Der Film-Coup des Jahrhunderts |
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Die Blair Witch- Macher: Dan Myrick und Eduardo Sanchez |
Der Horrorfilm erlebt ein Comeback. Nach der abebbenden Welle der Slasherfilme setzen neuere Produktionen – wie Tim Burtons gerade in den USA gestarteter Sleepy Hollow – wieder mehr auf kalten Schauder, als auf literweises Blutvergießen.
In diese Reihe gehört auch The Blair Witch Project, ein Anti-Hollywood-Film der beiden ehemaligen Filmhochschulkollegen Daniel Myrick und Edward Sanchez aus Florida, der an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Produziert für die vergleichsweise lächerlich geringe Summe von rund 30.000 Dollar entstand eine Art amerikanischer Dogma-Film: Gedreht im Halbdunkel ohne künstliches Licht, mit wackeliger Handkamera und nur drei
Schauspielern, die während des achttägigen Drehs über den Handlungsverlauf im Unklaren gelassen wurden, um diesen spontan zu erleben.
Im Stil einer Dokumentation erzählen Mayrick und Sanchez von drei Amateurfilmern, die einer alten Hexensage auf die Spur kommen wollen. Mit dem cinéma vérité-Anspruch der Regisseure und der gothic-Atmosphäre der Bilder mischt sich viel Ursprünglichkeits-Romantik: Über den Fluß und in die Wälder geht es auch zurück ins Unterholz des
amerikanischen Traums.
Wirklich interessant wird The Blair Witch Project in erster Linie durch seine modisch gestylte und außerordentlich geschickt orchestrierte Internet-Kampagne. Schon lange vor Filmstart richtete man eine eigene Website ein (www.blairwitch.com). Dort konnte man nicht nur 16 Stunden Material ansehen; diverse, pseudo-authentische Zusatzinformationen sorgten dafür, dass an den Tagen vor dem Start kaum noch einer wußte, was an The Blair Witch Project tatsächlich wahr und was erfunden war. Die Folge: In den ersten drei Tagen nach dem US-Start Mitte Juli spielte der Film fast 30 Millionen US-Dollar ein. Damit wurde er nicht nur der – gemessen an den Produktionskosten – mit weitem Abstand erfolgreichste US-Film aller Zeiten, er übertraf sogar Star Wars: Episode Ium 19 Prozent. Und zum ersten Mal wurde der Kassen-Erfolg eines Films wesentlich über Internet-Vermarktung erzeugt.
artechock: Wird ihr Erfolg Hollywood verändern?
Dan Myrick: Hollywood ist ein Geisteszustand. Man tut sich dort schwer, überhaupt Impulse von Außen aufzunehmen. Aber durch den Erfolg der Marketingkampagne für The Blair Witch Project wird man sicher neu über das eigene Marketing nachdenken. Die großen Unternehmen haben jetzt begriffen, dass das Internet ein erfolgreiches Marketing-Instrument sein kann, dass man mit ihm Erfolge promoten kann. In diesem Sinn haben wir Hollywood bestimmt verändert.
artechock: Das Internet ist für Ihren Erfolg hauptverantwortlich?
Myrick: Ja, das war die Initialzündung. Nicht nur als Marketing-Instrument. Sondern auch als ein Weg, mit den potentiellen Zuschauern zu kommunizieren. Wo gibt es das sonst? Man bekommt ein Profil der potentiellen Besucher, und e-mails, die einen ermutigen, einen auffordern weiterzumachen. Das motiviert. Und in Hollywood haben sie gemerkt, dass man auch mit einem Film, der nur 30.000 US-Dollars gekostet hat, richtig viel Geld machen kann. Hollywood ist eine große Maschine, die sehr schwerfällig ist, und nicht leicht etwas wirklich Neues produziert. Jetzt sind einige aufgewacht, und realisieren: Oh, wir müssen nicht unbedingt 20 Millionen für einen einzigen Star ausgeben, und 80 Millionen für Effekte, um große Kassen -Erfolge zu erzielen. Unser Ansatz ist ähnlich wie der der „Dogma“-Filme: Eine Rückwendung zu den Geschichten.
artechock: Hatten Sie schon vor Ihrem eigenen Film von „Dogma“ gehört?
Myrick: Ja, ich habe davon gehört, und uns hat diese Film-Philosophie ermutigt. Letztlich ist diese Produktionsweise aber aus den Verhältnissen entstanden. Wir müssen die Zwänge des Entstehungsprozesses abschütteln. Hollywood ist so völlig gefangen in diesem Produktionsprozeß, in der Herstellung von Effekten und in dem Starkult, dass Inhalt und Geschichte eines Films ganz in den Hintergrund gedrängt werden. Ich denke: Kunst im Allgemeinen muß sich neu erfinden, muß von Produktionsfragen absehen, und sich wieder mehr der Essenz zuwenden. Das Filmemachen ist da keine Ausnahme.
artechock: Ist es vielleicht – innerhalb dieser großen Maschine, wie Sie es nennen – leichter, einen 80 Millionen-Dollar-Film zu machen, als einen für 30.000?
Myrick: Genauso ist es. Darum wird es immer wieder neue Independent-Bewegungen geben. Wer vorgestern ein Independent-Filmer war, ist heute ein Mini-Major-Studio. Aber immer wieder kommen neue Ausdrucksweisen der Kunst wie wir aus dieser grassroot-Ecke und definieren die Dinge neu. Wir hatten nichts zu verlieren.
artechock: Ziehen Sie jetzt selbst nach Hollywood?
Myrick: Nein, das tun wir nicht. Wie gesagt: Hollywood ist ein Geisteszustand...
artechock: Aber Sie könnten jetzt selbst zum Mini-Major werden...
Myrick: Stimmt, das könnten wir werden, das wäre ja auch gar nicht so schlimm. Wir beiden haben in jedem Fall mehrere Drehbücher auf Lager, die auch ein größeres Budget erfordern würden. Aber die Geschichte kommt eindeutig zuerst. Sie muß alles andere motivieren, insbesondere die Geldausgaben.
Schauen Sie sich George Lucas an, der ist doch auf seine Art der ultimative Independent-Regisseur. Er gibt 100 Millionen aus, aber seine
Stories brauchen das einfach auch. Doch er macht alles so, wie er es sich vorstellt – ob man das nun mag, oder nicht. Er setzte seine persönliche Vision um, außerhalb des Studio-Systems. Take it, or leave it – es ist sein Film. Das ist Unabhängigkeit: wenn man es auf seine Art macht, dann kann einen der Rest der Welt 'mal sonstwas... Das muß man respektieren!
artechock: Glauben Sie, dass sich die Mehrheit Ihres Publikums darüber im Klaren ist, dass es sich um einen so extrem billigen Film handelt?
Myrick: Die Mehrheit geht sicher hinein, weil sie irgendetwas von ihren Freunden gehört haben, weil sie einen guten Horror-Film sehen möchten, und erschreckt werden wollen. Das ist ok.
artechock: Was ist denn das Geheimnis eines guten Horror-Films?
Myrick: Es muss Ihnen Angst machen! Das Problem bei den meisten Horror-Filmen ist: Sie machen keine Angst. So ein Film wie The Haunting bringt mir gar nichts – wunderbares Productiondesign, aber sonst nichts. Kein Schrecken. Und Scream hat natürlich sein Publikum, die Schauspieler sind attraktiv, aber erschreckend ist da gar nichts.
artechock: Als Sie anfingen, an The Blair Witch Project zu arbeiten: Was haben Sie da machen wollen?
Myrick: Naja, realistisch betrachtet: was konnte das schon werden, mit 30.000 Dollar auf High-8-Format?
Natürlich hatten wir große Ambitionen als Filmemacher, und wollten unser Leben finanzieren können. Aber realistisch betrachtet war unser Ziel, einen Vertrag mit dem Kabelfernsehen zu bekommen, und eine gute Arbeitsprobe abzuliefern. Die Leute sollten uns die Mythologie abkaufen, an der wir gestrickt hatten. Und im allerbesten
Fall würden wir vielleicht einen kleinen Arthaus-Kinoverleih bekommen – das waren unsere Ideen. An das, was tatsächlich passiert ist, haben wir nie und nimmer gedacht.
Der ganze Mythen-Hintergrund, den wir übers Internet verbreitet haben, war Teil der Vermarktung, und sollte die Leute neugierig machen. Er sollte den Rahmen entwickeln, in dem unsere Geschichte spielt. Das hat dann aber schnell eine Eigendynamik entwickelt, und der Film erschien plötzlich nur noch als kleiner
Teil einer großen Geschichte.
Wir benutzten das Internet nur als Medium, um die Geschichte zu entwickeln. Und dann wuchs und wuchs die Seite...
Wenn man dann plötzlich 10 Millionen Seiten-Zugriffe auf der Web-Site hat, fragt man sich natürlich: Was sind das alles für Leute? Man stellt Untersuchungen an, wieviele dann wirklich auch ins Kino gehen. Und ziemlich viele haben das getan – wir waren wirklich sehr überrascht.
artechock: Haben Sie die Website selbst gestaltet?
Myrick: Das Material und das Konzept stammt von uns. Auch die Werbekampagne war ursprünglich unsere Idee. Nachdem wir dann beim Sundance-Festival so großen Erfolg hatten, und einen Verleih bekommen haben, hat der unsere vorhandene Website erst einmal abgeschaltet und neu designed. Dadurch wurde das Material sinnvoller eingesetzt.
artechock: Wovon haben Sie vor The Blair Witch Project gelebt?
Myrick: Wir haben alles gemacht, von Arbeiten in einer Bar bis hin zu kleinen Hilfsjobs im Filmbereich, ich war Cutter, Kamermann, wir beide haben Werbefilme gemacht, dies und das – genau wie im alten Klischee: Vom Tellerwäscher...
Als wir dann The Blair Witch Project machen wollten, haben wir ein paar kommerzielle Sachen
gemacht – ironischerweise haben wir diese Filmchen gemacht, die in den „Planet Hollywood“-Restaurants auf Monitoren gespielt werden. Das gab uns die finanzielle Freiheit, den Film in Ruhe fertig zu machen.
artechock: Wie muß man sich die Produktion von Blair Witch Project vorstellen?
Myrick: Es sollte überzeugend aussehen – wie ein Amateurvideo eben. Es sollte vage und offen bleiben, ob da jetzt ein paar junge Spinner im Wald herumirren, oder ob sich dort doch etwas Übernatürliches ereignet. Wir haben vor Drehbeginn fast 2000 Personen gecastet, bis wir die drei Schauspieler gefunden haben. Wir haben ihnen etwas Geld gezahlt – wir selbst haben gar nichts verdient – dann ging es los. Der ganze Film ist völlig aus Improvisationen entstanden. Für die Schauspieler war das bestimmt sehr anstrengend: Wir haben die Geschichte linear (also von Anfang bis Ende, ohne Zeitsprünge) gefilmt. Acht Tage lang in den Wäldern. Und die Schauspieler haben wirklich Angst bekommen. Es gab ein paar Momente, die wir im Film nicht verwenden konnten, weil sie so echt waren, das es albern und unglaubwürdig aussah. Die Schauspieler wußten nicht, wie lange sie da draußen im Wald sein würden. Sie wußten: Es würde etwas passieren, aber nicht was genau. Wir wollten sie unter Spannung halten, und wollten, dass es jeden Tag etwas anstrengender würde – dass das Bedrohungsgefühl jede Nacht wachsen würde.
artechock: Wie haben Sie deren Vertrauen gewonnen?
Myrick: Die Schauspieler wußten, dass wir ein paar gute Video gemacht hatten, wir haben Ihnen ein bißchen erzählt, und sie hatten ein Walky-Talky dabei, und wußten, dass wir um sie besorgt waren.
artechock: Sie haben in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld verdient. Das verändert alles. Was tun Sie dafür, um „auf dem Boden“ zu bleiben?
Myrick: Es ist natürlich eine Veränderung. Man wird ganz anders angeguckt. Aber Orlando ist so weit weg von Hollywood, wie es überhaupt nur möglich ist. Was uns gerettet hat, war dass wir beide wirklich keine Vorstellung davon hatten, was auf uns zukommen würde.
Wir haben sehr viele Angebote bekommen, und haben jetzt auch Agenten, die sich ein bißchen um uns kümmern. Aber wir selbst bleiben in Orlando. Hollywood ist sicher so etwas wie ein
notwendiges Übel. Aber das Spiel kann uns auch aussaugen. Wir wollen Independents sein, die Kontrolle über die Budgets unserer Filme behalten.
artechock: Stimmt es, dass Sie von The Blair Witch Project sowohl ein Prequel wie ein Sequel planen?
Myrick: Glauben Sie mir, man drängt uns sehr, nächstes Jahr eine Art zweiten Teil zu drehen.
Nein, wenn es überhaupt in den nächsten Jahren irgendetwas zu The Blair Witch Project geben wird, dann ein Prequel, in dem die Vorgeschichte erzählt wird, die sich 1782 ereignete. Das wird dann aber ganz anders sein, als der jetzige Film. Den
kann man einfach nicht nachahmen. Es wäre lächerlich, das zu tun. Es ist, was es ist. Natürlich fällt es schwer, entsprechende Angebote auszuschlagen. Es ist klar, dass wir damit viel Geld verdienen könnten. Aber ich habe ein Haus, ein schönes Auto – was will ich mehr?
Ich finde es interessanter, etwas zu machen, was absolut nichts mit The Blair Witch Project zu tun hat. Wenn das nicht läuft, kann ich immer noch einen zweiten Teil machen. Aber wenn das auch funktioniert, sind wir in einer richtig guten Position. Das ist unsere Strategie. Wenn The Blair Witch Project nur drei Millionen verdient hätte, dann würden wir sicher jetzt Blair Witch 2 machen. Aber so können wir andere Ideen umsetzen. Es ist ein sonderbares, merkwürdiges Spiel aus Kommerz und Kreativität, ein bißchen wie ein Schachspiel: Man muß die Regeln ein bißchen akzeptieren, um sie brechen zu können.
artechock: Sie werden mit Ed Sanchez immer als Team arbeiten?
Myrick: Vorläufig schon, ja. Ich habe natürlich auch eigene Projekte. Wir ergänzen uns gegenseitig gut. Filmemachen ist Zusammenarbeit.