Utopie und Empathie |
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K9: eine beklemmend ausbuchstabierte Science-Fiction-Dystopie... | ||
(Foto: Cinema Iran 2025) |
Eine Veranstaltung mit Kino aus dem Iran hat mehr denn je mit der politischen Situation im Iran zu tun. Das von Silvia Bauer organisierte und kuratierte Programm »Cinema Iran« findet in München nun schon zum zehnten Mal statt, was eigentlich ein Anlass zum Feiern ist. Doch der Ernst der Lage der Kulturschaffenden im Iran gibt wenig Grund zu überschwänglicher Freude, die Repression ist dort nach den israelischen und amerikanischen Versuchen, das iranische Atomprogramm durch Luftangriffe auszuschalten, wieder erheblich massiver geworden. Die Hardliner des Regimes geben definitiv den Ton vor.
Angesichts dessen wird bei »Cinema Iran« also weniger das Jubiläum gefeiert, sondern umso mehr die Solidarität mit der iranischen Kultur und die politische Brisanz des Kinos. Das Motto »Die utopische Kraft der Empathie« beschwört die über die Grenzen hinweg wirkende Anteilnahme, die die im Land von Unterdrückung Betroffenen und die Diaspora im Exil vereint.
Die bedrängende Situation, die vom islamischen Rechtssystem im Iran ausgeht, wird in der in Wiederaufführung gezeigten Ballade von der weißen Kuh sichtbar (Gasteig HP8 / Projektor, Sa, 19. Juli, 16 Uhr).
Fast schon ein Klassiker des jüngsten iranischen Kinos, macht dieser Film des von Repressalien betroffenen Regie-Paars Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam eindringlich den staatlichen Druck deutlich, der bis in die privatesten Regungen hineinreicht. Eine Frau sucht Gerechtigkeit für ihren Mann, der aufgrund eines Justizirrtums hingerichtet wurde, und kämpft um so etwas wie eine Entschädigung. Ein angeblicher Freund ihres Manns bietet ihr Unterstützung an. Doch die Lauterkeit seiner Absichten ist alles andere als garantiert.
Noch drastischer schlagen sich die bedrückenden Verhältnisse im Iran in den zwei Filmen von Vahid Vakilifar nieder, die von »Cinema Iran« als deutsche Premieren gezeigt werden. Die ästhetische Radikalität seiner Filme sucht ihresgleichen. Rhinos Conquered the Middle East (2024) kriecht der persönlichen Krise des desperaten Schauspielers Elias förmlich bis in die Eingeweide nach, um seiner selbstquälerischen Männlichkeit Ausdruck zu verleihen (Gasteig HP8 / Projektor, Freitag, 18.07.2025, 18 Uhr).
K9 (2020) ist eine beklemmend ausbuchstabierte Science-Fiction-Dystopie. Dieser visuell konsequent durchkomponierte Film entwirft die postapokalyptische Szenerie einer Erde, von der sich die Sonne zurückgezogen hat. Das Kürzel K9 steht für »ca-nine«, Hunde also, und das Arbeitslager Iran K9 (ein hündischer Iran gewissermaßen), in dem der Film spielt, lässt sich als Parabel auf die in Düsternis und Aussichtslosigkeit versunkene islamische Herrschaft im Iran lesen (Gasteig HP8 / Projektor, Freitag, 18.07.2025, 20 Uhr).
Vahid Vakilifars Filme stellen eine herausfordernde Seherfahrung dar, die auf eine tiefe Verzweiflung des Regisseurs über die Lage im Iran schließen lassen.
Eine gewisse Erleichterung verschafft einem The Locust (2022) von der Regisseurin Faeze Azizkhani, eine rasante wortreiche Komödie um eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Drehbuchautorin Hanieh hat ihr autofiktionales Skript aus finanzieller Not an ihre Freundin und Regisseurin verkauft. Beim szenischen Lesen mit dem Team muss sie sich der Änderungswünsche erwehren, die sie als Angriff auf ihre Person versteht. Die vor cinephilen Anspielungen strotzende Dialogschlacht voller Witz hat jedoch einen ernsten Kern. Das Drama um die fehlende Anerkennung künstlerischer Eigenständigkeit von Frauen gipfelt im Auftritt der Mutter Haniehs, die unerwartet im Produktionsbüro auftaucht (Gasteig HP8 / Projektor, Samstag, 19. Juli 2025, 18:00 Uhr).
Wie die zunehmende Verdüsterung im Iran nach der islamischen Revolution 1979 ihren Anfang nahm, das kann man mitverfolgen in Lolita lesen in Teheran (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 17:30 Uhr, der Abschlussfilm des Festivals läuft als Vorpremiere, deutscher Kinostart am 04.12.2025).
Es handelt sich um die Verfilmung des autobiographischen Buches der Literaturhistorikerin Azar Nafisi, die Anfang der 80er-Jahre nach der Revolution in den Iran zurückkehrte, um voller Hoffnungen nach dem Ende der Schah-Herrschaft an der Universität in Teheran englische Literatur zu unterrichten. Bald sieht sie sich mit der speziellen political correctness des islamischen Fundamentalismus konfrontiert. Die männlichen Studierenden stoßen sich daran, dass in Büchern wie »The Great Gatsby« nur unmoralische Frauen vorkämen. Als der Hijab-Erlass kommt, quittiert sie den Dienst. Sie versucht dann der Repression, die an der Universität insbesondere die Frauen trifft, entgegenzuwirken, indem sie bei sich zu Hause einen klandestinen Lesekreis für Studentinnen durchführt und Lesen als Widerstand begreift: Jane Austens »Stolz und Vorurteil«, Nabokovs »Lolita«, Henry James’ »Daisy Miller« werden zu Gradmessern der Verluste an Freiheiten, die die Frauen im Iran im Laufe der 80er- und 90er-Jahre erfahren mussten.
Der Film ist eine israelisch-italienische Koproduktion und wurde unter der Regie des Israelis Eran Riklis (Kamera führte Hélène Louvart) mit einem Cast von Schauspieler*innen (in der Hauptrolle die Star-Schauspielerin Golshifteh Farahani) gedreht, die im Iran nicht mehr wohlgelitten sind. Damit verweist der Film auf die iranische Exil-Diaspora, die aufgrund der repressiven Verhältnisse immer weiter wächst.
Die iranische Exil-Community Winnipegs spielt eine zentrale Rolle in Universal Language des Kanadiers Matthew Rankin. Der Eröffnungsfilm von Cinema Iran ist von der Stimmung am unbeschwertesten und eignet sich insofern sehr gut für die feierliche Auftaktveranstaltung. Sein skurriler Humor vermengt stilistische Referenzen an Abbas Kiarostami mit Verweisen auf die absurd-existentialistischen Tableaus Roy Anderssons und entwickelt dabei auch ein spezifisches Gespür für die kanadische Urbanität Winnipegs als Ansammlung von Nicht-Orten. Melancholie ist die Grundstimmung des Films: Ihm ist das Gefühl der Fremdheit eingeschrieben, des Displatziert-Seins, das eine Sehnsucht nach dem verlorenen Zugehörig-Sein transportiert. In einer universellen Sprache des Kinos drückt sich darin vielleicht die beschworene Empathie mit ihrem utopischen Potential am deutlichsten aus: so fern und doch so nah.
»Cinema Iran« beschränkt sich aber nicht nur auf Kino in der aktuellen Jubiläumsedition: es expandiert gewissermaßen, indem es der Dringlichkeit der Lage Tribut zollt und andere Formate der Präsentation und Adressierung einbezieht. Der Vortrag von M. Sam Hosseini über »Evin – Eine Utopie: Städtebauliche Szenarien an einem Ort der Repression« (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 16 Uhr) befasst sich mit dem berüchtigten Gefängnis Evin, in dem die Oppositionellen im Iran eingesperrt und gefoltert werden. Die Performance von Dr. Maryam Palizban »Sprechen in der Wunde – Über Erinnerung, Sprache und Widerstand« (Gasteig HP8 / Projektor, Samstag, 19.07.2025, 20 Uhr) sowie die Lesung von Shila Behjat »Frauen und Revolution« (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 20 Uhr) rücken nochmal die Position der Frauen in der iranischen Gesellschaft als besonders Leidtragenden in den Fokus der Aufmerksamkeit.