Von Dichtern, Tieren und Menschen |
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| Kinematographisches Nature-Writing: Monólogo colectivo von Jessica Sarah Rinland | ||
| (Foto: LAFITA 2025) | ||
Es gibt dieses Jahr keinen thematischen Länderfokus: Kolumbien, Ecuador, Peru, Chile, Argentinien, Brasilien – unter anderem aus diesen Ländern speist sich das an Sujets und Formen vielfältige Programm aus Kurz- und Langfilmen, aus Dokumentationen, Spielfilmen und diversen Formaten dazwischen.
Einige davon in deutscher oder Münchner Erstaufführung, einige Vorführungen bieten die Möglichkeit, Filme nachzuholen, aufzufrischen oder in neuem Kontext anders zu sehen. Wer den absurden Existentialismus in El jockey von Luis Ortega aus Argentinien bei seinem regulären Kinostart versäumt hat, kann das hier in Form von Cinema expanded nachholen: im Import-Export (Sa, 29.11., 19:00) wird der rasante Film nach dem Abspann in ein Konzert mit psychedelischem Cumbia der Band Los Babriks und dann in eine Party übergehen.
Auch dem hochgehandelten O Agente Secreto von Kleber Mendonça Filho (Sa, 29.11., 20:00, Projektor, Gasteig HP8) kann man in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Dokumentarfilms aus Brasilien wie Boalândia (eine brasilianisch-deutsche Koproduktion) von den Münchner Lokalmatadoren Patrik Thomas und Mathias Reitz Zausinger neue Facetten abgewinnen (So 30.11., 15:00, Projektor, Gasteig HP8, die Filmemacher sind anwesend).
Eröffnet wurde mit dem kolumbianischen Film Un poeta von Simón Mesa Soto, der wahrhaft abgründigen Tragikomödie eines lächerlichen Mannes. Der in Medellín lebende Poet Oscar Restrepo hat den Ruhm seines fulminanten ersten Gedichtbandes mittlerweile aufgezehrt und droht als vom Alkoholismus bedrohtes Wrack unterzugehen. Per Zufall entdeckt er als Aushilfslehrer in der Schülerin Yurlady eine talentierte Dichterin. In der Teenagerin aus sozial benachteiligten Verhältnissen entzündet sich ihm der Funke der Poesie, deren Nimbus in Kolumbien und in Lateinamerika insgesamt seit dem bewunderten Rubén Darío und dem von ihm initiierten modernismo immer noch unvorstellbar groß ist. Oscar unternimmt es, Yurlady in den poesieversessenen Literaturbetrieb zu vermitteln. Bei den daraus erfolgenden Verirrungen gelangt man mit Oscar in die peinlichsten Situationen, in denen das Lächerliche immer wieder in bitteren Ernst umschlägt.
Das nervös die soziale Wirklichkeit registrierende 16mm-Material dieses Films knüpft mit seiner Tonalität an die politische Dringlichkeit der Aufbruchsphase des lateinamerikanischen Dritten Kinos in den 1960er Jahren an. Die Utopien und Illusionen, die man mit der politischen Dimension der Poesie und der poetischen Kraft der Politik verband, befeuern dabei viele der Filme der diesjährigen Ausgabe.
Besonders aufregend wird es dabei in den Filmen, die als Grenzgänger zwischen den Genres und Formaten unterwegs sind.
So kombiniert Algo viejo, algo nuevo, algo prestado von Hernán Rosselli (28.11., 18:00, Projektor, Gasteig HP8) Found-footage-Material von Homevideos und Überwachungskameras mit fiktionalen Szenen, um von einem semikriminellen Familienclan in einem Vorort von Buenos Aires zu erzählen, der den ökonomischen Widrigkeiten mit filmreifer Kreativität zu begegnen versucht. Die eigenwillige Mischung aus Dokumentation und Erfindung gibt diesem hybriden Film das Gepräge einer trügerischen Authentizität.
Ausgesprochen experimentelle Züge bekommt der Umgang mit diversen Materialen in einem poetischen Filmessay aus Peru. La memoria de las mariposas von Tatiana Fuentes Sadowski (Do 27.11., 18:30, Werkstattkino) hatte auf dem Forum der diesjährigen Berlinale Weltpremiere und wurde dort ausgezeichnet mit dem Preis der Fipresci.
Der Film begibt sich auf die Spuren eines Genozids im peruanischen Amazonasgebiet. Die Familie der Regisseurin hat Wurzeln bei den Kautschuk-Baronen, deren brutale Exploitation indigene Stämme am Putumayo in Peru und Brasilien bei der Rohstoff-Gewinnung für Gummi auslöschte. Huitoto, Andoque, Ocaina, Nonuya, so ertönen die Namen der Ethnien beschwörend zu den faszinierend flackernden Bildern aus dem Regenwald. Die Regisseurin montiert Archivmaterial mit sichtlichen Verschleißspuren (etwa von dem Portugiesen Silvino Santos, der in den 1920er Jahren am Amazonas anthropologische Dokumentationen erstellte). Diese Aufnahmen kombiniert sie mit selbst gedrehtem und verfremdetem Super8-Schwarz-Weiß zu einem eindringlichen Filmessay, der das Untilgbare kolonialer Gewalt dem filmischen Material förmlich einprägt.
An die Grenzen der menschlichen Art begibt sich schließlich die argentinisch-englische Künstlerin Jessica Sarah Rinland, die in vielen Kurzfilmen schon länger, meist auf 16mm, eine Art kinematographisches Nature-Writing praktiziert. In ihrem jüngsten und bislang längsten Film Monólogo colectivo (Fr 28.11., 21:00, Werkstattkino) widmet sie sich dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch innerhalb institutionaliserter Einrichtungen wie Tierparks und Naturreservaten. Ausgehend von Aufnahmen im ehemaligen städtischen Zoo von Buenos Aires erkundet sie das Zusammenwirken von Tierpfleger*innen und den ihnen anvertrauten Wesen und dokumentiert dabei das Zustandekommen eines gleichberechtigten Verhältnisses zwischen den beteiligten Akteuren. Rinland entwickelt in der Schilderung der Mensch-Tier-Kommunikation eine spezifische Zärtlichkeit, die sich auch der Sensibilität des filmischen Analog-Materials verdankt. Angereichert mit Aufnahmen aus anderen Quellen, entwickelt sich ihr Film darüber hinaus zu einer Abhandlung über verschiedene historische Formen, mit Tieren in Zoos und anderen Anstalten umzugehen.