Cinema Moralia – Folge 361
Die Röte des Golds des Goldenen Zeitalters |
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Hartmut Bitomsky (2024) | ||
(Foto: Kaethe17, CC BY-SA 4.0) |
»Das Kino hat das Flüchtige zu seiner Kunst gemacht, es dematerialisiert die Bilder. Sie tauchen auf wie Sternschnuppen im nächtlichen Weltall. Man hätte einen Wunsch frei. Bevor er gedacht wird, ist das Licht am Verlöschen. Darum ist das Verlangen nach Bildern unstillbar: wir sind Ikonoklasten und möchten zerstören, wonach uns verlangt. Es verlangt uns nach einer anderen Welt.« – Hartmut Bitomsky
Technische Pannen kennen wir alle. Ich auch. Und jetzt war es mal wieder so weit. Um es darum gleich vorweg zu sagen, muss ich alle, die jetzt hier möglicherweise auf weitere San-Sebastián-Notizen warten oder auf einen Nachruf auf Claudia Cardinale, auf nächste Woche vertrösten. Hoffentlich! Denn gestern ist das Tablet gecrasht, auf dem die neuesten Notizen abgelegt waren und das auch noch in Hamburg, beim Filmfest, sodass der Computer-Doktor erst in ein paar Tagen eingreifen kann und
dann hoffentlich retten wird, was zu retten ist. Shit happens. Umso gegenwärtiger sind diese Notizen und leider auch in diesem Fall müssen wir mit einer traurigen Nachricht beginnen.
Es sterben so viele Leute gerade! Erst Redford vor zwei Wochen, dann Claudia Cardinale, dann am Wochenende Georg Stefan Troller – und dann kam auch noch die Nachricht vom Tod von Hartmut Bitomsky. Im Sommer war er noch im Münchner Filmmuseum, zu den »Internationalen Stummfilmtagen«, mit seinem
Essay »Das goldene Zeitalter der Kinematografie.«
Bitomsky war Filmkritiker, Autor, Filmemacher, Dozent. Legendär war seine Zeit in der Filmkritik. Dort der Text mit dem schönsten Titel: »Die Röte des Rots des Technicolor«. Dazu schrieb dann Michael Althen: »Alles, was Hartmut Bitomskys Texte ausmacht, steckt da schon drin: eine Genauigkeit der Wahrnehmung, ein Bewusstsein von den Produktionsweisen des Kinos und ein Schuß Poesie.« Aber »das Schreiben über den Film war für ihn immer nur eine von vielen Arten, mit Bildern umzugehen. Von Anfang an machte er auch selbst Filme«, so Althen weiter.
Seine Werke Auf Biegen und Brechen, B-52, Der VW-Komplex und Deutschlandbilder sind Meilensteine des Dokumentarfilms. Das materialistische Interesse an Objekten und Technik ist ihnen gemeinsam, wie das politische. Zuletzt Staub.
Er war dann lange weg aus Deutschland, lehrte in Kalifornien. Ich selbst habe ihn spät kennengelernt, Jahrzehnte nach der Filmkritik, in den Nullern, als er Staub in Venedig präsentierte und Direktor der dffb wurde, und er mich dort gelegentlich als Dozent anheuerte.
Es war schön, mit ihm ein paar norddeutsch karge Sätze zu wechseln, an der Bar der Kantine, dort schon mittags, zwei, drei Rotwein, die sein Urteil nicht trübten, sondern schärften. Die Röte des Rots...
Dann Krach auf Fall stieg er aus, ohne Vorwarnung. 2009. Nicht frustriert, aber hochgradig genervt. Ihm waren die Studenten schlicht und einfach zu blöd. Er wollte sich nicht herumärgern, er war ein Mann des offenen Wortes und das Gegenteil von allem, was man heute mit einer Filmhochschule, mit Akademismus und Wokeness verbindet. Er hatte Besseres zu tun.
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Dem PEN Berlin geht es ganz offensichtlich ähnlich:
»Wir sind der Auffassung, dass Antisemitismus inakzeptabel ist. Immer. Überall. So stand es letzte Woche in unserem Aufruf zur Kundgebung am Montag in Klütz, nach der Ausladung des Publizisten Michel Friedman. Es ging dort um wichtige Fragen – zur Autonomie der Kunst und zur Meinungsfreiheit in der Demokratie. Kaum zurück aus Klütz haben wir schon wieder ein paar Fragen:«
»1. Chefket, Ihren Songs nach zu urteilen, haben Sie kein Problem mit der Existenz Israels. Was soll das also mit dem Trikot, das eine Landkarte von Palästina zeigt, auf der kein Platz für Israel mehr ist?«
»2. Herr Böhmermann, ohne Kunst- und Meinungsfreiheit kein ZDF Magazin Royale, keine Schmähgedichte, keine Satire … Chefket erst für einen Auftritt (ausgerechnet am 7. Oktober) einladen – warum eigentlich? – und dann ausladen – warum eigentlich? Was hat der Mann denn erst richtig und dann falsch gemacht? Endet die Lust an der Provokation zuverlässig da, wo man sich wirklich mit der Macht anlegen müsste?«
»3. Verantwortliche des Hauses der Kulturen der Welt, wie war das nochmal mit dem offenen Dialog, für den Ihr Haus steht? Auf der Bühne hätte Chefket erläutern können, was er mit 'Free Palestine' meint, er hätte ein Missverständnis aus- oder einen Fehler einräumen und damit einen Dialog eröffnen können. Diese Chance ist nun vertan.«
»4. Herr Weimer, Ihre Ankündigung, die Korridore 'des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren (…) zu weiten, anstatt sie zu verengen', klang gut. Oder meinen Sie mit Meinungsfreiheit bloß die Freiheit, die Meinung des Kulturstaatsministers zu vertreten? Sie wissen doch, dass in Deutschland der Staat die Autonomie der Kunst und der Kultureinrichtungen fördert. 'Was mischt sich ein Politiker in die Programmplanung eines Literaturhauses ein?' fragte Michel Friedman vorgestern in Klütz. Ganz recht, Herr Weimer, Sie dürfen diese Frage gern auf sich beziehen. Oder sind Sie jetzt der Bundestrikotminister?«
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Eine gute Nachricht: »Vorsitzwechsel der AG Filmfestival: Julia Weigl folgt auf Daniel Sponsel«!
»Die Künstlerische Leiterin des Filmfest München übernimmt den Vorsitz der AG Filmfestival von Daniel Sponsel, bisher Leiter des Internationalen Dokumentarfilmfestivals München, der zum 1. Oktober 2025 als Präsident der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München die Nachfolge von Bettina Reitz antritt.
Julia Weigl war bereits Mitglied im bisher elfköpfigen Vorstand der AG Filmfestival. Sie ist nun Teil der Doppelspitze des Verbands, an der Seite von Svenja
Böttger, Leiterin des Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken.«
Julia Weigl studierte an der LMU München Literaturwissenschaften, an der HFF München und der Bayerischen Theaterakademie August Everding Theater-, Film- und Fernsehkritik. Sie kam bereits 2015 zum Filmfest München. Bis 2019 war sie in der Presseabteilung und Redaktion tätig. Von 2019 bis 2023 kuratierte sie das internationale Filmprogramm mit Schwerpunkt auf dem englischsprachigen Raum, American Indies, Skandinavien und internationale TV-Serien. Seit 2023 war
sie Künstlerische Co-Leiterin und ab Oktober 2025 Künstlerische Leiterin des Filmfest München.
Julia Weigl: »Wir sind Daniel Sponsel für sein uneingeschränktes Engagement für die AG Filmfestival sehr dankbar. Er hat die Gründungsphase der AG sehr stark geprägt. Ich freue mich nun gemeinsam mit Svenja Böttger diese Arbeit fortzuführen. Uns liegt der offene Austausch innerhalb der vielseitigen Festivallandschaft sehr am Herzen und wir möchten die wichtige Arbeit die von
all unseren Kollegen und Kolleginnen geleistet wird, auf nationaler Ebene sichtbar machen. Denn Filmfestivals sind ein essenzielles Glied in der Filmauswertungskette.«
Und wir bei artechock sind schon gespannt, wie sich die AG Filmfestival weiter entwickelt.
Und natürlich auf das uneingeschränkte Engagement von Daniel Sponsel bei der Münchner Filmhochschule. Die Aussicht, dass er auch diese »stark prägen« könnte, empfinden womöglich nicht alle als Segen. In jedem, Fall wird der Mann eine Menge zu tun haben, denn er muss, das hat ihm die Staatskanzlei eingebrockt, die HFF in eine Filmuni verwandeln. Das ist ohne Frage eine Drohung und man wird Sponsel schon erfolgreich nennen dürfen, wenn es ihm gelingen sollte, das Desaster der HFF Konrad Wolff zu vermeiden. Die ist im Rahmen ihrer Umwandlung in eine Filmuni de facto abgewickelt worden, hat ihren guten Ruf und fast jedes Niveau verloren.
(to be continued)