01.03.2001

»Natürlich ist das Thema Scheidung für viele Kinder sehr wichtig«

Emil Tischbein und Pony Hütchen in der U-Bahnstation
Emil Tischbein und Pony Hütchen – was für Namen!
(Foto: Bavaria Film)

Franzika Buch über Emil und die Detektive

Ein Kultbuch und auch Film­klas­siker ist Emil und die Detektive seit über 70 Jahren. Nach drei Fassungen auf Zelluloid – der 1931er Film von Gustav Lamprecht und Billy Wilder ist berühmt, weitere gab es 1954 und 1963 – hat ihn jetzt die Münchner Regis­seurin Franziska Buch verfilmt. Im vorigen Jahr wurde sie für ihren letzten Film, Verschwinde von hier! mit dem Max-Ophüls-Preis in Saar­brü­cken ausge­zeichnet. Statt einer wort­ge­treuen Lite­ra­tur­ver­fil­mung ist dieser Emil eine groß­zü­gige, moderne Inter­pre­ta­tion des Stoffes, ein kluger Kompro­miss aus wohl­durch­dachter Neuerung und der Treue zur Vorlage.
Mit Franziska Buch sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Wie sind sie auf Kästner gekommen?

Franziska Buch: Die Bavaria hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte eine Neuver­fil­mung zu über­nehmen. Das hat mich schnell inter­es­siert, denn neben Astrid Lindgren ist Kästner für mich der inter­es­san­teste Kinder­buch­autor. Außerdem hatte ich meiner kleinen Tochter verspro­chen, einmal für sie einen Film zu drehen und hatte große Lust, überhaupt Literatur zu verfilmen.

artechock: Sie haben das Drehbuch gegenüber der Vorlage in wichtigen Teilen verändert. Warum?

Buch: Lite­ra­tur­ver­fil­mungen sind für mich nur inter­es­sant, wenn es sich nicht um wort­ge­treue Nach­er­zäh­lungen handelt – dafür sind die Bücher immer besser –, sondern um subjek­tive Neuin­ter­pre­ta­tionen. Ich wollte den Geist von Kästner einfangen, aber unbe­fangen mit dem Stoff umgehen. Darum habe ich das Buch einmal gelesen, dann aber zur Seite gelegt, und selber geschrieben. Auch den Film habe ich erst später angeguckt, immerhin stammt dessen Buch von Billy Wilder, da wollte ich unbe­fangen sein. Später dann habe ich natürlich noch manche Kästner-Dialoge über­nommen, die mich über­zeugten. Es sollte ein Film werden, der nicht nur Kinder und Jugend­liche anspricht, sondern auch ein erwach­senes Publikum – etwas für die ganze Familie, heraus aus dem Ghetto des Kinder­films.

artechock: Was waren Ihre Arbeits­kri­te­rien?

Buch: Was mir am Original sehr gut gefällt, ist seine roman­tisch-utopische Kompo­nente – meiner Ansicht nach ist das ein Haupt­grund für den anhal­tenden Welt­erfolg des Buches. Kästner erzählt eine arche­ty­pi­sche Aben­teu­er­ge­schichte darüber, dass Kinder sich gegen die Erwach­se­nen­welt behaupten können, wenn sie nur zusam­men­halten, wenn sie Mut und Selbst­ver­trauen haben. Das gefiel mir.
Aber Kästner ist manchmal etwas zu belehrend und humorlos. Das wollte ich redu­zieren. Daneben atmet das Buch den Geist der zwanziger Jahre. Die Großstadt war damals noch etwas Unge­wohntes, Sensa­tio­nelles. Heute funk­tio­niert das nicht mehr so.
Wichtig war mir auch, die sehr altmo­di­schen Rollen­bilder zu moder­ni­sieren, und die Präsenz von Mädchen zu erhöhen. Darum hat Pony Hütchen eine tragende Rolle bekommen. Ich habe bei den Test­scree­nings gemerkt, dass viele Kinder das begrüßen. Denn Kinder erkennen sehr schnell, wo etwas nicht mehr authen­tisch ist.

artechock: Gilt das auch für andere Themen des Films?

Buch: Ja. Kästner hat einen sehr genauen Blick auf soziale Verhält­nisse. Aber der ist auch eindi­men­sional. Platt gesagt gibt es bei ihm die Gleichung: arme Eltern = gute Eltern, reiche Eltern = schlechte Eltern. Das war mir zu simpel. Mich haben hier Fragen mehr inter­es­siert, die ich auch schon in früheren Filmen behandelt habe: Die Verän­de­rungen der Familien, die einer­seits zerfallen, sich aber auch neu zusam­men­setzen, und besonders die Rollen von Kindern darin.

artechock: Ihr Film startet relativ groß, mit rund 450 Kopien. Um dieses Wagnis etwas „abzu­fe­dern“ haben Sie vorher Test­scree­nings nach US-Muster durch­ge­führt. Was waren Ihre Erfah­rungen?

Buch: Sehr gute. Der Film kam beim Publikum an, das gab uns Sicher­heit. Nur eine kleine Szene wurde im Nach­hinein etwas abge­än­dert, weil sie für junge Kinder zu schwer vers­tänd­lich war. Ansonsten gab es eine inter­es­sante Erfahrung: Viele Kinder reagierten positiv darauf, dass das Thema Scheidung der Eltern – eine Erfahrung, die heute viele Kinder machen – nicht ausge­spart wurde. Inter­es­san­ter­weise wurde das von Eltern­seite kriti­siert, mit dem Argument, das Thema sei über­be­wertet. Die Tests hatten meinen Eindruck bestätigt, dass dies nur eine Wunsch­vor­stel­lung der Erwach­senen ist. Natürlich ist das Thema Scheidung für viele Kinder sehr wichtig.