Jetzt sprechen die Filme |
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| Sehnsucht in Sangerhausen: Der neue Film von Julian Radlmaier | ||
| (Foto: Locarno · Julian Radlmaier) | ||
»Allein die Tatsache, dass so viele Beiträge aus Deutschland kommen, garantiert natürlich noch keinen Preis.« – dpa
Es ist die typische alljährliche dpa-Mitteilung zu Locarno: »Gute Chancen für das deutsche Kino«. Nahezu jedes Jahr schreibt dpa aus Locarno im Prinzip das gleiche: »Deutsches Kino glänzt beim Festival von Locarno« (2024); »Deutsches Kino bekommt Applaus« (2022); »Beifall für das deutsche Kino« (2021); »Deutsches Kino hat Chancen«.
Woher weiß die Agentur das? In Locarno haben deutsche Filme schon lange keine großen Preise mehr gewonnen.
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Natürlich kann man alles in einen großen Topf schmeißen und einmal umrühren, damit ein Eintopf rauskommt: »Filmschaffende aus der Bundesrepublik sind stark vertreten: 22 der insgesamt 222 Kurz-, Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme in verschiedenen Wettbewerben sind deutsche oder mit deutscher Beteiligung realisierte internationale Produktionen.«
Man könnte es trotzdem auch anders sagen, etwas gelassener und relaxter und lebensweiser, ohne Jubelschlagzeilen herauszuposaunen, die nur den falschen Eindruck erwecken, dem deutschen Kino ginge es problemlos super.
Es läuft als Wettbewerbsbeitrag der neue Film von Julian Radlmaier (Blutsauger): Sehnsucht in Sangerhausen. Die Komödie verfolgt die verschlungenen Lebenswege von wagemutigen Frauen. Außerdem gibt es im Hauptwettbewerb den Roadmovie Dry Leaf vom in Berlin lebenden (und deutsch co-finanzierten) Georgier Alexandre Koberidze, sowie die Lovestory White Snail des österreichisch-deutschen Regie-Duos Elsa Kremser und Levin Peter, deren Space Dogs hier vor Jahren eine berückende Entdeckung war.
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Es geht im übrigen ja auch gar nicht um das deutsche Kino. Noch nicht mal um das deutschsprachige. Wir sind in der italienischen Schweiz und in der Schweiz gibt es drei Sprachen und Kulturen. Locarno ist ein internationales Filmfestival, insofern geht es wie bei allen anderen Filmfestivals auch um alle Filmnationen und ein deutschzentrierter Blick ist erstmal ungemein provinziell. Es stünde gerade auch dem deutschen Filmjournalismus (um das Wort Filmkritik mal besser gar nicht erst zu verwenden) gut an, wenn sie eine entsprechende Offenheit an den Tag legen würde. Wir werden das in jedem Fall in den nächsten zehn Tagen versuchen.
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Die im halben Dutzend vergebenen Ehrenpreise sorgen für Starpräsenz auf der berühmten Piazza Grande: Die Schauspielerinnen Golshifteh Farahani, Emma Thompson und Lucy Liu kommen, genau wie Altstar Jackie Chan für die Männerquote.
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Locarno hat nach wie vor an den Folgen der Pandemie zu leiden und – danach hat sich das Festival nicht wirklich erholt . Die Konkurrenz vor allem in Zürich hat aufgeholt. Im zweiten Jahr hat das Festival auch eine neue Präsidentin: Die Basler Pharma-Milliardärin, Kunstsammlerin und Mäzenin Maja Hoffmann folgte 2024 auf die Ära des wortgewaltigen Kulturstrategen und Tourismus-Politikers Marco Solari – mit dieser Ernennung und Hoffmanns erklärtem Anspruch, das Festival zu verändern, gingen auch Befürchtungen einher. In diesem, Hoffmanns zweitem Jahr wird man erleben können, ob das Festival noch weiterhin ein feinsinniger cineastischer Begegnungsort mit Tessiner Flair ist. Hoffmanns Versprechungen – globaler , jünger, durchlässiger, experimenteller, relevant »für eine Welt, in der Film längst nicht mehr nur im Kinosaal stattfindet« – klingen erstmal nach Marketing-Narrativen.
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Das Kino hat schon Schlimmeres überstanden. Davon erzählt Die umfassende Retrospektive von Locarno, organisiert von der Cinémathèque suisse in Partnerschaft mit dem British Film Institute (BFI) gilt diesmal unter dem Titel: »Große Erwartungen« dem britischen Kino der Nachkriegszeit, genauer der Jahre 1945 bis 1960. Das Programm reicht von beliebten Klassikern bekannter Regisseure wie David Lean, der vor in den 50er Jahren mehrfach Dickens verfilmte, dem großen Carol Reed, der außer dem bekannten Der dritte Mann noch sehr viele andere Thriller und Sozialmelodramen verantwortete und den »Archers«, dem legendären Regiepaar Powell & Pressburger (denen bereits 1982 in Locarno und 2023 vom BFI eine große Retrospektive gewidmet war), bis andererseits zu wenig bekannten Kinoperlen, etwa wie dem britischen Film Noir.
Nach der 78. Ausgabe des Locarno Film Festival wird das Programm auch international zu sehen sein, wahrscheinlich auch in Filmmuseen in Deutschland.