Ans Licht |
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Ans Licht gezerrt werden bei Asylsuchenden die Lebenswege: Die Anhörung von Lisa Gerig ist ebenfalls im Programm | ||
(Foto: Nonfiktionale | Lisa Gerig) |
Von Dunja Bialas
Renaissance der Allzeitmetapher »Licht«. Während im Kino seit dem heutigen Donnerstag Tom Tykwer im gleichnamigen Film Das Licht die Problematiken unserer immer komplizierter werdenden Weltordnung zu lösen versucht, wendet sich die Nonfiktionale im bayerischen Bad Aibling den wirklichen Problemen unserer real existierenden Welt zu. Das Festival für den dokumentarischen Film wurde 2009 nach dem Vorbild der Duisburger Filmwoche gegründet. Jedes Jahr werden ästhetisch relevante Dokumentarfilme zu einem gleichfalls relevanten Thema präsentiert und im Anschluss an die Filmvorführung eingehend debattiert. Dieses Jahr lautet das Motto: »Ans Licht«.
In gut einem Dutzend Programmen diskutieren die Festivalmacherinnen Tamara Danicic, Melanie Liebheit und Team mit den anwesenden Filmschaffenden über den Dokumentarfilm als Medium der Sichtbarkeit. Erst wenn sich die Kamera auf die Wirklichkeit richtet, wird sie im eigentlichen Sinne sichtbar, und damit auch begreifbar, verstehbar. Sichtbarkeit verknüpft sich auch mit dem Politischen, wenn sie das Private aus seinem stillen Dasein hervorholt. »Das Private wird politisch«, wenn es öffentlich wird, das wussten schon die alten Achtundsechziger.
Gerade im Umgang mit dem Privaten – und nicht so sehr im investigativen Journalismus, der eine Genreübererfüllung bzw. Selbsterfüllung bedeutete, da er nur deshalb besteht, weil er Dinge ans Licht befördert – zeigen sich die Herausforderungen des Dokumentarischen. Darüber nachzudenken macht den Ausflug nach Bad Aibling zur Nonfiktionale allemal lohnend, wenn nicht sogar lehrreich.
Die Verquickung des Privaten mit dem Politischen – eben genau in umgekehrter Form – macht Benedikt Schwarzers Die Geheimnisse des Schönen Leo deutlich. Der Regisseur ist der Enkel des hochrangigen CSU-Politikers Leo Wagner der Bonner Republik, der es ziemlich hat krachen lassen. Neben den aufsehenerregenden, im wahrsten Sinne, Enthüllungsdokumenten ist sein Dokumentarfilm mit viel Material aus dem Privatarchiv der Familie auch ein Sittengemälde aus einer Zeit, als die Politik noch nicht maßlos, sondern einfach nur schamlos war. Ein schonungsloser Film, denn letztlich exponiert der Filmemacher damit auch seine gesamte Familie.
Obgleich Österreich gerade noch so um eine Skandal-Koalition herumgekommen sind, herrschen im Nachbarland weiterhin prekäre Verhältnisse, anders als in Deutschland, versteht sich. Die alpenländische »Zuckerlkoalition« aus ÖVP (türkis), SPÖ (rot) und Neos (pink) geht auf Sparkurs, die Abriegelung des Landes fällt jedoch weniger drastisch aus, als zu befürchten war. Der neue österreichische Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) ist zwar schon 64 Jahre alt, hat aber trotzdem nicht die Bekanntheit eines bei Amtsantritt erst 31-jährigen Sebastian Kurz. Der verdankte seinen kometenhaften Aufstieg dem strategischen Masterplan »Projekt Ballhausplatz«. Kurt Langbein rekonstruiert in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm die Methoden dieses Aufstiegs. Ein analytischer und sehr aufschlussreicher Blick, der einen vor der Gegenwart schaudern lässt. Die Machenschaften sind überall.
Eröffnet wird das Festival am heutigen Donnerstag mit Anima – Die Kleider meines Vaters. Hier wird nun tatsächlich das Private politisch gemacht, wenn Uli Decker die klandestine Travestie ihres verstorbenen Vaters im Film öffentlich werden lässt. Es wird das große Geheimnis, das wohl jede Familie birgt, ans Licht gebracht: In der oberbayerischen Provinz zog sich der katholische Vater Frauenkleider an. Sein Leben lang verbrachte er in dem seelischen Zwiespalt und unterdrückte sein Begehren, erst am Sterbebett offenbarte er sich. Eine Lebenslüge? Sicherlich eine verpasste Chance für die ganze Familie. Und so ist die Publikmachung seiner Neigung auch ein posthumes Coming-Out und eine Wiedergutmachung der Tochter für den Vater, die zeigt, dass dieser wohl trotzdem ein richtiges Leben im falschen hatte.
Wenn man diese Filme sieht, stellt sich auch stets die Frage nach dem Verbergen von Sachverhalten, dem Zurückhalten von Informationen, dem Schützen der mit einemmal exponierten Protagonisten. All das hat auch mit der Ethik des Dokumentarischen zu tun: Man könnte auch nicht zeigen, was man gefilmt hat, und auch das Material nicht zeigen, das man in den Archiven gefunden hat. Wenn es wichtige Gründe dafür gibt. Eine sensible Frage der einzuhaltenden Grenzen im Dokumentarischen, die auf der Nonfiktionale in den Filmgesprächen gleichermaßen zur Sprachen kommen sollte.