10.10.2024

Das Paradies liegt neben der Hölle

Filmszene »The Village next to Paradise«
Die Nähe die es braucht, um Gräben zu überwinden: Szene aus The Village Next to Paradise
(Foto: FreibeuterFilm)

Die 14. Afrikanischen Filmtagen München etablieren auch in diesem Jahr einen spannenden Dialog zwischen Afrika und Europa, Tradition und Moderne.

Von Axel Timo Purr

Die Afri­ka­ni­schen Filmtage in München sind eine inzwi­schen kaum mehr wegzu­den­kende Alter­na­tive, um die eigenen Seh- und Denk­ge­wohn­heiten ein wenig zu erweitern, denn kaum einer der hier gezeigten Filme schafft es norma­ler­weise in den Kanon des normalen Kino­spiel­be­triebs aufge­nommen zu werden.

Die große Ausnahme dürfte dieses Jahr aller­dings ein Film sein, der es auf der dies­jäh­rigen Berlinale nicht nur in den Wett­be­werb um den Goldenen Bären geschafft hat, sondern ihn sogar gewonnen hat. Mati Diop, die Regis­seurin, hatte bereits mit ATLANTIQUE 2019 beein­druckt und den Großen Preis der Jury in Cannes gewonnen; in ihrem in Berlin ausge­zeich­neten Film hat sie sich dieses Mal für das doku­men­ta­ri­sche Format entschieden und widmet sich dem auch in Deutsch­land immer wieder aufflam­menden Diskurs um die Resti­tu­tion von Kunst­schätzen aus früheren Kolonien. Diop folgt in ihrem Film der Rück­füh­rung von 26 Skulp­turen des einstigen König­reichs Dahomey, die 1892 von fran­zö­si­schen Kolo­ni­al­truppen geraubt wurden und 2021 aus dem Pariser Museum für außer­eu­ropäi­sche Kunst (Musée du quai Branly) in das heutige Benin überführt worden sind. Wie schon in ATLANTIQUE erzählt Diop auch in Dahomey (Samstag, 12. Oktober 2024, 18:00 Uhr) ihre Geschichte aus unge­wöhn­li­chen Perspek­tiven, die durchaus pola­ri­sieren.

Bis auf eine weitere Ausnahme dürften es die anderen Filme des Programms schwie­riger haben, einen Kinostart in Deutsch­land zu haben, auch wenn Sie so wie Dahomey durchaus Bezüge zur europäi­schen Kultur haben bzw. mit univer­salen Themen zur Iden­ti­fi­ka­tion einladen, sei es mit gegen­wär­tigen Bezie­hungen zwischen Afrika und Europa, Tradition und Moderne, Kolo­ni­al­ge­schichte und Gegenwart. Und natürlich auch regio­nalen Konflikten und der Entste­hung von Radi­ka­li­sie­rungen und fami­liären Neube­stim­mungen, die letzt­end­lich auch für die europäi­sche Wohl­stands­blase inter­es­sant sind.

Eröffnet wird das Festival mit Mohamed Kord­ofanis Spiel­film­debüt Goodbye Julia (Freitag, 11. Oktober 2024, 18:30 Uhr), das wenige Jahre vor der Abspal­tung des Südsudans im Jahr 2011 spielt: Mona, eine ehemals bekannte Sängerin aus dem Nordsudan, lebt mit ihrem Mann Akram in wohl­ha­benden Verhält­nissen. Eines Tages verur­sa­chen die beiden den Tod eines südsu­da­ne­si­schen Fami­li­en­va­ters. Geplagt von Schuld­ge­fühlen sucht Mona die Nähe der ahnungs­losen Witwe. Sie stellt Julia als Haus­halts­hilfe an und lässt sie mit ihrem Sohn bei sich wohnen. Goodbye Julia wurde übrigens als erster Film aus dem Sudan überhaupt bei den Inter­na­tio­nalen Film­fest­spielen von Cannes 2023 gezeigt und erhielt den Prix de la Liberté in der Sektion Un Certain Regard.

Ramata-Toulaye Sys Spiel­film­debüt Banel e Adama (Samstag, 12. Oktober) 2024, 16:00 Uhr handelt von den Zukunfts­träumen eines jungen Paares, das sich mit sozialen Verpflich­tungen und den Folgen des Klima­wan­dels in einem sene­ga­le­si­schen Dorf konfron­tiert sieht. Nach seiner Premiere bei den Inter­na­tio­nalen Film­fest­spielen von Cannes wurde dieses visuell unge­wöhn­liche und mit Laien­dar­steller:innen besetze Drama beim Melbourne Inter­na­tional Film Festival mit dem Haupt­preis, dem Bright Horizons Award, ausge­zeichnet.

So wie DAHOMEY in Kürze hat es Kaouther Ben Hanias aufre­gender Doku­men­ta­tions-Hybrid Olfas Töchter (Sonntag, 13. Oktober 2024, 16:00 Uhr) schon vor einigen Monaten in die Kinos Deutsch­lands geschafft. Erzählt wird die wahre Geschichte von Olfa, deren Töchter Ghofrane und Rahma die Familie und somit auch Tunesien verlassen haben, um in Libyen an der Seite des IS zu kämpfen. Gemeinsam mit ihren beiden verblie­benen Töchtern stellt Olfa die Frage nach dem Warum. Um das Fehlen der beiden Abwe­senden zu über­brü­cken und die Mutter glei­cher­maßen zu entlasten wie zu schützen, setzt Regis­seurin Kaouther Ben Hania zwei Schau­spie­le­rinnen ein. Sie dreht einen Doku­men­tar­film über die Vorbe­rei­tungen zu einem Spielfilm, der nie gedreht wird und hilft Olfa auf diese Weise, sich ihren wahren Erin­ne­rungen zu nähern. Olfas Töchter erhielt in Cannes die Auszeich­nung OEil d‘Or als bester Doku­men­tar­film.

Auch Mo Harawes bewegt sich in seinem Spiel­film­debüt The Village Next to Paradise (Sonntag, 13. Oktober 2024, 18:00 Uhr) im isla­mi­schen Kultur­raum, doch geogra­fisch und kulturell weit von Ben Hanias Film entfernt: Mamargade arbeitet als Toten­gräber und lebt mit seinem Sohn Cigaal und seiner geschie­denen Schwester Araweelo in einem soma­li­schen Dorf. Als er mit großen Bestat­tungs­un­ter­nehmen konkur­rieren muss, gerät er in finan­zi­elle Not. Um die Inter­nats­kosten seines Sohnes bezahlen zu können, beginnt er, Waffen in getarnten Liefer­wägen zu trans­por­tieren. Während­dessen sucht Araweelo nach einem Weg, ihren Traum von einer eigenen Schnei­derei zu verwirk­li­chen. The Village Next to Paradise wurde beim Festival Inter­na­tional du Film Marrakech mit dem Atlas Workshops Prize ausge­zeichnet.

Ein wirk­li­ches Highlight dürfte das Gespräch mit dem kongo­le­sisch-belgi­schen Regisseur und Dreh­buch­autor Baloji im Anschluss an sein auto­bio­gra­fisch geprägtes Spiel­film­debüt Augure (Samstag, 12. Oktober 2024, 20:00 Uhr) werden, das von Stig­ma­ti­sie­rung, fami­liären Konflikten, der Suche nach Identität und Versöh­nung handelt: In Beglei­tung seiner schwan­geren Freundin Alice kehrt Koffi nach vielen Jahren der Abwe­sen­heit an seinen Geburtsort im Kongo zurück. Seine dortige Familie begegnet ihm mit Miss­trauen und Vorur­teilen. Sie nennt ihn „Zabolo“, was „Fleck des Teufels“ bedeutet, da er mit einem Geburts­mahl zur Welt gekommen ist.

14. Afri­ka­ni­sche Filmtage München vom 11.-13. Oktober 2024 im Gasteig HP8, Kinosaal „Projektor“ in der Halle E, Hans-Preißinger-Straße 8, München-Sendling