07.03.2024

»Es ist alles Nahrung«

Hunter From Elsewhere
Königin der Schmuckkunst: Helen Britton
(Foto: W-Film)

Helen Britton über die Würde der Dinge, das Fremdsein in der Welt und den Dokumentarfilm Hunter from Elsewhere

Helen Britton ist eine unab­läs­sige Sammler- & Jägerin. Überall stöbert sie nach zurück­ge­las­senem Material, verges­senen Techniken, der Geschichte von Hand­werken, Indus­trien, Menschen, Orten, um sie in ihrer Kunst in verdich­teter Form zu bewahren, ihnen Nachhall, Nachleben zu schenken. Britton arbeitet u.a. als Malerin, Foto­grafin – doch am berühm­testen ist sie als eine führende Vertre­terin der Schmuck­kunst.
Geboren im austra­li­schen Newcastle, kam sie als Studentin von Otto Künzli an die Kunst­aka­demie nach München. Seither ist die Stadt ihre Lebens- und Arbeits­basis.

Die Münchner Filme­ma­cherin Elena Alvarez Lutz hat Britton mit Hunter from Elsewhere ein konge­niales Portrait gewidmet. Für alle, die sich mit der Materie auskennen, ein faszi­nie­render Einblick aus respekt­voller Nähe ins Leben und Arbeiten der Künst­lerin. Für alle, die von Auto­ren­schmuck bisher wenig wussten, dazu noch mit der augenöff­nenden Erkenntnis verbunden, dass eine Brosche einen ebenso tief berühren kann wie eine Skulptur, eine Halskette soviel Weltsicht enthalten kann wie ein Gemälde.

Das Gespräch führte Thomas Willmann

artechock: Sie arbeiten mit vielen Mate­ra­lien und Techniken, in verschie­denen Kunst­gat­tungen. Könnte man als verbin­dendes Element sagen: Sie sind eine Geschich­ten­er­zäh­lerin?

Helen Britton: Ja, das ist mir auf jeden Fall ein wichtiger Punkt. Bei den Recher­chen zu meinen verschie­denen Inter­essen erfahre ich die Geschichten etwa von Mate­ria­lien. Und dann ich will das kommu­ni­zieren – aber nicht auf eine trockene, histo­ri­sche Art und Weise. Manchmal ist es eine sehr poetische Sache. Dinge berühren mich – und das packe ich dann in meine Kunst.

artechock: Wann und wie merken Sie, dass etwas zu Ihnen spricht?

Helen Britton: Ich bin faszi­niert von vielen Sachen. Ich bin ein sehr neugie­riger Mensch. Ich hab tausende von Ideen, es gibt immer viel zuviel Ideen und viel zuviel zu tun. Etwas muss sich schon immer wieder vordrängen, warum auch immer. Da frag ich auch nicht zu sehr nach. Ich vertraue der Intuition, dem Instinkt, und dann folge ich dem.

Ich bin zum Beispiel um 2001 zuerst in den Thüringer Wald. Und habe die ersten Arbeiten dazu gemacht 2007. Es kann sehr lange dauern. Ich liebe es wirklich, Zeit zu haben. Ich brauche Zeit.

Es sind nicht nur diese Produkte, die am Ende ausge­stellt werden, sondern das Hingehen, das Rumreisen, das Recher­chieren, darüber Lesen, mit Leuten sprechen, das Foto­gra­fieren – das ist meine Kunst. Das ist mein Leben. Das Ganze gehört zusammen.

Es ist alles Nahrung. Es fließt alles irgendwo rein. Auch wenn man merkt: Ah, das ist fantas­tisch – aber es ist nicht ganz mein Ding. Trotzdem – es ist für mich alles wahn­sinnig inter­es­sant. Mehr oder weniger alles. (Lacht)

artechock: Im Film sagen Sie einmal: »It’s fantasti­cally important to know where things come from«. Herkunft, Verwur­ze­lung spielt eine wichtige Rolle in Ihrer Arbeit – aber mir scheint zugleich mit einer gewissen Distanz, ob in Raum oder Zeit...

Helen Britton: Auf eine Art könnte man sagen, das spiegelt mein Leben. Denn ich lebe in einem Spalt zwischen Europa und Austra­lien. Ich bin viel unterwegs – bin nicht wirklich in einem Ort oder dem anderen. Und das kann dann sein, dass es zu dieser Art von Distanz führt: Ich beobachte etwas, aber es ist nicht ganz meins. Das ist manchmal sehr gut, weil ich kann Dinge aus einer ganz anderen Perspek­tive sehen. Zum Beispiel diese Glas-Geschichte im Thüringer Wald. Das ist für viele einhei­mi­sche Personen nur Weih­nachts­baum­schmuck, die rennen schreiend weg, weil es mit einem unglaub­li­chen Kitsch verbunden ist. Aber ich sehe was anderes da drin...

artechock: Gilt also immer noch: Your home is Newcastle, und in München sind Sie eine Fremde?

Helen Britton: Leider erlebe ich mehr oder weniger täglich in Deutsch­land, obwohl ich eini­ger­maßen okay Deutsch spreche, dass wir als Ausländer schon immer wieder als fremde Person behandelt werden. Beim Brot­kaufen, auf dem Markt... in diesen alltäg­li­chen Sachen ist es sehr klar, dass ich nicht dahin gehöre. Und das hält natürlich irgend­eine Form von Heimat­ge­fühl sehr fern.

Aber natürlich hat das ganze Leben, das ich führe, mich auch verändert. Ich bin auch nicht mehr komplett in Newcastle zugehörig. Deswegen beschreibe ich immer, dass ich eigent­lich in einem Spalt lebe zwischen allen diesen Dingen. Das klingt im ersten Moment wahr­schein­lich ein bisschen unan­ge­nehm, viel­leicht tragisch. Aber es ermög­licht sehr viel.

Und das sind letzt­end­lich Luxus­pro­bleme. Ich kann mich bewegen. Ich kann diese Entschei­dungen treffen. Ich könnte natürlich sagen: »Ich verlasse Europa.« Aus privaten Gründen kann ich das nicht. Aber man muss auch eine gewisse Distanz halten von dieser ganzen Proble­matik, wo man hingehört. Weil man immer noch den Luxus hat, sich bewegen zu können.

artechock: Und man kann sich auch am eigenen Geburtsort fremd fühlen...

Helen Britton: Ja, absolut. Das war wahr­schein­lich auch ein Teil dessen, was mich in die Welt getrieben hat. Ich habe mich in Newcastle nicht sehr zugehörig gefühlt. In Europa gibt es für mich als Künst­lerin in jedem Moment gesell­schaft­lich eine große Akzeptanz. Ich will das nicht verall­ge­mei­nern – ich bin auch in Austra­lien sehr gut aufge­hoben und habe super Unter­s­tüt­zung. Aber als ich hier aufge­wachsen bin, war das nicht der Fall. Ich war eher ein Outsider.

artechock: Wie war Ihre erste Reaktion auf Elenas Alvarez' Idee, einen Film über Sie zu machen?

Helen Britton: Ich hab gesagt: Vergiss es! Sie hat mich jahrelang gefragt. Sie hat regel­mäßig ange­fangen von diesem Film mit mir. Und ich wollte das nicht. Ich bin eine sehr intro­ver­tierte Person, eine sehr private Person. Ich brauche auch relativ viel Zeit allein. Ich bin nicht anti-sozial, aber Menschen machen mich meistens relativ schnell müde. Und um meine Kunst zu machen, brauche ich auch sehr, sehr viel Konzen­tra­tion. Die Vorstel­lung, ewig jemand um mich zu haben...

Aber sie ist eine sehr charmante Person. Und hat eine Ernst­haf­tig­keit, eine Eigen­ar­tig­keit, die nicht unähnlich ist meiner Eigen­ar­tig­keit, glaube ich. Ich bin der festen Meinung, dass es ein Film mehr oder weniger über Elena ist. Und ich bin sozusagen nur das Material – im besten Sinn.

Anyway, sie hat es dann irgend­wann geschafft. Sie kam immer wieder, und dann hat sie ange­fangen, mit einem iPhone zu filmen. Und sie hat gesagt: »Jetzt habe ich ange­fangen! Jetzt muss ich auch weiter...«

Ich bin weich­ge­worden und habe gesagt: Okay. Dann ging es weiter... Aber ich hab gesagt: Elena, mach deinen Film – aber frag mich bitte nicht. Ich will nur ein Veto-Recht am Rohschnitt. Du musst das für dich machen, wie du es haben willst. Und ich glaube, das war sehr gut, für uns beide.

artechock: Wie haben Sie während des Drehs die Grenzen verhan­delt?

Helen Britton: Sie hat immer wieder, besonders am Anfang, Leute geschickt, die filmen sollten. Und sie hat schon vorher bestimmt – und das fand ich gut –, dass ich die einfach völlig igno­rieren soll. Ich soll nicht mit ihnen sprechen, ich soll versuchen, so zu tun, als wären sie einfach nicht da. Irgend­wann konnte ich das. Und dann konnte ich das so auch mit Elena. Weil es gab dieses Grund­ver­trauen. Sie war einfach da, irgendwo, während ich gear­beitet habe, und ist sozusagen in der Ecke verschwunden. Und das war die beste Möglich­keit.

Dann war es okay. Wir sind rumge­reist, und sie war dabei. Und es war sehr, sehr unter­haltsam und... I mean, wir sind nicht enge Freunde, und ich glaube, das ist sehr wichtig. Weil es geht nicht um eine Freundin, die eine Freundin filmt. Sie hat auch eine gewisse Distanz gehalten. Und ich auch. Manchmal war es eher wie eine beruf­liche Situation. Für die Qualität des Films war das glaube ich sehr, sehr wichtig.

artechock: Und wie fühlt es sich nun rück­bli­ckend an, selbst das »Rohma­te­rial« für die Kunst einer anderen Person zu sein?

Helen Britton: Es ist nicht immer einfach. Der Film kommt sehr nah an mich dran. Und ich fühle mich manchmal ein bisschen verletz­lich. Es ist fantas­tisch – aber es ist nicht ganz mein Ding.

Auf der anderen Seite können die meisten Leute nur davon träumen, dass eine begabte Filme­ma­cherin kommt und sagt: Hey, ich folge dir und halte dich vier Jahre lang aus, und dann mache ich daraus einen tollen Film. Es ist wirklich auch ein unglaub­li­ches Geschenk. Aber es ist eine Mischung.

Und für diese komische Welt des Auto­ren­schmuck, der Schmuck­kunst oder wie auch immer man es nennen will, ist es natürlich auch eine unglaub­liche Leistung – weil dieser Bereich wird so miss­ver­standen. Dieser tiefe Einblick ist schon sehr hilfreich für viele Künstler – nicht nur für mich. Dass Leute erkennen: Ah, ja, es ist nicht nur irgend­wel­cher Schnick­schnack, den man irgendwie trägt. Das ist schon sehr, sehr wertvoll – nicht, weil der Film über mich ist, sondern über dieses Genre. Und das schätze ich sehr.

artechock: Sie erwähnen im Film, dass in Ihrer Jugend Musik, speziell Post-Punk, sehr prägend für Sie war. Ist Ihnen Musik noch immer wichtig?

Helen Britton: Sure... Musik ist für mich wahn­sinnig wichtig. Das Newcastle, in dem ich aufge­wachsen bin, war eine Arbei­ter­stadt, sehr links; das waren die ’70er Jahre, Anfang der ’80er Jahre, da gab es eine sehr radikale Gewerk­schafts­be­we­gung. Es gab fantas­ti­sche Proteste und Streiks, die wirklich viel für die Arbeits­be­din­gungen in Austra­lien bewirkt haben. Meine Mutter war auch darin invol­viert, politisch sehr aktiv. Und dann kamen alle diese Bands wie The Gang of Four, The Fall, diese neue Welle... Die sind in soge­nannten Worker’s Clubs aufge­treten, wo wir sie gehört haben. Es gibt die kaum mehr. Die Welt hat sich radikal verändert. Aber das war sehr, sehr prägend. Es war eine fantas­ti­sche Jugend. Ich hab viele tolle Bands gesehen. Ohne die Bedeutung zu ahnen, die sie jetzt haben. Die haben einfach gespielt. Das war sehr wichtig für mich.

Ich gehe immer noch sehr gerne in Konzerte und höre Musik. Auch oft, wenn ich arbeite. Das ist immer noch eine wichtige Facette meines Lebens.

artechock: Ihre Arbeit scheint mir auch eine Ausein­an­der­set­zung mit der Vergäng­lich­keit. Wie ist Ihr Verhältnis dazu?

Helen Britton: Ja, ich will was behalten. Ich will, dass es nicht vergeht. Auf jeden Fall. Aber ich spiele auch damit. Zum Beispiel mit diesen Beton­ob­jekten, bei denen ich in absolut unver­gäng­li­chem, komplett robustem Beton sehr fragile, sehr ephemeral Sachen präser­viere. Dass sie nicht vergehen können. Und ich finde das sehr spannend. Dieses Bedürfnis.

Ich will nicht sagen, dass es ein vorran­giges Thema ist. Aber es steckt auf jeden Fall drin.

Und ja, man wird auch älter, und man ist – dadurch, dass die Eltern sterben, oder sehr alt werden – konfron­tiert mit diesem: Was bleibt übrig? Was ist wichtig, dass es weiter­ge­geben wird, dass es nicht in Verges­sen­heit geht? Ich weiß nicht... ich kann das gerade nicht so gut formu­lieren.

artechock: Sie wurden in Ihrer Heimat ausge­wählt für die pres­ti­ge­träch­tige, landes­weite Ausstel­lung »Living Treasures – Masters of Austra­lian Crafts« 2025. Was können Sie darüber schon verraten?

Helen Britton: Das ist ein Riesen­ding. Es ist nicht nur eine ganz neue Gruppe von Arbeiten von mir – sondern es reist auch in zehn Museen, über zwei­ein­halb Jahre, und dann geht es nach New York. Und dann kommt auch eine große Publi­ka­tion mit Arnold­sche, ein Komplett-Monograph, der heißt »The Story So Far«.

Und ich mache eine neue Arbeits­gruppe. Die basiert auf einer Fotoserie, die ich gemacht habe, über ein ähnliches Haus wie jenes vom Anfang des Films. Das ist das Haus meiner Paten­tante – der ältesten Schwester meiner Groß­mutter. Sie war auch eine Künst­lerin, eine auto­di­dak­ti­sche Künst­lerin. Sie hat sehr viele Sachen gebastelt und expe­ri­men­tiert, und ich habe wichtige Momente in meiner Kindheit und Jugend mit ihr verbracht. 2018 bekam ich Zugang zu diesem Haus. Es stand seit fast 30 Jahren unberührt verlassen – ihr Bleistift noch auf dem Tisch und alles. Das habe ich foto­gra­fiert, in drei Etappen. Das ist mein Ausgangs­punkt.

artechock: Am Anfang des Films stöbern Sie im Erzge­birge durch ein verlas­senes Haus, in dem ein Glas­bläser gelebt hat. Ange­sichts des zurück­ge­las­senen, verstreuten Hausrats sagen Sie: Es ist so unwürdig, wie die Sachen da liegen. Ist Ihre Arbeit auch ein Versuch, Dingen ihre Würde wieder­zu­geben?

Helen Britton: Ja, absolut. Das ist ein sehr, sehr guter Punkt. Der Geschichte von Menschen, was sie gemacht haben, und auch den Dingen selber. Auf eine subtile Art ist das auch eine sehr poli­ti­sche Haltung. Ich glaube wirklich, wenn man – »man« allgemein, die Menschen – gefühl­samer mit dem allen umgehen würde, dann wäre das für uns alle ein besserer Planet.