25.05.2000

»Man muss aufpassen, nicht abzuheben«

Bernadette Heerwagen in DER SCHANDFLECK
Bernadette Heerwagen in Der Schandfleck

Schauspielerin Bernadette Heerwagen über ihren Weg zum Film, Langeweile beim Dreh und den Bayerischen Fernsehpreis

Am kommenden Freitag wird der dies­jäh­rige Baye­ri­sche Fern­seh­preis verliehen. Eine der Preis­trä­ge­rinnen: Die 23jährige Münchner Schau­spie­lerin Berna­dette Heerwagen, die den Preis für ihre Haupt­rolle in Der Schand­fleck erhält. Beim Münchner Filmfest wird Heerwagen gleich in drei Filmen zu sehen sein. Darum stellt Artechock diese junge Nach­wuchs­hoff­nung des darbenden deutschen Films aus Anlass der Preis­ver­lei­hung vor.
Rüdiger Suchsland führte das Interview.

artechock: Du bekommst jetzt den Baye­ri­schen Fern­seh­preis für Der Schand­fleck für Deine ausge­zeich­nete Schau­spiel­kunst. Kannst du dich selber in Film und Fernsehen überhaupt noch beur­teilen?

Berna­dette Heerwagen: Nein, ich bin da viel zu nahe dran. Ich kann meine Filme gar nicht beur­teilen, ich gucke dafür viel zu sehr auf mich, schaue, was ich richtig und was falsch gemacht habe.

artechock: Wenn einige Zeit vergangen ist, merkst Du ja, ob etwas so geworden ist, wie Du’s Dir vorge­stellt hast. Spürst Du denn auch während dem Drehen schon?

Heerwagen: Nein, ich bin beim Drehen dann so in der Rolle drin, dass ich keinen Bezug dazu habe, wie den das Gesamt­ding wirkt. Ich denke auch nicht, daß das meine Aufgabe ist. Da sind andere für zuständig.

artechock: Wie bist Du überhaupt zum Film gekommen, eine richtige Ausbil­dung hast Du ja nicht?

Heerwagen: Nein, ich habe gar keine Ausbil­dung. Ich bin durch reinen Zufall dazu gekommen, 1994 durch den Regisseur Miguel Alexandre, der damals seinen Abschluß­film für die HFF gemacht hat. Den hatte ich zwei Jahre zuvor in den Bavaria-Film­stu­dios kennen­ge­lernt, beim filmenden Klas­sen­zimmer. Da kann man mit seiner Klasse hingehen.

Und dann rief er mich zwei Jahre später an – wir hatten keinen Kontakt und gar nichts, nur dieses eine Wochen­ende – und meinte, ich solle zum Casting kommen nach Baden-Baden, er möchte nämlich, dass ich die Haupt­rolle in seinem Abschluss­film spiele. Zuerst habe ich gesagt: Verar­schen kann ich mich auch alleine. Was willst Du wirklich? Aber er hat mich von seinen ehrlichen Absichten überzeugt. Im Moment des Drehens habe ich zwar gedacht, ich kann das gar nicht. Ich habe erst am Dreh geschnallt: Da stehen ja 30 Leute rum, und ich soll dann etwas sagen.

Das dauerte dann sechs Wochen. Damals war ich in der 12.Klasse, ich habe vier Wochen frei­be­kommen, zwei Wochen Pfingst­fe­rien – das war’s.
Dann habe ich mein Abi gemacht, und bald darauf meine erste Agentin kennen­ge­lernt.

artechock: Theater hast Du nie gespielt?

Heerwagen: Nein, das würde ich aber gerne 'mal probieren. Es ist nur sehr unvor­stellbar.

artechock: Was ich beim Film so schwierig – viel schwerer, als im Theater – finde: Wie man sich überhaupt in Rollen hinein­fühlt, mit diesen sehr kurzen Takes, mit den Drehs von Szenen, die viel später in der Geschichte kommen.

Heerwagen: Warst Du schon mal am Drehort? Das ist doch urlang­weilig.

artechock: Unglaub­lich lang­weilig!

Heerwagen: Wenn Freunde mich am Drehort besuchen, dann sagen sie: du sitzt ja nur den ganzen Tag herum. Man ist nur am Warten. Geduld zu lernen fällt mir schwer, inzwi­schen habe ich mich da aber besser unter Kontrolle.
Ja, aber das fällt mir dann schwer, wenn ich Gefühlsextreme spielen soll. Wie ich das mache? Keine Ahnung. Ich versuche mich einfach, zu konzen­trieren. Manchmal hat man auch das Glück, wie beim Schand­fleck, Szenen lange durch­zu­spielen, einmal vier Minuten. Das war schon ein bisschen wie Theater. Das war der Wahnsinn. Eine hoch­emo­tio­nale Szene. Aber ich konnte in de Szene gut entwi­ckeln. Mein Partner Hans-Michael Rehberg war auch Klasse, ein Super-Schau­spieler. Mit ihm konnte ich mich »im Spiel unter­halten«. Wir haben nicht Dialoge aufgesagt, sondern mitein­ander geredet.

artechock: Jetzt hast Du einen Preis gewonnen. Wie gehst Du mit Berühmt­heit um?

Heerwagen: Man muss aufpassen, nicht abzuheben, sollte nicht zu gestanzt antworten. Aber das liegt auch an den Jour­na­listen. Ich erlebe dann Pres­se­ter­mine, da kommen dann Jour­na­listen, und alle stellen einem die gleiche Frage. Wirklich immer. Da denke ich mir dann: Haben die eigent­lich die Fragen vorher mitein­ander abge­stimmt? Dass dann immer wirklich dasselbe kommt, auch so unin­ter­es­santes Zeug.

artechock: Was zum Beispiel?

Heerwagen: Ich denke gerade nach, ein bestimmter Satz fällt mir nicht ein. Aber jeden­falls antwortet man dann ganz genauso wie beim Vorhe­rigen.
Es sind nur manche dabei, die sich dann wirklich Gedanken gemacht haben, und dann auch andere Fragen stellen. Wie jetzt zum Beispiel. Du sitzt ja auch nicht da und hast Deinen Fragen­ka­talog: Frage 1 – abgehakt.

Man kann dann ja auch mal abschweifen. Mit einem habe ich mal zwei Stunden geredet, weil ich mir gedacht habe, die anderen haben mir nur Fragen gestellt, die ich alle kenne, mit dem habe ich dann zwei Stunden über Gott und die Welt unter­halten, am Schluß haben wir dann über Homöo­pa­thie geredet. Der kann dann auch viel mehr daraus machen, und kennt mich dann auch besser.

artechock: Hast Du den Eindruck, dass es in Deutsch­land genug Angebote gibt, und genug Regis­seure, die Dich weiter bringen, dahin bringen, dass Du mal z.B. in American Beauty mitspielen kannst ?

Heerwagen: Da muss ich mich natürlich selber hinbringen, da kann ich mich auf keinen Regisseur verlassen, sondern nur auf mich selber. Ich habe einige Regis­seure kennen­ge­lernt, mit denen ich gerne zusam­men­ar­beite und auch gut arbeiten kann.

Jetzt gerade habe ich in Hamburg Rolf Schübel kennen­ge­lernt, der zuletzt Gloomy Sunday gemacht hat, und sehr gut zusam­men­ge­ar­beitet. Es hat mich natürlich inter­es­siert, mit Schübel einmal etwas zu machen.
Ein Fern­seh­spiel für NDR, Christian Quadflieg wird erpresst, die Familie droht ausein­an­der­zu­fallen, alle lassen ihn wie eine heiße Kartoffel fallen. Das Projekt hat mich deshalb ange­spro­chen, weil ich es wichtig finde, Rückgrat zu haben. Darum geht es: wenn man einmal Mist baut, dann lassen einen alle fallen, sogar die Freunde. Das ist auch die Leni im »Schand­fleck«: eine grad­li­nige junge Frau, die irgendwie Rückgrat hat.

artechock: Was bedeutet es für Dich, Rückgrat zu haben?

Heerwagen: Nicht nur blöd zu reden, sondern dass, was man sagt, auch wirklich zu tun. Zu dem zu stehen, was man sagt, und was man macht. So wie auch mein Eindruck von Schübel ist, Schübel war einfach cool. So wie auch Julian Polsler, der Regisseur von Der Schand­fleck und dann Zärtliche Sterne, der auf dem Filmfest München laufen wird.
Mit dem kann ich gut zusam­men­ar­beiten, wir schwimmen auf einer Welle, und wissen vonein­ander ganz genau: ok, das war jetzt falsch, das war jetzt richtig. Ich möchte spüren und wissen, was einer von mir will.

Oder auch Miguel Alexandre, mit dem ich meinen ersten Film gemacht habe. Dem bin ich sehr verbunden, weil er mich gewis­ser­maßen entdeckt hat, und auf den Weg gebracht hat.
Da hat alles gut geklappt, und dann hatte ich Blut geleckt. Ich habe dann aber relativ schnell gemerkt, dass es nicht immer so ist, dass man so gut mitein­ander arbeiten kann, und so intensiv mitein­ander arbeiten kann. Leider. Ich würde es mir natürlich anders wünschen.

artechock: Darum gibt es ja Zusam­men­ar­beiten mit Regis­seuren und Schau­spie­lern, die dann über einen längeren Zeitraum funk­tio­nieren.

Heerwagen: Eben, man muss nicht mehr viel reden, weiß einfach wo das Ganze hinführt, und wie man’s macht. Es war nur witzig: Julian war der erste Regisseur, mit dem ich dann ein zweites Mal zusammen gedreht habe. Und vor einem Jahr dieser Zwei­teiler, Kostüm­film um die Jahr­hun­dert­wende, dann ich als moderne junge Kirmes-Boxer-Verliebte. Das war spannend.

artechock: Was wünscht Du Dir für Rollen?

Heerwagen: Das habe ich überhaupt nicht, ein Baum viel­leicht oder so.
Ich hab' mir eigent­lich noch nie darüber Gedanken gemacht. Ich mache mir nur Gedanken darüber, was gerade so los ist. Ich will mir auch keine Gedanken über die Zukunft machen, meine zukünf­tige Schau­spie­lerei. Es kommt eh so wie es kommt. Und das, was ich spielen durfte, fand ich eh schon sehr unter­schied­lich. Das war noch lange nicht alles. Aber ich bin nicht die Frau fürs Melan­cho­li­sche geblieben, und die zarte Fee. Sondern ich durfte in verschie­dene Rich­tungen gehen, sogar eine Stumme habe ich schon gespielt.
Man versucht mich nicht nur in eine Richtung zu drängen. Denn das Typ- und Klischee­denken ist natürlich schwierig.

artechock: Was erzählst Du denn am Freitag bei der Preis­ver­lei­hung?

Heerwagen: Weiß ich noch nicht. Viel­leicht etwas Spontanes. Aber man muss aufpassen. Man kann sich auch um Kopf und Kragen reden. Hat Du Effenberg gesehen am Samstag, als der FC Bayern Meister wurde, und er im Fernsehen ausge­rastet ist? So kann’s gehen.