29.03.2019

»Wir sind Seil­tänzer«

Breloer, Brecht, Weigel
Breloers Brecht ist noch bis 26.4. in der ARD-Mediathek zu sehen. Teil 1 und Teil 2 (hier unser Foto: Weigel und Brecht)

Heinrich Breloer, Dokumentarfilmer und Spezialist für halbdokumentarische Biographien, über Bertold Brecht und seine Arbeitsmethode

Eigent­lich wundert man sich, dass Bertold Brecht, der deutsche Groß­dra­ma­tiker, diese schil­lernde und kontro­verse Figur nicht häufiger Gegen­stand filmi­scher Verar­bei­tung war. Bemer­kens­wert war davon neben zahl­rei­chen Doku­men­ta­tionen nur Jan Schüttes Abschied – Brechts letzter Sommer mit Josef Bier­bichler als völlig unähn­li­chem Brecht­dar­steller mit seiner gran­diosen Präsenz zwischen all seinen Geliebten an einem Bran­den­burger See. Und plötzlich ist eine wahre Brecht-Manie ausge­bro­chen mit Mackie Messer – Brechts Drei­gro­schen­film von Joachim A. Lang 2018 mit Lars Eidinger als Brecht in den Tagen der Kontro­verse um eine Verfil­mung der „Drei­gro­schen­oper“, die den Drama­tiker zu seiner Medi­en­theorie anregte. Nun hat Heinrich Breloer, der vielfach preis­ge­krönte Erfinder einer spezi­ellen Mischform zwischen Doku­men­tion und fiktivem Film, der sich 2001 schon mit den „Manns“ beschäf­tigt hatte. Thomas Mann, dessen Budden­brooks Breloer 2008 mit Star­be­set­zung ins Kino gebracht hat, hat sich an Bertold Brecht abge­ar­beitet. Nach einem spek­ta­kulären Auftritt mit seinen Brecht­dar­stel­lern Tom Schilling und Burghart Klaußner, sowie Adele Neuhauser als Helene Weigel schloss sich eine Kinotour und die Fern­seh­aus­strah­lung an. Breloer versucht, Brecht vom Sockel der Unnah­bar­keit herunter zu holen und ihn auf ein »normales« Maß zu redu­zieren, was zur besseren Vers­tänd­lich­keit auch der Eskapaden des lite­ra­ri­schen Genies beiträgt. Über seinen Blick auf Brecht, Breloers filmische Methode und die Beson­der­heiten seines Brecht-Films.

Das Gespräch führte Josef Schnelle.

artechock: Brecht war ja, so kommt das jeden­falls bei Ihrem Film raus, Team-Player, jemand, der jeden­falls eine Gruppe von Menschen um sich brauchte, die alle kreativ waren, um selber kreativ zu werden. Sie haben das sehr schon klar gemacht, dass das schon seine Jugend bestimmt. Auch da gibt es ja schon die Gruppen um sich herum.

Heinrich Breloer: Einer der Gesprächs­partner – nicht in diesem Film zu sehen – Otto Bezold, später Staats­se­kretär in München, sagte zu mir: Er brauchte ein Becken um schwimmen zu können. Und wir haben ihn bewundert, aber je älter wir wurden, je mehr man wusste, ging man auch auf Distanz, und das hat er nicht gut vertragen, wenn er Menschen verloren hat, die er für seine Gruppe brauchte, nicht nur als Team-Player. Er brauchte auch die Kraft der Gruppe, vor der er sich insze­nierte. Der Bezold erzählt ihm, weil er sich für Kreuzzüge inter­es­sierte, dass es Frauen gegeben hat, die haben – um die Überfahrt nach Jerusalem zu bekommen – sich als Huren verdingt für die Seefahrer, und das hat Brecht so faszi­niert, über Nacht oder am nächsten Tag hat er Evelyn Roe gemacht, die berühmte Ballade von der Evelyn Roe, die tanzt und tanzt und mit den Seeleuten bumst und dann wird sie über Bord geworfen und »dann vergaß sie der liebe Gott und allmäh­lich löste sie sich auf«, und der Teufel wollt sie nicht haben und Petrus wollt sie nicht haben. Da waren die faszi­niert, wie der das machte, aber das wurde auch ihm zuge­tragen so wie später die „Drei­gro­schen­oper“. Elisabeth Hauptmann konnte Englisch, die las die engli­schen Zeitungen. Es war „ensuite“ in London gelaufen. Ein Hit. Und sie ahnte schon das Brecht das inter­es­sieren könnte. Sie wusste es schon. Und dann hat sie ihm das unter­ge­schoben. Und im selben Moment kam ein Konnex. Und sie, die Klavier spielen konnte – sie war Konzert­pia­nistin – konnte die Szenen schreiben und entwi­ckeln, und sie hat sicher einen hohen Anteil an dem Stück gehabt. Da sieht man wieder, was hinge­tragen wurde und was er daraus macht und sich dann den Weil dazu holt, ganz ehrlich, ohne Weils Musik ist das Quatsch, natürlich.

artechock: Oft, wenn von Brecht geredet wird, geht’s darum, dass er seine Mitar­beiter, insbe­son­dere die Frauen ausge­beutet hat, intel­lek­tuell ausge­beutet hat.

Breloer: Gefühls­mäßig ja, denn sie haben ihn geliebt.

artechock: Ja, da musste ich sofort dran denken. Ich habe vor wenigen Wochen mit Volker Schlön­dorff über Baal geredet, und dann ist er ins begeis­ternde Reden gekommen, als er von Fass­binder in Baal erzählte und der Fass­binder ist ja genau so ein Typ gewesen. Fass­binder hatte eine „Family“, Brecht hatte auch eine „Family“.

Breloer: Das ist durchaus vorstellbar, dass er gesehen hat, dass Brecht auch so eine geniale Kraft hatte, die sich auf die Gruppe verströmte, aber die auch ener­gie­fres­send war. Man kann sich Fass­binder nicht vorstellen, wie er sich ein Team suchen muss oder von einem Produ­zenten, den Kame­ra­mann, den Tonmann, die Schau­spieler muss er jetzt zusammen führen zu einem Team. Das hätte er nicht gemacht. Das war ja gerade für ihn immer der geniale Einfall der Besetzung. Das war die halbe Miete bei Fass­binder, bis er dann die Kamera allmäh­lich lernte. Der hat ja überhaupt von Film zu Film gelernt, eine Kamera zu bewegen. Am Ende mit einem Dolly. Am Anfang Schuss – Gegen­schuss: Katzel­ma­cher. Wie Theater. Man konnte das beob­achten, wie er immer schlauer wurde, was uns allen passiert, wenn wir auf keiner Film­hoch­schule waren. Das wir das Handwerk lernen und dann natürlich sie beweglich machen. Und das war natürlich eine ganz ähnliche Nummer, wie er dann in wenigen Jahren ganz berühmt werden konnte. Das Theater. Gut. Das war auch damals natürlich eine andere Veran­stal­tung als heute. Bei Fass­binder war eine große Härte drin. Brecht war doch noch mehr Bürgertum. Er konnte sehr zärtlich sein, freund­lich sein. Er konnte aber auch ausrasten. In der Doku hört man ihn. Da hab ich mehr diese Stimme drin: »Reck, haben Sie sich was ausge­dacht? Sie sollten sich doch was ausdenken. Nichts? Hinaus!« Jemand sagte: So hab ich noch nie jemand schreien hören: »Im Westen Sahne­torte fressen. Das geht nicht.« Und die Weigel kam auf die Bühne: Kommen Sie, gehen Sie, gehen Sie. Und ein junger Regis­seurin, die es mir erzählt hat, sagte: »Ho ho«, sagt die Weigel, »wenn einer faul ist, da ist nichts mehr zu machen. Wenn einer faul ist, nicht mitschreiben wollte: Sie schreiben nicht mit, faule Leute können wir hier nicht gebrau­chen. Tut mir leid. Können wir nicht gebrau­chen.« Und alle mussten mitschreiben. Das war schon so. Da war ja auch was dran: dass man das ernst nimmt, was er sagt und nichts verloren geht. Aber auch wenn was nicht funk­tio­nierte, dann konnte er losbrüllen, auch im Privat­leben, wenn ihn jemand verlassen hat. Die Szene gibt’s ja auch im Film, wenn ihn einer »aus der Familie« verlassen wollte nach dem 17. Juni. Das Bürger­kind Regine Lutz. Vater Professor an der Univer­sität für Medizin. Schreibt jede Woche Briefe. Und plötzlich sagt er: Du bleibst hier. Das geht jetzt zu weit, wenn einer geht. Da schreit der die zusammen. Das hat doch der Geschon­neck erlebt, der aus der „Familie“ raus wollte für den Film in der DDR, was dann ja auch gut war. Das wollt er ihm verbieten und hat ihn ange­schrien und Geschon­neck erzählt: Ich hatte es aber in der Ausbil­dung: Ich kann lauter schreien als Sie, viel lauter. Und Brecht wurde ganz bleich, erzählt er. Geschon­neck ging dann auch viel zum Film, weil er das auch haben wollte. Verlassen werden. Meine liebe Freundin Kilian sitzt zufällig mit einem hübschen großen älteren gut gewach­senen Schau­spieler auf der Couch. Brecht kommt vorbei. Sie schmiert sich mit dem Soundso auf der Couch herum. Ich habe jede Achtung für sie verloren, jeder Achtung. Sowas hat mir auch Regine Lutz erzählt: Dass er dann ungerecht wurde. Wenn die Menschen von ihm gingen, die er gerade „gestal­tete“, denn das war das, was viel­leicht mit Fass­binder – wie Sie sagen – Ähnlich­keit hatte. Der hatte Visionen von denen. Die sollten sich jetzt dahin bewegen. Der war aber Maler. Und er sagt: Ich hab dich doch zum Bühnen­bildner gemacht usw. Das gehört dazu, dass er auch Menschen formte wie lite­ra­ri­sche Figuren: Du wirst der und der. Ich mach dich zum Star. Du brauchst jetzt, sagt er zu Regine Lutz, 'nen Führer­schein. Ein Star braucht ein Auto in der DDR. Ich werd Dich so oft diesen Zuschauern vorstellen bis sie wissen, dass du ein Star bist. Und nach und nach hat er’s mit ihr geschafft.

artechock: Wenn man im zweiten Teil Brecht fast nur im Zuschau­er­raum der Proben­bühne sieht, dann hat man das Gefühl. Das hielt er für seine eigent­liche Bestim­mung. Das trifft Burghart Klaußner sehr gut.

Breloer: In dem Moment war er glücklich. Wenn man die Stimme hört, wenn er dort im Theater sitzt. Dieses Proben­glück. Er fährt die paar hundert Meter von der Wohnung vor. Er ist ja nur gefahren, gar nicht mehr gelaufen. Ich glaub das war auch die Sicher­heit des Autos in der Menge. Der ängst­liche Brecht umgeben von der Blech­kiste fährt er dahin und dorthin und ist nicht so. Straßen­bahn kann ich mir nicht vorstellen, auch U-Bahn. Flugzeug war ganz schlimm. Da hat er gedacht, der Boden bricht gleich durch. Da ist er auf- und abge­laufen bei dem Flug nach Moskau, da mussten sie ihn beruhigen. Das war ihm nicht so geheuer

artechock: Das Auto ist ja das Fahrzeug der Monaden, so wie es benutzt wird. Immer einer einzeln. Als Fort­be­we­gungs­mittel voll­kommen sinnlos.

Breloer: Für ihn war es ein sicherer Raum und man konnte sich in dieser großen Stadt Berlin genial da- und dorthin bewegen und jemanden einladen, Fahrten machen. Es gab ja ganz wenig Autos, und wenn er durch Ostberlin im Dunkeln fuhr. Das war ja gar nicht beleuchtet wie West­berlin. Man hatte was in der Hand. Man konnte ein Fräulein Soundso einladen, mit ihr nach Hause bis in die Arbei­ter­sied­lung. Das war schon eine Möglich­keit heran­zu­kommen an jemanden. Das war für ihn auch nicht so leicht – die Grete Steffin brachte er dann nach Hause und im Buch wird es ja gelesen haben, wie er sich dann – die konnten wir im Film nicht zeigen, sie war eine ganz ganz wichtige Mitar­bei­terin, wie er sie sich gewünscht hat, die Begegnung mit dem Prole­ta­riat – ein begabtes Arbei­ter­kind, Rummels­burger Keller­kind und er macht jemanden daraus, der fast auf Augenhöhe mit ihm Sonette schreiben kann wenn’s auch nur ums Ficken geht manchmal.

artechock: Sex spielt da ja auch eine Rolle. Man hat auch in Ihrem Film den Eindruck, der Samen­beutel ist immer gefüllt und platzt gleich.

Breloer: Er sagt das ja an einer Stelle so mitfüh­lend mit dem Hofmeister: »Sie laufen herum mit einer gefüllten Samen­blase seit Wochen und es steigt die Begierde in Ihnen auf. Aber es ist verboten.« Doch es kommt, wie es kommen musste. Das Mädchen verführt ihn und dann bekommt sie ein Kind und dann ist die Gefahr da. Also das hat er auch schon erlebt. Ich glaube, es war für ihn auch zu zeigen, Leben lohnt sich in jedem Fall. Das macht Spaß. Gönnt es euch auch. Es muss ja nicht diese furcht­bare bürger­liche Ehe sein, sondern »täglich ein Geschenk, keine Tribute«. Das ist der Vertrag mit der Weigel, den ich auch gezeigt hab, den sie dann einge­halten hat, wenn auch unter Schmerzen. Denn das sind Punkte: Wir zwei für die neue Gesell­schaft. Wir leben eigent­lich schon mit einem Bein in der neuen sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft, wo die Produk­ti­vität das Entschei­dende ist und wo sie explo­dieren wird wie damals – Klas­sen­kampf­ge­schichte – als die Bürger den Adel abge­schafft haben, weil die Produk­ti­ons­be­din­gungen der feudalen Gesell­schaft den Produk­tiv­kräften des Bürger­tums nicht mehr gewachsen war. Eine unglaub­liche Explosion an Produk­ti­vität so wird’s jetzt auch kommen, wenn die letzte unter­drückte Klasse die Produk­ti­ons­be­din­gungen des Kapi­ta­lismus abschafft und dann keine Kriege mehr braucht und unglaub­lich produktiv wird, und wir beide erleben das schon in unserer Beziehung. »Ich mach dich produktiv.« Dieser Begriff der Produk­ti­vität, der ist, glaube ich, bei Brecht ganz hoch zu schätzen, dass er auch Freunde produktiv machen wollte und er machte sich in ihnen produktiv, weil er sah, wie produktiv sie wurden: Schreib doch mal Tagebuch! Schreib mal ein Gedicht. Mach dies mal. Trau dich das. Das hat ihm wohl sehr sehr gefallen. Ich glaube, bei allen künst­le­ri­schen Menschen, wenn sie fähig sind, mit anderen Menschen umzugehen, das ist eine Freude für sie zu sehen, wie man sie anstecken kann, zum Besseren führen kann. Also auch als Regisseur, Schau­spie­le­rinnen, die viel­leicht so ein bisschen unter Wert gelaufen sind, plötzlich in Hochform zu bringen durch dieses Set, durch das Licht, dass ein Moment Ruhe ist, dass sie nur den Text haben, dass man ihnen sagt: Du kannst es. Wag es. Riskier’s. Und plötzlich machen sie etwas, von dem sie nachher sagen. Das hätt ich gar nicht gedacht. Das ist natürlich eine Riesen­freude und Brecht hat das, glaub ich, sehr stark gemacht mit Schau­spie­lern, die er auch manchmal von der Straße holte. „Ekel Alfred“ Schubert, spielt den Schüler im „Faust“ und Frau Schubert hat mir erzählt: Wissen Sie was, in der Hoch­zeits­nacht – er war ja Schneider und Kürschner – hat er mir gestanden: Ich will Schau­spieler werden. Da wusste ich, dass ich arbeiten musste. Und dann hat sie beob­achtet wie Brecht aus diesem Kürschner den Schüler macht, der so stramm sich verblöden lässt und selber ein dummer Lehrer werden will, weil der Teufel ihm die Tricks sagt, wie man an die Weiber rankommt. Und keine Bücher dafür braucht. Das ist im Doku­men­tar­film gut gezeigt die Szene.

artechock: Im Buch ist so eine Stelle. Das »Berliner Ensemble«, das muss ein bisschen so gewesen sein, wie die dritten Programme in ihren Anfangs­zeiten.

Breloer: Wenn ich mich hinein gedacht habe, wie das wohl war mit Brecht und dem Berliner Ensemble hab ich mich tatsäch­lich an die frühen Jahre im Fernsehen erinnert: An die 70er Jahre, wo ich auf eine Gruppe traf, auch mit großen kreativen Köpfen wie zum Beispiel meinen Freund Horst Königs­stein, wo wir in einer Abteilung Weiter­bil­dung I saßen aber Rock'n'Roll-Geschichte geschrieben haben. Wir konnten uns das einfach zu zweit ausdenken – und dann sind wir hin: Was habt ihr denn wieder vor? Dann haben wir das ihm plausibel vorge­tragen und dann wurde das so abgenickt – bis Herr Meichsner (CDU) sagte: Sind die verrückt geworden. Die machen Fern­seh­spiele im dritten Programm und dann so was noch: Verbot. Wir wären ja nicht kompetent dafür. Wir ahnten schon dass wir die Comments durch­bro­chen haben. Die nächste Runde wäre so gegangen: Wir brauchen mehr Geld. Wir machen ein Fern­seh­spiel. Dann würde ein Wett­be­werb entstehen. Das wollten die nicht. Aber dann habe ich den WDR zur Hilfe gerufen, die Lite­ra­tur­re­dak­tion, die war kompetent, solche Filme zu machen und dann durften wir’s machen. Wir hatten ganz freie Momente, die nicht in so ein jahre­langes Hick hack führten. Jetzt bin ich im 9. Jahr bei einem Sender, der ein Milli­ar­den­un­ter­nehmen ist. Es ist ganz viel Geld da. Es ist da. Zu viel von dem was da ist. Da braucht man Mut, Zähigkeit, Über­zeu­gungs­kraft und langen Atem um das durch­zu­halten und eine gewisse Werktreue. Ich hatte wirklich wunder­bare Angebote zwischen­durch, und wenn ich diese Filme gemacht hätte, hätte ich auch wieder andere gemacht. Dann wär der Brecht nicht gemacht worden und ich wäre heute ein anderer Regisseur. Man hat die Qualität gemessen. Denn das kam ja bei den Filmen oft raus, die ich gemacht habe, dass die Leute sagen: die Bilder erinnere ich noch ganz genau, wie das eine junge Mädchen die Tochter von Thomas Mann das sagt oder das. Das sind ja Sachen, die sind nicht am nächsten Tag vom Winde verweht. Du kannst ja die Leute fragen: wie war die Tages­schau gestern und die können es dir kaum sagen. Aber wenn sie solche Filme wirklich gesehen haben, die wir hier entwi­ckeln durften, dann wissen sie noch Bilder und Geschichten, und die bleiben hängen und das verändert auch die Erzählung über diese Person. Man spricht dann anders über Thomas Mann, über die RAF. Man kann das Narrativ verändern in Richtung Aufklärung. Das ist eine wichtige Arbeit, das ist eine verant­wor­tungs­volle Arbeit Das öffent­lich-recht­liche Fernsehen ist – das hab ich vom Donepp gelernt, der den Grimme-Preis aufgebaut hat – ein inte­graler Bestand­teil unserer Demo­kratie. Das wird dünner. Wird immer dünner, unglaub­wür­diger und eines Tages streckt irgendein großer Konzern durch diese dünne Tapete den Finger und sagt: Ich bin da.

artechock: Sie haben diesen Film machen können. Der ist natürlich im Breloer-König­stein-Stil gemacht. Es gibt keinen Quali­täts­un­ter­schied zwischen Spiel- und Doku­men­tar­film­szenen. Wech­sel­seitig sind sie einge­bettet. Ich finde den Film sehr gut gelungen, weil er so unauf­ge­regt ist. Reden wir über das Doku­men­tar­ma­te­rial. Das muss ja erst gefunden werden.

Breloer: Es musste erst mal herge­stellt werden. Das sind ja meine Inter­views. Die alten und die neuen. Man muss eine bestimmte Situation herstellen in den Gesprächen, damit die Menschen selber in Hochform sind. Wir haben ja Jahre vorher Doku­men­tar­film gedreht und trainiert. Wir waren die ersten, die die Kamera benutzen konnten, ohne zusätz­li­ches Licht. Wir kamen also in die Wohnungen rein. Wir konnten einfach mitdrehen. Wir sind in eine Szene rein­ge­gangen und der Kame­ra­mann war plötzlich ein Teil des Regis­seurs. Ich erinnere mich an eine Szene im „Beil von Wandsbeck“. Ich stehe mit zwei, drei Witwen, deren Liebhaber oder auch Partei­ge­nossen geköpft wurden von Göring, dem »Germa­nen­schwärmer mit dem Hacke­beil­chen«. Dann haben sie ein Photo in der Hand mit den vier Ange­klagten. Und dann haben sie das in der Hand, und während sie so mit mir sprechen, sah man, wie der Daumen die Figur strei­chelte und der Kame­ra­mann, der immer auch mit den Ohren sieht, guckte runter und geht ganz langsam auf die Hand – ganz groß. Ich hab das erst später gesehen, weil der hinter mir stand – wie genau er mitdenkt. Wir haben den dann immer wieder mitge­nommen, den Klaus Brix. Der Klaus hatte die „Eclair“ auf dem Schoß. Da konnte man oben rein­gu­cken, während das Licht, das angeht, wenn der Film läuft, abge­schaltet ist, so dass er das nicht kontrol­lieren konnte. Hätte er auch nicht. Und ich hab mit Golo über alles Mögliche gespro­chen, und als es ernst wurde, hat der Klaus einfach einge­schaltet. Und Golo hat weiter geredet. Er hat gar nicht mehr daran gedacht. Wir haben ein Gespräch geführt. Manchmal hab ich ihm Papiere gereicht oder wenn Klaus verhört wurde, hat er gesagt, mit Homo­se­xua­lität hätte er nichts zu tun. Nur die ameri­ka­ni­sche Armee. Das wär ein guter Haufen. Da hat sich Golo totge­lacht. Der hat sich also ganz frei bewegt und andere auch. Da sieht man jetzt in der Doku­men­ta­tion eine junge Regie­schü­lerin, die dann bei dessen Tod anfängt zu weinen, wenn sie über Brecht nachdenkt und die Weigel tröstet sie und sagt: »Wein doch nicht, du hast ihn doch noch wenigs­tens erlebt und dann sagt sie dann: Ja, da konnt ich dann traurig sein, ohne zu weinen. Wie die das sagen wie die einen da rein ziehen wie man da mitgehen kann. Das ist eine Stimmung, die muss man im Gespräch herstellen, und dann sind das genauso authen­ti­sche Bilder, wie wenn Schau­spieler spielen und sehr authen­tisch uns in die Geschichte reinholen, und das dann zu montieren an der richtigen Stelle, den Zusam­men­stoß machen zwischen Doku und Spiel, und was drittes Neues, was beide nicht alleine hätten, entsteht im Kopf der Zuschauer. Das ist das Geheimnis der poeti­schen Montage, die nicht gefällig sein darf. Man kann diese Methode schnell nach­ma­chen. Es ist übrigens ne sehr gefähr­liche Methode. Man kann auch ziemlich viel Unsinn damit anstellen, gerade wenn wir hier über ›Fake‹ reden. Das braucht ne gewisse mora­li­sche Inte­grität für den der es macht.«

artechock: Bleiben wir bei den Inter­views. Mir ist aufge­fallen, dass Sie das im Film ganz klein halten. Wie entgeht man der Verfüh­rung, dass da jemand ganz toll erzählt, und schon ist man aus dem Spielfilm raus. Das ist immer so klein und kurz gehalten, dass es sich fügt.

Breloer: Dass es sich fügt. Das ist das richtige Wort: dass es sich fügt. In einem Kunstwerk fügen sich ja auch die Worte und Geschichten, und wenn ich dann im Schnei­de­raum sitze und mir die Stelle angucke. Wenn dann alles stimmt und klingt. Man sieht das ja und sagt: So kann man das erzählen. Der Zuschauer hat die Anschauung. Er hat die Authen­ti­zität, die Origi­na­lität der Person und kann sich die Person jetzt ganz anders vorstellen. Nicht nur das Spielbild der schönen Mala Emde, sondern auch der Charakter dieser sehr lebens­mu­tigen sehr starken Frau, die Brecht überlebt hat, denn Brecht musste man erst einmal überleben, glaub ich, das war ein starker Eingriff in ihr Leben. Sie ist dann mit dem Kind nicht mehr Lehrerin geworden. Sie musste von der Schule in ein ganz anderes Leben wurde ange­feindet.

artechock: Jetzt gibt es aber noch dieses Gefundene, „Found Footage“, dieses aufge­fun­dene Material. Woher kommt das? Aus Archiven?

Breloer: Ich hab ja eher als Lite­ra­tur­de­tektiv ange­fangen, und das hat mir ja Spaß gemacht, in die Dichter hinein­zu­fahren, sie zu besuchen, sie zu befragen. Wenn ich Hinweise habe, dann könnte man Material finden. Dann fahr ich nach Amsterdam und treffe Leute, von denen ich weiß, die haben Film­ma­te­rial. Das hat noch keiner gesehen. Dann find ich auch Helfer. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen ausmalen. Weil ich das noch vermit­teln möchte, wenn ich was finde, übergebe ich das der Öffent­lich­keit. Alle Inter­views gebe ich ja norma­ler­weise heraus oder sie kommen in die Kine­ma­thek, so dass diese letzte Reise zu all den Leuten, die Brecht gekannt haben und die jetzt schon alle tot sind nach den Inter­views, aufge­hoben sind. Wir wären froh, über Goethe so eine Sammlung von Inter­views zu haben, nicht nur den Eckermann, und da hab ich dann gefunden, dass es Filme gibt von seiner Geliebten, die Doku­mas­sage gelernt hat – die Brecht in London kennen gelernt hat – das war gleich ein Liebes­ver­hältnis – die auch aufge­schrieben, aber auch auf Tonband ihr Leben gespro­chen hat, was ein eigener Film wäre, eine Jüdin, die sehr liberal und den Männern gut war. Brecht geht mit ihr ins Kino, guckt sich Chaplin an, hat sein kleines Fläsch­chen Wermut – wie Thomas Mann – dabei, trinkt einen kleinen Schluck, lacht sich über Chaplin tot und am Ende war man im Bett. Sie erzählt, dass sie ihre Abtrei­bung selbst gemacht hat. Ideal sagt er, darüber müsste man ein Buch schreiben: Sie als Frau machen das selber, sozusagen ohne die Männer damit zu beläs­tigen. So erzählt sie das, sie kommt dann später – sie hat ein gran­dioses Leben – als Frau eines hollän­di­schen Arztes nach China, kommt da ins Konzen­tra­ti­ons­lager, kommt dann nach Amerika, in Hollywood massiert sie die Stars John Ford und andere, fährt mit ihrem kleinen Auto in Hollywood rum, und Brecht holt sie dann ans Berliner Ensemble und dort ist sie unter anderem nicht nur die Masseurin für Brecht, auch seine Geliebte. Das weiß die Weigel wahr­schein­lich oder auch nicht und wird dann die Geliebte von der Hurwitz. Alleine diese Geschichten. Das wäre ein Film für sich. Man will das wissen, man geht hinterher und dann bleibt ein kleines Bild über, im Doku­men­tar­film zeig ich sie und erkläre wie sie gefilmt hat. Man sieht, dass sie die Mutter Courage gefilmt hat, hat noch keiner gesehen, wir zeigen jetzt die ersten Bilder. Es gibt ja von Brecht nur ganz wenig. Sie hat gefilmt, wenn er über den Hof kommt mit seinem Hund, wie Thomas Mann, ein Schä­fer­hund. Wie er scheu ist und lächelt, weil er sieht: Seine Familie sitzt dort links und die Geliebte hat die Kamera auf ihn, jetzt hat sie ihn mal wieder erwischt und er wollte das gar nicht. Es ist ein großes Geflecht über die Jahre, und dann kommt eine Verdich­tung heraus und leider nur zwei Mal 90 Minuten. In der aber was drin ist.

artechock: Inter­es­san­ter­weise haben Sie sich den großen drama­ti­schen Augen­bli­cken verwei­gert. Es gibt ja im ersten Teil im Grunde den großen Höhepunkt. Die Drei­gro­schen­oper wird zum Erfolg. Da hätte jeder Holly­wood­re­gis­seur richtig Gas gegeben. Im zweiten Teil ist es der Arbei­ter­auf­stand am 17. Juni 1953 und wie verhält er sich dazu als drama­ti­schem Ereignis. Das kommt alles bei ihnen vor, sehr diffe­ren­ziert vor, aber es ist eingewebt gar nicht so ein Ausschlag, Das fand ich jetzt ziemlich revo­lu­ti­onär, weil das sich diesem Skan­da­lismus des Jour­na­lismus verwei­gert.

Breloer: Das spricht mir voll­kommen aus der Seele. Weil ich das genauso machen wollte. Brechts Drei­gro­schen­oper war ein Nebenwerk so wie bei Galilei dieses Fernglas, damit man die Schiffe früher sehen konnte, das nützlich war, was er dann verkaufen konnte. Das Hauptwerk war natürlich der Erdschatten auf dem Mond, das neue Weltbild und Brecht ist ja dann sofort wieder zurück gekehrt zu den ernsten Fragen der Zeit mit der Mutter und so, und in der beglei­tenden Doku­men­ta­tion taucht dann der 17. Juni noch anders beleuchtet auf, wie er vor der entschei­denden Frage steht: das Wort heißt Entfrem­dung, er ist enttäuscht. Jetzt steht er da. Er hat den Glauben an den »guten Arbeiter«, an den guten Kommu­nisten. Das ist im Klas­sen­kampf­mo­dell ganz wichtig, dass es das wirklich gibt und dieser Staat mit diesen Leuten was anstellen könnte, eine neue Gesell­schaft, die Strahl­kraft hat. Wie kann ich die versöhnen mit dieser Regierung, die das nicht machen will. Von denen er sich wünscht – in dem Huldi­gungs­brief – dass sie die Gespräche führen. Die auch angekün­digt werden. Die finden aber im Gefängnis statt. Da wird geprügelt, da wird gefoltert. Das haben wir von dem Pohl alles gesehen. Wir haben ja nur Teile davon gebracht wie der kirre gemacht wurde. Da sieht man es deut­li­cher wie er daran nagt und dann die »Buckower Elegien« noch einmal aufruft mit dem Sinn nach Harmonie, was er gewünscht hat, dass die Gesell­schaft, die Indi­vi­duen sich gegen­seitig in Produk­ti­vität versetzen. Der Gleich­klang der zwei Ruderer unter seinem Fenster, da hat er das Gedicht »Gleich­klang« geschrieben oder »Böser Morgen« oder der Rauch über dem Haus, da hatte er seiner Geliebten Reichel ein Haus gebaut. Das tröstet ihn, dass er da hingehen kann. Da wäre dann mehr zu erzählen gewesen. Aber seine Haltung, seine Nervo­sität, auch sein Oppor­tu­nismus wird an der Stelle mit dem 17. Juni ein bisschen deut­li­cher. Weil: Er wollte das Theater haben und bekam es auch. Aber es war – das beschreiben wir dann auch – ein »vergif­tetes Geschenk«. Besser, schreibt der Girmes, der Brecht quasi als Stasimann geschickt wird, um politisch mit ihm zu arbeiten, mit Brecht politisch arbeiten. Wir müssen nicht allzuviel nach hinten gucken. Sagt er. Und Brecht sagt: »Nicht immer nach vorne gucken«. Wir müssen mal zurück gucken: woher kommt der Faschismus? Er wollte ja im Moment der größten Nieder­lage zurück gehen an den Kern, und das war die deutsche Misere wie dieses Land gewachsen ist. Das hat mir deshalb so gefallen, das jetzt zu hören, weil diese Erre­gungs­muster mit denen jede Werbung anfängt – »trara – trara die Wäsche von der Wiese ist da«. Jede Sendung und jeder Doku­men­tar­film, auch Spiel­filme fangen damit an: entweder gebumst, man fährt auf die Tür zu oder die Pistole ist groß im Bild.

Das sind die Haupt­bilder, die am Ende kommen und man wird’s nicht glauben. Ich musste mich wehren dagegen, gegen diesen drin­genden Wunsch mit der Drei­gro­schen­oper anzu­fangen. Abwehren. Ich hab immer wieder gesagt: ich mache das nicht, ich mach das nicht. Dann verlierst du eine Million Zuschauer. Ich mach es deshalb nicht, weil Brecht muss aus dem Nichts heraus sagen: »Ich komm gleich nach Goethe« in den ersten drei Minuten.

artechock: Durch den ganzen Film ziehen sich als Leitmotiv die Schub­laden, in die Brecht wichtige Dinge legt, Geheim­nisse auch.

Breloer: Der Vogt, der Assistent, der ja lange Wochen immer alleine ins einer Wohnung in Berlin gesessen hat, der durfte diese Schub­laden aufziehen. In einer versteckten Schublade waren die Liebes­briefe, die Arbeiten am kommu­nis­ti­schen Manifest in Versen. Die Grundlage seiner Welt­an­schauung. Man muss es immer wieder sagen, denn wir erleben so ne Art Verein­fa­chung: also Brecht war gar kein Kommunist: schöne Gedichte, den Rest vergesst ihn. So wird es ja jetzt überall erzählt: Macht Euch keine Sorgen über den Kommu­nismus . Völlig falsches Bild. Sein Weltbild war höchst diffe­ren­ziert als Marxist nicht als „Murkzist“ wie die Staats­füh­rung. Also diese Schub­laden hat’s gegeben. Es lief ja alles auf eine andere Schublade auch zu, nämlich die von Galilei. Galilei war verur­teilt worden. Er sollte sein neues Weltbild wider­rufen, das gesell­schafts­kri­tisch war, das die Welt hätte verändern können. Es gefällt Brecht, das so zu erzählen, weil er das fest gefügte Bild des Mittel­al­ters beschreibt: Gott hat in den Mittel­punkt der Welt Rom gesetzt. Die Erde ist der Mittel­punkt des Weltalls. Und die Menschen haben ihre Stellen und keiner darf von dieser Stelle weg. Das ist Gottes Wille, der Arbeiter muss arbeiten. Der Müller muss müllern. Und der König und der Papst die müssen alle regieren. Galilei hat heimlich in den Nächten, während er quasi im kleri­kalen Gefängnis saß, unter Beob­ach­tung von Altmön­chen bei Mondlicht seine Discorsi weiter aufge­schrieben. Und Brecht? Was er als befrei­endes Moment den Arbeitern nicht gegeben hat, hat er aber nachts aufge­schrieben. Brecht nun in einer Szene, die ich gedreht habe, ich weiß dass er diese Schall­platte hatte: Laughton, der den Galilei spielte in New York, sprach auf Wunsch von Berlau und Brecht in Schall­plat­ten­stu­dios, da konnte man auf eine Platte sprechen die Szene mit einem anderen Schau­spieler spielte er – ich hab das hier in Englisch – Brecht konnte das dann abhören und hat kontrol­liert, wie er spielte. Diese Platte hört er noch mal ab. Neher ist bei ihm und da kommen diese Sätze vor: »Ich war mächtiger in meiner Zeit als ich gedacht hab. Ich hätte gar nicht nachgeben müssen. Ich habe den Leuten mein Gewissen gegeben damit sie tun was sie wollten«, soundso und nach einem Seufzer von Charles Laughton sehen wir Brechts Gesicht: I betrayed my profes­sion. – ich habe meinen Beruf verraten, und dann sagt Tragelin, der ja neben ihm saß bei den Proben: diese Verur­tei­lung Galileis muss man immer wieder neu vorlegen, und Galilei spricht, sagt Tragelin, und bewegt sich wie Brecht. Wusste Brecht, dass er auch was über sich sagt? Dass er durch einen Teil seiner Kompro­misse den Beruf verraten hat, denn ein Schüler Galileis sagt kurz zuvor: »besser die Hände befleckt als leer«. Typischer Brecht-Satz. Brecht und Partei­linie ging nicht und daher diese Schublade. Der Galilei zieht sie aus dem Globus. Brecht sagt auch: »Wir sind Seil­tänzer. Wir brauchen das Seil um drauf zu tanzen und wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht mal dran aufgehängt werden.«