16.11.2000

»Wilhelm II. war der erste deutsche Filmstar«

Peter Schamoni mit Bier und altem Polizeihelm
Peter Schamoni auf der Premierenfeier zu Majestät brauchen Sonne beim Dokfestival Leipzig!

Ein Interview mit Peter Schamoni

Für seine Spiel­filme wurde der Münchner Filme­ma­cher Peter Schamoni (geboren 1934) mehrfach preis­ge­krönt. Für seine Doku­men­ta­tion über den Maler Frie­dens­reich Hundert­wasser wurde der Mitver­fasser des Ober­hau­sener Manifests 1963 für den Oscar nominiert. In den letzten Jahren drehte der aus einer Berliner Filme­ma­cher- und Schau­spie­ler­fa­milie stammende Regisseur vor allem Künst­ler­bio­gra­phien. Über seinen neuesten Film Majestät brauchen Sonne sprach mit ihm Rüdiger Suchsland.

artechock: Was ist für Sie an einer Figur wie Kaiser Wilhelm II. inter­es­sant?

Peter Schamoni: Immerhin trägt die Epoche des Wilhel­mi­nismus seinen Namen. Er ist Reprä­sen­tant und Symbol seiner Zeit, im Guten wie im Schlechten, aber nicht die absolute Nega­tiv­figur, als der er mitunter erscheint. Und er war der erste deutsche Filmstar! Seine Geschichte ist auch eine Früh­ge­schichte des deutschen Films. Das alles ist mir aber erst mit der Zeit klar geworden. Ursprüng­lich hatte ich etwas ganz anderes vor: einen Film über die Kunst des Kaiser­reichs. Dieser Plan wurde ausgelöst durch Kind­heits­er­in­ne­rungen an die Berliner Sieges­allee im Tier­garten, mit ihren Marmor­sta­tuen großer Könige. Das war ein persön­li­ches Projekt Wilhelms.

artechock: Wie wurde daraus Majestät brauchen Sonne?

Schamoni: Durch Archiv­be­suche. Ich merkte, wie inter­es­sant die alten Filme sind. Besonders in den nieder­län­di­schen Archiven – Wilhelm ging ja dorthin nach 1918 ins Exil – schlum­mern noch viele Schätze: Privat­auf­nahmen aus dem Besitz Wilhelms, die hier keiner kennt.

artechock: In welchem Zustand sind diese Aufnahmen?

Schamoni: Oft miserabel! Das fällt alles beim Anfassen ausein­ander. Außerdem gibt es die alten Projek­toren kaum noch. Wir mussten also alles restau­rieren. Aber es hat sich gelohnt. Den letzten Anstoß zu dem Film gab aller­dings die Biograpghie Wilhelms von Nicolaus Sombart. Mir hat dessen Ansatz sehr gut gefallen, Wilhelm als typische, nicht atypische Figur seiner Zeit zu inter­pre­tieren. Man muss Wilhelm II. in eine Reihe mit Wagner, Nietzsche, Richard Strauß stellen.

artechock: Warum das?

Schamoni: Wilhelm II. war ein Mensch, der vieles vereinte. Zusam­men­ge­fasst eine Sehnsucht nach Rückwärts, wie Nietzsche, der sich in die Antike zurück­träumte. Zugleich eine Offenheit für die Moderne, für die neuen Medien seiner Zeit, für Verkehrs­wege, Kommu­ni­ka­tion, Indus­tria­li­sie­rung. Wilhelm II. war auch sozial sehr engagiert, wollte sich als »Kaiser der Armen« verstanden wissen.

artechock: Das war früher. Was können wir heute mit ihm anfangen?

Schamoni: Von heute aus betrachtet ist Wilhelm II. zwar inter­es­sant als Zeitfigur, aber auch eine Art Alien. Ein absoluter Fremder, der auf uns kurios und sehr befrem­dend wirkt. Insofern habe ich, könnte man sagen, einen Science-Fiction-Film gedreht.

artechock: Manche Bilder wirken unfrei­willig komisch, etwa, wenn der Kaiser per Leiter aufs Pferd steigt. Wie hat man dies damals wahr­ge­nommen?

Schamoni: Das erschien auch Zeit­ge­nossen schon lächer­lich. Wobei der Kaiser ja aufgrund seiner Körper­be­hin­de­rung – er hatte einen gelähmten linken Arm – die Leiter brauchte. Besonders Reiten ist ihm immer schwer gefallen, und er hat, soviel ich weiß, nach 1918 nie wieder ein Pferd bestiegen.

artechock: In Ihrem Film scheint Wilhelm am Ausbruch des Ersten Welt­kriegs völlig unschuldig zu sein. Kann man das wirklich so sagen?

Schamoni: Aller­dings. Das muss man so sagen. Er war im Sommer 1914 auf Nord­land­reise, und wurde von seinem Kanzler Bethmann-Hollweg (der sich übrigens in den entschei­denden Tagen krank meldete) eigens gebeten, diese nicht abzu­bre­chen, um keine zusätz­liche Unruhe zu erzeugen. Im Sommer 1914 war die Entwick­lung zum Krieg ganz in der Hand von Beamten und Militärs. Der Kaiser dagegen war auf Frieden aus, ein persön­li­ches Telegramm an den Zaren wurde abge­fangen, so nahm die Entwick­lung ihren Lauf. Aber das ist nicht Thema meines Films.