17.07.2025

Utopie und Empathie

K9 Film
K9: eine beklemmend ausbuchstabierte Science-Fiction-Dystopie...
(Foto: Cinema Iran 2025)

»Cinema Iran« findet zum zehnten Mal in München statt. Mit sechs eindringlichen Filmen und einem Begleitprogramm aus Vortrag, Performance und Lesung beschwört die Jubiläumsausgabe des Festivals »Die utopische Kraft der Empathie«

Von Wolfgang Lasinger

Eine Veran­stal­tung mit Kino aus dem Iran hat mehr denn je mit der poli­ti­schen Situation im Iran zu tun. Das von Silvia Bauer orga­ni­sierte und kura­tierte Programm »Cinema Iran« findet in München nun schon zum zehnten Mal statt, was eigent­lich ein Anlass zum Feiern ist. Doch der Ernst der Lage der Kultur­schaf­fenden im Iran gibt wenig Grund zu über­schwäng­li­cher Freude, die Repres­sion ist dort nach den israe­li­schen und ameri­ka­ni­schen Versuchen, das iranische Atom­pro­gramm durch Luft­an­griffe auszu­schalten, wieder erheblich massiver geworden. Die Hardliner des Regimes geben definitiv den Ton vor.

Ange­sichts dessen wird bei »Cinema Iran« also weniger das Jubiläum gefeiert, sondern umso mehr die Soli­da­rität mit der irani­schen Kultur und die poli­ti­sche Brisanz des Kinos. Das Motto »Die utopische Kraft der Empathie« beschwört die über die Grenzen hinweg wirkende Anteil­nahme, die die im Land von Unter­drü­ckung Betrof­fenen und die Diaspora im Exil vereint.

Die bedrän­gende Situation, die vom isla­mi­schen Rechts­system im Iran ausgeht, wird in der in Wieder­auf­füh­rung gezeigten Ballade von der weißen Kuh sichtbar (Gasteig HP8 / Projektor, Sa, 19. Juli, 16 Uhr).

Fast schon ein Klassiker des jüngsten irani­schen Kinos, macht dieser Film des von Repres­sa­lien betrof­fenen Regie-Paars Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam eindring­lich den staat­li­chen Druck deutlich, der bis in die priva­testen Regungen hinein­reicht. Eine Frau sucht Gerech­tig­keit für ihren Mann, der aufgrund eines Justiz­irr­tums hinge­richtet wurde, und kämpft um so etwas wie eine Entschä­di­gung. Ein angeb­li­cher Freund ihres Manns bietet ihr Unter­s­tüt­zung an. Doch die Lauter­keit seiner Absichten ist alles andere als garan­tiert.

Noch dras­ti­scher schlagen sich die bedrü­ckenden Verhält­nisse im Iran in den zwei Filmen von Vahid Vakilifar nieder, die von »Cinema Iran« als deutsche Premieren gezeigt werden. Die ästhe­ti­sche Radi­ka­lität seiner Filme sucht ihres­glei­chen. Rhinos Conquered the Middle East (2024) kriecht der persön­li­chen Krise des despe­raten Schau­spie­lers Elias förmlich bis in die Einge­weide nach, um seiner selbst­quä­le­ri­schen Männ­lich­keit Ausdruck zu verleihen (Gasteig HP8 / Projektor, Freitag, 18.07.2025, 18 Uhr).

K9 (2020) ist eine beklem­mend ausbuch­sta­bierte Science-Fiction-Dystopie. Dieser visuell konse­quent durch­kom­po­nierte Film entwirft die post­apo­ka­lyp­ti­sche Szenerie einer Erde, von der sich die Sonne zurück­ge­zogen hat. Das Kürzel K9 steht für »ca-nine«, Hunde also, und das Arbeits­lager Iran K9 (ein hündi­scher Iran gewis­ser­maßen), in dem der Film spielt, lässt sich als Parabel auf die in Düsternis und Aussichts­lo­sig­keit versun­kene isla­mi­sche Herr­schaft im Iran lesen (Gasteig HP8 / Projektor, Freitag, 18.07.2025, 20 Uhr).

Vahid Vaki­li­fars Filme stellen eine heraus­for­dernde Seherfah­rung dar, die auf eine tiefe Verzweif­lung des Regis­seurs über die Lage im Iran schließen lassen.

Eine gewisse Erleich­te­rung verschafft einem The Locust (2022) von der Regis­seurin Faeze Azizkhani, eine rasante wort­reiche Komödie um eine Frau am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs. Die Dreh­buch­au­torin Hanieh hat ihr auto­fik­tio­nales Skript aus finan­zi­eller Not an ihre Freundin und Regis­seurin verkauft. Beim szeni­schen Lesen mit dem Team muss sie sich der Ände­rungs­wün­sche erwehren, die sie als Angriff auf ihre Person versteht. Die vor cine­philen Anspie­lungen strot­zende Dialog­schlacht voller Witz hat jedoch einen ernsten Kern. Das Drama um die fehlende Aner­ken­nung künst­le­ri­scher Eigen­s­tän­dig­keit von Frauen gipfelt im Auftritt der Mutter Haniehs, die uner­wartet im Produk­ti­ons­büro auftaucht (Gasteig HP8 / Projektor, Samstag, 19. Juli 2025, 18:00 Uhr).

Wie die zuneh­mende Verdüs­te­rung im Iran nach der isla­mi­schen Revo­lu­tion 1979 ihren Anfang nahm, das kann man mitver­folgen in Lolita lesen in Teheran (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 17:30 Uhr, der Abschluss­film des Festivals läuft als Vorpre­miere, deutscher Kinostart am 04.12.2025).

Es handelt sich um die Verfil­mung des auto­bio­gra­phi­schen Buches der Lite­ra­tur­his­to­ri­kerin Azar Nafisi, die Anfang der 80er-Jahre nach der Revo­lu­tion in den Iran zurück­kehrte, um voller Hoff­nungen nach dem Ende der Schah-Herr­schaft an der Univer­sität in Teheran englische Literatur zu unter­richten. Bald sieht sie sich mit der spezi­ellen political correct­ness des isla­mi­schen Funda­men­ta­lismus konfron­tiert. Die männ­li­chen Studie­renden stoßen sich daran, dass in Büchern wie »The Great Gatsby« nur unmo­ra­li­sche Frauen vorkämen. Als der Hijab-Erlass kommt, quittiert sie den Dienst. Sie versucht dann der Repres­sion, die an der Univer­sität insbe­son­dere die Frauen trifft, entge­gen­zu­wirken, indem sie bei sich zu Hause einen klan­des­tinen Lesekreis für Studen­tinnen durch­führt und Lesen als Wider­stand begreift: Jane Austens »Stolz und Vorurteil«, Nabokovs »Lolita«, Henry James’ »Daisy Miller« werden zu Grad­mes­sern der Verluste an Frei­heiten, die die Frauen im Iran im Laufe der 80er- und 90er-Jahre erfahren mussten.

Der Film ist eine israe­lisch-italie­ni­sche Kopro­duk­tion und wurde unter der Regie des Israelis Eran Riklis (Kamera führte Hélène Louvart) mit einem Cast von Schau­spieler*innen (in der Haupt­rolle die Star-Schau­spie­lerin Gols­hifteh Farahani) gedreht, die im Iran nicht mehr wohl­ge­litten sind. Damit verweist der Film auf die iranische Exil-Diaspora, die aufgrund der repres­siven Verhält­nisse immer weiter wächst.

Die iranische Exil-Community Winnipegs spielt eine zentrale Rolle in Universal Language des Kanadiers Matthew Rankin. Der Eröff­nungs­film von Cinema Iran ist von der Stimmung am unbe­schwer­testen und eignet sich insofern sehr gut für die feier­liche Auftakt­ver­an­stal­tung. Sein skurriler Humor vermengt stilis­ti­sche Refe­renzen an Abbas Kiaros­tami mit Verweisen auf die absurd-exis­ten­tia­lis­ti­schen Tableaus Roy Anders­sons und entwi­ckelt dabei auch ein spezi­fi­sches Gespür für die kana­di­sche Urbanität Winnipegs als Ansamm­lung von Nicht-Orten. Melan­cholie ist die Grund­stim­mung des Films: Ihm ist das Gefühl der Fremdheit einge­schrieben, des Displat­ziert-Seins, das eine Sehnsucht nach dem verlo­renen Zugehörig-Sein trans­por­tiert. In einer univer­sellen Sprache des Kinos drückt sich darin viel­leicht die beschwo­rene Empathie mit ihrem utopi­schen Potential am deut­lichsten aus: so fern und doch so nah.

»Cinema Iran« beschränkt sich aber nicht nur auf Kino in der aktuellen Jubiläums­edi­tion: es expan­diert gewis­ser­maßen, indem es der Dring­lich­keit der Lage Tribut zollt und andere Formate der Präsen­ta­tion und Adres­sie­rung einbe­zieht. Der Vortrag von M. Sam Hosseini über »Evin – Eine Utopie: Städ­te­bau­liche Szenarien an einem Ort der Repres­sion« (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 16 Uhr) befasst sich mit dem berüch­tigten Gefängnis Evin, in dem die Oppo­si­tio­nellen im Iran einge­sperrt und gefoltert werden. Die Perfor­mance von Dr. Maryam Palizban »Sprechen in der Wunde – Über Erin­ne­rung, Sprache und Wider­stand« (Gasteig HP8 / Projektor, Samstag, 19.07.2025, 20 Uhr) sowie die Lesung von Shila Behjat »Frauen und Revo­lu­tion« (Gasteig HP8 / Projektor, Sonntag, 20.07.2025, 20 Uhr) rücken nochmal die Position der Frauen in der irani­schen Gesell­schaft als besonders Leid­tra­genden in den Fokus der Aufmerk­sam­keit.