21.11.2024

Im Anfang war das Wort

Asho Film
Szene aus Asho von Jafar Najafi, am 27.11. um 18:30 Uhr im Kunstlabor 2
(Foto: IDFA Institute)

Vom 24. bis 29. November 2024 feiert KINO ASYL sein 10-jähriges Jubiläum – ein Jahrzehnt schon haben junge Menschen mit Fluchterfahrung Filme aus ihrer Heimat ausgewählt, um sie dem Münchner Publikum zu zeigen und darüber zu sprechen

Von Axel Timo Purr

Wie fragil der Status eines Asyls sein kann, zeigen gerade die von der Weltöf­fent­lich­keit fast unbe­merkten, äußerst brutalen Abschie­bungen von Haitia­nern aus der Domi­ni­ka­ni­schen Republik, die seit Anfang Oktober forciert werden und über die der haitia­ni­sche Autor Jhak Valcourt vor kurzem eine eindring­liche Reportage veröf­fent­lich hat. Hört man jedoch die Ankün­di­gungen des künftigen ameri­ka­ni­schen Präsi­denten, ahnt jeder, dass dieses Szenario auch in den USA Wirk­lich­keit werden kann und wie so oft in der Geschichte, könnten damit auch in Europa Dämme brechen, die bislang noch durch Gesetz­ge­bung und Zivil­cou­rage gestützt werden.

Einer dieser kleinen Dämme, die Schlim­meres verhin­dern, ist sicher­lich das KINO ASYL, das seit nun mehr 10 Jahren uner­müd­lich junge Menschen mit Flucht­er­fah­rung dazu animiert, Filme aus ihrer Heimat auszu­wählen, um sie dem Münchner Publikum zu zeigen und damit eine Brücke zu bauen, die Grenzen über­windet. Grenzen, die Menschen auf ihrem Weg nach München über­querten, und solche, die auch noch nach einem Jahrzehnt den öffent­li­chen Diskurs bestimmen, denn wie leicht die Thematik Migration wieder und wieder zum Spielball popu­lis­ti­scher Politik werden kann, zeigen ja auch die Zerreiß­proben der deutschen Politik der letzten Monate. Das Projekt KINO ASYL versucht ein Gegen­nar­rativ zu entwi­ckeln: Durch das Zuhören und Verstehen von migran­ti­schen Reali­täten und Hinter­gründen, die über kleine Film­schätze, persön­liche Einblicke, Meinungen und Erfah­rungen junger Menschen, die ihren Lebens­mit­tel­punkt nun in München haben, spie­le­risch in einen öffent­li­chen Diskurs­raum gestellt werden. Damit bietet das Festival eine wichtige Plattform für inter­kul­tu­rellen Austausch, Begegnung und die gemein­same Erkundung neuer Film­welten.

Auch im dies­jäh­rigen Jubiläums­jahr präsen­tiert das Festival unkon­ven­tio­nelle Filme und Geschichten. So eröffnet das Festival am 24. November mit Standing Free in den Münchner Kammer­spielen. Die Welt­pre­miere des Doku­men­tar­films wird von Anastasia kuratiert und erzählt die Geschichte von Max, einem ukrai­nisch-kana­di­schen Teenager, der nach der Zers­törung seines Eltern­hauses durch russische Streit­kräfte durch die Ukraine reist. Durch seine Augen zeigt der Film, wie der Krieg das Leben der Menschen in der Ukraine formt – von Zivi­listen bis hin zu Soldaten, die trotz der Zers­törung dann doch vereint sind. Besonders für Anastasia: Ihre jüngere Schwester erscheint im Film, mit Szenen, die an ihrer alten Schule in Kiew gedreht wurden. Regisseur Max Khomenko wird persön­lich zur Premiere anwesend sein. Neben diesem 16-minütigen Kurzfilm sind noch weitere Filme zu sehen: der jorda­ni­sche Hummam Eid – Wenn Kunst zur Botschaft wird und Scam Club aus Uganda, die mit dem Eröff­nungs­film ab 18 Uhr zu sehen sind.

Am 25. November wird das NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum bespielt. Um 18 Uhr wird der ugan­di­sche Expe­ri­men­tal­film The Game gezeigt, der das harte Leben von Straßen­kin­dern thema­ti­siert, danach die ukrai­nisch-kana­di­sche Doku­men­ta­tion Us, our pets and the war, der zeigt, wie der Krieg das Leben von Menschen und ihren Haus­tieren verändert, indem emotio­nale Geschichten erzwun­gener Verän­de­rungen erzählt werden. Um 20.15 Uhr wird der Anima­ti­ons­film Der Brot­ver­diener präsen­tiert, der die epische Suche eines jungen Mädchens nach ihrem Vater schildert.

Am 26. November wird wieder mit Kurz­filmen eröffnet, an diesem Tag jedoch im Gasteig HP8. Ab 18.30 Uhr wird der ukrai­ni­sche An unserer Stelle gezeigt, eine Geschichte über fünf Freunde, die alle andere Wege gehen. Inside the Box aus Deutsch­land spiegelt das Schicksal vieler Flücht­linge in Deutsch­land wider und Servus Habibi – Gib die Hoffnung nicht auf ist ein einfühl­samer Doku­men­tar­film von KINO ASYL-Kurator und Filme­ma­cher Yahya Mashehor, der die Geschichte dreier Menschen aus verschie­denen Ländern erzählt, die nach Deutsch­land geflüchtet sind. Der Film schildert ihre Heraus­for­de­rungen und die Dank­bar­keit für die Chancen, die ihnen hier eröffnet wurden. Zugleich teilen sie ihre Träume und Wünsche für die Zukunft. Yahya, der den Film selbst produ­ziert hat, sagt: »Es war mir wichtig, ihre Geschichten zu erzählen, um ein tieferes Vers­tändnis für ihre Erfah­rungen zu schaffen und ihre Stimmen hörbar zu machen.«
Abge­schlossen wird dieser KINO ASYL-Abend um 20.00 Uhr mit der Doku­men­ta­tion Bobi Wine: the people’s president aus Uganda, die den inspi­rie­renden Akti­vismus von Bobi Wine nach­zeichnet, der aus den Ghettos von Kampala zu einem der belieb­testen Super­stars des Landes aufsteigt.

Am 27. November ist KINO ASYL Gast im Kunst­labor 2 und zeigt ab 18.30 Uhr die Kurzfilme Asho, der das massive Trauma der Trennung vom eigenen Kind, das viele Frauen im Iran erleiden, thema­ti­siert und im Anschluss daran den arme­ni­schen Այգ / Ayg, die Geschichte zweier junger Erwach­sener aus Artsakh (Berg Karabach), die seit ihrer Kindheit eng befreundet sind, und eines Krieges, der diese Freund­schaft belastet. Um 20.00 Uhr wird mit dem afgha­ni­schen Kurzfilm Der Wert ihrer Reste eröffnet und dann lang mit Das Reich der Stille weiter­ge­macht, ein Film den Kongo und der seit über 35 Jahren dort herr­schenden Gewalt.

Am 28. November lädt um 20.30 Uhr der Doku­men­tar­film Carnaval in der Hoch­schule für Fernsehen und Film München zu einer filmi­schen Reise in die Welt des Karnevals in Cajamarca in Peru ein. Kuratiert von Ronaldo und Christiam, entfaltet der Film die Geschichte und die tiefen Wurzeln eines tradi­tio­nellen Festes. »Dieser Film ist eine Hommage an die lebendige Kultur von Cajamarca,« beschreiben Chris und Ronaldo das Projekt, das den Karneval nicht nur als Feier, sondern auch als Moment des Zusam­men­halts zeigt. Im Mittel­punkt stehen die Menschen von Cajamarca selbst, die das Fest aus ihrer Perspek­tive lebendig machen: Familien, die seit Gene­ra­tionen dabei sind, und junge Menschen, die in den fest­li­chen Paraden, Essen und Tänzen ihre eigene Krea­ti­vität einbringen. Einge­leitet wird dieser Langfilm von dem ukrai­ni­schen Lost, der davon erzählt »wie Angst unsere Entschei­dungen beein­fluss und dass man sich selbst verliert, wenn man nicht auf sein Herz hört.«
Auch die 18.30 Uhr-Schiene in der HFF hat einen ukrai­ni­schen Film im Programm: Ukrai­nians in Exile, der in seinen sechs Minuten mit einer wichtigen Frage eröffnet: Als ich am ersten Tag des Krieges von dem Donnern der Explo­sionen aufge­wacht bin, war mein erster Gedanke »Gehen wir doch zur Schule, oder?« Der Langfilm am frühen Abend ist Shahid, der unter der Regie von Narges Kalhor eine bewegende Geschichte mit poeti­scher Ehrlich­keit und Intimität erzählt.

Der letzte Tag des Festivals findet im Bellevue de Monaco statt. Um 20.00 Uhr am 29. November werden vier Kurzfilme präsen­tiert. Der afgha­ni­sche Hohe Kiefern beschäf­tigt sich mit den Hazara, eine große Ethnie in Afgha­ni­stan, die seit vielen Jahren mit Diskri­mi­nie­rung und Völker­mord konfron­tiert sind; der iranische Kein Dach will Mut in schwie­rigen Situa­tionen vermit­teln; Out of Uganda betont, dass jeder so sein sollte, wie er sein möchte und lieben kann, wen er möchte und das ebenfalls ugan­di­sche Musik­video Wanaaza zeigt einen musi­ka­li­schen Weg zu Gott auf.

Nach den Filmen geben die jewei­ligen Kurator:innen Q&As und sprechen mit Expert:innen aus den Bereichen Film, Kunst und Kultur. Ausstel­lungen, Diskus­sionen mit Film­schaf­fenden sowie musi­ka­li­sche Beiträge runden das Programm ab.