Stiller Zorn |
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Mit den Figuren in der georgischen Landschaft verwachsen | ||
(Foto: IFFMH) |
Von Dunja Bialas
»Wenn ein Mann von der Arbeit nach Hause kommt, muss ihn die Frau umsorgen, ihm die Füße waschen, Essen bereiten und Geborgenheit geben.«
- Ilia II., Patriarch der Georgisch Orthodoxen Kirche
Ein starker Regen. Eine Pfütze. Minutenlang prasselt es vom Himmel, das bläuliche Bild wird akustisch untermalt vom grollenden Donner, ein paar Blätter schwimmen auf dem von den Tropfen aufgepeitschten Wasser. So beginnt April, spektakulär und zugleich still und meditativ, der zweite Film der georgischen Regisseurin Dea Kulumbegashvili, dem das 73. Internationale Filmfestival von Mannheim Heidelberg als Centerpiece große Sichtbarkeit im Programm verschafft hat. Und in der Tat, Dea Kulumbegashvili hat mit ihrem zweiten Film, in Venedig ausgezeichnet mit dem Spezialpreis der Jury, ein aufsehenerregendes Werk geschaffen.
In ruhigen Tableaus erzählt der Film die Geschichte von Nina, einer Ärztin auf der gynäkologischen Station in einem Provinzkrankenhaus. Ihr Job ist es, Leben auf die Welt zu bringen. Eine Totgeburt zu Beginn des Film bringt sie jedoch ins Visier des Krankenhausmanagements, eine Untersuchung wird eingeleitet. Anstatt dies jedoch als kriminalistischen Fall aufzufächern, mit Befragungen und Untersuchungen, wird dies umgeleitet in eine eindringliche Zustandsbeschreibung. Der Frau, der Region, der Seelen der Menschen.
Dea Kulumbegashvili nennt ihren Film »eine Liebeserklärung«, gedreht hat sie ihn in der Region, aus der sie selbst kommt, in ihrer Heimat. Das ist auch emotional belastet. Seit ihrem ersten Film Beginning lebt sie im Berliner Exil. Im Interview in Mannheim erzählt sie mit sanfter Stimme von ihrer Arbeit, während der Sound der kofferschiebenden Hotelpagen sie in der fremden Umgebung fast untergehen lässt und sie auf dem großen Sofa fast versinkt.
»Ich kann in Georgien keine Filme mehr machen. April drehten wir heimlich, mein Drehbuch habe ich absolut vertraulich gehalten, viele der Mitwirkenden wussten nicht vollständig, um was es geht. Jetzt habe ich mit dem Preis von Venedig eine große Aufmerksamkeit erregt, stärker als zuvor mit Beginning.« Wer in Georgien Filme mache, stehe unter großer Beobachtung.
Nina, ihre Hauptfigur, ist das Skandalon des Films. Sie ist alleinstehend, ganz auf ihren Beruf konzentriert. Nachts streckt sie auf dem Bett ihren nackten Körper der Dunkelheit entgegen, verlässt manchmal das Haus und gabelt auf der Landstraße mit ihrem Auto einsame Männer auf, die sie zum Sex auffordert. »Leck mich«, sagt sie zu einem. Wumm, ihr Kopf kracht gegen das Lenkrad.
Nina ist eine Einzelgängerin. Manchmal erinnert ihre Figur an A Girl Walks Home Alone At Night, Ana Lily Amirpours Erzählung von der Vampirin in der iranischen Männerwelt. Hier ist die Welt christlich-orthodox und patriachalisch.
»Die Frauen sind in Georgien ihrer grundlegenden Rechte beraubt. Die große Armut, die überall herrscht, überdeckt das aber. Viele Frauen können weder lesen noch schreiben. Sie haben keine Bildung und keine Fähigkeiten erhalten, um ein eigenes Leben zu führen. Von den Männern werden sie wie Eigentum behandelt.«
Und dann erzählt Kulumbegashvili vom kuriosen, aber überaus ernst gemeinten Diktum des orthodoxen Patriarchen, das vorschreibt, dass die Frau dem Mann die Füße zu waschen
habe. »Eine gute Frau ist in diesem Denken eine, die sich vollständig dem Ehemann hingibt. Wenn ein Mann seine Ehefrau tötet, droht ihm eine Strafe von sieben Jahren Haft, die er aber oft nicht absitzen muss.« Aus der Ohnmacht entstehe ein »stiller Zorn« bei den Frauen, die nicht laut aufbegehren können. Er sei überall spürbar, in den Häusern und in den Herzen. Die georgische Regierung tue nichts, um die soziale Situation zu verbessern, bereite im Gegenteil den Femiziden fruchtbaren
Boden.
Nicht allein der selbstbestimmte Sex aber macht Nina zu einer Bedrohung für die Männer und die patriachale Ordnung. Sie nimmt außerhalb der Klinik Abtreibungen vor. In einem Tableau sehen wir ausgestreckt auf einem Küchentisch ein junges Mädchens liegen, vom Ellbogen bis zu den Oberschenkeln von der Kamera fixiert. Immer wieder verkrampft sich ihre Hand in der ihrer Mutter, die ihr beisteht. Aus dem Off des Bildes, hors champ, reicht immer wieder die Hand von Nina herein, die mit gynäkologischem Besteck hantiert. Zu hören ist nur der schwere, unterdrückte Atem des Mädchens, minutenlang, während das Bild nur eine Ahnung gibt von dem, was sich hier zuträgt.
Selbst diese zurückhaltende Inszenierung jedoch ist in Mannheim für manche Besucher nicht auszuhalten, einige verlassen den Saal. Getriggert oder moralisch empört, in jedem Fall stellvertretend für das, was die Figuren auf der Leinwand ertragen. Dabei enthält sich der Stil von Kulumbegashvili der Dramatisierung. Allein die Echtzeit der Darstellung jedoch, das wissen wir vom Kino, kann die Unerträglichkeit einer Szene steigern.
Ia Sukhitashvili, die Nina mit ruhiger Konzentration spielt, war schon in Kulumbegashvilis erstem Film Beginning dabei, wofür sie in San Sebastián den Darsteller-Preis bekam. Ihre Figur wiederum ist von einer realen Ärztin inspiriert, die Kulumbegashvili bei ihren Recherchen getroffen hat. Sie hat mit den Frauen der Region gesprochen und die verborgenen Geschichten und Ängste aufgespürt.
In vielen Szenen aber sind die Menschen abwesend. Die Dunkelheit macht sich breit, das Land versinkt im Matsch. Der titelgebende Monat wird, neben der weiten Landschaft, zu einem weiteren Protagonisten in diesem stillen Kammerspiel unter offenem Himmel. Hin und wieder bricht die Schönheit der Natur hervor, in den zartrosafarbenen Blüten der Apfelbäume und dem klatschmohnroten Feld.
Auf die Schönheit der Aufnahmen angesprochen, die mit der unterschwelligen Gewalt, die sich in den Häusern abspielt, stark kontrastiert, sagt Kulumbegashvili: »Es gibt so viel Schönheit in dieser Landschaft. Ich liebe mein Land. Wenn der Ort nicht so eine große Schönheit in sich tragen würde, warum würden überhaupt die Menschen dort bleiben? Überall kann das Leben erspürt werden, es ist tief in die Landschaft eingelassen und es sieht dich in jedem Moment an. Die Landschaft enthält die Schönheit, den Terror und den Schmerz, alles zusammen.« Dann sagt sie noch: Man solle den Blick nicht abwenden, man dürfe nicht wegsehen.
Kulumbegashvili wendet den Blick nicht ab. Kameramann Arseni Khachaturan hält seine 35mm-Kamera auf den Nachthimmel, auf den Korridor im Krankenhaus, auf die Dunkelheit im Zimmer von Nina, minutenlang. Ein Gewitter zuckt über den Himmel, bis es sich beruhigt hat. Fast ist es, als würde der Betrachter mit den Figuren in den Szenen festhängen, ohne Ausweg, in intensiven, grandiosen, bisweilen auch schwer auszuhaltenden Filmerfahrungen.
Jede gefilmte Situation darf in dieser schnörkellosen Stilpräzision für sich selbst sprechen, braucht keine dramaturgische Zuspitzung, keinen ordnenden und einordnenden Erzähler. Man könnte auch sagen, dass April dadurch zutiefst unmoralisch ist. Kulumbegashvili aber vertraut dem Kino, und auch dem Zuschauer. »Ich habe auch immenses Vertrauen in die Menschlichkeit, trotz des großen Horrors, den ich gesehen habe. Man muss filmische Räume schaffen, in denen der Betrachter nachdenken und sich erinnern kann, an das, was er selbst erlebt hat.« Sie findet die Freiräume des Kinos, weil sie mit ihren langen Bildern der Natur und den Menschen Zeit gibt, sich zu zeigen.
Dazu gehören auch die Geburten, auf die die Kamera ebenfalls in einem ruhigen Tableau aus Distanz draufhält. Eine Geburt am Anfang und ein Kaiserschnitt am Ende. Und in der Mitte die Abtreibung. Das ist die Affaire de femmes, die Frauensache, von der schon Claude Chabrol erzählt hat, bei Kulumbegashvili verliert sich jedoch die spekulative Note, die diesem frühen Film aus den Achtzigern anhaftet. Die Geburten sind für sie der Moment, in dem man sieht, wie das Leben erwacht. Als Teil eines weiblich verstandenen Kinos sei es wichtig, die Geburten und die Abtreibung zu zeigen. »Mir liegt viel daran, Filme zu machen, die das reale Leben der Frauen betreffen«, sagt sie. Dazu gehöre auch, dass die Hauptfigur Geschirr abwäscht. Das habe nicht der Phantasie männlicher Produzenten entsprochen, die lieber mehr Sex gesehen hätten und weniger Alltag oder gar Geburten.
Finanziert hat sie ihren Film ohne staatliche Gelder. April ist eine internationale Co-Produktion, in der auch Luca Guadagnino als Produzent gewirkt hat. Sein Film Queer wurde jüngst in Istanbul gecancelt, woraufhin Mubi das Istanbul Filmfestival ganz absagte. »In Georgien könnte man eine Vorführung des Films noch nicht einmal planen. Es gibt wegen des neuen Anti-LGTBQ-Gesetzes keine Möglichkeit, den Film zu zeigen. Das ist nicht nur verboten, man wird auch verhaftet. Man wird verfolgt. Georgien verändert sich gerade zu einem autoritären Land. Ich habe große Angst um meine Kollegen.«
Ansonsten spricht sie lieber nicht über die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet. Sie sind immer noch in Georgien und auf die staatliche Kunstförderung angewiesen. Indirekt kritisiert Kulumbegashvili das dann aber doch: »Ich finde, allein schon still zu sein, heißt, auf eine gewisse Weise mitzuwirken.« Es gehe nicht nur darum, die Regierung auszuwechseln, alle Regierungen hätten in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die Situation so schlecht geworden ist. »Die Menschen sind unterdrückt und ihrer grundlegenden Fähigkeiten und Chancen beraubt. Ihnen bleibt nichts. Sogar ihr tägliches Brot hängt von der Regierung ab. Sie haben große Angst. Es ist sehr tragisch, was mit Georgien passiert.«
Kulumbegashvili zeichnet mit April diese Angst nach, die Ausweglosigkeit des Lebens, das in einem Kreislauf der Gewalt gefangen ist, der bereits bei der Geburt und oft schon bei der Zeugung einsetzt. Sie hält ihren Figuren keine Türen offen, sowie sie auch nichts von einem Arthouse-Kino hält, das gegen ein Kinoticket einfache Lösungen präsentiert, in einer Art säkularem Ablasshandel. Gesättigt von viel Realismus und dem Idealismus der atemberaubenden Schönheit des Lebens, einem grundlegenden Vitalismus inmitten des Sterbens, enthält sich April jedoch auch der Allegorie. Bis auf eine Kreatur, eine Gestalt zwischen Mutter Erde und Monster, zwischen alter Frau und Verwundeter, gesichtslos, schwer atmend. Eine lebende Skulptur, Phantasma und Inbild des nackten Lebens und des politischen Leids, von dem Giorgio Agamben in »Was von Auschwitz blieb« schrieb.
Kulumbegashvili findet in der rätselhaften Kreatur eine »erdige und raue Manifestation des Schönen«. Eine figurale Transgression, für die sie überhaupt Kino mache. Das Reale zu überwinden und doch von ihm zu sprechen, keine Angst vor dem Phantasma zu haben, sich aber vor der allegorischen Erzählweise zu hüten: das verleiht Dea Kulumbegashvili diese ganz eigene, sanfte und zugleich nachdrückliche und insistierende Erzählstimme. Die sich nicht zum Schweigen bringen lässt. »Wie kann ich noch Filme machen, wenn ich alle, die mir dabei helfen, in Gefahr bringe?«, zweifelt sie. »Ich werde aber nicht aufhören, Filme zu machen.«