12.09.2024
Kinos in München – Kinoprogrammpreise

»Haltet die Ohren steif!«

Carolin Hoehl
Die Jüngste im Bunde spricht: Carolin Hoehl
(Foto: artechock)

Abschied und Nachwuchs – bewegende Momente bei der Kinoprogrammpreisverleihung der Stadt München

Von Dunja Bialas

Es war eine unge­wöhn­lich emotio­nale Preis­ver­lei­hung. Als am Dienstag im City-Kino die Kino­pro­gramm­preise der Stadt München verliehen wurden, galt es zwei Mal Abschied zu nehmen. Marlies Kirchner und Thomas Kuchen­reu­ther, die man ohne Über­trei­bung »Grande Dame des Kinos« und »Monsieur Cinéma« nennen darf, nahmen Abschied von ihren Kinos – und die Münchner Kino­ge­meinde von ihnen. Da kam dann auch Wehmut auf.

1957 hatte Marlies Kirchner mit ihrem Mann Walter Kirchner, das Theatiner am Odeons­platz eröffnet. Mit dem Verleih »Neue Filmkunst« und auch danach brachte das Kino unter ihrer Mitwir­kung fast sieben Jahr­zehnte die Filmkunst aus Europa und der Welt nach München. Thomas Kuchen­reu­ther hatte 1965 die Leopold-Kinos in Schwabing über­nommen und damit die fast 60-jährige Ära der »Kuchen­reu­ther-Kinos« eingeläutet. Hinter­ein­ander und teilweise auch zur selben Zeit betrieb er in München sieben Kinos: die Leopold-Kinos, das ABC-Kino, die Kinos Münchner Freiheit in Schwabing, das Eldorado, das Fantasia und das Odyssee in der Sonnen­straße, außerdem eröffnete er ein Kino im Olym­pi­schen Dorf. Es existiert heute noch als »Forum 2«, geführt vom örtlichen Kultur­verein, und war berühmt für das Kinder­kino von Hans und Christel Strobel, das ganze Cineasten-Gene­ra­tionen hervor­ge­bracht hat.

Marlies Kirchner, die nicht persön­lich erschienen war, ließ durch ihre Tochter einen Brief verlesen. Viel Rührung kam im City-Kino auf, als Sandra Kirchner die Worte ihrer 95-jährigen Mutter an die Anwe­senden richtete: »Ich freue mich, dass es in München eine neue junge Gene­ra­tion gibt, die den Mumm hat, in diese Branche einzu­steigen, und auch, dass viele Verleiher weiterhin wichtige, inter­es­sante und tolle Filme einkaufen und ins Kino bringen.« An ihre Nach­folger Bastian Hauser und Claire Schleeger gerichtet, fügte Marlies Kirchner hinzu: »Ich wünsche Bastian und Claire und allen viel Glück für die kommende Zeit.« Und schloss mit aufrich­tigem Dank: »Das Kultur­re­ferat in München und das Team – heute wie auch das Team der vorher­ge­henden Zeiten – ist einzig­artig in seinem Enga­ge­ment. An dieser Stelle auch ein großes Danke­schön an das Theatiner-Team und den Kollegen und Verlei­hern aus der Branche. Wir haben viel Spaß gehabt, und ich habe die Jahre genossen. Haltet die Ohren steif!«

Kuchen­reu­ther kündigte an, dass er das Preisgeld, das direkt an den Ausge­zeich­neten, nicht aber in die Kinokasse fließt, an seine Nach­folger weiter­reiche. Noch ist er gewohnt umtriebig und erzählte, dass der von ihm produ­zierte Film von Werner Schroeter, Malina mit Isabelle Huppert und Mathieu Carrière, im Herbst im Münchner Lite­ra­tur­haus im Rahmen einer Ausstel­lung zu Ingeborg Bachmann gezeigt werde.

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Kinoprogrammpreisträger 2024
Ausge­zeich­nete Kinos: ABC, Arena, City Kinos, Studio Isabella, Museum-Licht­spiele, Neues Rex, Rio Film­pa­last, Theatiner, Werk­statt­kino (Foto: Alescha Birken­holz)

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Mathias Wild, seit Kurzem stiller Gesell­schafter der Leopold-Kinos unter den neuen Betrei­bern Michael Hehl und Daniela Bergauer, betonte in seiner Dankes­rede für die Museum-Licht­spiele das außer­ge­wöhn­liche Enga­ge­ment der Stadt für die Kinos, das man andern­orts so nicht antreffen könne. »In anderen Städten sind den Verant­wort­li­chen Kinos egal.« Christian Pfeil, der heute in München zusammen mit Markus Eisele vier Kinos betreibt, richtete einen Appell an die versam­melten Stadträte: »Benutzen Sie die Bestim­mungen zu Bestands­nut­zung und Denk­mal­schutz als ein Schwert!« Das zielte auf die Bedrohung des Film­thea­ters Send­linger Tor, das seit Jahren als Zitter­partie in der Öffent­lich­keit verfolgt werden kann. Gäbe es den Denk­mal­schutz nicht, so heißt es, gäbe es an dem eminenten Eingangstor in die Innen­stadt schon längst kein Kino mehr, statt­dessen einen gesichts­losen McDonald’s oder Flagship-Store.

Viele Kinos brachten den Nachwuchs auf die Bühne mit. Gemeint sind damit jedoch weder Kuchen­reu­thers Hund, der zum Applaus immer kräftig mitbellte, noch die zahl­rei­chen Kino-Kinder, die bis auf eine Ausnahme zu Hause geblieben waren. Die Mono­po­listen Christian Pfeil und Markus Eisele setzen schon seit geraumer Zeit auf ein unge­wöhn­li­ches Modell: eigen­s­tän­dige Thea­ter­leiter*innen machen das Programm für »ihr« Kino, sind gleich­zeitig durch die Betriebs-GmbH abge­si­chert, während sich die eigent­li­chen Kino­be­treiber Pfeil und Eisele auf die Manager-Funktion konzen­trieren können. Carolin Hoehl fürs Arena, Luisa Müller-Hahl fürs Maxim, Kerstin Schmidt für den Rio Film­pa­last und Kilian Plank fürs Monopol, gleich­zeitig auch Programm-Koor­di­nator für alle Häuser, sind ihre Verant­wort­li­chen. Auch das Werk­statt­kino stellte mit Matthias Tiefen­bauer einen neuen Mitar­beiter des Kollek­tivs vor.

Für das Studio Isabella kam Louis Anschütz, der sich jetzt einziger Vertreter der Kino­be­trei­ber­ge­ne­ra­tion von Kirchner und Kuchen­reu­ther zählen darf, leider ohne Nachwuchs. Thomas Wilhelm vom Rex koket­tierte ein wenig, als er sagte, er würde sich selbst »wie der T-Rex-Dino­sau­rier« aus der Laudatio (der auf den alten Projektor im Rex-Foyer gemünzt war) fühlen. Viel­leicht sollte er sich auch einmal um Nach­folger kümmern – während Wilhelm selbst inkar­nierter Kino-Nachwuchs ist. Seine Eltern Hermann und Liese­lotte Wilhelm hatten bereits das Studio Solln geführt, und ihm damit das Kino gewis­ser­maßen in die Wiege gelegt.

Neun Kinos erhielten insgesamt den Kino­pro­gramm­preis der Stadt München. Diese hatte ihr Bekenntnis zum Kino vor zwei Jahren noch einmal bekräf­tigt, als die Preise in der Höhe von je 7500 Euro von sechs auf neun ausge­zeich­nete Kinos erhöht wurden. Manchem mag die jährliche Preis­ver­lei­hung wie ein Gieß­kan­nen­prinzip vorkommen. Fakt aber ist: Die Jury sieht sich die einge­reichten Unter­lagen genau an und entscheidet auf dieser Grundlage. Infrage kommt in München aufgrund der program­ma­ti­schen Ausrich­tung indes nur ein begrenzter Kino-Kreis. Und so wieder­holt sich die Auszeich­nung natur­gemäß, wenn auch in unter­schied­li­cher Besetzung.

Was viele aber nicht wissen: Privat­wirt­schaft­liche Unter­neh­mungen dürfen nicht gefördert werden, was die ausge­zeich­neten Kinos jedoch sind. Die Kino­pro­gramm­preise, nicht nur der Stadt München, auch des Landes und der BKM, können so auch als Korrektiv verstanden werden, das Unter­nehmen gilt, die sich kulturell enga­gieren und sich am Auftrag, der Stadt­ge­mein­schaft Zusam­men­halt zu bieten, betei­ligen. Die Auszeich­nung ist so auch in einem höheren Sinne zu werten: Sie gilt der demo­kra­tisch bedeut­samen Rolle der Kinos in der Stadt und im urbanen Leben an sich.

Die Autorin war Mitglied der Jury für die Kino­pro­gramm­preise der Stadt München.