Durchschnittliche Außerdurchschnittlichkeit |
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Wolfram Weimer (2019) | ||
(Foto: Raimond Spekking · CC BY-SA 4.0) |
»Vielleicht die schlechteste Personalentscheidung, seit Caligula sein Pferd zum Konsul gemacht hat.« – Holm Friebe
»Eine erstaunliche Entscheidung ... Die Kultur war nie sein Thema. ... Es fällt nicht leicht, sich vorzustellen, wie er die nächste Documenta eröffnet, sich für die Nöte der Clubkultur oder die Chöre im ländlichen Raum stark macht. ... Man könnte seine Berufung als weiteres Indiz dafür ansehen, dass die kommende Koalition der Kultur etwas ratlos gegenüber steht.« (Süddeutsche Zeitung)
»Sein Begriff von Kultur und sein Geschichtsverständnis weisen darauf hin, dass er der falsche Mann am falschen Platz wäre. Um es gelinde zu sagen.« (FAZ)
»Weimer löst selbst bei Konservativen Entsetzen aus.« (Frankenpost) – noch nie hat ein Kulturstaatsminister so viel negative Presse bekommen wie dieser. Es sind denkbar schlechte Voraussetzungen, unter denen Wolfram Weimer sein Amt antritt.
Positiv ausgedrückt: Er kann fast nur gewinnen. Und in einem Kultur- und Medienbetrieb, der in allen anderen Fällen in oft übertriebener Weise auf Achtsamkeit und Fairness fokussiert ist – außer es geht um jemanden, der
nicht der eigenen Identitätsblase angehört –, ist es schon wieder kurios, wie wenig offen, neugierig und kreativ in die Zukunft gerichtet diese »Kreativen« auf den neuen Minister reagieren, den sie ja vor allem vom aktuellen Hörensagen her kennen.
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Man erinnere sich noch einmal an den Start der Kulturstaatsministerin Claudia Roth vor knapp vier Jahren – bei dieser ebenfalls überaus überraschenden und nur durch politische Kungelei und grüne Parteiarithmetik, nicht aber durch kulturelle Expertise erklärbaren Personalentscheidung hätte es gute Gründe gegeben, ähnlich empört hysterisch aufschreiend und pessimistisch zu reagieren, wie diesmal reagiert wird. Aber damals hieß es, wenn man wie der Autor dieses Textes intern mit den Augen rollte und sich kritisch äußerte: »Gib ihr doch mal eine Chance!«; »Wenigstens 100 Tage sollte sie haben.«; »Lass sie doch mal machen!«
An diese Sätze möchte man jetzt auch erinnern, auch wenn man wiederum – wie, das fürs Protokoll, einmal mehr der Autor dieses Textes – dem neuen Kulturstaatsminister auch in diesem Fall überaus skeptisch gegenüber steht: Lassen wir ihn doch mal machen.
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»Schlimmer geht’s immer« hatte ich hier vor vier Wochen geschrieben, als die Benennung von Joe Chialo zum Nachfolger von Claudia Roth als Staatsminister für Kultur und Medien eine beschlossene Sache schien. Ob man das auch in diesem Fall sagen kann, da bin ich mir nicht sicher. Denn die miserable Presse für Wolfram Weimer, die allgemeine Skepsis über alle politischen Lager hinweg und fast noch schärfer formuliert im konservativen und rechtsliberalen Lager als im
reflexartig und pflichtbewusst aufjaulenden linken, das hier einen neuen Lieblingsfeind gefunden hat, könnte auch dazu führen, dass der Mann gleich zu Beginn über die engen Grenzen seine Handlungsfähigkeiten sowie über seine ärgsten Feinde gut informiert diejenigen Lücken im gegnerischen Feld ausmachen wird, in die er stoßen und zumindest einen Teil der Skeptiker überzeugen kann.
Denn die größte Unbekannte bei Wolfram Weimer ist die, ob der Mann eigentlich ein Ideologe und
Überzeugungstäter ist, oder nicht viel mehr einfach ein Karrierist und Erzopportunist, der im Herbst seiner beruflichen Laufbahn noch einen dritten Frühling erlebt – der sich schnell zum Winter der Kultur, aber auch der Karriere Wolfram Weimers wandeln kann.
Wenn er ein Opportunist sein sollte, dann wird ihm dieser Opportunismus gepaart mit seiner Intelligenz helfen, sich geschmeidig im kulturellen Feld zu bewegen, Provokationen, auch die nötigen, zu vermeiden und eher nach außen hin »Friede Freude Eierkuchen« zur Schau zu tragen, um nach innen unter der Oberfläche Stellschrauben zu verschieben. Die wichtigsten beiden Felder des neuen Kulturstaatsminister sind zum einen die Finanzpolitik – er wird mehr als an allem anderen daran gemessen werden, ob er die finanziell anständige, wenn auch durchaus ausbaufähige Ausstattung, für die seine Vorvorgängerin Monika Grütters erfolgreich gekämpft hatte, halten kann.
Das zweite Feld wird die Bekämpfung des Antisemitismus in der Kultur sein. Gerade dies ist ein politisches Minenfeld. Hier wird Weisheit und Vorsicht noch empfehlenswerter sein als in anderen Feldern, wenn man wirklich etwas erreichen will, nicht nur symbolpolitische Schlachten gewinnen, sondern den Feldzug erfolgreich zu Ende bringen.
Ich weiß, dass hier auch meine eigene Position innerhalb der kulturellen Landschaft – wie man so sagt »umstritten« ist –, also mehrheitlich abgelehnt wird. »Das muss man doch anders sagen, da muss man doch alle mitnehmen« – Nein: beim Antisemitismus muss man es so klar wie möglich sagen und die Antisemiten muss man nicht mitnehmen, sondern ausschließen und zurücklassen.
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Das dritte Arbeitsfeld ist das der Filmpolitik. Nur hier ist der neue BKM wirklich zuständig. Und hier wird er die vielen offenen Baustellen und die halbfertige Reform der Filmpolitik zuende führen können.
Wir hätten ein paar Vorschläge für den neuen BKM: Endlich Tax Incentives schaffen, die Förderung automatisieren, und zugleich Gremien und Jurys abschaffen, wo es irgend geht.
Jurys und Gremien könnten durch Intendanten ersetzt werden. Anstatt dass eine fünfköpfige Jury
fünfmal abstimmt, könnte in fünf Sitzungen abwechselnd ein einzelnes Mitglied allein entscheiden, nur beraten durch die vier Kollegen.
Weimer sollte aber beim deutschen Filmpreis und bei der Filmakademie anfangen: Warum wird der – mit Bundesgeldern finanzierte – Filmpreis nicht der Massenabstimmung von über 2000 Mitgliedern der Filmakademie wieder entzogen und, wie es Jahrzehnte besser funktioniert hat, von einer Fachjury vergeben?
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Die wichtigste Einsicht für den neuen Kulturstaatsminister lautet aber: Kulturpolitik darf nicht parteipolitisch aufgefasst werden. Wer das tut, hat bereits verloren. Monika Grütters wusste das und war darum jenseits davon, worüber man sich in Fachfragen streiten konnte mit ihr und über sie streiten konnte, aber eben auch mit ihr, eine sehr erfolgreiche Kulturstaatsministerin, nach der man sich heute mehr denn je zurücksehnt.
Claudia Roth ist daran krachend gescheitert, dass sie genau diese Kardinaleinsicht bis zu ihrem letzten Amtstag nicht einmal verstanden hat.
Roth hat mit diesem Versagen nicht nur sich in den politischen Abgrund gezogen, sondern die ganze Grüne Partei kulturpolitisch für zwei Jahrzehnte verbrannt.
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Positiv ist über ihren Nachfolger Weimer zu sagen: Er ist ein intellektuell interessierter Mensch, und ein gebildeter Mann – was das in diesem Fall genau bedeutet und wie sich das dann aufs Amt auswirkt, das wird man erst sehen.
Aber er ist kein Apparatschik und kein Berufspolitiker. Damit geht Friedrich Merz zurück zu den Ursprüngen und zu dem Gedanken, unter dem das Amt des Kulturstaatsministers mal von Gerhard Schröder gegründet wurde: Um ein Ort für die Verbindung von Geist und Macht zu sein.
Egal wo Wolfram Weimer jetzt genau politisch steht – und er steht sicherlich sehr weit rechts außen im Unionslager –, so ist er erstmal jemand, der politisch gestalten will und der einen Sinn für Kultur und den Eigenwert des Kulturellen hat, und der diesen Sinn in einem der Kultur gegenüber ziemlich gleichgültigen Kabinett gewiss stärken kann.
Das ist mir viel lieber als ein neoliberaler Sparkommissar, wie es Joe Chialo gewesen wäre, ein Mann, der eigentlich nur vom Kürzen Ahnung hat und der außer als Popmanager auch keine kulturelle Erfahrung hat.
Dass er kein »Sparkommissar« sein will, hat Weimer schon deutlich gemacht.
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Auf der anderen Seite darf man sich keine Illusionen machen: Der Mann ist kulturell und kulturpolitisch bisher null in Erscheinung getreten. Und er ist auch politisch außer durch schrille Kommentare von Rechtsaußen und erzkonservative Ansichten und durch gelegentliche Auftritte bei Markus Lanz auch politisch öffentlich nicht in Erscheinung getreten.
Er ist auch politisch überhaupt nirgendwo verankert, auch nicht im schwärzesten Flügel der Union. Sondern er ist einfach ein Golfkumpel von Friedrich Merz.
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Jetzt ist eine Internet-Petition gegen Weimer lanciert worden. »Wolfram Weimer darf nicht Staatsminister für Kultur und Medien werden!« heißt es da. Und weiter:
»Weimer ist nicht geeignet für dieses zentrale Amt der Kulturpolitik. Er ist ein konservativer Publizist und Verleger, der bislang kaum als Kulturmensch in Erscheinung getreten ist. Weimer war Gründer und Chefredakteur des politisch konservativen Magazins Cicero, später Chefredakteur der Welt und des Focus – Medien, die eine klare wirtschaftsliberale und rechtskonservative Linie vertreten. Seine Verlagsprojekte (u. a. Wirtschaftskurier, The European) stehen
für wirtschaftsnahe, konservative Perspektiven, nicht für eine offene, diverse und kritische Kulturlandschaft.
Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung braucht die deutsche Kulturpolitik eine Persönlichkeit, die Vielfalt, Demokratie und künstlerische Freiheit schützt und fördert – und keine konservative Verengung betreibt.«
Über 43.000 Menschen hatten dies am Mittwochabend unterschrieben.
Ich finde diese Reaktion hysterisch und falsch. Angefangen damit, dass ich es zwar nicht beweisen kann, mir aber sicher bin, dass über die Hälfte der Unterzeichner vor vier Tagen noch nicht wussten, wer Wolfram Weimer ist.
Die Leute, die in der Petition eine Verengung beklagen, artikulieren selbst eine sehr verengte Position.
Zur Erinnerung: In einer pluralistischen, demokratischen, offenen Gesellschaft darf man rechtskonservative und wirtschaftsliberale Positionen vertreten. Vielleicht wäre es gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung eine gute Idee, dass Demokraten zusammenrücken, über parteipolitische Grenzen hinweg und lieber gemeinsam klare Kante gegen Rechtsextremisten zeigen, anstatt die Grenze zu ihnen aufzulösen und sich gegenseitig zu zerfleischen.
Trotzdem haben wir, um die Gegenargumente zu Wort kommen zu lassen, einen der Erstunterzeichner, den Schauspieler Hans Jochen Wagner gebeten, seine Argumente für die Petition hier in einem Gastbeitrag darzulegen.
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»Joe Chialo darf nicht Kulturstaatsminister werden« – hätten sich unsere Kulturfreunde das denn auch getraut, obwohl es vielleicht die noch viel wichtigere Petition gewesen wäre? Weil einer, der jede Kultureinrichtung nach dem Rasenmäherprinzip kürzt, der viel gefährlichere Minister gewesen wäre; ein Kulturverächter und nicht ein altmodischer Wichtigtuer.
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Allzu viele Vorschusslorbeeren und 100-Tage-Schonfristen wird der neue Kulturstaatsminister trotzdem nicht bekommen.
Aber wer ist überhaupt dieser Wolfram Weimer?
Weimer ist der ehemalige Cicero-Gründungschefredakteur, unter dem das Magazin immer weiter nach rechts gedriftet ist, bevor er abgelöst wurde. Davor war Weimer bei der FAZ im Wirtschaftsressort, eine Weile auch in Spanien als Wirtschaftskorrespondent – als die FAZ noch drei Leute in Spanien hatte. Später dann wurde er im Schlepptau seines Kumpels aus FAZ-Zeiten Matthias Döpfner Chefredakteur der »Welt«, bevor er über eine bis heute nie richtig aufgeklärte Intrige stolperte, an der möglicherweise sein alter Arbeitgeber, die FAZ, möglicherweise der unzufriedene Ex-Kumpel Döpfner und möglicherweise er selber schuld waren.
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Ähnlich wie Friedrich Merz ist Weimer ein Mann der schnellen Worte und der steilen Thesen, nicht unbedingt deren tieferer Grundierung. So schrieb er gemeinsam mit seinem Vater Alois Weimar ein seichtes Philosophie-Lesebuch für Manager unter dem Titel »Mit Platon zum Profit«, so schrieb er über »Die Sozialisierungsfalle« und mehrfach davon, »warum die Rückkehr der Religion gut ist«, 2009 erklärt er, »Warum die Krise uns konservativ macht« und 2018 kam dann »Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit.« Das ist ungefähr das Niveau, das ein Friedrich Merz offenbar für intellektuell und kunstsinnig hält.
Dies ist aber auch der Versuch des designierten Kanzlers Friedrich Merz, kulturpolitisch Farbe zu bekennen, und eine Entscheidung außerhalb der Üblichkeiten zu treffen. Merz bricht hier mit dem Kulturfunktionärstum, der Ansicht, dass nur sogenannte »gestandene Kulturpolitiker« diesen Job ausfüllen können. Das ist natürlich totaler Unsinn. Merz führt das Amt damit aber auch zum ursprünglichen Gedanken zurück, als das Amt von Gerhard Schröder geschaffen wurde – den Gedanken, dass dies auch eine Spielwiese für die Intellektuellen sein müsste. Wie der Verleger Michael Naumann und der Philosoph Julian Nida-Rümelin. Wolfram Weimar ist, ob uns das jetzt gefällt oder nicht, durchaus sein Intellektueller – nur eben einer von Rechtsaußen. Er ist jemand, der einen weiten Horizont hat, der nicht in parteipolitischen Flügeln und den entsprechenden Flügelkämpfen festgetackert ist.
Zudem hat Weimer immerhin einen (Hoch-)Kulturbegriff und sieht Kultur nicht komplett als Verfügungsmasse für neoliberale Sparpolitik an – und gleichzeitig ist diese Entscheidung für den Mann in ihrer durchschnittlichen Durchschnittlichkeit und Sauerlandhaftigkeit auch wieder genau das, was sich Friedrich Merz unter Kultur vorstellt.
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Anderenorts ist die Begeisterung geringer: In einem ungewöhnlich scharfen Begrüßungstext macht Herausgeber Jürgen Kaube klar, warum Weimer »der falsche Mann am falschen Platz wäre. Um es gelinde zu sagen.«
Kaube weiter: »Weimer ein Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen, wäre spekulativ.« in einer Sammlung aus Stilblüten zu Weimers Begriff von Kultur und seinem Geschichtsverständnis wird klar: Weimer hat von nichts eine Ahnung. »Wir fürchten uns nur jetzt schon etwas davor, was er im Amt alles zum Besten geben würde.«