Vom Alter her gehört der 1965 geborene Lou Ye der "Sechsten
Generation" der rotchinesischen Filmemacher an, welche nach dem
Massaker von Tiananmen-Platz hervortrat. Stilistisch sind seine
Filme - bisher WEEKEND LOVER , DON'T BE YOUNG - offener und
kosmopolitischer, "westlicher". SUZHOU RIVER (SUZHOU HE) ist der
erste Film aus der Volksrepublik China, der von einer westlichen -
deutschen - Produktionsfirma hergestellt wurde, zum Teil an der
Zensur vorbei: Die Filmrollen wurden außer Landes geschmuggelt, der
Film, der auf mehreren Festivals Preise gewann, ist in seiner
Heimat einstweilen verboten. Mit Lou Ye sprach Rüdiger Suchsland
Artechock: Sie leben in der
Volksrepublik China, ihr neuer Film ist dort aber verboten. Für
uns ist Ihre Situation schwer vorstellbar...
Lou Ye: Man muss sich keine Sorgen um mich machen. Ich
lebe in China, kann dort arbeiten. Ich werde nicht politisch
verfolgt. Es gibt nur manche - längst nicht alle - die mit SUZHOU
RIVER nicht einverstanden sind. Andere sind stolz auf seinen
Erfolg. Ich bin zuversichtlich, dass der Film eines Tages gezeigt
werden wird.
Wo liegt das Problem?
SUZHOU RIVER ist realistisch, zeigt keinen Glanz. Er hat auch
keine "pädagogisch wertvolle" Botschaft, ist manchen zu
individualistisch, anderen zu wenig ein Aushängeschild unsres
Landes.
Einem europäischen Beobachter erscheint er sehr
"westlich", verwandt eher dem Kino aus Hongkong und Taiwan,
auch manchen europäischen Filmen. Und natürlich gibt es
einen offensichtlichen Bezug auf Hitchcocks Meisterwerk
VERTIGO. Wie
bewerten Sie selbst solche Einflüsse?
Sie sind weniger stark, als es scheint. Glauben Sie mir bitte:
Ich habe VERTIGO nicht gekannt, als ich den Film machte, ihn erst
später gesehen, nachdem mich manche darauf ansprachen. Ich gebe zu:
das Motiv ist sehr ähnlich. Aber der Stil ist verschieden.
Tatsächlich haben mich manche Filme aus Hongkong und anderes
asiatischen Ländern, aber auch aus Frankreich beeinflusst - so wird
es wohl jedem Regisseur gehen, der sich mit Filmen beschäftigt.
Keiner schöpft aus dem Nichts. Im Übrigen glaube ich, dass in einer
offenen Welt die Idee eines nationalen Kinos überholt ist. Ein Film
mag Ausdruck eines bestimmten Momentes in der Geschichte sein,
eines Ortes, und natürlich eines Künstlers sein - aber es gibt
keine "nationalen Gemeinsamkeiten", keinen "Nationalstil".
Manches wird Europäern bekannt vorkommen. Eine
Meerjungfrau zum Beispiel...
Die Idee dazu kam mir in einer Bar. Es gibt eine in meiner
Heimatstadt Shanghai, wo junge Mädchen in Meerjungfrau-Kostüm in
einem Wassertank schwimmen. Ich fand es amüsant, wie westliche
Mythologien im modernen China plötzlich wieder auftauchen, in einem
Bar-Kontext. Das ist ein sehr repräsentatives Bild für das China
von heute.
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