74. Berlinale 2024
An den Grenzen der Kunstfreiheit |
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»Von 'Nie wieder!' keine Spur – wie der Antisemitismus in Deutschland immer offensichtlicher wird.« So lautete der Titel der ttt-Sendung (ARD) vom 10. März 2024, vor drei Tagen, nicht vor 70 Jahren. Die Moderatorin Siham El-Maimouni moderierte die Sendung folgendermaßen an: »Israel, Gaza, das liegt Tausende von Kilometern entfernt, und doch erleben wir hierzulande längst einen Konflikt zum Konflikt: Eine Welle von Antisemitismus, die das Land überrollt. Dass der brutale Anschlag der Hamas vom 7. Oktober den aktuellen Krieg im Nahen Osten losgetreten hat, dass die Terroristen weiterhin Geiseln festhalten und Raketen auf Israel abschießen, ist immer weniger Teil der Debatte. Mit jedem Tag, den dieser Krieg andauert, wächst der Hass auf Israel und auf Juden generell. Warum läuft die Debatte so aus dem Ruder? Wir haben Menschen getroffen, die dazu forschen und darüber schreiben und die der Judenhass bei uns direkt trifft.«
Ein hervorragende Anmoderation, die an Klarheit wenig zu wünschen übrig lässt – man würde sich so etwas öfter wünschen im deutschen Fernsehen. Aber immerhin passiert es, passiert es jetzt etwas mehr, weil wir begreifen, dass dies dringend nötig ist. Dass wir da eben nicht so leicht wieder raus kommen, wie es manche erhoffen. Auch der darauffolgende ttt-Beitrag war klar und deutlich: das was hier auf »artechock« schon vor Monaten stand, dass nämlich insbesondere die Hauptstadt Berlin mit ihren sehr speziellen, gewöhnungsbedürftigen, aber immer weniger erträglichen Diskursen ein Problem der deutschen Kultur ist, und glücklicherweise ein Ausnahmefall, allerdings ein sehr, sehr lauter, und in der deutschen Kulturszene viel zu dominanter, das spricht sich allmählich herum in der Republik und auch bei öffentlich-rechtlichen Berichterstattern.
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Immer mehr jüdische Einrichtungen müssen beschützt werden. Seit dem 7. Oktober 2023 scheinen alle Dämme gebrochen. Philipp Peymann Engel, Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen«, sagt bei ttt: »Es hört einfach nicht auf und es ist eine entsetzliche Situation. Das Thema Antisemitismus ist nicht nur ein Thema von Rechtsaußen. Es ist ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft, es ist zurzeit aber gerade auch ein Thema eines Teils des linken Milieus und eines Teils der muslimischen
Einwanderermilieus. Israel wird mit doppelten Standards gemessen, delegitimiert und dämonisiert.«
Vorgestellt wird dann auch das Buch »Judenhass Underground« von Nicolas Potter und Stefan Lauer, das vor allem auf linke Milieus blickt. Auch dies ist ein Berlin-Phänomen: Die zumindest gelegentliche Selbstkritik der linken Milieus. Sie ist hier allerdings
auch dringend nötig.
»An den Hochschulen wird Toleranz gefordert, aber der vermeintliche Gegner niedergebrüllt. Denn der Nahostkonflikt ist hochkomplex, das postkoloniale Weltbild, das viele Studierende vertreten, eher schlicht.« Social Media ist ein Brandbeschleuniger dieser dummen Diskurse.
Der Beitrag nimmt dann noch die Berlinale als das neueste Beispiel der Schwarz-Weiß-Malerei im Kulturbetrieb – insbesondere, aber nicht nur im deutschen. »Einseitiges Israel
Bashing, die Hamas wurde ignoriert.«
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»In eigener Sache« titelt die Redaktion von »ZEIT Geschichte« am 29. Februar 2024 und berichtet, wie sie für ihre Ausgabe »Jüdisches Leben« »mit antisemitischem Hass überzogen« wurde. Chefredakteur Frank Werner schreibt: »Es ist gerade einmal drei Jahre her, da hat die Nation sich untergehakt und gefeiert: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.«
Als man als Reaktion auf den arabischen Terrorangriff vom 7. Oktober und das sprunghafte Ansteigen antijüdischer Straftaten in Deutschland die drei Jahre alte Ausgabe zum jüdischen Leben noch einmal auf Facebook beworben hat, kam der Schock. Werner schreibt: »Einen Tag und 614 Kommentare später ist klar: Es geht heute nicht mehr darum, für einen versteckten, oft nur angedeuteten Antisemitismus zu sensibilisieren, wie noch vor drei Jahren. Es geht darum, sich gegen eine Flut vollkommen enthemmter Hassparolen zu stemmen.«
Ohne Paywall kann man den Text hier nachlesen. Inklusive der abstoßenden Zitate ganz normaler deutscher Antisemiten.
Es stimmt: »Hier geht es nicht um Kritik an der israelischen Regierung oder Kriegsführung, sondern um blanken Hass, der in uralten Stereotypen daherkommt: in der Rede vom 'Kindermörder', vom 'verschlagenen Lügner' oder vom vermeintlichen jüdischen Streben nach Weltherrschaft. Der Hass trifft auch die Juden in Deutschland, aus einem einzigen Grund: weil sie Juden sind.«
Werner ist auch in anderer Hinsicht offen: »Viele der Facebook-Accounts sind propalästinensische Propagandaschleudern; teils in arabischer Sprache, teils mit türkischen Flaggen neben den palästinensischen.« Es sind nicht nur biodeutsche Spießbürger und neue Nazis, sondern: »Es ist vor allem ein migrantischer Antisemitismus, der sich hier austobt.«
Die Posts zeigten, so Werner, »wie der Antisemitismus aus der Deckung kommt, wie aus verdruckster Rede und versteckten Codes eine Hetzkampagne wird. ... und wie brüchig das Fundament zu werden droht, auf dem die scheinbar so erfolgreiche deutsche Erinnerungspolitik ruht.«
Zu werden »droht«? Nur hier, liebe Redaktion von »ZEIT Geschichte«, möchte ich widersprechen: Das Fundament ist längst brüchig und an einigen Stellen ist es schon zerbrochen. Gesteht es euch endlich ein, ihr Liberalen und Demokraten und Republikaner aus der Mitte der Gesellschaft. Redet nicht länger darum herum, hört auf, die Lage schönzureden. Bitte! Dieses Fundament muss völlig neu gegossen werden.
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Eine Antisemitismusklausel für den Kulturbetrieb mögen viele nicht, sie ist aber auf dem Weg. Insbesondere in Berlin, wo ein erster, juristisch amateurhaft eingeleiteter Versuch des unerfahrenen Berliner Kultursenators Joe Chialo (CDU) gescheitert ist. Der Kampf gegen Judenhass gehöre in die Berliner Verfassung, sagte Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, bereits im Januar: »Die Diskussion über die sogenannte Antisemitismus-Klausel zeigt, dass es wichtiger denn je ist, eine klare Haltung zu zeigen.« Er wolle den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel in der Verfassung des Landes Berlin verankern.
Nach dem Scheitern des ersten Versuchs machte der Regierende Bürgermeister schnell klar, dass seine große Koalition besser und effektiver nachlegen wolle, und kündigte eine neue, breiter angelegte Lösung an: »Wir werden einen gemeinsamen Weg gehen, wie wir das Thema rechtssicher gestalten können und für alle Berliner Verwaltungen zur Anwendung bringen«, sagte der CDU-Politiker im Berliner Abgeordnetenhaus ungeachtet der teils harschen Kritik aus der Kulturszene. »Wir werden genau aufpassen, dass die Träger, die wir fördern, sich zu unserem Zusammenleben bekennen, zu unserer Demokratie«, so Wegner. »Bei diesem Thema muss klar sein: Wer Fördermittel bekommt, der muss sich einer genauen Prüfung unterziehen. Dabei ist völlig egal, aus welcher Richtung unsere Demokratie angegriffen wird. Ob es Menschenfeindlichkeit ist, Hass oder Hetze.«
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Ein weiterer Schritt dazu, dass Ähnliches auch auf Bundesebene eingeführt werden wird, ist die an diesem Mittwoch veröffentlichte »Gemeinsame Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände«.
Unter dem Titel »Freiheit und Respekt in Kunst und Kultur« geht es darin um »Strategien gegen antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Inhalte im öffentlich geförderten Kulturbetrieb«.
Weiter heißt es: »Die Freiheit der Kunst gehört zu den elementaren Prinzipien unseres Grundgesetzes und ist damit Grundlage unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft. ... Für die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur bedeutet die Wahrung der Kunstfreiheit, dass für Kunst, die sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegt, keine inhaltlichen Vorgaben des Staates gelten dürfen und der Staat bei der Abforderung von konkreten Bekenntnissen als Auflage von
Zuwendungen Zurückhaltung üben sollte.
Zugleich ist die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit Verpflichtung des Staates. Deshalb muss sichergestellt sein, dass öffentliche Gelder nicht dazu missbraucht werden, antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Kunst- und Kulturprojekte zu finanzieren.«
Länder, Bund und Kommunen verkünden nun dazu erste drei »Eckpunkte«: »(1) Förderbedingungen präzisieren ... (2) Sensibilisierung sicherstellen ... (3) Eigenverantwortung stärken«.
Die Richtung ist klar. Der letzte Punkt bedeutet allerdings auch etwas Konkretes für die Berlinale: Sie ist selbstverantwortlich für das, was in ihrem Rahmen geschieht. Und wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht wird, werden scharfe Konsequenzen folgen.
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In der letzten Woche hatten wir hier einen SZ-Text zitiert. Darin war von einer »Akademie für Film und Fernsehen« die Rede. Die gibt es nicht. Auf Nachfrage hat sich herausgestellt, dass die »Akademie für Fernsehen« gemeint war. Sie hat im Rahmen des Festivals ein Panel organisiert. Die SZ hatte berichtet, dass man sich aktiv dagegen entschieden hatte, ein Panel zu Antisemitismus und Meinungsfreiheit abzuhalten. Das war angesichts der nachfolgenden Debatte ohne Frage erwähnenswert.
Was die einzige Schwäche des SZ-Textes ist, ist, dass im Grunde ein Satz fehlt, nur ein Satz – aber eben ein sehr wichtiger Satz: Dass der Unwille über Israel / Juden / Antisemitismus zu reden, der gesamten Filmszene / Kulturszene in Deutschland gemeinsam ist. Da ist die Berlinale eher Symptom als Täter.
Allerdings ist die Berlinale deshalb so wichtig wie die Documenta und deswegen auch der richtige Schauplatz für Grundsatzdebatten, weil sie eine global wichtige Kulturinstitution ist, kein lokales Ereignis.
Ansonsten ist zur Berlinale noch hinzuzufügen, dass die Berliner Situation und die Internationalität des Teams alles in dem Fall noch schlimmer macht.
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Festzuhalten aber bleibt, dass die Berlinale kein »safe space« mehr ist. Jedenfalls nicht für Juden.
Das sieht man an einem »statement from Berlinale workers« vom 12. Februar 2024, also bereits vor der Berlinale, das in Deutschland ein bisschen unter dem Radar gelaufen und daher kaum beachtet wurde.
Darin raunen die anonymen Verfasser von den »aktuellen Grenzen, die der Sprache gesetzt sind« und der »institutionellen Trägheit im Kultursektor in Deutschland« und äußern »Widerspruch zum aktuellen Angriff auf das Leben der Palästinenser ... Wir schließen uns einer globalen Solidaritätsbewegung an.«
Vom Festival fordern sie »dass sich das Programm des diesjährigen Festivals aktiver und diskursiver mit der Dringlichkeit und Realität des Augenblicks auseinandersetzt, indem es Dialogräume aus eigener Initiative und Gestaltung im Großen bereithält. ... Stattdessen erleben wir keine Initiativen, die Fachleute und/oder Publikum in einen speziellen Diskussionsraum einladen, der so strukturiert ist, dass eine längere Begegnung zwischen allen möglich ist. ... Da die Welt Zeuge eines unvorstellbaren Verlusts an zivilen Leben in Gaza ist – darunter auch von Journalisten, Künstlern und Filmschaffenden – sowie der Zerstörung eines einzigartigen kulturellen Erbes, brauchen wir eine stärkere institutionelle Haltung.«
Kein Wort stattdessen über die israelischen Opfer, über getötete und vergewaltigte und entführte Israelis.
Die Liste der Unterzeichner ist nach wie vor hier einsehbar.
Allein 15 der 65 Unterzeichner arbeiten bei der »Generation«. Kinder an die Macht? Besser nicht. Auch 15 arbeiten im Panorama. Genau aus diesen beiden Sektionen stammen die anstößigen Statements der angeblich »gehackten« Berlinale-Seiten. Zufall? Kaum zu glauben.
Weitere 14 arbeiten im Berlinale-Filmmarkt, dem EFM, manche in führender Position, darunter sogar der Assistent des bisherigen EFM-Chefs Denis Ruh.
Was lernen wir daraus? Insbesondere das Panorama, die Generation und den EFM sollten Juden in Zukunft besser meiden.
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Vergangenen Donnerstag schrieb ich folgende Mail an die Leiterin der Berlinale-Pressestelle:
»Bitte erlaube mir eine kurze Nachfrage. In Eurer Pressemitteilung vom 26.2. kündigt ihr an, die Berlinale habe wegen des ›Hackerangriffs‹ nach der Preisverleihung Strafanzeige gestellt.
Mir wurde nun durch einen Kontakt aus der Berliner Filmszene mitgeteilt, dass diese Strafanzeige bislang noch nicht gestellt wurde. Da ich mir das wiederum eigentlich nicht vorstellen kann, bitte ich Dich um Aufklärung.«
Außerdem interessiert mich, ob ihr inzwischen Genaueres zu dem Vorfall und seinen Urhebern sagen könnt. Du kennst bestimmt die Zweifel und Einwände von manchen Seiten (z.B.: https://www.t-online.de/unterhaltung/kino/id_100352908/berlinale-antisemitismus-eklat-instagram-posting-doch-kein-hackerangriff-.html). Es wird argumentiert, das die antisemitischen Posts durch Berlinale-Mitarbeiter gepostet sein müssen. Ausdrücklich möchte ich mir das selbst nicht zu eigen machen – ich verstehe davon technisch zu wenig. Aber ich gehe davon aus, dass die Berlinale selbst der Sache auf den Grund gehen will, und hier womöglich schon weiter ist. Könnt ihr definitiv ausschließen, dass die Posts von Berlinale-Mitarbeitern stammen bzw. intern ohne Hacking versandt wurden?
Da die Adressatin in Urlaub ist, bekam ich von einer Mitarbeiterin folgende Antwort (Donnerstag, 07. März 2024 um 15:32 Uhr):
»> Lieber Rüdiger Suchsland,
> vielen Dank für Ihre Anfrage.
> Die Strafanzeige wurde gestellt. Das LKA ermittelt.«
Worauf ich um 15:37 Uhr wie folgt nachfragte:
»Danke! Können Sie mir auch sagen, wo die Strafanzeige gestellt wurde – das LKA ermittelt ja aus eigener Initiative.
Und ich hatte Ihnen noch eine zweiten Frageabsatz gestellt. Zusammenfassend: Kann die Berlinale definitiv ausschließen, dass die Posts von Berlinale Mitarbeitern stammen bzw. intern ohne Hacking versandt wurden?«
Bislang keine Antwort.
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Die neue Berlinale-Chefin wird einiges zu tun haben, um diesen israelfeindlichen, latent antisemitischen Sumpf trocken zu legen. Noch quaken die Frösche.