08.05.2025
Cinema Moralia – In den Schuhen des Fischers...

In den Schuhen des Fischers...

Werbung für Shoes of the Fischer am Duffy Square, New York City, 1968
Werbung für The Shoes of the Fischerman am Duffy Square, New York City, 1968
(Foto: Svobodat, CC BY-SA 3.0 · CC BY-SA 3.0 )

Wir sind Konklave: Wim Wenders’ Kurzfilm zum 1945-Jubiläum, die Dok.Fest-Debatte, Papstfilme und der deutsche Filmpreis – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 351. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Wenn man an dir Verrat geübt,
Sei du um so treuer;
Und ist deine Seele zu Tode betrübt,
So greife du zur Leier.«

– Heinrich Heine

Über­ra­schung bei 3sat-Kultur­zeit.
Heute am 7. Mai sieht man in der Sendung einen ganz bezau­bernden kleinen Gast-Beitrag von Wim Wenders, einen Kurzfilm mit dem Titel »Der Schlüssel zur Freiheit«. Der ist schön gemacht und überdies ziemlich lehrreich, jeden­falls dann, wenn man nicht weiß, dass die deutsche Kapi­tu­la­tion im Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren gar nicht am 8. Mai unter­schrieben wurde, sondern am 7. und am 9., zuerst für die Westfront, dann in Berlin für die Ost-Front mit der Sowjet­union. Die erste Kapi­tu­la­tion fand überdies in Frank­reich statt, im geheimsten Ort der vielen geheimen Orte des Zweiten Welt­kriegs: Dem Haupt­quar­tier des US-Generals Eisenhower, einem Berufs­schul­ge­bäude in Reims, das heute ein Museum beher­bergt.
Wenders erzählt und visua­li­siert das. Er zeigt, wie in dem soge­nannten Karten­raum in Reims der deutsche Gene­ral­oberst Alfred Jodl in der Nacht zum 7. Mai 1945 um 02.41 Uhr die bedin­gungs­lose Kapi­tu­la­tion Deutsch­lands unter­zeich­nete. Wenders’ Film verknüpft histo­ri­sche Aufnahmen mit persön­li­chen Beob­ach­tungen und Gedanken: »Von meiner Kindheit an habe ich 80 Jahre in dem Frieden gelebt, den die Nacht in dieser Schule uns allen gebracht hat«, fügt Wenders noch hinzu. Er wurde im August 1945 geboren.

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An diesem Wochen­ende wird der Deutsche Filmpreis vergeben. Viele inter­es­sante und wichtige Filme sind nicht für den undo­tierten Preise nominiert.

Man kann nicht sagen, dass man sich da noch besonders auf die Veran­stal­tung freut, geschweige denn gespannt ist, wer diese Preise bekommt.
Wir haben es letzte Woche schon geschrieben: Ich wünschte mir, dass es eine der ersten Amts­hand­lungen des neuen Kultur­staats­mi­nis­ters Wolfram Weimer wäre, die Film­preise erstens wieder zu dotieren, und zwar möglichst noch besser als beim letzten Mal mit Geldern aus seiner Amts­scha­tulle. Zweitens wäre es wünschens­wert, die Vergabe und die Ausrich­tung des Film­preises der »Deutschen Film­aka­demie« wegzu­nehmen. Er müsste wieder durch eine Jury nach rein ästhe­ti­schen und Kompetenz-Kriterien vergeben werden, nicht mehr durch eine pseu­do­de­mo­kra­ti­sche Massen­ab­stim­mung, die überdies von den eigenen Akade­mie­mit­glie­dern permanent unter Verdacht der Selbst­be­die­nung gestellt wird.

Das Ganze wäre dann tatsäch­lich auch eine Chance für die Film­aka­demie. Denn wenn die Deutsche Film­aka­demie ein bisschen Stolz hätte, hätte sie selbst auf den Filmpreis längst verzichtet. Sie hätte ihren eigenen Deutschen Filmpreis, den »Bundes­film­preis der Akademie«, den »Goldenen Wim« oder so ähnlich ins Leben gerufen und würde ihn vergeben. Meinet­wegen undotiert und voll­kommen unbe­ein­flusst durch irgend­welche Vorgaben des BKM.
Das Ergebnis wären zwei Film­preise, die darüber wett­ei­fern können, welcher von ihnen der bessere ist.

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Dankens­wer­ter­weise berichtet jetzt auch die Süddeut­sche Zeitung aus Anlass unseres Textes vor sechs Wochen über das DOK.fest München und unsere Kritik an der nicht vorhan­denen Ausschrei­bung. Die einzige hand­werk­liche Schwäche des SZ-Textes ist die, dass der Autor uns nicht ange­spro­chen hat und Nach­fragen, die im Text geäußert werden, nicht abgeklärt hat. Die Chance, zu reagieren, wäre schön gewesen. Eine dieser Nach­fragen stammt vom Noch-Leiter des Dok.Fest Daniel Sponsel: »Die Motive sind offen­sicht­lich andere« raunt Sponsel in der Süddeut­schen bezogen auf unsere Kritik an der Nach­fol­ge­re­ge­lung. Ohne klarer­weise zu sagen, welche er denn meint? Klas­si­scher Fall von What­a­bou­tism.

Dabei sind unsere Motive allen anderen, die nicht mit Unter­stel­lungen arbeiten, glasklar. Ein Motiv von meiner Seite ist in jedem Fall der Wunsch nach Trans­pa­renz – und zwar doppelt: Zusam­men­hänge müssen deutlich gemacht werden. Und unab­hängig davon, wie kompetent die neue Leitung ist, ist es ein Interesse der Öffent­lich­keit zu wissen, dass die neue Stell­ver­tre­terin die Ehefrau des alten Leiters ist – und bis zu unserem Text wussten viele das nicht. Sehr viele haben uns daraufhin ange­spro­chen und uns für diese Infor­ma­tion gedankt. Und egal, was man ansonsten darüber zu sagen hat – es bleibt ein Geschmäckle.

Das hat auch etwas mit dem zweiten Teil der mangelnden Trans­pa­renz zu tun. Sie liegt in der fehlenden Ausschrei­bung – gerade eine öffent­liche Ausschrei­bung hätte hier dem Verdacht von Nepo­tismus und Selbst­be­die­nung entge­gen­wirken können. Hierbei ist es nur ein Neben­aspekt, dass das Fehlen der Ausschrei­bung auch noch der Selbst­ver­pflich­tung der »AG Film­fes­tival« wider­spricht, der Daniel Sponsel auch noch selbst vorsteht, und die er – obwohl bald nicht mehr Festi­val­leiter – einst­weilen stell­ver­tre­tend in einer gerade einge­rich­teten Jury der Film­för­der­an­stalt vertritt.

Die Haupt­sache ist hier eben gar nicht die Frage, ob die neue Leiterin und ihre Stell­ver­tre­terin kompetent sind – das möchte ich zunächst einmal überhaupt nicht in Frage stellen. Von manchen, die das besser beur­teilen können, höre ich dazu sehr Gutes, von anderen, die das ebenso gut beur­teilen können, weniger Gutes. Aber so etwas wird immer bei jeder Leitungs­be­set­zung der Fall sein.

Was entschei­dend für mich ist, ist, dass auch andere Menschen, Menschen, die von außen kommen, die viel­leicht bei anderen Festivals gear­beitet haben, und mit einem Blick »out of the box« das DOK.fest berei­chern könnten, ähnlich kompetent oder sogar kompe­tenter sein könnten. Sie sollen und müssen eine Chance bekommen, sich für die Leitung eines öffent­lich geför­derten Festivals zu bewerben.
Diese Chance gab es hier nicht – im Gegensatz zum letzten Mal, als Daniel Sponsel nach einem öffent­li­chen und offenen Bewer­bungs­ver­fahren besetzt wurde.
Wovor also hatte man denn diesmal Angst?

Man kann in der Tat darüber disku­tieren, ob es unseren Zeiten noch politisch, moralisch und sachlich ange­messen und legitim ist, dass ein eher kleiner Träger­verein das alleinige Entschei­dungs­recht in solchen Fragen hat – juris­tisch ist es fraglos legal. Aber wie gesagt geht es hier auch um die Verwal­tung öffent­li­cher Gelder. Zumindest darüber disku­tieren sollte man können – und zwar öffent­lich. Es geht darum, dass eine Kultur­in­sti­tu­tion viel­leicht nicht mehr nach Guts­her­renart geführt werden kann – auch wenn das früher so üblich war und immer noch ande­ren­orts prak­ti­ziert wird.

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Um ein Beispiel zu nennen: Man stelle sich einmal vor, in Saar­brü­cken müsste über die Nachfolge von Svenja Böttger entschieden werden. Und diese Nachfolge würde ohne Ausschrei­bungen entschieden und der neue stell­ver­tre­tende Leiter wäre der Ehemann von Böttger.
Würde man das für ein besonders ange­mes­senes Verfahren und für ein Beispiel von guter Amts­füh­rung halten?
Egal ob es sich nun um ein öffent­li­ches Festival handelt oder um einen privaten Verein, dessen Festival aller­dings mit erheb­li­chen öffent­li­chen Förder­gel­dern unter­s­tützt wird?

Um gute Amts­füh­rung aber geht es hier. Es geht hier nicht nur um einzelne Festivals, sondern es geht um ein Prinzip und natürlich geht es darum, auf welcher Grundlage öffent­liche Gelder an private Vereine oder GmbH’s fliessen. Auch ein öffent­lich direkt geför­dertes Festival ist den Regeln guter Verwal­tung und entspre­chenden Ethik­re­geln öffent­li­cher Amts­füh­rung und Gelder­ver­gabe verpflichtet.

Es geht hier also auch und nicht zuletzt um die »AG Film­fes­tival«, die hier vor einer ersten Bewäh­rungs­probe steht. Denn jenseits vom Betragen eines einzelnen, vor allem regional wichtigen Film­fes­ti­vals ist wichtig, welchen Sinn ein solcher Verband überhaupt hat. Man kann sich viele Selbst­ver­pflich­tungen geben, und in goldenen Worten einen Code of Ethics formu­lieren und Sonn­tags­reden zu selbst­ge­setzten Diver­si­täts­stan­dards halten – das alles bleibt wertlos und folgenlos, wenn die schnöde offene Verlet­zung solcher selbst­ge­setzten Regeln und ihr Igno­rieren erst recht durch ein Vorstands­mit­glied folgenlos bleibt und öffent­lich nur durch schwache Ausreden bestritten wird. Wem soll man noch glauben? So darf man mit öffent­li­chen Geldern nicht umgehen.

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Film­kultur ist nicht allein Geschmacks­bil­dung und Wissen um ästhe­ti­sche Fragen. Film­kultur ist auch nicht allein der Austausch über Lieb­lings­filme und Autoren­hand­schriften oder die Cine­philie in ihren vielen Facetten.
Film­kultur ist auch das poli­ti­sche und ethische Verhalten im Einzel­fall, in dem man selber gefordert wird. Erst hier zeigt sich der Wert von allgemein formu­lierten, wohl­klin­genden Ethik-Standards und Selbst­ver­pflich­tungen. Sie sind nicht dazu gut, nur anderen vorge­halten zu werden oder dazu zu dienen, um der eigenen poli­ti­schen Freun­des­blase Posi­tionen zu sichern und andere die Posi­tionen streitig zu machen.
Insofern muss man die Mitglieder der »AG Film­fes­tival«, insbe­son­dere die Mitglieder des Vorstands, an ihren eigenen Maßstäben messen und Wider­sprüche zum Thema machen.

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Konklave ist kein Film. Sondern ein Verfahren, das man alle Jubel­jahre in Rom beob­achten kann: Wunderbar unde­mo­kra­tisch, nur alte Männer nach Kompetenz – mit anderen Worten: Mal etwas anderes und ein Beispiel für die Diver­sität von Entschei­dungs­fin­dungen. Auch Friedrich Merz könnte noch Papst werden, denn dazu muss man gar nicht dem Konklave angehören.

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Die Päpste sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die wirklich inter­es­santen Päpste sind nämlich die süffigen, die der Renais­sance. Die della Rovere, die Medici und die Picco­lo­mini, aber vor allem die Borgia. Wer verstehen möchte, wie sich unser Zeitgeist und unsere Gesell­schaft zum Mediokren, zum Unin­ter­es­santen wandelt, der kann sich eigent­lich ganz gut an der Papst­dar­stel­lung orien­tieren. Ein stock­kon­ser­va­tiver Lang­weiler und Anti­kom­mu­nist wie Karol Wojtyla, ein spießiger Reak­ti­onär wie Ratzinger oder ein sehr netter Humanist wie Jorge Mario Bergoglio werden die Helden unserer Zeit, aber die Borgia und die Medici werden verdammt, weil sie wie alle Bürger dem Luxus frönten und welt­li­chen Lastern.

Wie spannend und glamourös Papst­leben und Konklave sein können, zeigen außer Edward Bergers Papst-Thriller auch andere Filme: Rex Harrison, der gerade noch in Cleopatra Julius Cäsar gespielt hatte, verkör­pert in Agony and Ecstasy den Papst der Familie della Rovere, der sich nach Julius Caesar benannt hatte: Julius II.: Ein fröh­li­cher Despot und einer, der die Künstler mit Intrigen gegen­ein­ander ausspielt. Der Rest des Films der sich um die Ausmalung der Sixti­ni­schen Kapelle dreht, ist aller­dings stink­lang­weilig.

Ganz im Gegensatz zu In den Schuhen des Fischers: Lawrence Olivier ist ein sowje­ti­scher Gene­ral­se­kretär, Anthony Quinn ein Priester, der aus dem Gulag auf den Papst­thron kommt.

China wird als Gefahr für den Welt­frieden geschil­dert, die Sowjets als vernünf­tige Menschen, die »den Wahnsinn« der Welt beklagen.

Am schönsten aber ist Oskar Werner als linker Jesuit, Asien­ex­perte und Anthro­po­loge, ein Bücher­wurm mit einem Plat­ten­spieler, der Schost­a­ko­witsch hört, sich moderne Malerei ansieht und Wein trinkt – so stellen wir uns die Jesuiten vor und das römische Milieu, das dieser Film feiert.

Doch dann liegt plötzlich der Papst im Sterben. Doku­men­ta­ri­sche Aufnahmen werden eingefügt. »Einer der selbst­kri­tischsten Päpste unseres Jahr­hun­derts könnte im Sterben liegen.« sagt der US-Korre­spon­dent. »Die Glocke läutet. Der Papst ist tot. Der Papst ist tot. Lauschen wir der Glocke. Bald werden Glocken überall in der Stadt in dieses Leuten einschalten auf dem ganzen Erdball.«

Wunderbar wird das Ritual geschil­dert, das Konklave rekon­stru­iert.

Mit der Idee eines osteu­ropäi­schen Papstes hat dieser Film 12 Jahre vor 1978 vorweg gesehen, was Woytila mit der Kirche machen würde: Papst Kyrill I.

Aktuelles Fazit des Films: »Ich glaube, wir sind alle Gefangene mehr oder weniger – ja aber ich glaube die, die das begriffen haben, leiden am meisten in diesem gequälten Jahr­hun­dert.«

Die Einsam­keit der Macht. Wir sind zur voll­kom­menen Einsam­keit verur­teilt von den Augen mit ihrer Wahl bis zur Stunde des Todes.

(to be continued)