04.09.2025

Zwischen Stolz und Vorurteil

Sugarland
Verhaltenes Seelenleben im  grandiosen Sugarland
(Foto: Fünf Seen Filmfestival · Isabella Brunäcker)

Das 19. Fünf Seen Filmfestival überwindet die Ambivalenzen des letzten Jahres mit einem hochkarätigen Programm der leisen Töne und Untertöne

Von Dunja Bialas

Das Fünf-Seen-Land ist von München aus betrachtet gesee-gnet. Mit den Seen, natürlich, fünf an der Zahl. Mit den Bergen, zumindest dem tollen Blick auf sie. Mit dem Andenken an diverse Persön­lich­keiten der Kultur­ge­schichte: König Ludwig, der hier in den, ja, See ging. Und Herbert Achtern­busch natürlich, der zahl­rei­chen Wirt­schaften und überhaupt dem Wirts­haus­leben mit seinen Filmen ein Denkmal setzte. Und dann gibt es noch die Breit­wand­kinos. Und das Fünf-Seen-Film­fes­tival von Matthias Helwig, das am Dienstag, dem 9. September, mit seiner 19. Ausgabe beginnt. Der ganze Stolz des Landkreis.

Kein Vorurteil: Starnberg ist seit Jahren Deutsch­lands reichster Landkreis, wie Jahr für Jahr die GfK-Markt­for­scher (»GfK« steht übrigens für Growth from Knowledge) ermitteln. Damit ist aber, nota bene, jeder einzelne Starn­berger und sein Geld­beutel gemeint, gemessen wird der Reichtum an der Kaufkraft. Auch die Gewer­be­steuer ist ganz passabel, die Pro-Kopf-Verschul­dung ist mit gut 500 Euro geradezu lächer­lich. Und trotzdem wurde letztes Jahr an der Kultur gespart. Dem Fünf-Seen-Film­fes­tival (FSFF) fehlten 20.000 Euro von der Stadt Starnberg. Wer weiß, wie knapp Festivals im unteren und mittleren Finan­zie­rungs­be­reich (zu dem das FSFF gehört) haus­halten müssen, kann abschätzen, dass dies eine empfind­liche Einbuße war – für die Gemeinde gab das Einspa­rungen höchstens in der Höhe von ein paar Empfangs­blu­men­bou­quets. Kann doch nicht so schlimm sein?

Helwig hat viel Sympa­thien dafür erhalten, dass er das Festival trotzdem durch­ge­zogen hat. Und ihm ist offen­sicht­lich gelungen, was er letztes Jahr noch als Bedingung für den Fort­be­stand des Festivals verkündet hat: Dass eine »breitere Basis« sich um das Festival kümmern möge, etwa der neu ins Leben gerufene Freun­des­kreis Fünf Seen Film­fes­tival mit verläss­li­chen Paten­schaften. Eine gute Form eines anderen Crowd­fun­dings, die Besucher ans Festival bindet und zugleich auch der Tatsache gerecht wird, dass die Anwohner hier allesamt etwas mehr in der Tasche haben als woanders.

Eine grund­le­gende Ambi­va­lenz: Einer­seits ist man stolz auf das Erreichte sowie auch auf das, was nicht in der eigenen Errun­gen­schaft liegt (die Seen). Ande­rer­seits hat man es mit vielen Vorur­teilen gegenüber der eigenen finan­zi­ellen Ausstat­tung zu tun. Dies mag dazu geführt haben, sich zur Eröffnung einen geradezu program­ma­ti­schen Film ausge­sucht zu haben. Eröffnet wird das Festival am kommenden Dienstag in der altehr­wür­digen Schloss­berg­halle Starnberg mit der fran­zö­si­schen Komödie Jane Austen und das Chaos in meinem Leben (im Original Jane Austen a gâché ma vie, etwa: »Jane Austen hat mein Leben ruiniert«), ein Spiel­film­debüt von Laura Piani. Darin geht es um eine Buch­händ­lerin, die sich in einer Jane-Austen-Residency in den Entwick­lungs­roman ihres Lebens verhed­dert.

Das Fünf­seen­land: ein einziges Sugarland

Im Wett­be­werb konkur­rieren sechs Werke um den mit 5000 Euro dotierten Fünf Seen Filmpreis, darunter Alexandra Makarovás Perla, in dem die Prot­ago­nistin in ihre tsche­chi­sche Heimat hinter dem Eisernen Vorhang zurück­kehrt – ein Para­de­film, um über Migration anders nach­zu­denken. Unser persön­li­cher Favorit ist Sugarland, den das Festival in deutscher Premiere zeigt. Isabella Brunäcker, die von der Friedl-Kubelka-Schule in Wien kommt, hat für ihr Spiel­film­debüt das grobe Korn des 16mm-Materials gewählt. Alles wirkt in ihrem Film sehr haptisch: den roten Woll­pull­over von Prot­ago­nistin Iga (Jana McKinnon, zuletzt in Benjamin Heisen­bergs Der Prank) spürt man förmlich auf der Haut, rau und kratzig. Im fahlen Herbst­licht macht sie sich im Auto in Richtung Schott­land auf, um sich an ihrem Ex zu rächen. Nimmt einen Anhalter mit. Lange Auto­bahn­stre­cken werden durch­fahren, begleitet von Schweigen und spär­li­chen Dialogen. Das ist ganz und gar wunderbar, es macht sich zärtliche und fragile Poesie breit. »Was, wenn wir nur ein Expe­ri­ment wären?«, fragt Iga einmal. Auch deshalb sollte der Film in Hommage an Simone Fürbringer gesehen werden, der letztes Jahr verstor­benen Filme­ma­cherin, die zusammen mit ihrem Partner Nico Humbert den tollen Lucie et main­tenant gefilmt hat. Vieles von Sugerland erinnert an diesen Aufbruchs­film. Aber auch an Kelly Reichardts Roadtrip Wendy and Lucy.

Freund­schaft mit Taiwan und den DACH-Staaten

Ebenfalls ein Highlight im Programm ist die Deutsch­land­pre­miere des taiwa­ne­si­schen Family Matters von Pan Ke-yin. Matthias Helwig hält seit vielen Jahren in Zusam­men­ar­beit mit der Taipeh-Vertre­tung in München die Landkreis-Part­ner­schaft zwischen Starnberg und Neu-Taipeh mit dem Zeigen aktueller Filme lebendig. Family Matters folgt über zwei Jahr­zehnte – also fast so lange, wie das Festival alt ist – einer taiwa­ne­si­schen Familie, ihren Geheim­nissen und Heraus­for­de­rungen.

Die DACH-Staaten sind dem Fünf­seen­land ebenfalls wichtig, verbinden sich hinter dem Akronym doch die Alpen­länder Schweiz, Öster­reich und Deutsch­land (von Starnberg aus betrachtet ein Alpenland). Gezeigt wird im Wett­be­werb um den mit 3000 Euro dotierten Doku­men­tar­film­preis u.a. Wir Erben der Schwei­zerin Simon Baumann, beim Dok.fest München bereits mit dem Haupt­preis ausge­zeichnet. Ein wichtiger Film für Starnberg, geht es doch um Land und Geld, um Privi­le­gien und Lasten. Auch um Stolz und Vorurteil.

Leises Schau­spiel ganz laut: der Hannelore-Elsner-Preis

Mit dem Hannelore-Elsner-Preis würdigt Matthias Helwig schau­spie­le­ri­sche Gesten, wie sie die berühmte Persön­lich­keit des deutschen Films zele­brierte. Mit kaum spürbarem Spiel und Nuancen in ihrer Stimmlage vermochte Hannelore Elsner der ganzen Gefühls­lage ihrer Figuren Ausdruck zu verleihen. Genau dies können auch die mit dem Preis ausge­zeich­neten – man mag sie nicht so nennen – Diven. Dieses Jahr erhält Leonie Benesch den Hannelore-Elsner-Preis. Man hat sie noch gut aus Das Lehrer­zimmer in Erin­ne­rung, wo sie unter einer außer Rand und Band geratenen Schul­klasse begraben wurde. Auch in September 5 spielt sie einen Hauptpart, neben John Magaro, Ben Chaplin oder Peter Sarsgaard. Zur Preis­ver­lei­hung am 12. September in der Schloss­berg­halle Starnberg wird Beneschs aktueller Film Heldin der Schwei­zerin Petra Volpe gezeigt, in der eine Pfle­ge­fach­frau im Mittel­punkt steht.

Aufgeboot der Stars

Zahl­reiche Gäste machen die Reise ins Fünf­seen­land zum lohnenden Ausflug – womöglich auch zu einer Boots­fahrt mit Stars. Wir freuen uns auf Edgar Reitz (Leibniz – Chronik eines verschol­lenen Bildes) (10.9.) und auf dessen Enkel Mathias Reitz Zausinger, der zusammen mit Patrik Thomas Boalândia über den kollek­tiven Wider­stand in Brasilien gedreht hat (11.9.). Und natürlich auf ein Wieder­sehen mit Christian Petzold und Barbara Auer (und ihren Film Miroirs No. 3) (13.9.). Denn ihnen kann man selbst nur als Wieder­gän­gerin begegnen, wie in Petzolds Filmen wieder und wieder ähnliche Figuren wieder­kehren – rätsel­haft und verhalten. Und diesmal brechen sie sogar aus.

19. Fünf Seen Film­fes­tival
9.–16.9.2025

Breitwand Kino Gauting, Kino Breitwand Starnberg, Seebad Starnberg, Schloss­berg­halle Starnberg, Kino Breitwand Seefeld, Pfarr­stadl Weßling