn John von Neumann (Fabian Kociecki), hält er mit Witzen bei Laune. Einmal sagt er: »Es ist Raum für Ironie in der Quan­ten­welt.«

Stan stammt aus Lemberg. Für polnische Juden ist das Ende der 1930er-Jahre ein gefähr­li­cher Ort. Doch Stan hat Glück. Seine mathe­ma­ti­sche Begabung verschafft ihm 1938 einen Forschungs­auf­trag in Harvard. Seinen kleinen Bruder Adam (Mateusz Więcławek) nimmt er mit in die USA. Doch die große Schwester und die Eltern schweben daheim in höchster Gefahr. Und dann müssen sich die beiden Brüder vonein­ander trennen. Denn Stan geht mit seiner frisch ange­trauten, aus Frank­reich stam­menden Frau Françoise (Esther Garrel, Call Me by Your Name, 2017) zu dem weit entle­genen, mili­tä­risch streng abge­rie­gelten Wüstenort Los Alamos, um am Manhattan-Projekt mitzu­wirken, der Entwick­lung einer Atom- und Wasser­stoff­bombe.

Ein Biopic über einen Mathe­ma­tiker könnte eine ziemlich trockene Ange­le­gen­heit sein. Doch nicht das Brüten über Formeln steht im Mittel­punkt von Abenteuer eines Mathe­ma­ti­kers, sondern das poli­ti­sche und soziale Leben. Von diesem sagt Stans bester Freund John einmal, dass es viel kompli­zierter sei als die Beziehung zwischen Zahlen. Die deutsch-polnisch-britische Kopro­duk­tion geht auf das Leben der euro­päi­schen Migranten ein und auf ihre Gewis­sens­kon­flikte. Ist der Bau und der mögliche Einsatz einer Atombombe gerecht­fer­tigt, um Hitler zu besiegen? Als später tatsäch­lich Atom­bomben über Hiroshima und Nagasaki abge­worfen werden, ist dies fast nur eine Randnotiz. Auch die Zündung der ersten Atombombe in der ameri­ka­ni­schen Wüste wird im Film ganz ausge­spart. Die Erör­te­rungen der betei­ligten Wissen­schaftler zum Umgang mit ihrer großen Verant­wor­tung bleiben diffus. So ist es beispiels­weise nicht wirklich nach­voll­ziehbar, warum Stan trotz seiner Gewis­sens­kon­flikte schließ­lich die Lösung zum Bau einer Wasser­stoff­bombe liefert.

Was dem Regisseur und Dreh­buch­autor Thor Klein (Lost Place, 2013) in Abenteuer eines Mathe­ma­ti­kers gut gelingt, das ist das Einfangen des Zeit- und Lokal­ko­lo­rits. Der in bräun­li­chen Farbtönen gehaltene Film zeigt gut, wie die euro­päi­sche geistige Elite in Los Alamos in einer Bara­cken­sied­lung lebte, um an der Bombe zu bauen. Die Kamera von Tudor Vladimir Panduru zeigt häufiger Wüsten­auf­nahmen, die auch aus einem Western stammen könnten. Vor diesem Panorama sehen wir Stan und John, wie sie einen Flachmann trinken und über Quan­ten­me­chanik philo­so­phieren. Der Film hat auch einen guten Rhythmus. Auf eine wilde Party folgen ruhigere Aufnahmen aus Stans Arbeits­zimmer. Was der Film jedoch nicht schafft, das ist die Dring­lich­keit der Mission der euro­päi­schen Migranten und das Drücken ihrer Gewis­sens­kon­flikte wirklich greifbar zu machen. Insbe­son­dere Letztere bleiben oftmals nur eine reine Behaup­tung.

Abenteuer eines Mathe­ma­ti­kers will sich auf die ganz mensch­li­chen Aspekte der Geschichte um die Entwick­lung der Atom- und Wasser­stoff­bombe konzen­trieren. Dabei verliert der Film jedoch das eigent­lich Spannende an dieser Geschichte häufiger aus dem Fokus. Das führt dazu, dass diese Abenteuer insgesamt wenig aben­teu­er­lich wirken. Es hätten weniger Witze und dafür mehr wirklich konflikt­be­la­dene Szenen sein dürfen. So wirkt Stan häufiger wie ein Gast auf einer Party, an der er nicht wirklich teilnimmt. Selbst als er gegen Ende des Films eine Hirn­haut­ent­zün­dung bekommt und ihm deshalb ein Loch in den Schädel gebohrt wird, wirkt dies kaum drama­tisch. Somit verpasst es Abenteuer eines Mathe­ma­ti­kers, das Drama­ti­sche der Geschichte wirklich klar hervor­zu­holen.