»Ich bin keine gute Frau« |
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Vater und Tochter: »Männer sind komplizierter, sie lösen mehr in mir aus.« |
Geboren wurde Claire Denis am 21. April 1948 in Paris. Doch eigentlich wuchs sie in Afrika auf, in den westafrikanischen französischen Kolonien Kamerun, Burkina Faso und Djibuti. Ihr Vater war Offizier des Kolonialreichs. Eine Kindheit in Fremdheiten und Sonderzonen, in den Männerwelten der Armee, mit vielen Umzügen. Und Frankreich war das große unbekannte Land, in der Ferne.
Erst mit 14 kam Denis dorthin, zog dann mit 15 zog sie bei ihren Eltern aus, heiratete einen
wesentlich älteren Photographen und arbeitete als dessen Assistentin. Sie entdeckte Kunst, Literatur, das Kino und erlebte den Aufbruch der Sechziger als ihren eigenen. Für kurze Zeit studierte sie Ökonomie – »ein totales Desaster«, erinnert sie sich. Ab 1971 besuchte Denis die Filmhochschule FEMIS, assistierte bei Jacques Rivette und Wim Wenders, für Paris, Texas
und Der Himmel über Berlin. Dazwischen arbeitete sie noch für einen anderen großen Autorenfilmer: Als Assistentin von Jim Jarmush bei Down By Law. Ihr eigenes Debüt Chocolat folgte 1988. Für Nénette et Boni gewann sie 1996 den Goldenen Leopard von Locarno, spätestes seitdem ist sie nicht nur eine der besten, sondern auch der wichtigsten, bekanntesten AutorenfilmerInnen. Denis' oft autobiographisch inspirierten Filme kreisen um Begehren, Gewalt, Liebe und immer wieder um Exzesse und
Grenzüberschreitung.
Mit Claire Denis sprach Rüdiger Suchsland.
Claire Denis: Wir sind uns schon einmal begegnet, oder?
artechock: artechock: Ja, vor ein paar Jahren, in Istanbul, beim Filmfestival…
Denis: Oh ja. Stimmt. Ein tolles Festival. Vielleicht gehe ich wieder hin. Man hat mich in die Jury eingeladen. Ich muss antworten, aber ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe.
artechock: Es ist ein schönes Festival. Und es ist ein Platz, der, finde ich, gut zu Ihnen und zu Ihren Filmen passt. Finden Sie das nicht auch? Ein Ort der Grenzüberschreitung, des Crossover. Würden Sie zustimmen, wenn ich sage, dass Ihre Filme sich immer um diese Themen drehen: Um Grenzüberschreitung, Crossover…
Denis: Ja, ja, … aber… [denkt nach] für mich ist dieser Teil der Welt, der mittlere Orient auch mit vielen anderen Dingen verbunden, und hat eigentlich nichts mit meiner Film-Welt zu tun. Ich hatte eine Urgroßmutter, die hat in [dem Istanbuler Stadtteil] Galatasaray geheiratet. Denn in Galata lebten viele Franzosen. Sie war ihrem Mann weggelaufen, sie blieb in Galatasaray, und traf einen anderen Mann…
artechock: Das war dann ihr Urgroßvater?
Denis: Nein, das war der erste Mann. Für mich ist der mittlere Orient mit vielem verbunden, mit Literatur. Ich denke an die Seidenstraße… Ich habe damit eigentlich nichts zu tun. Das ist für mich ein anderer Kosmos, ein anderes Lebensgefühl, als das meiner Filme, die um Mediterranes kreisen, um Nord-Süd, die durch Ozeane verbunden sind. Viel unbekannter.
artechock: Aber man kann doch sagen, dass viele Ihrer Filme, auch der neueste, selbst ein wenig Schmelztiegel von sehr Verschiedenem sind – wie Istanbul.
Denis: Nein, aber…
artechock: …Nein?
Denis: Doch, aber ich beschreibe in 35 rhums eine Welt, in der es nicht einfach um das Fremde geht. Im Mittleren Orient macht einen die Sprache oder die Religion zu einem Fremden. Die Differenz zwischen Weiß und Schwarz ist sichtbar. Das ist etwas anderes, als einfach nur ein Fremder zu sein. Die Differenz zwischen Weiß und Schwarz ist eine andere, die kann man nicht mit sonstigen Unterschieden vergleichen.
artechock: Weil sie eine sichtbare Differenz ist?
Denis: Ja. Und weil sie nichts mit Staatsgrenzen zu tun hat, nichts mit Schengen, der EU. Diese Differenz ist anders, es ist eine andere Qualität von Diskriminierung.
Die Seidenstraße, der Weg von Europa über den nahen und mittleren Osten bis nach Ostasien führt von einer Zivilisation zur nächsten, alle sind stolz auf ihre jeweilige Kultur. Man weiß um die Unterschiede, aber man verachtet einander nicht. Vielleicht sind manche arm
und andere reich, aber das ist weniger schlimm.
Es geht auch nicht um Klasse oder Geld, es geht um Hautfarbe. Zwischen Reich und Arm gibt es auch eine Apartheid, aber es gibt doch immer mögliche Beziehungen. Reiche können arm werden, und umgekehrt. Wenn ein reicher Junge ein armes Mädchen heiraten will, dann geht das schon irgendwie. Ausnahmen sind erlaubt. Andersherum ist es schon schwieriger, aber auch das gibt es.
Nun: Zwischen Schwarz und Weiß gibt es das nicht. So genannte
rassische Differenzen sind viel tiefer und zugleich viel obskurer.
artechock: Kann man die Beziehungen zwischen den Hautfarben mit der zwischen Geschlechtern vergleichen?
Denis: Nein. Das ist nicht vergleichbar. Ich mag auch die Frauenrechtlerinnen nicht besonders. Ich finde es lächerlich, eine Parallele zwischen beidem zu ziehen. Was ist dann mit schwarzen Frauen? Sind sie nochmal schlimmer dran? Nein. Geschlechterdifferenzen sind etwas… Man kann es so beschreiben: Selbst in den restriktivsten Gesellschaften ist es erlaubt, Beziehungen zum anderen Geschlecht zu haben, sogar enge, intime. Es ist eine Notwendigkeit. Für rassische Differenzen gilt das nicht.
artechock: Wie geht man mit der Differenz der Hautfarben als Filmemacherin um?
Denis: Ich war darauf nicht vorbereitet. Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der diese Differenz sichtbar war. Und ich habe nur ein Leben. Ich suchte kein Filmthema. Aber Hautfarben sind ein Teil meines Lebens, darum dachte ich: Warum sollte ich darüber keinen Film machen? Mein Leben wurde sehr stark dadurch verändert, dass ich einen Teil meiner Kindheit in Afrika verbracht habe.
Aber bei den Recherchen zu diesem Film, durch das Lesen
von Büchern, habe ich entdeckt, dass die Schwarzen in Paris, diejenigen aus der Karibik oder aus Afrika, die man nicht integrieren oder assimilieren muss – denn sie sind längst Franzosen –, dass die trotzdem an den Rand gedrängt und diskriminiert werden, obwohl sie Franzosen sind.
Ein Teil des Films wurde durch eine Radiosendung beeinflusst, die ich in den 50er Jahren gehört hatte. Mich hat das sehr beeindruckt: Der Moderator erzählte darin vom Zugfahren, von dessen
spezieller Bewegung. Die Gleichmäßigkeit funktioniere für ihn wie Psychoanalyse, eine Bewegung ins Innere. Ich habe mir irgendwann das Band besorgt, und tatsächlich hat das den Film beeinflußt: Die »new frontier« für mich war das Zugfahren.
artechock: Sie sprachen von Büchern. Welche haben Sie gelesen?
Denis: Ah! Nicht direkt zur Vorbereitung. Ich bin mir der Lage der Schwarzen in Frankreich schon seit langer Zeit sehr bewusst. Zunächst, als ich in den 60er Jahren zum ersten Mal nach Paris kam. Ich war in Afrika aufgewachsen. Es gab da zwar den Kampf gegen Kolonialismus, aber gleichzeitig wollte man Einwanderung stoppen. Schon damals. Und paradox: Gleichzeitig holte man viele schwarze Franzosen aus der Karibik nach Frankreich, um in
Hospitälern zu arbeiten, bei der Post, bei der Bahn. Schon seit den 30er Jahren war das 15. Arrondissement in Paris berühmt für seine schwarze Szene: Es gibt Bars, Musik; man spricht Kreolisch. Es sind keine Afrikaner!
Ich habe einige berühmte Bücher von bekannten französisch-karibischen Autoren gelesen, wie Aimé Césaire, Patrick Chamoiseau, Raphaël Confiant, Édouard Glissant und natürlich Frantz Fanon – der ist die perfekteste Möglichkeit, etwas zu verstehen. Auf einfache
Weise, aber etwas, das man nie wieder vergißt.
artechock: Ihr neuer Film hat mich überrascht. Er wirkt auf mich … sagen wir: Bisschen milder. Positiver. Harmonischer. Weniger dunkel. Verstehen Sie diesen Eindruck? Oder ist das oberflächlich? Wie schauen Sie auf den Film?
Denis: Ich weiß nicht. Freunde von mir haben sich beschwert, und gesagt: Der ist zu dunkel, es gibt keinen Trost. Er sei traurig, »crépusculaire«, den Figuren ginge es immer schlecht… Für mich ist das ein warmer Film. Voller Liebe. Ich weiß, dass er anders ist als meine sonstigen Filme.
Der Unterschied liegt darin, dass er sehr stark inspiriert wurde durch die Geschichte meiner Mutter. Ihr Vater, mein Großvater wurde ein Witwer, als
sie noch ein Baby war.
Diese Geschichte ist längst eine Art Familien-Witz: Meine Mutter fing oft an, irgendetwas von ihrem Vater zu erzählen, bei völlig unpassenden Gelegenheiten: wenn sie etwas vorbereitete, ein Bad nahm… sagte sie: »Oh, mein Vater war immer…«, »Mein Vater hätte jetzt…« Um ehrlich zu sein: Ich habe meinen Großvater als Kind kaum gesehen: Er lebte in Frankreich, wir in Afrika. Er war so ein seltsamer, aber auch sehr witziger Typ. Wir waren die
Enkel, er mochte uns, aber er hat sich eigentlich nur für seine Tochter interessiert. Er war sehr charmant, sah toll aus, er stammte aus Brasilien – er war ein bisschen melancholisch, diese typische »sodade« der Portugiesen, der Weltschmerz, der natürlich auch in Brasilien recht verbreitet ist. Dabei nicht traurig, sondern sehr lustig.
Ich habe diese Geschichte nicht begriffen, bevor ich einen Ozu-Film sah: Late Spring (Banshun). Ich mag alle seine Fime, aber diesen ganz besonders. Denn der handelt von einer jungen Frau, die längst alt genug ist aus dem Haus zu gehen, aber immer noch bei ihrem Vater, einem Witwer lebt, ihn pflegt, eine Art Ehefrau für ihn ist.
Ich war durch den Film schrecklich bewegt, ich begann zu weinen und begriff: Diese spezielle Geschichte
kenne ich nur zu gut. Ich erkenne das alles wieder. Ich habe meine Mutter nie gefragt, wie das mit ihrem Vater war. Man muss nicht fragen, um etwas zu wissen.
Zudem ist meine Mutter sehr offen. Jetzt ist sie eine alte Lady in gewissem Alter [lacht], mein Vater ist auch sehr alt und schwach, und sie sagt mir ganz offen: Ich glaube, der einzige Mann meines Lebens war mein Vater.
artechock: Der Vater in ihrem Film spielt alle familiären Rollen: Er ist Vater und Mutter und Lebensgefährte… Gerade für einen Angehörigen seiner Generation ist das nicht üblich. Man hätte wieder geheiratet, oder ein Kindermädchen organisiert…
Denis: Mein Großvater war nicht reich. Er hatte nicht das Geld für eine Nanny. Er war ein Maler. Er wusch, bügelte, aber er hatte auch ein Motorrad. Und um seine Tochter zu ernähren, hat er als Kunstlehrer gearbeitet. Ohne meine Mutter wäre er nur Künstler gewesen, hätte quasi ohne Geld gelebt. Ein bisschen wie ein Hippie.
artechock: Was ich an dieser Generation und an der unserer Eltern beneide, ist, dass sie weniger an Sicherheit interessiert waren, und an Perfektion. Es musste nicht alles perfekt sein, sie waren viel stärker, als die, die heute jung sind… Die heute Jungen interessieren sich mehrheitlich für Anstand, Ordnung, Sauberkeit, sie sind ziemlich spießig.
Denis: Ja, genau! Ganz besonders die Tochter in meinem Film. Er ist viel relaxter, als sie. Er will manchmal, dass sie einfach das Haus verlässt, damit er machen kann, was er will, sich betrinken, oder so.
artechock: Ihr Hinweis auf den Ozu-Film ist natürlich ganz wichtig: Tatsächlich ähneln sich der und ihr Film stark im Grundmotiv. Eine Tochter erzieht den Vater, pflegt ihn, und beginnt, sich auch zu opfern…
Denis: Ja, und der Vater sieht, dass sie etwas verliert und sich aufopfert.
artechock: Man kann also sagen, dass für Sie der Held ihres Films der Vater ist?
Denis: Ja.
artechock: Also geht das wieder mal in ihrem Film um Männer und Männerwelten. Wie fast immer, außer in Vendredi soir. Sie scheinen sich mehr für Männer zu interessieren, als für Frauen…
Denis: Männer sind komplizierter, sie lösen mehr in mir aus. Die Tochter im Film ist natürlich wichtig, aber letztlich nur, um den Vater in eine weitere Perspektive zu stellen.
Ich hasse die Idee, dass ich nur, weil ich eine Frau bin, auch etwas über Frauen machen müsste. Manchmal sagen mir Kollegen, ich würde mich nicht für Frauen interessieren. Das stimmt. Außer für Béatrice Dalle. Richtige Frauen!
artechock: Aber dafür interessieren sich Ihre französischen männlichen Regiekollegen oft sehr für Frauen…
Denis: Ja, genau.
artechock: Sind Frauen heute das perfektere Geschlecht? Und Sie interessieren sich mehr für das Unperfekte, Gebrochene?
Denis: Wie gesagt: Wenn ich die Diskriminierung der Geschlechter, und die der Rassen vergleiche, dann kann ich mit der der Geschlechter im Leben ganz gut umgehen. Das reizt mich nicht. Außer einer Sache: Prostitution. Wenn man den Körper zur Ware macht. Und genau das interessiert mich dann als Filmemacherin wirklich. Ich kenne nur einen richtig guten Film darüber: Godards Vivre sa vie (Die Geschichte der Nana S.). Der Rest kümmert mich nicht. Ich bin keine »gute Frau«.
artechock: Vielleicht nicht… Auch wenn es um Sex geht, scheinen sie an männlicher Sexualität mehr interessiert…
Denis: Nein, gar nicht, aber Männer ziehen mich mehr an. Insofern interessiere ich mich auch für weibliche Sexualität. Aber ich finde Männer sexy. Sie machen mich mehr an. Obwohl ich wirklich finde, dass die drei Frauen in 35 rhums wirklich toll waren.