21.11.2024

Die universelle Sprache des Kinos

L'amour ouf
Gefühle mit großem Ausrufezeichen: Beating Hearts
(Foto: Studiocanal)

Frankreich ist immer noch die Grande Nation du Cinéma. Das beweist einmal mehr die Französische Filmwoche

Von Dunja Bialas

»Nein, in Frank­reich haben wir keine Probleme.« Das sagte vor wenigen Tagen Laurence Rilly, Redak­teurin für Kurzfilm beim deutsch-fran­zö­si­schen Sender arte, der maßgeb­lich bei Kinofilm-Produk­tionen beteiligt ist. Sie saß als Panelistin auf einem Podium des 43. Film­school­fest Munich, das mit »Shortfilm – who cares?« über­ti­telt war. Gerade wurde die deutsche Film­för­de­rung kriti­siert, die mit der neuen Richt­linie des Film­för­de­rungs­ge­setzes (die Novel­lie­rung lässt immer noch auf sich warten) in Aussicht gestellt hat, die Abspiel­för­de­rung für Kurzfilme zu streichen. Der Satz von Laurence Rilly wurde spontan mit einem Lachen quittiert. Je länger sie aber sprach, desto deut­li­cher wurde: Rilly meint es nicht ironisch. Nein: Frank­reich muss tatsäch­lich – als Filmland – unpro­ble­ma­tisch sein, mit einem Bündel an »phan­tas­ti­schen Förde­rungen«.

Und immer noch kommen die tollsten europäi­schen Filme aus Frank­reich. So ist es ebenso phan­tas­tisch, dass die Fran­zö­si­sche Filmwoche seit ein paar Jahren neben Berlin auch in München im Theatiner-Kino gastiert und dieses Jahr auch erstmals im Augs­burger Liliom zu erleben ist. Insgesamt werden um die fünfzehn Titel zu sehen sein, die meisten davon in Vorpre­miere.

Den Auftakt in München macht Ma vie ma gueule (Mein Leben, mein Ding) von Sophie Fillière, die letztes Jahr im Alter von 58 Jahren verstorben ist und mit dem Film ihr Vermächtnis hinter­lässt. Sie hat viele Dreh­bücher geschrieben, zuletzt für Élise Girard für Sidonie au Japon, der kürzlich im deutschen Kino zu sehen war. Wer sie nicht kennt, kann viel­leicht etwas mit dem Namen Pascal Bonitzer anfangen, der ihr Mann ist, oder mit der wunder­baren Agathe Bonitzer, ihrer Tochter.

Ma vie ma gueule ist tatsäch­lich eine Komödie, in der es aber nicht nur heiter zugeht. In ihr spielt Agnès Jaoui Barberie Bichette, »Barbie« genannt. Barbie, 55, ist geschieden, hat zwei Kinder und verzwei­felt an ihrer schwin­denden Attrak­ti­vität als Frau. Ausge­spielt wird dies in drei Akten, als Komödie, Tragödie und »Epiphanie«. Fillière hat mit dem Film ihrer eigenen Krankheit eine komö­di­an­ti­sche Note entge­gen­ge­halten, die in Cannes in der Quinzaine des Cinéastes mit dem Publi­kums­preis belohnt wurde und von Jaoui, deren Partner Jean-Pierre Bacri vor wenigen Jahren starb, mit großer Energie verkör­pert wird.

Eine Einladung zum großen Fest mit alten Bekannten ist Et la fête continue! (Das Fest geht weiter!) von Robert Guédi­guian. Es spielen: Jean-Pierre Darroussin und Ariane Acaride. Der Schau­platz wie auch schon in Gloria Mundi und La villa: Marseille. Es geht um die 60-jährige Rosa, die ihr Leben der Familie und – wichtig für Guédi­guian – der Gewerk­schaft gewidmet hat. Dann trifft sie auf Henri und verliebt sich. Es folgt der große Streit des Herzens gegen den Ruf der Pflicht, ein ewiger Zwiespalt, dem die klas­si­schen Tragödien von Racine und Corneille gewidmet sind. Bei Guédi­guian wird dies ungleich leichter verhan­delt, unter der strah­lenden Sonne von Marseille.

Zwei Filme in dem in allen Details hoch­karä­tigen Programm seien hier noch hervor­ge­hoben. L’amour ouf (Beating Hearts) von Gilles Lellouche (keine Verwandt­schaft mit Claude Lelouch) hat im Wett­be­werb von Cannes die Leinwand zum Beben gebracht. Schon die Anfang­s­titel, die sich in roten Lettern über die ganze Leinwand bei harten Beats gießen, machen Schluss mit der fran­zö­si­schen Beschau­lich­keit. Es geht zurück in die Acht­zi­ger­jahre, zu den Banden, die sich in den Docks von Nord­frank­reich herum­treiben. Eine Liebe entsteht, hart, uner­bitt­lich, unmöglich. Es spielen Adèle Exar­cho­poulos und François Civil als grandios tragi­sches Liebes­paar von epischem Ausmaß.

Und dann ist da noch: Matthew Rankins Une langue univer­selle (Universal Language), ein surrealer Film und sicher­lich einer der unge­wöhn­lichsten Beiträge der Fran­zö­si­schen Filmwoche – auch wenn man kaum behaupten kann, dies wäre ein fran­zö­si­scher Film (er ist Oscar-Kandidat für Kanada). Regisseur Matthew Rankin kommt aus dem kana­di­schen Winnipeg, das Guy Maddin in seiner Apotheose My Winnipeg 2007 der Filmwelt bekannt gemacht hat. In Une langue univer­selle agiert die iranische Community von Manitoba die Absur­di­täten des kana­di­schen Winters aus. Ein Geld­schein von beträcht­li­chem Wert wird von einem der Kinder unter dem zenti­me­ter­di­cken Eis entdeckt, als sie die Brille von einem Schul­ka­me­raden suchen, um wiederum der Strafe des Fran­zö­sisch­leh­rers zu entkommen, der sie allesamt in die Besen­kammer gesperrt hat. Parallel dazu führt Massoud, der es ebenfalls auf den Geld­schein abgesehen hat, auf einer skurrilen Guided Tour durch eine »Stadt ohne Sehens­wür­dig­keiten«. Regisseur Matthew Rankin selbst spielt in einer Haupt­rolle mit. Stilis­tisch bewegt sich der Film zwischen Quentin Dupieux und Roy Andersson, die Kinder­prot­ago­nisten erinnern an Abbas Kiaros­tami. Während im Film über­wie­gend Farsi und nur ganz wenig Fran­zö­sisch gespro­chen wird, kann bei so vielen Refe­renzen mit der »univer­sellen Sprache« nur das Kino gemeint sein!

Fran­zö­si­sche Filmwoche
21.11.2024 – 27.11.2024
Theatiner Kino München