Das Paradies liegt neben der Hölle |
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Die Nähe die es braucht, um Gräben zu überwinden: Szene aus The Village Next to Paradise | ||
(Foto: FreibeuterFilm) |
Von Axel Timo Purr
Die Afrikanischen Filmtage in München sind eine inzwischen kaum mehr wegzudenkende Alternative, um die eigenen Seh- und Denkgewohnheiten ein wenig zu erweitern, denn kaum einer der hier gezeigten Filme schafft es normalerweise in den Kanon des normalen Kinospielbetriebs aufgenommen zu werden.
Die große Ausnahme dürfte dieses Jahr allerdings ein Film sein, der es auf der diesjährigen Berlinale nicht nur in den Wettbewerb um den Goldenen Bären geschafft hat, sondern ihn sogar gewonnen hat. Mati Diop, die Regisseurin, hatte bereits mit ATLANTIQUE 2019 beeindruckt und den Großen Preis der Jury in Cannes gewonnen; in ihrem in Berlin ausgezeichneten Film hat sie sich dieses Mal für das dokumentarische Format entschieden und widmet sich dem auch in Deutschland immer wieder aufflammenden Diskurs um die Restitution von Kunstschätzen aus früheren Kolonien. Diop folgt in ihrem Film der Rückführung von 26 Skulpturen des einstigen Königreichs Dahomey, die 1892 von französischen Kolonialtruppen geraubt wurden und 2021 aus dem Pariser Museum für außereuropäische Kunst (Musée du quai Branly) in das heutige Benin überführt worden sind. Wie schon in ATLANTIQUE erzählt Diop auch in Dahomey (Samstag, 12. Oktober 2024, 18:00 Uhr) ihre Geschichte aus ungewöhnlichen Perspektiven, die durchaus polarisieren.
Bis auf eine weitere Ausnahme dürften es die anderen Filme des Programms schwieriger haben, einen Kinostart in Deutschland zu haben, auch wenn Sie so wie Dahomey durchaus Bezüge zur europäischen Kultur haben bzw. mit universalen Themen zur Identifikation einladen, sei es mit gegenwärtigen Beziehungen zwischen Afrika und Europa, Tradition und Moderne, Kolonialgeschichte und Gegenwart. Und natürlich auch regionalen Konflikten und der Entstehung von Radikalisierungen und familiären Neubestimmungen, die letztendlich auch für die europäische Wohlstandsblase interessant sind.
Eröffnet wird das Festival mit Mohamed Kordofanis Spielfilmdebüt Goodbye Julia (Freitag, 11. Oktober 2024, 18:30 Uhr), das wenige Jahre vor der Abspaltung des Südsudans im Jahr 2011 spielt: Mona, eine ehemals bekannte Sängerin aus dem Nordsudan, lebt mit ihrem Mann Akram in wohlhabenden Verhältnissen. Eines Tages verursachen die beiden den Tod eines südsudanesischen Familienvaters. Geplagt von Schuldgefühlen sucht Mona die Nähe der ahnungslosen Witwe. Sie stellt Julia als Haushaltshilfe an und lässt sie mit ihrem Sohn bei sich wohnen. Goodbye Julia wurde übrigens als erster Film aus dem Sudan überhaupt bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2023 gezeigt und erhielt den Prix de la Liberté in der Sektion Un Certain Regard.
Ramata-Toulaye Sys Spielfilmdebüt Banel e Adama (Samstag, 12. Oktober) 2024, 16:00 Uhr handelt von den Zukunftsträumen eines jungen Paares, das sich mit sozialen Verpflichtungen und den Folgen des Klimawandels in einem senegalesischen Dorf konfrontiert sieht. Nach seiner Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes wurde dieses visuell ungewöhnliche und mit Laiendarsteller:innen besetze Drama beim Melbourne International Film Festival mit dem Hauptpreis, dem Bright Horizons Award, ausgezeichnet.
So wie DAHOMEY in Kürze hat es Kaouther Ben Hanias aufregender Dokumentations-Hybrid Olfas Töchter (Sonntag, 13. Oktober 2024, 16:00 Uhr) schon vor einigen Monaten in die Kinos Deutschlands geschafft. Erzählt wird die wahre Geschichte von Olfa, deren Töchter Ghofrane und Rahma die Familie und somit auch Tunesien verlassen haben, um in Libyen an der Seite des IS zu kämpfen. Gemeinsam mit ihren beiden verbliebenen Töchtern stellt Olfa die Frage nach dem Warum. Um das Fehlen der beiden Abwesenden zu überbrücken und die Mutter gleichermaßen zu entlasten wie zu schützen, setzt Regisseurin Kaouther Ben Hania zwei Schauspielerinnen ein. Sie dreht einen Dokumentarfilm über die Vorbereitungen zu einem Spielfilm, der nie gedreht wird und hilft Olfa auf diese Weise, sich ihren wahren Erinnerungen zu nähern. Olfas Töchter erhielt in Cannes die Auszeichnung OEil d‘Or als bester Dokumentarfilm.
Auch Mo Harawes bewegt sich in seinem Spielfilmdebüt The Village Next to Paradise (Sonntag, 13. Oktober 2024, 18:00 Uhr) im islamischen Kulturraum, doch geografisch und kulturell weit von Ben Hanias Film entfernt: Mamargade arbeitet als Totengräber und lebt mit seinem Sohn Cigaal und seiner geschiedenen Schwester Araweelo in einem somalischen Dorf. Als er mit großen Bestattungsunternehmen konkurrieren muss, gerät er in finanzielle Not. Um die Internatskosten seines Sohnes bezahlen zu können, beginnt er, Waffen in getarnten Lieferwägen zu transportieren. Währenddessen sucht Araweelo nach einem Weg, ihren Traum von einer eigenen Schneiderei zu verwirklichen. The Village Next to Paradise wurde beim Festival International du Film Marrakech mit dem Atlas Workshops Prize ausgezeichnet.
Ein wirkliches Highlight dürfte das Gespräch mit dem kongolesisch-belgischen Regisseur und Drehbuchautor Baloji im Anschluss an sein autobiografisch geprägtes Spielfilmdebüt Augure (Samstag, 12. Oktober 2024, 20:00 Uhr) werden, das von Stigmatisierung, familiären Konflikten, der Suche nach Identität und Versöhnung handelt: In Begleitung seiner schwangeren Freundin Alice kehrt Koffi nach vielen Jahren der Abwesenheit an seinen Geburtsort im Kongo zurück. Seine dortige Familie begegnet ihm mit Misstrauen und Vorurteilen. Sie nennt ihn „Zabolo“, was „Fleck des Teufels“ bedeutet, da er mit einem Geburtsmahl zur Welt gekommen ist.
14. Afrikanische Filmtage München vom 11.-13. Oktober 2024 im Gasteig HP8, Kinosaal „Projektor“ in der Halle E, Hans-Preißinger-Straße 8, München-Sendling