27.11.2025

Von Dichtern, Tieren und Menschen

Monólogo colectivo
Kinematographisches Nature-Writing: Monólogo colectivo von Jessica Sarah Rinland
(Foto: LAFITA 2025)

LAFITA 2025 führt ein weiteres Mal lateinamerikanisches Kino in seiner kreativen Vielfalt vor: zwischen Poesie und Experiment, Fiktion und Dokumentation, Engagement und Unterhaltung bietet auch die diesjährige Ausgabe dabei wieder Gelegenheit, vielen der Filmschaffenden direkt zu begegnen

Von Wolfgang Lasinger

Es gibt dieses Jahr keinen thema­ti­schen Länder­fokus: Kolumbien, Ecuador, Peru, Chile, Argen­ti­nien, Brasilien – unter anderem aus diesen Ländern speist sich das an Sujets und Formen viel­fäl­tige Programm aus Kurz- und Lang­filmen, aus Doku­men­ta­tionen, Spiel­filmen und diversen Formaten dazwi­schen.

Einige davon in deutscher oder Münchner Erst­auf­füh­rung, einige Vorfüh­rungen bieten die Möglich­keit, Filme nach­zu­holen, aufzu­fri­schen oder in neuem Kontext anders zu sehen. Wer den absurden Exis­ten­tia­lismus in El jockey von Luis Ortega aus Argen­ti­nien bei seinem regulären Kinostart versäumt hat, kann das hier in Form von Cinema expanded nachholen: im Import-Export (Sa, 29.11., 19:00) wird der rasante Film nach dem Abspann in ein Konzert mit psyche­de­li­schem Cumbia der Band Los Babriks und dann in eine Party übergehen.

Auch dem hoch­ge­han­delten O Agente Secreto von Kleber Mendonça Filho (Sa, 29.11., 20:00, Projektor, Gasteig HP8) kann man in der unmit­tel­baren Nach­bar­schaft eines Doku­men­tar­films aus Brasilien wie Boalândia (eine brasi­lia­nisch-deutsche Kopro­duk­tion) von den Münchner Lokal­ma­ta­doren Patrik Thomas und Mathias Reitz Zausinger neue Facetten abge­winnen (So 30.11., 15:00, Projektor, Gasteig HP8, die Filme­ma­cher sind anwesend).

Eröffnet wurde mit dem kolum­bia­ni­schen Film Un poeta von Simón Mesa Soto, der wahrhaft abgrün­digen Tragi­komödie eines lächer­li­chen Mannes. Der in Medellín lebende Poet Oscar Restrepo hat den Ruhm seines fulmi­nanten ersten Gedicht­bandes mitt­ler­weile aufge­zehrt und droht als vom Alko­ho­lismus bedrohtes Wrack unter­zu­gehen. Per Zufall entdeckt er als Aushilfs­lehrer in der Schülerin Yurlady eine talen­tierte Dichterin. In der Teen­agerin aus sozial benach­tei­ligten Verhält­nissen entzündet sich ihm der Funke der Poesie, deren Nimbus in Kolumbien und in Latein­ame­rika insgesamt seit dem bewun­derten Rubén Darío und dem von ihm initi­ierten moder­nismo immer noch unvor­stellbar groß ist. Oscar unter­nimmt es, Yurlady in den poesie­ver­ses­senen Lite­ra­tur­be­trieb zu vermit­teln. Bei den daraus erfol­genden Verir­rungen gelangt man mit Oscar in die pein­lichsten Situa­tionen, in denen das Lächer­liche immer wieder in bitteren Ernst umschlägt.

Das nervös die soziale Wirk­lich­keit regis­trie­rende 16mm-Material dieses Films knüpft mit seiner Tonalität an die poli­ti­sche Dring­lich­keit der Aufbruchs­phase des latein­ame­ri­ka­ni­schen Dritten Kinos in den 1960er Jahren an. Die Utopien und Illu­sionen, die man mit der poli­ti­schen Dimension der Poesie und der poeti­schen Kraft der Politik verband, befeuern dabei viele der Filme der dies­jäh­rigen Ausgabe.

Besonders aufregend wird es dabei in den Filmen, die als Grenz­gänger zwischen den Genres und Formaten unterwegs sind.

So kombi­niert Algo viejo, algo nuevo, algo prestado von Hernán Rosselli (28.11., 18:00, Projektor, Gasteig HP8) Found-footage-Material von Home­vi­deos und Über­wa­chungs­ka­meras mit fiktio­nalen Szenen, um von einem semi­kri­mi­nellen Fami­li­en­clan in einem Vorort von Buenos Aires zu erzählen, der den ökono­mi­schen Widrig­keiten mit film­reifer Krea­ti­vität zu begegnen versucht. Die eigen­wil­lige Mischung aus Doku­men­ta­tion und Erfindung gibt diesem hybriden Film das Gepräge einer trüge­ri­schen Authen­ti­zität.

Ausge­spro­chen expe­ri­men­telle Züge bekommt der Umgang mit diversen Mate­rialen in einem poeti­schen Filmessay aus Peru. La memoria de las mariposas von Tatiana Fuentes Sadowski (Do 27.11., 18:30, Werk­statt­kino) hatte auf dem Forum der dies­jäh­rigen Berlinale Welt­pre­miere und wurde dort ausge­zeichnet mit dem Preis der Fipresci.

Der Film begibt sich auf die Spuren eines Genozids im perua­ni­schen Amazo­nas­ge­biet. Die Familie der Regis­seurin hat Wurzeln bei den Kautschuk-Baronen, deren brutale Exploita­tion indigene Stämme am Putumayo in Peru und Brasilien bei der Rohstoff-Gewinnung für Gummi auslöschte. Huitoto, Andoque, Ocaina, Nonuya, so ertönen die Namen der Ethnien beschwö­rend zu den faszi­nie­rend flackernden Bildern aus dem Regenwald. Die Regis­seurin montiert Archiv­ma­te­rial mit sicht­li­chen Verschleiß­spuren (etwa von dem Portu­giesen Silvino Santos, der in den 1920er Jahren am Amazonas anthro­po­lo­gi­sche Doku­men­ta­tionen erstellte). Diese Aufnahmen kombi­niert sie mit selbst gedrehtem und verfrem­detem Super8-Schwarz-Weiß zu einem eindring­li­chen Filmessay, der das Untilg­bare kolo­nialer Gewalt dem filmi­schen Material förmlich einprägt.

An die Grenzen der mensch­li­chen Art begibt sich schließ­lich die argen­ti­nisch-englische Künst­lerin Jessica Sarah Rinland, die in vielen Kurz­filmen schon länger, meist auf 16mm, eine Art kine­ma­to­gra­phi­sches Nature-Writing prak­ti­ziert. In ihrem jüngsten und bislang längsten Film Monólogo colectivo (Fr 28.11., 21:00, Werk­statt­kino) widmet sie sich dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch innerhalb insti­tu­tio­na­li­serter Einrich­tungen wie Tierparks und Natur­re­ser­vaten. Ausgehend von Aufnahmen im ehema­ligen städ­ti­schen Zoo von Buenos Aires erkundet sie das Zusam­men­wirken von Tier­pfleger*innen und den ihnen anver­trauten Wesen und doku­men­tiert dabei das Zustan­de­kommen eines gleich­be­rech­tigten Verhält­nisses zwischen den betei­ligten Akteuren. Rinland entwi­ckelt in der Schil­de­rung der Mensch-Tier-Kommu­ni­ka­tion eine spezi­fi­sche Zärt­lich­keit, die sich auch der Sensi­bi­lität des filmi­schen Analog-Materials verdankt. Ange­rei­chert mit Aufnahmen aus anderen Quellen, entwi­ckelt sich ihr Film darüber hinaus zu einer Abhand­lung über verschie­dene histo­ri­sche Formen, mit Tieren in Zoos und anderen Anstalten umzugehen.