Zwischen Stolz und Vorurteil |
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Verhaltenes Seelenleben im grandiosen Sugarland | ||
(Foto: Fünf Seen Filmfestival · Isabella Brunäcker) |
Von Dunja Bialas
Das Fünf-Seen-Land ist von München aus betrachtet gesee-gnet. Mit den Seen, natürlich, fünf an der Zahl. Mit den Bergen, zumindest dem tollen Blick auf sie. Mit dem Andenken an diverse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte: König Ludwig, der hier in den, ja, See ging. Und Herbert Achternbusch natürlich, der zahlreichen Wirtschaften und überhaupt dem Wirtshausleben mit seinen Filmen ein Denkmal setzte. Und dann gibt es noch die Breitwandkinos. Und das Fünf-Seen-Filmfestival von Matthias Helwig, das am Dienstag, dem 9. September, mit seiner 19. Ausgabe beginnt. Der ganze Stolz des Landkreis.
Kein Vorurteil: Starnberg ist seit Jahren Deutschlands reichster Landkreis, wie Jahr für Jahr die GfK-Marktforscher (»GfK« steht übrigens für Growth from Knowledge) ermitteln. Damit ist aber, nota bene, jeder einzelne Starnberger und sein Geldbeutel gemeint, gemessen wird der Reichtum an der Kaufkraft. Auch die Gewerbesteuer ist ganz passabel, die Pro-Kopf-Verschuldung ist mit gut 500 Euro geradezu lächerlich. Und trotzdem wurde letztes Jahr an der Kultur gespart. Dem Fünf-Seen-Filmfestival (FSFF) fehlten 20.000 Euro von der Stadt Starnberg. Wer weiß, wie knapp Festivals im unteren und mittleren Finanzierungsbereich (zu dem das FSFF gehört) haushalten müssen, kann abschätzen, dass dies eine empfindliche Einbuße war – für die Gemeinde gab das Einsparungen höchstens in der Höhe von ein paar Empfangsblumenbouquets. Kann doch nicht so schlimm sein?
Helwig hat viel Sympathien dafür erhalten, dass er das Festival trotzdem durchgezogen hat. Und ihm ist offensichtlich gelungen, was er letztes Jahr noch als Bedingung für den Fortbestand des Festivals verkündet hat: Dass eine »breitere Basis« sich um das Festival kümmern möge, etwa der neu ins Leben gerufene Freundeskreis Fünf Seen Filmfestival mit verlässlichen Patenschaften. Eine gute Form eines anderen Crowdfundings, die Besucher ans Festival bindet und zugleich auch der Tatsache gerecht wird, dass die Anwohner hier allesamt etwas mehr in der Tasche haben als woanders.
Eine grundlegende Ambivalenz: Einerseits ist man stolz auf das Erreichte sowie auch auf das, was nicht in der eigenen Errungenschaft liegt (die Seen). Andererseits hat man es mit vielen Vorurteilen gegenüber der eigenen finanziellen Ausstattung zu tun. Dies mag dazu geführt haben, sich zur Eröffnung einen geradezu programmatischen Film ausgesucht zu haben. Eröffnet wird das Festival am kommenden Dienstag in der altehrwürdigen Schlossberghalle Starnberg mit der französischen Komödie Jane Austen und das Chaos in meinem Leben (im Original Jane Austen a gâché ma vie, etwa: »Jane Austen hat mein Leben ruiniert«), ein Spielfilmdebüt von Laura Piani. Darin geht es um eine Buchhändlerin, die sich in einer Jane-Austen-Residency in den Entwicklungsroman ihres Lebens verheddert.
Im Wettbewerb konkurrieren sechs Werke um den mit 5000 Euro dotierten Fünf Seen Filmpreis, darunter Alexandra Makarovás Perla, in dem die Protagonistin in ihre tschechische Heimat hinter dem Eisernen Vorhang zurückkehrt – ein Paradefilm, um über Migration anders nachzudenken. Unser persönlicher Favorit ist Sugarland, den das Festival in deutscher Premiere zeigt. Isabella Brunäcker, die von der Friedl-Kubelka-Schule in Wien kommt, hat für ihr Spielfilmdebüt das grobe Korn des 16mm-Materials gewählt. Alles wirkt in ihrem Film sehr haptisch: den roten Wollpullover von Protagonistin Iga (Jana McKinnon, zuletzt in Benjamin Heisenbergs Der Prank) spürt man förmlich auf der Haut, rau und kratzig. Im fahlen Herbstlicht macht sie sich im Auto in Richtung Schottland auf, um sich an ihrem Ex zu rächen. Nimmt einen Anhalter mit. Lange Autobahnstrecken werden durchfahren, begleitet von Schweigen und spärlichen Dialogen. Das ist ganz und gar wunderbar, es macht sich zärtliche und fragile Poesie breit. »Was, wenn wir nur ein Experiment wären?«, fragt Iga einmal. Auch deshalb sollte der Film in Hommage an Simone Fürbringer gesehen werden, der letztes Jahr verstorbenen Filmemacherin, die zusammen mit ihrem Partner Nico Humbert den tollen Lucie et maintenant gefilmt hat. Vieles von Sugerland erinnert an diesen Aufbruchsfilm. Aber auch an Kelly Reichardts Roadtrip Wendy and Lucy.
Ebenfalls ein Highlight im Programm ist die Deutschlandpremiere des taiwanesischen Family Matters von Pan Ke-yin. Matthias Helwig hält seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit der Taipeh-Vertretung in München die Landkreis-Partnerschaft zwischen Starnberg und Neu-Taipeh mit dem Zeigen aktueller Filme lebendig. Family Matters folgt über zwei Jahrzehnte – also fast so lange, wie das Festival alt ist – einer taiwanesischen Familie, ihren Geheimnissen und Herausforderungen.
Die DACH-Staaten sind dem Fünfseenland ebenfalls wichtig, verbinden sich hinter dem Akronym doch die Alpenländer Schweiz, Österreich und Deutschland (von Starnberg aus betrachtet ein Alpenland). Gezeigt wird im Wettbewerb um den mit 3000 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis u.a. Wir Erben der Schweizerin Simon Baumann, beim Dok.fest München bereits mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Ein wichtiger Film für Starnberg, geht es doch um Land und Geld, um Privilegien und Lasten. Auch um Stolz und Vorurteil.
Mit dem Hannelore-Elsner-Preis würdigt Matthias Helwig schauspielerische Gesten, wie sie die berühmte Persönlichkeit des deutschen Films zelebrierte. Mit kaum spürbarem Spiel und Nuancen in ihrer Stimmlage vermochte Hannelore Elsner der ganzen Gefühlslage ihrer Figuren Ausdruck zu verleihen. Genau dies können auch die mit dem Preis ausgezeichneten – man mag sie nicht so nennen – Diven. Dieses Jahr erhält Leonie Benesch den Hannelore-Elsner-Preis. Man hat sie noch gut aus Das Lehrerzimmer in Erinnerung, wo sie unter einer außer Rand und Band geratenen Schulklasse begraben wurde. Auch in September 5 spielt sie einen Hauptpart, neben John Magaro, Ben Chaplin oder Peter Sarsgaard. Zur Preisverleihung am 12. September in der Schlossberghalle Starnberg wird Beneschs aktueller Film Heldin der Schweizerin Petra Volpe gezeigt, in der eine Pflegefachfrau im Mittelpunkt steht.
Zahlreiche Gäste machen die Reise ins Fünfseenland zum lohnenden Ausflug – womöglich auch zu einer Bootsfahrt mit Stars. Wir freuen uns auf Edgar Reitz (Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes) (10.9.) und auf dessen Enkel Mathias Reitz Zausinger, der zusammen mit Patrik Thomas Boalândia über den kollektiven Widerstand in Brasilien gedreht hat (11.9.). Und natürlich auf ein Wiedersehen mit Christian Petzold und Barbara Auer (und ihren Film Miroirs No. 3) (13.9.). Denn ihnen kann man selbst nur als Wiedergängerin begegnen, wie in Petzolds Filmen wieder und wieder ähnliche Figuren wiederkehren – rätselhaft und verhalten. Und diesmal brechen sie sogar aus.
19. Fünf Seen Filmfestival
9.–16.9.2025
Breitwand Kino Gauting, Kino Breitwand Starnberg, Seebad Starnberg, Schlossberghalle Starnberg, Kino Breitwand Seefeld, Pfarrstadl Weßling