John Boorman gehört zu dieser besonderen Gattung von Regisseuren,
die man einerseits nicht zu den Autoren mit einer eigenen
dezidierten Handschrift zählen kann, die aber andererseits
auch keine gängige Mainstream-Ware nach Auftrag abliefern.
Für seinen letzten Film erhielt Boorman bereits 1998 in Cannes
den Preis für die beste Regie. Jetzt kommt THE
GENERAL auch in die deutschen Kinos. Rüdiger Suchsland sprach
mit John Boorman.
Artechock: Ich mochte die Musik in Ihrem Film
sehr gerne. Vielleicht können Sie zu Beginn etwas über Ihre
Überlegungen erzählen.
Boorman: Von den frühesten Anfängen an dachte ich an Van
Morrison. Denn wenn der ein Krimineller geworden wäre, wäre er ein
Martin Cahill geworden – und umgekehrt. Van Morrison war darüber
nicht so glücklich, als ich ihm das erzählte. Ich wollte
unbedingt Jazz-Musik für THE GENERAL, denn ich wollte, daß der Film
wie eine Reise in die US-amerikanischen Gangsterfilme wirkt, daß er
ein Genre-Feeling bekommt. Und auf keinen Fall wollte ich,
bloß weil der Film in Irland spielt, irgendeine Art von dieser
Diddle-diddle-Musik.
Wie kamen Sie auf das Thema?
1981, da wurde ich selbst Opfer von Cahills Einbrüchen. Er hatte
einen sehr guten Geschmack, viel Gefühl für Antiquitäten, obwohl er
ungebildet war. [LACHT] Die Polizei wußte schon damals, daß er das
war, aber sie konnten ihn nicht fassen, weil sie keine Beweise
hatten. Mich hat diese Figur fasziniert. Aber ich konnte den Film
erst machen, nachdem man Cahill ermordet hatte, denn bis dahin war
er wegen keines Verbrechens verurteilt worden. Er hätte mich
verklagen können.
Wie kam Cahill dazu, kriminell zu werden?
Durch den Background, den ich im Film zeige. Er kam aus asozialen
Verhältnissen, und hatte den Eindruck, daß er und seine Familie von
der Gesellschaft zurückgewiesen würden. Also wies er die
Gesellschaft zurück. Das war die Motivation. Seine größte
Befriedigung war, die Polizei zu verarschen.
Was für eine Art Held ist Cahill?
Was mich anzog war, daß er eine typisch irische Figur war. Man
findet diesen Typ in de gesamten irischen Geschichte. Irland wurde
nicht nur von den Briten kolonisiert, sondern ebenso durch die
Kirche. Die Kirche war eine sehr unterdrückende Gewalt. Und dies
erzeugt diese Rebellen, die plötzlich auftauchen, wie aus dem
kollektiven Unterbewußtsein. Sie alle haben ähnliche Charaktere,
eine ähnliche Brutalität, sie fühlen sich gegen die ganze
Gesellschaft gestellt, und werden alle irgendwann getötet.
Cahill schien da in einer Art Tradition zu stehen. Darum glaube ich
sympathisierten die Leute mit ihm, bewunderten ihn – da ist eine
spezielle Bewunderung für den Rebell in der irischen
Gesellschaft. und er hat sich ja an die Tradition gehalten: Er
wurde angeschossen und getötet.
Warum geht das in Irland immer so weiter?
Das ist natürlich kompliziert, immens kompliziert. Aber es hat zu
tun mit dem verborgenen bäulerichen, ländlichen Element in Irland,
unter der Oberfläche. Was Sie in Irland in jedem Fall haben: Die
fernen Relikte der keltischen Welt. Die gab es in ganz Europa, und
jetzt ist sie fast verschwunden, umzingelt, wie ein wildes Tier,
und darum gefährlich. Das wurde nie gelöst, nur unterdrückt. In
Irland sieht man die Reste dieses Konflikts, der eigentlich schon
2000 Jahre existiert.
Sie sprechen von Gefahren. Dazu gehört doch
auch die nordirische IRA. Viele sehen sie in Irland als Helden an.
Ihr Film streift dieses Thema auch.
Ja, sie sehen sich selbst als Teil dieses 800 Jahre alten Kampfes
gegen die britische Besatzung. Aber das ist ebenfalls sehr
kompliziert, denn die IRA ist inzwischen zu einer Art Mafia
geworden. Ich versuchte das im Film zu zeigen. Sie arbeiten mit
Kriminellen zusammen, nehmen Schutzgelder, handeln mit Drogen. Sie
sind solche Heuchler: Öffentlich bestrafen sie Drogenhändler, was
ihnen einen sehr noblen Anstrich gibt. Aber faktisch schalten sie
nur ihre Konkurrenten und Gegner aus.
Während sie den Film drehten, wurde bereits
über den Frieden in Nordirland verhandelt. Hat das Ihre Arbeit
beeinflußt? war die Atmosphäre relaxter?
Nun, Cahill wurde von der IRA ermordet, 1994 am letzten Tag vor
dem ersten Waffenstillstand. Das war das letzte, was sie noch
taten. Sie wollten ihn wirklich kriegen. Ich war ziemlich
nervös, als ich den Film begann. Schließlich geht es um die Rolle
der IRA und der Kirche. Aber es gab keine Belästigungen. Man hat
uns nie bedroht. Wir dachten, das würde in jedem Fall geschehen.
Bestimmt wollte die IRA damals gut aussehen, als Engel
erscheinen.
Martin Cahill lebt ein extremes Leben. In
vielen Ihrer Filme gibt es solche Helden. Ist er eine typische
John Boorman-Figur.
Charaktere, die in Opposition zu Natur und Gesellschaft stehen,
die in irgendeiner Form allein stehen, faszinieren mich sehr. Sie
stellen die Gesellschaft bloß. Ja, Cahill paßt da sehr gut rein.
Er ist eine sehr attraktrive Figur. Es liegt etwas Heroisches
in jedem, der ganz allein gegen die Gesellschaft steht. Er ist
unzerstörbar. Es interessiert mich, wie sich Menschen in ihren
Extremen benehmen. Sie erhöhen sich in gewissem Sinn.
Fast alle Filme, die in Irland spielen, zeigen
ein Klischee: saftige grüne Wiesen, fröhliche, angenehme Menschen
mit rooten Haaren. Ist ihre Irland-Bild auch ein Protest gegen das
Irish-Tourist-Board?
Ja, absolut. Ich wollte nichts davon. THE COMMITMENTS war ein
Film, der das urbane Irland gezeigt hat, aber auch wieder
romantisierend. Ich wollte Urbanität ohne diesen Kitsch.
Darum haben Sie auch in Schwarz-Weiß
gedreht?
Ja, ich habe unabhängig produziert, also hat mir niemand
abgeraten. Ich wollte keine zeitgenössen Farben, die verabscheue
ich. Und weil THE GENERAL von erst kurz zurückliegenden Ereignissen
handelt, und von Menschen, die noch leben, wählte ich Schwarz-Weiß,
um eine Distanz zu schaffen. Paradoxerweise bringt Schwarz-Weiß die
Dinge näher. Wie in Schwarzweiß-Photographien: Alles wirkt
zwingender und berührt einen mehr, wenn man die Farbe rausnimmt –
wie eine Paralellwelt. Farbe im Film ist ein schreckliches
Problem. Wenn man auf Armut schaut, dann verniedlicht Farbe immer,
sie schafft Glamour. Dies wollte ich nicht.
Schwarz-Weiß romantisiert aber doch auch. Es
gibt den Dingen einen nostalgischen Look.
Ja, Schwarz-Weiß repräsentiert die Vergangenheit. Aber warum
nostalgisch?
Naja, historische Filmaufnahmen, und die
natürlich alte Fime: Die Gangsterfilme der 40er. Farbe wurde
ja gerade entwickelt, um "realistischer" zu sein?
Sehen Sie: Realismus ist das Unmögliche. Ja, Film ist nicht das
Leben, er ist eine Metapher. Je weiter weg man von der Realität
geht, um so mehr kann die Metapher zum Leben gebracht werden.
Besonders wenn man heute die ersten Technicolor-Filme ansieht,
diese schrecklich übertriebenen Farben. Wenn Sie irgendetwas
Irreales suchen, dann finden Sie es hier. Und Farbe schafft
viele technische Probleme, die ich hier nicht ausbreiten will, weil
es zu langweilig wird. Aber wenn Sie zwei Einstellungen
zusammenschneiden, und sich die Farben dabei verändern, dann
braucht hat das Auge ein Problem damit, richtig zu sehen, man
bekommt ein Flimmern – das ist ermüdend anzusehen. Aber die meisten
merken es nicht bewußt. Darum gibt es viele ernsthafte
Anstrengungen, diese Probleme zu vermeiden, indem man eine sehr
enge Farbpalette verwendet: SEVEN ist ein Beispiel. Da wird Farbe
nachträglich wieder herausgenommen, um Konsistenz zu schaffen.
Die perfekte Antwort ist: Alle Filme sollten Schwarz-Weiß sein.
Aber kommerziell ist Schwarz-Weiß fast
Selbstmord.
In Irland haben viele gar nicht gemerkt, daß es in Schwar-Weiß
war. Aber es gibt diesen Widerstand, überhaupt hineinzugehen.
Wie war die Reaktion in Irland auf die
Geschichte?
Nun, eines von Cahills Opfern hat viele Interviews gegeben, und
gesagt, es sei eine Schande, daß über den Typ jetzt ein Film
gemacht wird. Aber ich glaube ich habe ein ehrliches, akurates Bild
gezeigt: Seine Brutalität nicht verschwiegen. Der Film ist in
einer Zeit herausgekommen, die für Irland sehr schwierig war: Die
Kirche ist in totaler Auflösung, da sind mehr Priester im
Gefängnis, als in den Klöstern. Die Politiker sind korrupt, das
ganze Land ist im Umbruch.
Also sind die Gangstergeschäfte eine Metapher
für Irland?
Sehr stark. Ich lebe seit 30 Jahren in Irland, und mag es auch,
aber trotzdem.
Mir kommt es so vor, daß Sie in vielen Ihrer
Filme eine Art Brücke zwischen Europa und den USA gebaut haben.
THE GENERAL ist ein amerikanischer Gangster-Movie, der in Irland
spielt. Stimmen Sie dem Eindruck zu?
Ich denke, Film macht das immer. Wir sind alle vom US-Film
beeinflußt. Wir sind Teil einer Tradition, wir antworten auf sie,
fordern sie heraus, setzen sie fort. Das ist unsere Geschichte.
Jeder Film hat diese Verbindung. Das Schöne am Cinema ist: Film ist
viel mehr wie ein Gedicht, als wie eine Novelle. Er funktioniert
metaphorisch, was man wegläßt ist ebenso wichtig, wie das, was man
hineintut. Wenn man auf das Wissen des Publikums zählen kann, hilft
einem das enorm. Und das tue ich in THE GENERAL. Ich verbinde ihn
mit der Geschichte des Publikums.
Kürzlich gab es ein Remake eines Ihrer Filme:
PAYBACK, nach Ihrem ilm POINT BLANK. Wie fanden Sie ihn?
Ich habe ihn nicht gesehen. Man hat mir das Script gesendet, ich
habe es gelesen, und fand es ziemlich seicht und au eine Art
punktlos. Es hatte kein Ziel. Was man da gemacht hat: Man nahm die
Oberfläche und hat alles entfernt, was wichtig ist. Ich
erzähle Ihnen dazu eine Geschichte: Als ich Lee Marvin zum ersten
Mal traf – er drehte gerade in London THE DIRTY DOZEN – gab es ein
Script, das man mir und Lee geschickt hatte. Er fragte: Wie findest
Du es? und ich antwortete: Fürchterlich, langweilig. Er stimmte zu.
Also worüber reden wir überhaupt: Ich sagte, der Charakter ist
fazinierend, man kann etwas draus machen. Wir haben uns ein paarmal
getroffen, und ich entwickelte ein Script, daß dem entsprach, was
ich im Sinn hatte. Ihm gefiel das gar nicht. Und eines Tages saßen
wir da, und er sagte: "Ok, ich mache den Film unter einer
Bedingung". Und er nahm das Script, und warf es aus dem Fenster.
Und da muß ein junger Mel Gibson vorbeigelaufen sein, und es von
der Straße aufgelesen haben. Denn es ist überraschend, wie sehr das
schreckliche Script von PAYBACK dem entsprach, was am Anfang von
POINT BLANK stand.
Woran arbeiten Sie gerade?
Es gibt da ein paar Projekte, aber ich finde es viel klüger,
nicht darüber zu reden. Denn oft wird nichts daraus.
Nach THE GENERAL schrieben US-Zeitungen:
"Boorman is back on the Top". Wo waren Sie denn davor?
Auf dem Boden vermutlich [LACHT]. Wissen Sie: In Hollywood gibt
es keine Geschichte. Nur die Ergebnisse des letzten Wochenendes.
Die haben wahrscheinlich gedacht, ich sei tot, und waren
überrascht, das ich noch lebe.
Gibt es denn irgendwelche Filme, die Ihnen aus
dem heutigen Hollywood gefallen ? Sie haben SEVEN erwähnt. Oder
ist die Tendenz zur Seichtheit allgemein?
SEVEN war ein interessanter Film. Ich mag auch die Coen-Brüder.
Es gibt ein paar wie sie, die innerhalb des Systems unabhängig
bleiben und gute Arbeit machen. Aber es gibt wenig im Mainstream,
das ich interessant finde. MATRIX war faszinierend. Leider hatte er
nicht wirklich die Resonanz von BLADE RUNNER, obwohl er ein
ähnliches Thema hatte. Aber es war ein faszinierendes Gedicht über
Form und Technik.
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