09.05.2024

Entfreundet und entfremdet

Kurzfilmtage Oberhausen
Das Festival als Bühne und Projektionsfläche: die 70. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen
(Foto: artechock)

Die 70. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen diskutieren in einer Panel-Serie offen und grundsätzlich zum Zustand von Filmfestivals, während gleichzeitig die Lagerbildung in der Kultur bestehen bleibt

Von Dunja Bialas

Keine Auswei­tung der Kampfzone! Vor ein paar Monaten formu­lierte ich an dieser Stelle ein Plädoyer, den Streit um die Kultur aus den Social-Media-Kanälen heraus­zu­holen und zurück in die Öffent­lich­keit zu bringen. Voraus­ge­gangen war eine Boykott-Kampagne gegen die Kurz­film­tage Ober­hausen aufgrund des Solidar­ti­täts­auf­rufs ihres Leiters Lars Henrik Gass mit Israel am 20. Oktober 2023. Mitt­ler­weile geht es den Lagern, grob gesagt, vor allem darum, was man wohl sagen und tun dürfe, bevor Anti­se­mi­tismus eintritt. Erhofft hatte ich mir damals die Beru­hi­gung der Gemüter, mehr Nach­denken, weniger Reflexe und vor allem: mehr Fairness im Umgang, ohne den anderen zu diffa­mieren.

Dass Diffa­mie­rung mit weiterer Diffa­mie­rung beant­wortet wird, ist auch für »artechock« nicht tole­rierbar. Deshalb haben wir einen entspre­chenden Passus in einem der bei uns veröf­fent­lichten Texte heraus­ge­nommen. Statt einer Vertie­fung der Gegen­sätze braucht es Gesten der Dees­ka­la­tion, finden wir. Das ist auch dann nicht verkehrt, wenn dies einseitig von einer »Partei« ausgeht. Irgend­einer muss doch mal aufhören, egal, wer ange­fangen hat. Wir sind nicht im Sand­kasten, und schon gar nicht im Krieg, auch wenn manche den Kultur­kampf ausrufen. Wenn es denn einer wäre! Die Frage ist: Wer kämpft hier überhaupt für oder gegen was? Oder geht es doch nur um Deutungs­ho­heit, um Laut­stärke und Lager­bil­dung, also darum, die anderen nieder­zu­schreien und seines­glei­chen zu bestä­tigen?

Dees­ka­la­tion

Wie Dees­ka­la­tion geht, hat die 70. Ausgabe der Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen gerade vorge­führt. Das könnte manchem, der das hier liest, gegen den Strich gehen. Im Vorfeld wurde zumindest auf Facebook aufge­for­dert, man solle sich doch »entfreunden«, wenn man nach Ober­hausen fahre. Jury­mit­glieder wurden unter Druck gesetzt, nicht ihre Tätigkeit aufzu­nehmen. Kurator*innen zogen bereits zugesagte Programme zurück. Wirklich: Ihr verzichtet frei­willig auf Freund­schaft und Teilhabe? Ihr cancelt Euch selbst? Euer Motto: »Strike Ober­hausen«?

Wenn allein schon ein »Code of Conduct«, den sich auch das EMAF (European Media Art Film Festival) in Osnabrück gegeben hatte, genug Öl ins Feuer gießen kann, damit der Festi­val­be­such in letzter Minute abgesagt wird, wie es einige meiner Bekannten taten, dann sollte man schon einmal genauer hinsehen, worum es hier eigent­lich geht. Bean­standet wurde die dem Ober­hausen-Verhal­tens­kodex zugrunde gelegte IHRA-Anti­se­mi­tismus-Defi­ni­tion, nach der auch »solche Haltungen, Grup­pie­rungen oder Orga­ni­sa­tionen als anti­se­mi­tisch (gelten), die zum Boykott Israels aufrufen und/oder Israels Exis­tenz­recht in Frage stellen«, so die Website der Kurz­film­tage. Anders das EMAF: Das Festival legte in seinem »Code of Ethics« die von der Bundes­re­gie­rung nicht abge­seg­nete Jerusalem-Defi­ni­tion zugrunde, die nur den klassisch gefassten, histo­ri­schen Anti­se­mi­tismus als solchen anerkennt. Als ausdrück­lich nicht anti­se­mi­tisch gelten hier »boycott, dive­st­ment and sanctions«, also die BDS-Trias (wörtlich: »Boycott, dive­st­ment and sanctions are common­place, non-violent forms of political protest against states. In the Israeli case they are not, in and of them­selves, anti­se­mitic«). Das birgt heftige Probleme, erkennt man dies als (öffent­lich geför­dertes) Festival nicht. »BDS« gilt hier­zu­lande als »extre­mis­ti­scher Verdachts­fall«, sorry to say.

Was aber macht eigent­lich die Kurz­film­tage Ober­hausen zum Verdachts­fall für die Fern­ge­blie­benen? Ein Code of Conduct, der den Richt­li­nien der Bundes­re­gie­rung und auch des Bundes­landes folgt, in dem das Festival statt­findet. Präsenz von Sicher­heits­kräften, die beim Einlass in den Kinosaal und Veran­stal­tungs­räume einen Blick in die Taschen werfen – wie es übrigens in anderen Ländern, zum Beispiel Frank­reich, seit Jahren üblich ist. Ansonsten war: nichts.

Unterm Strich haben die zwei getrof­fenen Vorkeh­rungen (Code of Conduct, Sicher­heits­dienst) genügt, um eine Atmo­sphäre der Entspan­nung zu schaffen. Protes­tie­rende Party-Crasher, wie zuletzt im Haus der Kulturen der Welt oder vor einigen Wochen im Hamburger Bahnhof, die durch Nieder­brüllen herbei­führten, dass Veran­stal­tungen abge­bro­chen werden mussten, waren nicht angereist. Viel­leicht hatten sie es ohnehin nicht vorgehabt. So war auch für die Sicher­heit für die vielen jüdischen Filme­ma­cher*innen und Gäste gesorgt, die auf den vier Podien der Panel-Serie »Why Festivals?« disku­tierten.

Warum Festivals?

Wenn ich als Mode­ra­torin der Panel-Serie zusam­men­fassen sollte, worum es in den Diskus­sionen ging, könnte das viel­leicht so herun­ter­ge­bro­chen werden: Es ging um den »Objekt­ver­lust«, und wie man sich wieder auf den eigent­li­chen Gegen­stand von kultu­rellen Veran­stal­tungen besinnen könnte, auf die Kunst und die Ästhetik. Nicht aber ohne darüber die möglichen Gegenpole, die weiter­ge­fasste Kultur und die Politik, zu vergessen, sondern sie mitzu­denken und mitzu­dis­ku­tieren. Was, wenn nicht die Kunst selbst und der univer­sa­lis­ti­sche Auftrag an Festivals, demo­kra­ti­sche Räume für den Dialog über Kunst und Gesell­schaft zu schaffen, die auch Wider­spruch aushalten, könnten und sollten Festivals und Ausstel­lungen legi­ti­mieren? Während zugleich aber fest­zu­stellen ist, wie zunehmend inhal­tis­ti­sche, parti­ku­lar­in­ter­es­sierte oder ideo­lo­gi­sche Diskus­sionen zu Diskurs­do­mi­nanten von Veran­stal­tungen werden. Auch war zu fragen: Was sind vorder­gründig, was notwendig poli­ti­sche Festivals? Wie mache ich ein Festival politisch? Und wann beginnt im Gegensatz dazu die Poli­ti­sie­rung von Festivals? Und schließ­lich: Warum trifft es ausge­rechnet Festivals, Ausstel­lungen, Lesungen, wenn es um Posi­tio­nie­rungen in poli­ti­schen oder geopo­li­ti­schen Konflikten geht? Werden damit nicht genau die Platt­formen beschä­digt, die genuin das Angebot machen, sich durch Kunst auszu­drü­cken und darüber sichtbar zu werden?

Kehren wir doch zum Streit über Ästhetik zurück

Man könne es sich nicht aussuchen, was den Protest trifft, sagt nach der letzten Diskus­sion (»Poli­ti­sie­rung von Festivals«) ein Kollege zu mir. Das ist richtig, für mich bleibt es dennoch uner­klär­lich, weshalb sich der Kultur­be­trieb gerade von innen her zu zersetzen scheint. Außer, weil man das gerade irgendwie geil findet. Kultur­kampf! Ich denke an die Freunde, die ich nicht entfreudet habe, obwohl sie es von mir verlangt haben, weil ich nach Ober­hausen gefahren bin (und dort noch dazu eine aktive Rolle über­nommen habe). Ich denke daran, an welchen gemein­samen Projekten wir mal gear­beitet haben. Da ging es um die Sicht­bar­ma­chung von Filmen, das Entdecken von Kine­ma­to­gra­phien, und darum, neue Stimmen und Visionen zu zeigen. Ich denke daran, wie einer dieser Freunde mich mal gefragt hat, ob wir jetzt als Festival ihre Filme nicht mehr zeigen, sie als Kritiker nicht mehr bespre­chen wollen. So ein Schmarrn! war es mir damals entfahren. Und jetzt: Zeigen sie selbst ihre Filme nicht mehr. Reisen nicht an, weil sie nicht disku­tieren wollen. Silencen sich selbst. Seltsam aber, dass es sie dann doch stört, dass Ober­hausen die entstan­denen Lücken mit anderen Werken gefüllt hat anstatt wie EMAF affir­mativ die Leer­stellen von »Strike Germany« auszu­stellen.

Ohne uns zu entfreunden, entfremden wir uns immer mehr, wenn wir einander nicht mehr zuhören und auch nicht mehr aufein­ander zugehen, sondern fern­bleiben und schweigen. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt zur Entfrem­dung: »Die eigene und/oder die fremde Stimme werden in einem Zustand der Entfrem­dung tenden­ziell unhörbar oder nichts­sa­gend gemacht.« Wie wäre es also, die Gesten des regres­siven Protests wie Nieder­brüllen, Fern­bleiben und Entfreunden zu über­denken und zurück­zu­kehren zu Argu­men­ta­tion und Arti­ku­la­tion, Dialog und Kontro­verse?

Und wann streiten wir wieder einmal um Ästhetik? Wie in der »Bataille d’Hernani«, wo die Klassik gegen die Romantik kämpfte. Es war ein erbit­terter Drama­tiker-Streit darüber, was auf der Bühne zur Darstel­lung gelangen durfte, wie tief die Sprache sinken und wie bürger­lich die Rollen sein durften. Aber: Ging es hier nur um Ästhetik, oder wurde nicht auch der ideo­lo­gi­sche Grund einer sich wandelnden Gesell­schaft mitver­han­delt? Dass sich Ästhetik nur schwer von Ideologie trennen lässt, kann an den Ausfor­mungen des ästhe­ti­schen Main­streams (Geschlos­sen­heit der Systeme) und der Avant­garde (Offenheit und Viel­deu­tig­keit) fest­ge­stellt werden. In diesem Sinne sollte es sich weit­rei­chend über Ästhetik streiten lassen. Kehren wir doch dazu zurück.

Offen­le­gung: Wie im Text erwähnt, hat die Autorin des Textes die Panel-Serie »Why Festivals?« vorbe­reitet und drei von vier Panels moderiert.