23.11.2023

Ziemlich beste Filme

Les Pires
Les pires gewann einen Preis in Cannes und ist exklusiv im Theatiner zu sehen
(Foto: Französische Filmwoche)

Die Französische Filmwoche steht dieses Jahr unter dem Zeichen eines schwächelnden Arthouse-Kinos. Das Liebesverhältnis der Filmnation zur Siebenten Kunst ist zumindest angeknackst

Von Dunja Bialas

Die fran­zö­si­sche Kinowelt ist alarmiert. Im September veröf­fent­lichte der Rech­nungshof die Ergeb­nisse der Zehn-Jahres-Bilanz der CNC, der zentralen Orga­ni­sa­tion für Film in Frank­reich, die dem fran­zö­si­schen Kultur­min­s­te­rium unter­stellt ist. Dank staat­li­cher Subven­tionen von 850 Millionen Euro jährlich habe es der CNC zwar erfolg­reich geschafft, die Pandemie sowie Netflix & Co. zu über­dauern, so der Bericht, jedoch lasse der Umsatz an der Kinokasse zu wünschen übrig. Jetzt werden zum wieder­holten Male Reformen im CNC angemahnt, um die Anzahl (seit 2011 gab es eine Stei­ge­rung um 20 Prozent) und den immer härter umkämpften Erfolg der geför­derten Filme in den Griff zu bekommen.

In Frank­reich gilt seit jeher für die nationale Film­pro­duk­tion das Credo der »kultu­rellen Ausnahme«, wodurch deren Renta­bi­lität in der Gesamt­heit der Film­wirt­schaft kein Kriterium sein soll – auch im Hinblick auf dominante US-Produk­tionen, kalku­lierte Block­buster und globale Franchise-Releases, die den Markt fluten. Noch im Mai hatte Justine Triet anläss­lich der Goldenen Palme für Anatomie d’une chute jedoch davor gewarnt, die Nach­wuchs­för­de­rung auf dem »Altar der Renta­bi­lität« zu opfern. Seit 1986 gibt es unter dem Stichwort »Art et essai« außerdem einen Krite­ri­en­ka­talog besonders förder­wür­diger Kinosäle, die u.a. Produk­tionen von »unbe­strit­tener« Qualität zeigen – auch wenn das große Publikum fern bleibt. Jetzt sieht der Rech­nungshof die Arthouse-Kinos als »Opfer ihres eigenen Erfolges«, weil sie unter den vielen Titeln und der großen Programm-Diver­sität unter­zu­gehen drohen.

Der Rech­nungshof stellte klar, dass es ihm unter dem Strich nicht darum gehe, die fran­zö­si­sche Jahres­pro­duk­tion zurück­zu­fahren. Da jedoch nur zwei Prozent der fran­zö­si­schen Film­pro­duk­tionen rentabel seien, bedeute dies, dass nahezu alle geför­derten Filme ihr Publikum nicht erreichen. So habe im Jahr 2019 ein Drittel der fran­zö­si­schen Filme weniger als 20.000 Zuschauer gehabt. Erklärtes – und eigent­li­ches – Ziel sei es jedoch, die staat­li­chen Mittel für die Sicht­bar­keit der fran­zö­si­schen Produk­tionen aufzu­wenden. Statt von Renta­bi­lität spricht der Rech­nungshof daher lieber von »effi­ca­cité«, Effizienz der aufge­wen­deten Mittel.

Export­schlager

In München beginnt nun, eine Woche nach der größeren Berliner Ausgabe, die Fran­zö­si­sche Filmwoche, veran­staltet vom Institut Français in Zusam­men­ar­beit mit UniFrance, beides kultu­relle Außen­stellen Frank­reichs, beide zuständig für die Sicht­bar­keit fran­zö­si­scher Filme. Darunter ist auch ein Werk der Macher von Ziemlich beste Freunde (Intouch­a­bles) – der damals, 2011, übrigens vom heutigen CNC-Leiter Dominique Bouton­nant produ­ziert wurde. Der neue Film des Erfolgs­duos Olivier Nakache und Eric Toledano heißt Une année difficile, inter­na­tio­naler Titel: Black Friday for Future. Die Grund­satz­frage lautet hier: Den Planeten retten – oder sich selbst? Über­spitzt gesagt geht es darum, wie man am besten eine Klima­ak­ti­vistin aufreißt und Geld für sich generiert. Der inkor­rekte, mit Vorur­teilen jonglie­rende Humor ist ein bewährtes Konzept der sehr erfolg­rei­chen fran­zö­si­schen Komödien.
(Sa 25.11. 20:30 Uhr, Theatiner)

Une année difficile läuft in der Filmwoche als eine von zahl­rei­chen Vorpre­mieren. Auch Auf dem Weg (Sur les chemins noirs) ist schon im Kino angekün­digt. Regisseur Denis Imbert insze­niert keinen gerin­geren als Jean Dujardin auf dem Weg, naja, zu sich selbst. Weg von den exzes­siven Party­nächten und den heißen Frauen, weg vom Alkohol und dem Leicht­sinn. Er will Buße tun, weil er es in der Vergan­gen­heit zu wild getrieben hat und gerade noch mal davon­ge­kommen ist. Irgendwo zwischen Ich bin dann mal weg, One for the Road und Dialog mit meinem Gärtner ange­sie­delt, trifft Imberts Film auf jeden Fall den Zeitgeist.
(Münchner Eröff­nungs­film, Do 23.11. 20:30 Uhr, Theatiner, Denis Imbert ist zu Gast.)

Da die Retro­spek­tive zu Noémie Lvovsky mit sieben Filmen leider nur in Berlin zu sehen ist, hat das Theatiner einen eigenen Retro-Film dem offi­zi­ellen Programm hinzu­ge­fügt. In Jacques Derays La piscine von 1968 ist – an der Seite des Lein­wand­traum­paares Romy Schneider und Alain Delon – Jane Birkin in ihrer ersten Rolle in Frank­reich zu sehen. Die Schau­spie­lerin und Sängerin ist im Juli verstorben, der Film läuft als Hommage an die Ikone der Nouvelle Vague. Mit einem Drehbuch von Jean-Claude Carrière ist La piscine ein Klassiker des psycho­lo­gi­schen Thrillers: Hier zieht sich das Kammer­spiel am Pool zu einem immer enger werdenden Bezie­hungs-Dreieck zusammen, während die junge Jane fast unschuldig in ihren ultra­kurzen British-Pop-Minirö­cken unter der sengenden Sonne alle Sinne verwirrt. (Di 28.11. 18:00 Uhr, Theatiner)

Exklusive Filme

Wer lieber die Filme sieht, in die das Publikum zum Verdruss des fran­zö­si­schen Rech­nungs­hofes nicht in Scharen rennt, dem seien die »exklu­siven Filme« des Programms empfohlen. Les pires (Die Schlimmsten) von Lise Akoka und Roman Gueret und wurde in Cannes in der Reihe »Un certain regard« mit dem Grand Prix ausge­zeichnet und ist im Rahmen der Filmwoche nur im Münchner Theatiner zu sehen. Das Debüt des Regie-Duos gehört zum Banlieue-Genre und verfolgt ein Film-im-Film-Thema. Ein Casting-Team sucht in Boulogne-Sur-Mer in Nord­frank­reich vier Teenager und wählt ausge­rechnet »die Schlimmsten« von allen aus. Bevor alle Eska­la­ti­ons­stufen gezündet werden, greift das soziale Projekt. Mit Laien­dar­stel­lern, einfühl­samer Insze­nie­rung und Argot-Sprache ist diese Art von Kino immer noch ein wichtiges Instru­ment sozialer Vers­tän­di­gung, auch wenn – oder gerade weil? – es sich vor allem an ein bürger­li­ches Publikum richtet.
(Mi 29.11. 18:00 Uhr, Theatiner)

Léonor Serraille hatte mit Bonjour Paris (Jeune femme) in Cannes die Caméra d’Or gewonnen. Ein kleiner Bruder (Un petit frère) lief letztes Jahr im Wett­be­werb von Cannes, aber auch für diesen Film gibt es keinen Kinostart in Deutsch­land. Im Zentrum steht die von der Elfen­bein­küste stammende Rose, eine Putzfrau in Paris, die für ihre beiden Söhne ein besseres Leben erhofft. Am Ende der Lang­zeit­studie, die die Söhne beim Aufwachsen in Frank­reich begleitet, zeigt sich die schmerz­hafte Kehrseite einer gelun­genen Inte­gra­tion.
(Fr 24.11. 18:00 Uhr, Theatiner)

Ob jetzt aber die letzt­ge­nannten Titel, weil sie keinen Verleih in Deutsch­land finden, wohl ziemlich die besten, vom Publikum über­se­henen Filme Frank­reichs sind? Im Hinblick auf die Dämo­ni­sie­rung der Arthouse-Filme »ohne Publikum« durch den fran­zö­si­schen Rech­nungshof bleibt nur zu sagen: Das hoffen wir doch sehr!

Die 23. Fran­zö­si­sche Filmwoche zu Gast im Theatiner
23.-29.11.2023
(Das Münchner Programm mit Ticket-Reser­vie­rung)

Gesamt­pro­gramm mit allen Filmen