01.05.2025

Durchschnittliche Außer­durch­schnitt­lich­keit

Wolfram Weimer 2019
Wolfram Weimer (2019)
(Foto: Raimond Spekking · CC BY-SA 4.0)

Mit dem Fahrstuhl nach oben: Friedrich Merz' Golfpartner Wolfram Weimer wird neuer Kulturstaatsminister werden

Von Rüdiger Suchsland

»Viel­leicht die schlech­teste Perso­nal­ent­schei­dung, seit Caligula sein Pferd zum Konsul gemacht hat.« – Holm Friebe

»Eine erstaun­liche Entschei­dung ... Die Kultur war nie sein Thema. ... Es fällt nicht leicht, sich vorzu­stellen, wie er die nächste Documenta eröffnet, sich für die Nöte der Club­kultur oder die Chöre im länd­li­chen Raum stark macht. ... Man könnte seine Berufung als weiteres Indiz dafür ansehen, dass die kommende Koalition der Kultur etwas ratlos gegenüber steht.« (Süddeut­sche Zeitung)

»Sein Begriff von Kultur und sein Geschichts­ver­s­tändnis weisen darauf hin, dass er der falsche Mann am falschen Platz wäre. Um es gelinde zu sagen.« (FAZ)

»Weimer löst selbst bei Konser­va­tiven Entsetzen aus.« (Fran­ken­post) – noch nie hat ein Kultur­staats­mi­nister so viel negative Presse bekommen wie dieser. Es sind denkbar schlechte Voraus­set­zungen, unter denen Wolfram Weimer sein Amt antritt.
Positiv ausge­drückt: Er kann fast nur gewinnen. Und in einem Kultur- und Medi­en­be­trieb, der in allen anderen Fällen in oft über­trie­bener Weise auf Acht­sam­keit und Fairness fokus­siert ist – außer es geht um jemanden, der nicht der eigenen Iden­ti­täts­blase angehört –, ist es schon wieder kurios, wie wenig offen, neugierig und kreativ in die Zukunft gerichtet diese »Kreativen« auf den neuen Minister reagieren, den sie ja vor allem vom aktuellen Hören­sagen her kennen.

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Man erinnere sich noch einmal an den Start der Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth vor knapp vier Jahren – bei dieser ebenfalls überaus über­ra­schenden und nur durch poli­ti­sche Kungelei und grüne Parteiarith­metik, nicht aber durch kultu­relle Expertise erklär­baren Perso­nal­ent­schei­dung hätte es gute Gründe gegeben, ähnlich empört hyste­risch aufschreiend und pessi­mis­tisch zu reagieren, wie diesmal reagiert wird. Aber damals hieß es, wenn man wie der Autor dieses Textes intern mit den Augen rollte und sich kritisch äußerte: »Gib ihr doch mal eine Chance!«; »Wenigs­tens 100 Tage sollte sie haben.«; »Lass sie doch mal machen!«

An diese Sätze möchte man jetzt auch erinnern, auch wenn man wiederum – wie, das fürs Protokoll, einmal mehr der Autor dieses Textes – dem neuen Kultur­staats­mi­nister auch in diesem Fall überaus skeptisch gegenüber steht: Lassen wir ihn doch mal machen.

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»Schlimmer geht’s immer« hatte ich hier vor vier Wochen geschrieben, als die Benennung von Joe Chialo zum Nach­folger von Claudia Roth als Staats­mi­nister für Kultur und Medien eine beschlos­sene Sache schien. Ob man das auch in diesem Fall sagen kann, da bin ich mir nicht sicher. Denn die miserable Presse für Wolfram Weimer, die allge­meine Skepsis über alle poli­ti­schen Lager hinweg und fast noch schärfer formu­liert im konser­va­tiven und rechts­li­be­ralen Lager als im reflex­artig und pflicht­be­wusst aufjau­lenden linken, das hier einen neuen Lieb­lings­feind gefunden hat, könnte auch dazu führen, dass der Mann gleich zu Beginn über die engen Grenzen seine Hand­lungs­fähig­keiten sowie über seine ärgsten Feinde gut infor­miert dieje­nigen Lücken im gegne­ri­schen Feld ausmachen wird, in die er stoßen und zumindest einen Teil der Skeptiker über­zeugen kann.
Denn die größte Unbe­kannte bei Wolfram Weimer ist die, ob der Mann eigent­lich ein Ideologe und Über­zeu­gungs­täter ist, oder nicht viel mehr einfach ein Karrie­rist und Erzop­por­tu­nist, der im Herbst seiner beruf­li­chen Laufbahn noch einen dritten Frühling erlebt – der sich schnell zum Winter der Kultur, aber auch der Karriere Wolfram Weimers wandeln kann.

Wenn er ein Oppor­tu­nist sein sollte, dann wird ihm dieser Oppor­tu­nismus gepaart mit seiner Intel­li­genz helfen, sich geschmeidig im kultu­rellen Feld zu bewegen, Provo­ka­tionen, auch die nötigen, zu vermeiden und eher nach außen hin »Friede Freude Eier­ku­chen« zur Schau zu tragen, um nach innen unter der Ober­fläche Stell­schrauben zu verschieben. Die wich­tigsten beiden Felder des neuen Kultur­staats­mi­nister sind zum einen die Finanz­po­litik – er wird mehr als an allem anderen daran gemessen werden, ob er die finan­ziell anstän­dige, wenn auch durchaus ausbaufähige Ausstat­tung, für die seine Vorvor­gän­gerin Monika Grütters erfolg­reich gekämpft hatte, halten kann.

Das zweite Feld wird die Bekämp­fung des Anti­se­mi­tismus in der Kultur sein. Gerade dies ist ein poli­ti­sches Minenfeld. Hier wird Weisheit und Vorsicht noch empfeh­lens­werter sein als in anderen Feldern, wenn man wirklich etwas erreichen will, nicht nur symbol­po­li­ti­sche Schlachten gewinnen, sondern den Feldzug erfolg­reich zu Ende bringen.

Ich weiß, dass hier auch meine eigene Position innerhalb der kultu­rellen Land­schaft – wie man so sagt »umstritten« ist –, also mehr­heit­lich abgelehnt wird. »Das muss man doch anders sagen, da muss man doch alle mitnehmen« – Nein: beim Anti­se­mi­tismus muss man es so klar wie möglich sagen und die Anti­se­miten muss man nicht mitnehmen, sondern ausschließen und zurück­lassen.

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Das dritte Arbeits­feld ist das der Film­po­litik. Nur hier ist der neue BKM wirklich zuständig. Und hier wird er die vielen offenen Baustellen und die halb­fer­tige Reform der Film­po­litik zuende führen können.
Wir hätten ein paar Vorschläge für den neuen BKM: Endlich Tax Incen­tives schaffen, die Förderung auto­ma­ti­sieren, und zugleich Gremien und Jurys abschaffen, wo es irgend geht.
Jurys und Gremien könnten durch Inten­danten ersetzt werden. Anstatt dass eine fünf­köp­fige Jury fünfmal abstimmt, könnte in fünf Sitzungen abwech­selnd ein einzelnes Mitglied allein entscheiden, nur beraten durch die vier Kollegen.

Weimer sollte aber beim deutschen Filmpreis und bei der Film­aka­demie anfangen: Warum wird der – mit Bundes­gel­dern finan­zierte – Filmpreis nicht der Massen­ab­stim­mung von über 2000 Mitglie­dern der Film­aka­demie wieder entzogen und, wie es Jahr­zehnte besser funk­tio­niert hat, von einer Fachjury vergeben?

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Die wich­tigste Einsicht für den neuen Kultur­staats­mi­nister lautet aber: Kultur­po­litik darf nicht partei­po­li­tisch aufge­fasst werden. Wer das tut, hat bereits verloren. Monika Grütters wusste das und war darum jenseits davon, worüber man sich in Fach­fragen streiten konnte mit ihr und über sie streiten konnte, aber eben auch mit ihr, eine sehr erfolg­reiche Kultur­staats­mi­nis­terin, nach der man sich heute mehr denn je zurück­sehnt.

Claudia Roth ist daran krachend geschei­tert, dass sie genau diese Kardi­nal­ein­sicht bis zu ihrem letzten Amtstag nicht einmal verstanden hat.
Roth hat mit diesem Versagen nicht nur sich in den poli­ti­schen Abgrund gezogen, sondern die ganze Grüne Partei kultur­po­li­tisch für zwei Jahr­zehnte verbrannt.

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Positiv ist über ihren Nach­folger Weimer zu sagen: Er ist ein intel­lek­tuell inter­es­sierter Mensch, und ein gebil­deter Mann – was das in diesem Fall genau bedeutet und wie sich das dann aufs Amt auswirkt, das wird man erst sehen.

Aber er ist kein Appa­rat­schik und kein Berufs­po­li­tiker. Damit geht Friedrich Merz zurück zu den Ursprüngen und zu dem Gedanken, unter dem das Amt des Kultur­staats­mi­nis­ters mal von Gerhard Schröder gegründet wurde: Um ein Ort für die Verbin­dung von Geist und Macht zu sein.

Egal wo Wolfram Weimer jetzt genau politisch steht – und er steht sicher­lich sehr weit rechts außen im Unions­lager –, so ist er erstmal jemand, der politisch gestalten will und der einen Sinn für Kultur und den Eigenwert des Kultu­rellen hat, und der diesen Sinn in einem der Kultur gegenüber ziemlich gleich­gül­tigen Kabinett gewiss stärken kann.

Das ist mir viel lieber als ein neoli­be­raler Spar­kom­missar, wie es Joe Chialo gewesen wäre, ein Mann, der eigent­lich nur vom Kürzen Ahnung hat und der außer als Popma­nager auch keine kultu­relle Erfahrung hat.

Dass er kein »Spar­kom­missar« sein will, hat Weimer schon deutlich gemacht.

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Auf der anderen Seite darf man sich keine Illu­sionen machen: Der Mann ist kulturell und kultur­po­li­tisch bisher null in Erschei­nung getreten. Und er ist auch politisch außer durch schrille Kommen­tare von Rechts­außen und erzkon­ser­va­tive Ansichten und durch gele­gent­liche Auftritte bei Markus Lanz auch politisch öffent­lich nicht in Erschei­nung getreten.

Er ist auch politisch überhaupt nirgendwo verankert, auch nicht im schwär­zesten Flügel der Union. Sondern er ist einfach ein Golf­kumpel von Friedrich Merz.

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Jetzt ist eine Internet-Petition gegen Weimer lanciert worden. »Wolfram Weimer darf nicht Staats­mi­nister für Kultur und Medien werden!« heißt es da. Und weiter:

»Weimer ist nicht geeignet für dieses zentrale Amt der Kultur­po­litik. Er ist ein konser­va­tiver Publizist und Verleger, der bislang kaum als Kultur­mensch in Erschei­nung getreten ist. Weimer war Gründer und Chef­re­dak­teur des politisch konser­va­tiven Magazins Cicero, später Chef­re­dak­teur der Welt und des Focus – Medien, die eine klare wirt­schafts­li­be­rale und rechts­kon­ser­va­tive Linie vertreten. Seine Verlags­pro­jekte (u. a. Wirt­schafts­ku­rier, The European) stehen für wirt­schafts­nahe, konser­va­tive Perspek­tiven, nicht für eine offene, diverse und kritische Kultur­land­schaft.
Gerade in Zeiten wach­sender gesell­schaft­li­cher Pola­ri­sie­rung braucht die deutsche Kultur­po­litik eine Persön­lich­keit, die Vielfalt, Demo­kratie und künst­le­ri­sche Freiheit schützt und fördert – und keine konser­va­tive Verengung betreibt.«

Über 43.000 Menschen hatten dies am Mitt­woch­abend unter­schrieben.

Ich finde diese Reaktion hyste­risch und falsch. Ange­fangen damit, dass ich es zwar nicht beweisen kann, mir aber sicher bin, dass über die Hälfte der Unter­zeichner vor vier Tagen noch nicht wussten, wer Wolfram Weimer ist.
Die Leute, die in der Petition eine Verengung beklagen, arti­ku­lieren selbst eine sehr verengte Position.

Zur Erin­ne­rung: In einer plura­lis­ti­schen, demo­kra­ti­schen, offenen Gesell­schaft darf man rechts­kon­ser­va­tive und wirt­schafts­li­be­rale Posi­tionen vertreten. Viel­leicht wäre es gerade in Zeiten wach­sender gesell­schaft­li­cher Pola­ri­sie­rung eine gute Idee, dass Demo­kraten zusam­men­rü­cken, über partei­po­li­ti­sche Grenzen hinweg und lieber gemeinsam klare Kante gegen Rechts­extre­misten zeigen, anstatt die Grenze zu ihnen aufzu­lösen und sich gegen­seitig zu zerflei­schen.

Trotzdem haben wir, um die Gegen­ar­gu­mente zu Wort kommen zu lassen, einen der Erst­un­ter­zeichner, den Schau­spieler Hans Jochen Wagner gebeten, seine Argumente für die Petition hier in einem Gast­bei­trag darzu­legen.

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»Joe Chialo darf nicht Kultur­staats­mi­nister werden« – hätten sich unsere Kultur­freunde das denn auch getraut, obwohl es viel­leicht die noch viel wich­ti­gere Petition gewesen wäre? Weil einer, der jede Kultur­ein­rich­tung nach dem Rasen­mäher­prinzip kürzt, der viel gefähr­li­chere Minister gewesen wäre; ein Kultur­ver­ächter und nicht ein altmo­di­scher Wich­tig­tuer.

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Allzu viele Vorschuss­lor­beeren und 100-Tage-Schon­fristen wird der neue Kultur­staats­mi­nister trotzdem nicht bekommen.
Aber wer ist überhaupt dieser Wolfram Weimer?

Weimer ist der ehemalige Cicero-Grün­dungs­chef­re­dak­teur, unter dem das Magazin immer weiter nach rechts gedriftet ist, bevor er abgelöst wurde. Davor war Weimer bei der FAZ im Wirt­schafts­res­sort, eine Weile auch in Spanien als Wirt­schafts­kor­re­spon­dent – als die FAZ noch drei Leute in Spanien hatte. Später dann wurde er im Schlepptau seines Kumpels aus FAZ-Zeiten Matthias Döpfner Chef­re­dak­teur der »Welt«, bevor er über eine bis heute nie richtig aufge­klärte Intrige stolperte, an der mögli­cher­weise sein alter Arbeit­geber, die FAZ, mögli­cher­weise der unzu­frie­dene Ex-Kumpel Döpfner und mögli­cher­weise er selber schuld waren.

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Ähnlich wie Friedrich Merz ist Weimer ein Mann der schnellen Worte und der steilen Thesen, nicht unbedingt deren tieferer Grun­die­rung. So schrieb er gemeinsam mit seinem Vater Alois Weimar ein seichtes Philo­so­phie-Lesebuch für Manager unter dem Titel »Mit Platon zum Profit«, so schrieb er über »Die Sozia­li­sie­rungs­falle« und mehrfach davon, »warum die Rückkehr der Religion gut ist«, 2009 erklärt er, »Warum die Krise uns konser­vativ macht« und 2018 kam dann »Das konser­va­tive Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürger­lich­keit.« Das ist ungefähr das Niveau, das ein Friedrich Merz offenbar für intel­lek­tuell und kunst­sinnig hält.

Dies ist aber auch der Versuch des desi­gnierten Kanzlers Friedrich Merz, kultur­po­li­tisch Farbe zu bekennen, und eine Entschei­dung außerhalb der Üblich­keiten zu treffen. Merz bricht hier mit dem Kultur­funk­ti­onär­stum, der Ansicht, dass nur soge­nannte »gestan­dene Kultur­po­li­tiker« diesen Job ausfüllen können. Das ist natürlich totaler Unsinn. Merz führt das Amt damit aber auch zum ursprüng­li­chen Gedanken zurück, als das Amt von Gerhard Schröder geschaffen wurde – den Gedanken, dass dies auch eine Spiel­wiese für die Intel­lek­tu­ellen sein müsste. Wie der Verleger Michael Naumann und der Philosoph Julian Nida-Rümelin. Wolfram Weimar ist, ob uns das jetzt gefällt oder nicht, durchaus sein Intel­lek­tu­eller – nur eben einer von Rechts­außen. Er ist jemand, der einen weiten Horizont hat, der nicht in partei­po­li­ti­schen Flügeln und den entspre­chenden Flügel­kämpfen fest­geta­ckert ist.

Zudem hat Weimer immerhin einen (Hoch-)Kultur­be­griff und sieht Kultur nicht komplett als Verfü­gungs­masse für neoli­be­rale Spar­po­litik an – und gleich­zeitig ist diese Entschei­dung für den Mann in ihrer durch­schnitt­li­chen Durch­schnitt­lich­keit und Sauer­land­haf­tig­keit auch wieder genau das, was sich Friedrich Merz unter Kultur vorstellt.

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Ande­ren­orts ist die Begeis­te­rung geringer: In einem unge­wöhn­lich scharfen Begrüßungs­text macht Heraus­geber Jürgen Kaube klar, warum Weimer »der falsche Mann am falschen Platz wäre. Um es gelinde zu sagen.«

Kaube weiter: »Weimer ein Interesse an irgend­einer Kunst oder Geist zu unter­stellen, wäre speku­lativ.« in einer Sammlung aus Stil­blüten zu Weimers Begriff von Kultur und seinem Geschichts­ver­s­tändnis wird klar: Weimer hat von nichts eine Ahnung. »Wir fürchten uns nur jetzt schon etwas davor, was er im Amt alles zum Besten geben würde.«