Cinema Moralia – In den Schuhen des Fischers...
In den Schuhen des Fischers... |
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Werbung für The Shoes of the Fischerman am Duffy Square, New York City, 1968 | ||
(Foto: Svobodat, CC BY-SA 3.0 · CC BY-SA 3.0 ) |
»Wenn man an dir Verrat geübt,
Sei du um so treuer;
Und ist deine Seele zu Tode betrübt,
So greife du zur Leier.«
– Heinrich Heine
Überraschung bei 3sat-Kulturzeit.
Heute am 7. Mai sieht man in der Sendung einen ganz bezaubernden kleinen Gast-Beitrag von Wim Wenders, einen Kurzfilm mit dem Titel »Der Schlüssel zur Freiheit«. Der ist schön gemacht und überdies ziemlich lehrreich, jedenfalls dann, wenn man nicht weiß, dass die deutsche
Kapitulation im Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren gar nicht am 8. Mai unterschrieben wurde, sondern am 7. und am 9., zuerst für die Westfront, dann in Berlin für die Ost-Front mit der Sowjetunion. Die erste Kapitulation fand überdies in Frankreich statt, im geheimsten Ort der vielen geheimen Orte des Zweiten Weltkriegs: Dem Hauptquartier des US-Generals Eisenhower, einem Berufsschulgebäude in Reims, das heute ein Museum beherbergt.
Wenders erzählt und visualisiert das. Er
zeigt, wie in dem sogenannten Kartenraum in Reims der deutsche Generaloberst Alfred Jodl in der Nacht zum 7. Mai 1945 um 02.41 Uhr die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnete. Wenders’ Film verknüpft historische Aufnahmen mit persönlichen Beobachtungen und Gedanken: »Von meiner Kindheit an habe ich 80 Jahre in dem Frieden gelebt, den die Nacht in dieser Schule uns allen gebracht hat«, fügt Wenders noch hinzu. Er wurde im August 1945 geboren.
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An diesem Wochenende wird der Deutsche Filmpreis vergeben. Viele interessante und wichtige Filme sind nicht für den undotierten Preise nominiert.
Man kann nicht sagen, dass man sich da noch besonders auf die Veranstaltung freut, geschweige denn gespannt ist, wer diese Preise bekommt.
Wir haben es letzte Woche schon geschrieben: Ich wünschte mir, dass es eine der ersten Amtshandlungen des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer wäre, die Filmpreise erstens wieder zu dotieren, und zwar möglichst noch besser als beim letzten Mal mit Geldern aus seiner Amtsschatulle. Zweitens wäre es wünschenswert, die Vergabe und die
Ausrichtung des Filmpreises der »Deutschen Filmakademie« wegzunehmen. Er müsste wieder durch eine Jury nach rein ästhetischen und Kompetenz-Kriterien vergeben werden, nicht mehr durch eine pseudodemokratische Massenabstimmung, die überdies von den eigenen Akademiemitgliedern permanent unter Verdacht der Selbstbedienung gestellt wird.
Das Ganze wäre dann tatsächlich auch eine Chance für die Filmakademie. Denn wenn die Deutsche Filmakademie ein bisschen Stolz hätte, hätte sie selbst auf den Filmpreis längst verzichtet. Sie hätte ihren eigenen Deutschen Filmpreis, den »Bundesfilmpreis der Akademie«, den »Goldenen Wim« oder so ähnlich ins Leben gerufen und würde ihn vergeben. Meinetwegen undotiert und vollkommen unbeeinflusst durch irgendwelche Vorgaben des BKM.
Das Ergebnis wären zwei Filmpreise, die darüber
wetteifern können, welcher von ihnen der bessere ist.
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Dankenswerterweise berichtet jetzt auch die Süddeutsche Zeitung aus Anlass unseres Textes vor sechs Wochen über das DOK.fest München und unsere Kritik an der nicht vorhandenen Ausschreibung. Die einzige handwerkliche Schwäche des SZ-Textes ist die, dass der Autor uns nicht angesprochen hat und Nachfragen, die im Text geäußert werden, nicht abgeklärt hat. Die Chance, zu reagieren, wäre schön gewesen. Eine dieser Nachfragen stammt vom Noch-Leiter des Dok.Fest Daniel Sponsel: »Die Motive sind offensichtlich andere« raunt Sponsel in der Süddeutschen bezogen auf unsere Kritik an der Nachfolgeregelung. Ohne klarerweise zu sagen, welche er denn meint? Klassischer Fall von Whataboutism.
Dabei sind unsere Motive allen anderen, die nicht mit Unterstellungen arbeiten, glasklar. Ein Motiv von meiner Seite ist in jedem Fall der Wunsch nach Transparenz – und zwar doppelt: Zusammenhänge müssen deutlich gemacht werden. Und unabhängig davon, wie kompetent die neue Leitung ist, ist es ein Interesse der Öffentlichkeit zu wissen, dass die neue Stellvertreterin die Ehefrau des alten Leiters ist – und bis zu unserem Text wussten viele das nicht. Sehr viele haben uns daraufhin angesprochen und uns für diese Information gedankt. Und egal, was man ansonsten darüber zu sagen hat – es bleibt ein Geschmäckle.
Das hat auch etwas mit dem zweiten Teil der mangelnden Transparenz zu tun. Sie liegt in der fehlenden Ausschreibung – gerade eine öffentliche Ausschreibung hätte hier dem Verdacht von Nepotismus und Selbstbedienung entgegenwirken können. Hierbei ist es nur ein Nebenaspekt, dass das Fehlen der Ausschreibung auch noch der Selbstverpflichtung der »AG Filmfestival« widerspricht, der Daniel Sponsel auch noch selbst vorsteht, und die er – obwohl bald nicht mehr Festivalleiter – einstweilen stellvertretend in einer gerade eingerichteten Jury der Filmförderanstalt vertritt.
Die Hauptsache ist hier eben gar nicht die Frage, ob die neue Leiterin und ihre Stellvertreterin kompetent sind – das möchte ich zunächst einmal überhaupt nicht in Frage stellen. Von manchen, die das besser beurteilen können, höre ich dazu sehr Gutes, von anderen, die das ebenso gut beurteilen können, weniger Gutes. Aber so etwas wird immer bei jeder Leitungsbesetzung der Fall sein.
Was entscheidend für mich ist, ist, dass auch andere Menschen, Menschen, die von außen kommen, die vielleicht bei anderen Festivals gearbeitet haben, und mit einem Blick »out of the box« das DOK.fest bereichern könnten, ähnlich kompetent oder sogar kompetenter sein könnten. Sie sollen und müssen eine Chance bekommen, sich für die Leitung eines öffentlich geförderten Festivals zu bewerben.
Diese Chance gab es hier nicht – im Gegensatz zum letzten Mal, als Daniel Sponsel nach
einem öffentlichen und offenen Bewerbungsverfahren besetzt wurde.
Wovor also hatte man denn diesmal Angst?
Man kann in der Tat darüber diskutieren, ob es unseren Zeiten noch politisch, moralisch und sachlich angemessen und legitim ist, dass ein eher kleiner Trägerverein das alleinige Entscheidungsrecht in solchen Fragen hat – juristisch ist es fraglos legal. Aber wie gesagt geht es hier auch um die Verwaltung öffentlicher Gelder. Zumindest darüber diskutieren sollte man können – und zwar öffentlich. Es geht darum, dass eine Kulturinstitution vielleicht nicht mehr nach Gutsherrenart geführt werden kann – auch wenn das früher so üblich war und immer noch anderenorts praktiziert wird.
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Um ein Beispiel zu nennen: Man stelle sich einmal vor, in Saarbrücken müsste über die Nachfolge von Svenja Böttger entschieden werden. Und diese Nachfolge würde ohne Ausschreibungen entschieden und der neue stellvertretende Leiter wäre der Ehemann von Böttger.
Würde man das für ein besonders angemessenes Verfahren und für ein Beispiel von guter Amtsführung halten?
Egal ob es sich nun um ein öffentliches Festival handelt oder um einen privaten Verein, dessen Festival
allerdings mit erheblichen öffentlichen Fördergeldern unterstützt wird?
Um gute Amtsführung aber geht es hier. Es geht hier nicht nur um einzelne Festivals, sondern es geht um ein Prinzip und natürlich geht es darum, auf welcher Grundlage öffentliche Gelder an private Vereine oder GmbH’s fliessen. Auch ein öffentlich direkt gefördertes Festival ist den Regeln guter Verwaltung und entsprechenden Ethikregeln öffentlicher Amtsführung und Geldervergabe verpflichtet.
Es geht hier also auch und nicht zuletzt um die »AG Filmfestival«, die hier vor einer ersten Bewährungsprobe steht. Denn jenseits vom Betragen eines einzelnen, vor allem regional wichtigen Filmfestivals ist wichtig, welchen Sinn ein solcher Verband überhaupt hat. Man kann sich viele Selbstverpflichtungen geben, und in goldenen Worten einen Code of Ethics formulieren und Sonntagsreden zu selbstgesetzten Diversitätsstandards halten – das alles bleibt wertlos und folgenlos, wenn die schnöde offene Verletzung solcher selbstgesetzten Regeln und ihr Ignorieren erst recht durch ein Vorstandsmitglied folgenlos bleibt und öffentlich nur durch schwache Ausreden bestritten wird. Wem soll man noch glauben? So darf man mit öffentlichen Geldern nicht umgehen.
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Filmkultur ist nicht allein Geschmacksbildung und Wissen um ästhetische Fragen. Filmkultur ist auch nicht allein der Austausch über Lieblingsfilme und Autorenhandschriften oder die Cinephilie in ihren vielen Facetten.
Filmkultur ist auch das politische und ethische Verhalten im Einzelfall, in dem man selber gefordert wird. Erst hier zeigt sich der Wert von allgemein formulierten, wohlklingenden Ethik-Standards und Selbstverpflichtungen. Sie sind nicht dazu gut, nur
anderen vorgehalten zu werden oder dazu zu dienen, um der eigenen politischen Freundesblase Positionen zu sichern und andere die Positionen streitig zu machen.
Insofern muss man die Mitglieder der »AG Filmfestival«, insbesondere die Mitglieder des Vorstands, an ihren eigenen Maßstäben messen und Widersprüche zum Thema machen.
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Konklave ist kein Film. Sondern ein Verfahren, das man alle Jubeljahre in Rom beobachten kann: Wunderbar undemokratisch, nur alte Männer nach Kompetenz – mit anderen Worten: Mal etwas anderes und ein Beispiel für die Diversität von Entscheidungsfindungen. Auch Friedrich Merz könnte noch Papst werden, denn dazu muss man gar nicht dem Konklave angehören.
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Die Päpste sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die wirklich interessanten Päpste sind nämlich die süffigen, die der Renaissance. Die della Rovere, die Medici und die Piccolomini, aber vor allem die Borgia. Wer verstehen möchte, wie sich unser Zeitgeist und unsere Gesellschaft zum Mediokren, zum Uninteressanten wandelt, der kann sich eigentlich ganz gut an der Papstdarstellung orientieren. Ein stockkonservativer Langweiler und Antikommunist wie Karol Wojtyla, ein spießiger Reaktionär wie Ratzinger oder ein sehr netter Humanist wie Jorge Mario Bergoglio werden die Helden unserer Zeit, aber die Borgia und die Medici werden verdammt, weil sie wie alle Bürger dem Luxus frönten und weltlichen Lastern.
Wie spannend und glamourös Papstleben und Konklave sein können, zeigen außer Edward Bergers Papst-Thriller auch andere Filme: Rex Harrison, der gerade noch in Cleopatra Julius Cäsar gespielt hatte, verkörpert in Agony and Ecstasy den Papst der Familie della Rovere, der sich nach Julius Caesar benannt hatte: Julius II.: Ein fröhlicher Despot und einer, der die Künstler mit Intrigen gegeneinander ausspielt. Der Rest des Films der sich um die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle dreht, ist allerdings stinklangweilig.
Ganz im Gegensatz zu In den Schuhen des Fischers: Lawrence Olivier ist ein sowjetischer Generalsekretär, Anthony Quinn ein Priester, der aus dem Gulag auf den Papstthron kommt.
China wird als Gefahr für den Weltfrieden geschildert, die Sowjets als vernünftige Menschen, die »den Wahnsinn« der Welt beklagen.
Am schönsten aber ist Oskar Werner als linker Jesuit, Asienexperte und Anthropologe, ein Bücherwurm mit einem Plattenspieler, der Schostakowitsch hört, sich moderne Malerei ansieht und Wein trinkt – so stellen wir uns die Jesuiten vor und das römische Milieu, das dieser Film feiert.
Doch dann liegt plötzlich der Papst im Sterben. Dokumentarische Aufnahmen werden eingefügt. »Einer der selbstkritischsten Päpste unseres Jahrhunderts könnte im Sterben liegen.« sagt der US-Korrespondent. »Die Glocke läutet. Der Papst ist tot. Der Papst ist tot. Lauschen wir der Glocke. Bald werden Glocken überall in der Stadt in dieses Leuten einschalten auf dem ganzen Erdball.«
Wunderbar wird das Ritual geschildert, das Konklave rekonstruiert.
Mit der Idee eines osteuropäischen Papstes hat dieser Film 12 Jahre vor 1978 vorweg gesehen, was Woytila mit der Kirche machen würde: Papst Kyrill I.
Aktuelles Fazit des Films: »Ich glaube, wir sind alle Gefangene mehr oder weniger – ja aber ich glaube die, die das begriffen haben, leiden am meisten in diesem gequälten Jahrhundert.«
Die Einsamkeit der Macht. Wir sind zur vollkommenen Einsamkeit verurteilt von den Augen mit ihrer Wahl bis zur Stunde des Todes.
(to be continued)