791 km

Deutschland 2023 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Tobi Baumann
Drehbuch:
Kamera: Philipp Kirsamer
Darsteller: Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq, Ben Münchow, Lena Urzendowsky u.a.
Horror auf der Autobahn...
(Foto: Filmwelt)

Im deutschen Therapietaxi

Nicht einmal deutsche Großschauspieler wie Iris Berben und Joachim Król machen diesen Komödienbraten fett, der außer Sodbrennen kaum etwas zu bieten hat

Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn
Die Fahrbahn ist ein graues Band
Weiße Streifen, grüner Rand

– Kraftwerk, Autobahn

Wer dachte, sich mit Tobi Baumanns Taxi-Road-Movie ein wenig auf kusche­lige Weih­nachten einstimmen zu können, hat eigent­lich gar nicht so schlecht gedacht. Denn die eigent­liche Dreh­buch­idee von Gernot Gricksch hat es auch durchaus in sich: ein paar Leute aus allen Gesell­schafts­schichten Deutsch­lands in ein Taxi in München setzen – weil es die Bahn wegen eines Sturms natürlich wieder mal verkackt hat – und bis nach Hamburg zu fahren.

Eine Art Black Box BRD, ups, stimmt natürlich nicht, sondern eine Blackbox Deutsch­land, die nicht nur über ein Mietshaus wie in Aslı Özges Black Box als Mikro­kosmos für den Makro­kosmos Deutsch­land herhalten, sondern auch mit einem Taxi blendend funk­tio­nieren kann.

Dass als Ursache die Bahn herhalten muss, ist nicht sonder­lich über­ra­schend, aber muss es ja auch nicht, immerhin wird in diesem Zusam­men­hang nicht auf den anderen, üblichen Stan­dard­trot­teln, den Trotteln von der Ampel, etwa, rumge­treten, das ist ja fast schon mal so etwas wie eine Über­ra­schung.

Doch was dann kommt, ist so vorher­sehbar wie blöd und leider nicht mehr zu verschmerzen. Denn kaum sitzt das versam­melte Deutsch­land in dem von Joseph (Joachim Król) gesteu­erten Taxi, beginnt sich eine Deutsch­land­ste­reo­ty­pen­dre­scherei in Bewegung zu setzen, die ihres­glei­chen sucht. Ein ehema­liger Spiel­zeug­la­den­be­sitzer und nun Taxi­fahrer, dumm und AFD-nah, eine wohl­ha­bende und kluge Frau, die links­fe­mi­nis­tisch und etwas verbit­tert ist (Iris Berben), ein fröhlich trau­ma­ti­siertes, aber gesundes Mädchen (Lena Urzen­dowsky) und dann noch etwas Migra­ti­ons­hin­ter­grund und Neoli­be­ra­lismus in weib­li­cher Form (Nilam Farooq) und ein männ­li­ches Weichei, das nicht spürt, woher der Wind weht (Ben Münchow). Das führt zwar zu einigen dichten Momenten, etwa dem Paar­streit, einem über­ra­schenden Schnitt von einem trop­fenden Wasser­hahn auf einen Kaffee­spender, oder eine schau­spie­le­risch über­ra­gende Grabrede.

Doch wie so oft in deutschen Komödien, vertraut weder die Regie noch das Drehbuch auf seine Stärken, sondern setzt entweder mit Erklär­lie­dern wie Lean On Me noch eins drauf, weicht drama­ti­sche Szenen mit einem kitsch­las­tigen Shushu-Score auf oder benutzt die platteste Symbolik, um die Wandlung eines Menschen zu beweisen, etwa als Ben Münchows Charakter Philipp ein herun­ter­ge­fal­lenes Straßen­schild mit Grup­pen­dy­namik wieder an seinen rechten Platz hievt und endlich seinen Mann steht.
Dabei ist die Idee ehrenwert, denn wer will schon wider­spre­chen, dass Reden immer hilft und die Zeit in einem Raum nur lang genug sein muss, damit jeder bereit ist, endlich seine Schwächen zu offen­baren und zu zeigen, wer er wirklich ist, der Mensch hinter den Alltags­fil­tern.

Das Ergebnis ist noch einmal ernüch­ternder und bitterer, sieht man sich an, was der Film alles hätte sein können. Dazu muss man gar nicht viel nach­denken, denn fast zeit­gleich ist in Deutsch­land (!) ein sehr ähnlich geplot­teter Film entstanden, der in der Reihe Neues Deutsches Kino auf dem 40. Filmfest München Premiere hatte, Sylvie Michels More Than Strangers. Auch hier sitzen alle im gleichen Boot. Oder halt im gleichen Uber-Auto. Slyvie Michel findet über den Mikro­kosmos Auto dann jedoch wirklich starke Bilder und Dialoge für die Blasen unserer Gesell­schaft, die erst in einer sich langsam anbah­nenden Krisen­si­tua­tion zum Tragen und Implo­dieren kommen. Ihr Film ist dann tatsäch­lich ein Zerr­spiegel deutscher oder besser: europäi­scher Gesell­schaft und zeigt vor allem, wie unmöglich es ist, nicht zu handeln, verlässt man erst einmal seine eigene Blase. Ein unge­wöhn­li­ches Road Movie, in dem endlich einmal nicht der Weg das Ziel, sondern das Ziel der Weg ist. Ein dichtes Kammer­spiel und halt keine Komödie, das relevante Themen wie Migration, Arbeits- und Liebes­alltag leicht­händig hinter­fragt, Pflicht oder Wahrheit für junge Erwach­sene und dazu noch mit einem inno­va­tiven Sound­track, der nichts erklären soll, sondern Fragen stellt.

Man kann nur hoffen, dass Michels Film bald in die Kinos kommt, um sich viel­leicht sogar zu einem Double-Feature verab­reden zu können und im Mikro­kosmos Kino ganz Deutsch­land erfahren zu können, graues Band, grüner Rand.