02.10.2025
Cinema Moralia – Folge 361

Die Röte des Golds des Goldenen Zeitalters

Hartmut Bitomsky
Hartmut Bitomsky (2024)
(Foto: Kaethe17, CC BY-SA 4.0)

Erinnerung an Hartmut Bitomsky, eine Wortmeldung des PEN Berlin, Stabübergabe bei der AG Filmfestival und der HFF München – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 361. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Das Kino hat das Flüchtige zu seiner Kunst gemacht, es dema­te­ria­li­siert die Bilder. Sie tauchen auf wie Stern­schnuppen im nächt­li­chen Weltall. Man hätte einen Wunsch frei. Bevor er gedacht wird, ist das Licht am Verlö­schen. Darum ist das Verlangen nach Bildern unstillbar: wir sind Ikono­klasten und möchten zerstören, wonach uns verlangt. Es verlangt uns nach einer anderen Welt.« – Hartmut Bitomsky

Tech­ni­sche Pannen kennen wir alle. Ich auch. Und jetzt war es mal wieder so weit. Um es darum gleich vorweg zu sagen, muss ich alle, die jetzt hier mögli­cher­weise auf weitere San-Sebastián-Notizen warten oder auf einen Nachruf auf Claudia Cardinale, auf nächste Woche vertrösten. Hoffent­lich! Denn gestern ist das Tablet gecrasht, auf dem die neuesten Notizen abgelegt waren und das auch noch in Hamburg, beim Filmfest, sodass der Computer-Doktor erst in ein paar Tagen eingreifen kann und dann hoffent­lich retten wird, was zu retten ist. Shit happens. Umso gegen­wär­tiger sind diese Notizen und leider auch in diesem Fall müssen wir mit einer traurigen Nachricht beginnen.
Es sterben so viele Leute gerade! Erst Redford vor zwei Wochen, dann Claudia Cardinale, dann am Wochen­ende Georg Stefan Troller – und dann kam auch noch die Nachricht vom Tod von Hartmut Bitomsky. Im Sommer war er noch im Münchner Film­mu­seum, zu den »Inter­na­tio­nalen Stumm­film­tagen«, mit seinem Essay »Das goldene Zeitalter der Kine­ma­to­grafie.«

Bitomsky war Film­kri­tiker, Autor, Filme­ma­cher, Dozent. Legendär war seine Zeit in der Film­kritik. Dort der Text mit dem schönsten Titel: »Die Röte des Rots des Tech­ni­color«. Dazu schrieb dann Michael Althen: »Alles, was Hartmut Bitomskys Texte ausmacht, steckt da schon drin: eine Genau­ig­keit der Wahr­neh­mung, ein Bewusst­sein von den Produk­ti­ons­weisen des Kinos und ein Schuß Poesie.« Aber »das Schreiben über den Film war für ihn immer nur eine von vielen Arten, mit Bildern umzugehen. Von Anfang an machte er auch selbst Filme«, so Althen weiter.

Seine Werke Auf Biegen und Brechen, B-52, Der VW-Komplex und Deutsch­land­bilder sind Meilen­steine des Doku­men­tar­films. Das mate­ria­lis­ti­sche Interesse an Objekten und Technik ist ihnen gemeinsam, wie das poli­ti­sche. Zuletzt Staub.

Er war dann lange weg aus Deutsch­land, lehrte in Kali­for­nien. Ich selbst habe ihn spät kennen­ge­lernt, Jahr­zehnte nach der Film­kritik, in den Nullern, als er Staub in Venedig präsen­tierte und Direktor der dffb wurde, und er mich dort gele­gent­lich als Dozent anheuerte.

Es war schön, mit ihm ein paar nord­deutsch karge Sätze zu wechseln, an der Bar der Kantine, dort schon mittags, zwei, drei Rotwein, die sein Urteil nicht trübten, sondern schärften. Die Röte des Rots...

Dann Krach auf Fall stieg er aus, ohne Vorwar­nung. 2009. Nicht frus­triert, aber hoch­gradig genervt. Ihm waren die Studenten schlicht und einfach zu blöd. Er wollte sich nicht herumär­gern, er war ein Mann des offenen Wortes und das Gegenteil von allem, was man heute mit einer Film­hoch­schule, mit Akade­mismus und Wokeness verbindet. Er hatte Besseres zu tun.

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Dem PEN Berlin geht es ganz offen­sicht­lich ähnlich:

»Wir sind der Auffas­sung, dass Anti­se­mi­tismus inak­zep­tabel ist. Immer. Überall. So stand es letzte Woche in unserem Aufruf zur Kund­ge­bung am Montag in Klütz, nach der Ausladung des Publi­zisten Michel Friedman. Es ging dort um wichtige Fragen – zur Autonomie der Kunst und zur Meinungs­frei­heit in der Demo­kratie. Kaum zurück aus Klütz haben wir schon wieder ein paar Fragen:«

»1. Chefket, Ihren Songs nach zu urteilen, haben Sie kein Problem mit der Existenz Israels. Was soll das also mit dem Trikot, das eine Landkarte von Palästina zeigt, auf der kein Platz für Israel mehr ist?«

»2. Herr Böhmer­mann, ohne Kunst- und Meinungs­frei­heit kein ZDF Magazin Royale, keine Schmäh­ge­dichte, keine Satire … Chefket erst für einen Auftritt (ausge­rechnet am 7. Oktober) einladen – warum eigent­lich? – und dann ausladen – warum eigent­lich? Was hat der Mann denn erst richtig und dann falsch gemacht? Endet die Lust an der Provo­ka­tion zuver­lässig da, wo man sich wirklich mit der Macht anlegen müsste?«

»3. Verant­wort­liche des Hauses der Kulturen der Welt, wie war das nochmal mit dem offenen Dialog, für den Ihr Haus steht? Auf der Bühne hätte Chefket erläutern können, was er mit 'Free Palestine' meint, er hätte ein Miss­ver­s­tändnis aus- oder einen Fehler einräumen und damit einen Dialog eröffnen können. Diese Chance ist nun vertan.«

»4. Herr Weimer, Ihre Ankün­di­gung, die Korridore 'des Sagbaren, Erkund­baren und Darstell­baren (…) zu weiten, anstatt sie zu verengen', klang gut. Oder meinen Sie mit Meinungs­frei­heit bloß die Freiheit, die Meinung des Kultur­staats­mi­nis­ters zu vertreten? Sie wissen doch, dass in Deutsch­land der Staat die Autonomie der Kunst und der Kultur­ein­rich­tungen fördert. 'Was mischt sich ein Politiker in die Programm­pla­nung eines Lite­ra­tur­hauses ein?' fragte Michel Friedman vorges­tern in Klütz. Ganz recht, Herr Weimer, Sie dürfen diese Frage gern auf sich beziehen. Oder sind Sie jetzt der Bunde­s­tri­kot­mi­nister?«

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Eine gute Nachricht: »Vorsitz­wechsel der AG Film­fes­tival: Julia Weigl folgt auf Daniel Sponsel«!

»Die Künst­le­ri­sche Leiterin des Filmfest München übernimmt den Vorsitz der AG Film­fes­tival von Daniel Sponsel, bisher Leiter des Inter­na­tio­nalen Doku­men­tar­film­fes­ti­vals München, der zum 1. Oktober 2025 als Präsident der Hoch­schule für Fernsehen und Film (HFF) in München die Nachfolge von Bettina Reitz antritt.
Julia Weigl war bereits Mitglied im bisher elfköp­figen Vorstand der AG Film­fes­tival. Sie ist nun Teil der Doppel­spitze des Verbands, an der Seite von Svenja Böttger, Leiterin des Film­fes­ti­vals Max Ophüls Preis in Saar­brü­cken.«

Julia Weigl studierte an der LMU München Lite­ra­tur­wis­sen­schaften, an der HFF München und der Baye­ri­schen Thea­ter­aka­demie August Everding Theater-, Film- und Fern­seh­kritik. Sie kam bereits 2015 zum Filmfest München. Bis 2019 war sie in der Pres­se­ab­tei­lung und Redaktion tätig. Von 2019 bis 2023 kura­tierte sie das inter­na­tio­nale Film­pro­gramm mit Schwer­punkt auf dem englisch­spra­chigen Raum, American Indies, Skan­di­na­vien und inter­na­tio­nale TV-Serien. Seit 2023 war sie Künst­le­ri­sche Co-Leiterin und ab Oktober 2025 Künst­le­ri­sche Leiterin des Filmfest München.

Julia Weigl: »Wir sind Daniel Sponsel für sein unein­ge­schränktes Enga­ge­ment für die AG Film­fes­tival sehr dankbar. Er hat die Grün­dungs­phase der AG sehr stark geprägt. Ich freue mich nun gemeinsam mit Svenja Böttger diese Arbeit fort­zu­führen. Uns liegt der offene Austausch innerhalb der viel­sei­tigen Festi­valland­schaft sehr am Herzen und wir möchten die wichtige Arbeit die von all unseren Kollegen und Kolle­ginnen geleistet wird, auf natio­naler Ebene sichtbar machen. Denn Film­fes­ti­vals sind ein essen­zi­elles Glied in der Film­aus­wer­tungs­kette.«

Und wir bei artechock sind schon gespannt, wie sich die AG Film­fes­tival weiter entwi­ckelt.

Und natürlich auf das unein­ge­schränkte Enga­ge­ment von Daniel Sponsel bei der Münchner Film­hoch­schule. Die Aussicht, dass er auch diese »stark prägen« könnte, empfinden womöglich nicht alle als Segen. In jedem, Fall wird der Mann eine Menge zu tun haben, denn er muss, das hat ihm die Staats­kanzlei einge­brockt, die HFF in eine Filmuni verwan­deln. Das ist ohne Frage eine Drohung und man wird Sponsel schon erfolg­reich nennen dürfen, wenn es ihm gelingen sollte, das Desaster der HFF Konrad Wolff zu vermeiden. Die ist im Rahmen ihrer Umwand­lung in eine Filmuni de facto abge­wi­ckelt worden, hat ihren guten Ruf und fast jedes Niveau verloren.

(to be continued)