Cinema Moralia – Folge 365
Filmfestivals als Polit-Zensoren und Aktivisten |
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| Zurück in die Zukunft – die wahre Dystopie fährt im Verbrenner vor | ||
| (Foto: United International Pictures) | ||
»Kultur kostet Geld. ... Substantiell hat die Förderung von Kulturellem nicht weniger eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Haushalte zu sein, als zum Beispiel der Straßenbau, die öffentliche Sicherheit oder die Finanzierung der Gehälter im öffentlichen Dienst. Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich zumeist Subventionen nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeichnen.«
Richard von Weizsäcker, Bundespräsident
Kultur ist bedroht. Durch politische Einflussnahme, durch Selbstzensur, durch Gleichgültigkeit. Ebenso durch den Fundamentalismus der Gutmeinenden (wie der Schlechtermeinenden), die die Weisheit ihrer Filterblasen absolut setzen wollen. Die Streit ersticken, weil sie ihn nicht aushalten (möchten).
Und nicht zuletzt durch den Kapitalismus. Kultur ist ein »weiches Ziel«, das angreifbarer ist als andere, und darum mehr geschützt werden muss.
Kultur ist bedroht.
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»Dafür zahlt keiner 10 Euro Eintritt.« Das sind die bösen Worte mancher Verleiher, die aber vielleicht auch zugleich kühlrealistisch und in diesem Sinn empathisch gegenüber dem Publikum sind. Ich habe sie gehört, als ein Verleiher über die »Themen« »Russland und Ukraine« sprach: »Die Leute sind overdosed, da können sie jeden Tag was im Fernsehen drüber sehen.«
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Ich habe letzte Woche schon über die absurde Filmschwemme in den Kinos geschrieben – die für mich übrigens keineswegs ein Grund ist, wie manche Funktionäre es gern tun, zu fordern: »Wir brauchen weniger deutsche Filme.« Solche Forderungen treffen immer die falschen Filme. Sie sind außerdem zynisch, weil sie vor dem Hintergrund einer Förder- und Ausbildungslandschaft erhoben werden, die diese Filme erst möglich macht. Die immer mehr Filmausbildungsplätze schafft, Filmemacher produziert, die dann um immer kleinere Plätze und »Fleischtöpfe« ringen.
Allein in dieser Startwoche (30.Oktober 2025) starten in Deutschland 26 Filme in den Kinos!
Vollkommen unverständlich für mich ist, wieso es sich bei allein fünf von diesen Filmen um Wiederaufführungen handelt. Wieso muss ausgerechnet in einer Woche, in der sowieso schon 21 neue Filme in die Kinos kommen, auch noch unbedingt ein Film wie The Rocky Horror Picture Show oder Das Schweigen der Lämmer oder Zurück in die Zukunft oder gar Sergio Leones Italo-Western-Doppel Für eine Handvoll Dollar und Für ein paar Dollar mehr gleichzeitig in die Kinos kommen? Wenn auch noch in Leipzig, in Duisburg, in Cottbus und in Mannheim und Heidelberg Festivals stattfinden? Das sind alles schöne Filme, die man auch anschauen sollte. Aber wieso jetzt? Wieso nicht ein paar Wochen früher oder ein paar Wochen später? Geht es um das Weihnachtsgeschäft, geht es darum, die DVDs noch vor Jahresschluss herausbringen zu können, um irgendwelche Fördergelder abzugreifen? Ich kapiere es nicht.
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Alleine im November starten dann weitere 87 Filme. Man muss sich dann nicht wundern, warum die Verleiher kein Geld verdienen. Und damit die Produzenten auch nicht. Damit führt sich auch die Filmförderung ad absurdum.
Es wäre trotzdem falsch zu glauben, dass man nun das Angebot verknappen muss, um die Nachfrage zu stärken. Umgekehrt wäre es nötig, im Prinzip viel mehr Kinos und neue Spielflächen zu schaffen und außerdem neue Formen des Kinobetriebs, des Kartenverkaufs und des Filmverleihs zu fördern. So brauchen wir, um den Kinobesuch attraktiver zu machen, dringend niedrigere Preise und eine bundesweite Kino-Flatrate – weit über die existierende, löbliche, aber immer noch begrenzte,
weil von den deutschen Kinoförderern nicht verstandene Cineville-Idee (die aus den Niederlanden stammt) hinaus.
Oder Kombinationen von alldem.
Das Kino sollte weg von der Tendenz, eine zweite Oper zu werden. Es muss ein Jahrmarkts- und Alltags-Vergnügen sein, das, was man schnell noch mal am Abend für zwei Stunden tut. Man sollte aus Wertschätzung für sich selbst jede Woche mindestens einen Film im Kino sehen.
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Auch wenn manche vermutlich einen anderen Eindruck haben, aber es macht mir überhaupt kein noch so perverses Vergnügen, in den letzten gut zwei Jahren an dieser Stelle so häufig und regelmäßig über den Antisemitismus im deutschen und internationalen Kulturbetrieb zu schreiben, auf Phänomene hinzuweisen, die meiner Ansicht nach entweder entmutigend oder vor allem oft genug schockierend, beschämend oder einfach todtraurig sind, und diese zu kommentieren. Leider komme ich aber nach zwei »Cinema Moralia«-Ausgaben ohne entsprechende Bemerkungen in dieser Woche wieder einmal um das Thema nicht herum.
Anlass ist die IDFA in Amsterdam, das weltweit größte und für viele wichtigste Internationale Dokumentarfilmfestival, das in in zwei Wochen, am 13. November, eröffnet wird.
Wie das US-Branchenmagazin »Variety« jetzt berichtet, sind Vertreter der israelischen Filmbranche, unter anderem der komplett unabhängigen Festivals »DocAviv«, »CoPro« und »Kan« von der IDFA abgelehnt worden. Ihnen wurde vom Festival eine Akkreditierung verweigert.
Die Regisseurin und Produzentin Michal Weits, die seit dem vergangenen Jahr das DocAviv Festival leitet, erklärte gegenüber »Variety«, sie und ihre Kollegen hätten jeweils ein Ablehnungsschreiben erhalten. Darin heiße es, dass ihnen keine Akkreditierung erteilt werde, da sie »mitschuldig am Völkermord« seien – ein Vorwurf, den nicht nur Weits entschieden zurückweist.
»Wir sind keine Diktatur. Wir sind immer noch ein demokratisches Land – nicht wie Russland. Daher
können wir ein unabhängiges Filmfestival veranstalten, selbst wenn wir öffentliche Gelder erhalten.«
Weits verweist darauf, dass DocAviv im Laufe der Jahre viele linke, regierungskritische Dokumentarfilme gezeigt habe. Sie sagte, sie habe zwar eine persönliche Akkreditierung angeboten bekommen, diese aber abgelehnt, um keinen Präzedenzfall zu schaffen – sie halte den Boykott für ungerecht.
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»Alle haben Angst, mit Israel zusammenzuarbeiten. Es ist viel schwieriger geworden, internationale Partner zu finden«, sagt Weits. Aber »Kultur und Film sind die einzigen Wege, miteinander zu kommunizieren. Doch der Boykott will, dass wir isoliert werden und verschwinden.«
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Die IDFA-Direktorin, die in Chile geborene Isabel Arrate Fernández, die das Festival erst seit Kurzem leitet, unterstützt offenbar den Boykott der israelischen Filmindustrie, der im vergangenen Monat von der Aktivisten-Organisation »Film Workers for Palestine« angestoßen und von fast 4.000 Personen aus der Film- und Unterhaltungsbranche unterzeichnet wurde – nicht zuletzt von Angehörigen der Champagner-Linken Hollywoods wie Emma Stone und Joaquin Phoenix, die erklärten, sie würden nicht mit israelischen Filmorganisationen zusammenarbeiten, die »an Kriegsverbrechen in Gaza mitschuldig« seien.
Arrate Fernández erklärte in »Variety«: »In diesem Jahr wurden Organisationen aus Israel, die staatliche Unterstützung erhalten, nicht akkreditiert. Diese Entscheidung wird jedoch im kommenden Jahr überprüft.« Fernández erklärte, die IDFA beurteile »unabhängige Filme und Filmschaffende individuell und fallweise«, und dies gelte auch für institutionelle Anträge.
»Wenn ein Projekt nachweisbare Verbindungen zu Regierungen hat, die schwere Menschenrechtsverletzungen
begehen – etwa durch direkte staatliche Finanzierung –, wird es in der Regel nicht ausgewählt.«
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Dies dürfte Isabel Arrate Fernandez schnell in größere Rechtfertigungsfragen verwickeln. Bereits die Politik von ihrem Vorgänger, dem Dokumentarfilmer und Aktivisten Orwa Nyrabia, einem in Berlin lebenden Syrer, hatte zu massiven Antisemitismus- und Israelfeindschafts-Vorwürfen gegen die IDFA geführt.
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So wird ein renommiertes Filmfestival auf lange Sicht beschädigt. Erste potentielle IDFA-Besucher sagten bereits in privaten Gesprächen auf DOK Leipzig: »Man sollte die IDFA boykottieren!«
Dies alles entspricht leider der unglücklichen Tendenz, dass sich Filmfestivals als Polit-Zensoren und Aktivisten aufspielen, anstatt einfach offene Bühnen für künstlerische und kulturpolitische Auseinandersetzungen zu sein.
Damit maßen sich Festivals eine Expertise und Kompetenz an, die sie schlicht und einfach nicht haben.
Sie werden zu Treibern einer Zensur durch die Hintertür, die demokratische Gesellschaften und Öffentlichkeiten nachhaltig beschädigt.
Die Vorgänge in Amsterdam sind ein gefährlicher Präzedenzfall.
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Leider passend zum Thema lädt das »Institut für die Grundlagen moderner Architektur« in der kommenden Woche zu einer Konferenz über Israelfeindschaft und »Antisemitismus im kulturellenFeld«. Es ist die zweite Veranstaltung dieser Art, nach einem ersten, geschlossenen Treffen im Vorjahr. Initiiert vom engagierten Lehrstuhlinhaber Stephan Trueby, der unter anderem auf »rechte Räume« spezialisiert ist, treffen sich internationale Experten aus allen Feldern der Kunst, um sich zur »Post-10/7-Situation« auszutauschen und Aufklärung über Antisemitismus ins Zentrum des allgemeinen Engagements für den Erhalt demokratischer Systeme zu stellen und Handlungsspielräume auszuloten.
Auch ich habe das Vergnügen, wieder dabei zu sein. On verra!