28.09.2023
Cinema Moralia – Folge 304

Der interessanteste Regisseur des Gegenwartskinos

Bonello Beast
Bertrand Bonellos neuer Film: The Beast
(Foto: Filmfest Hamburg)

Bertrand Bonello beim Filmfest Hamburg, Werkstattgespräch und Filme, und dazu andere Gründe, in die Hansestadt zu fahren; Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 304. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»There will be always the music«
– Bertrand Bonello

Eine Stadt, mit der ich San Sebastián, wo ich gerade bin, schon öfters vergli­chen habe – und aus guten Gründen –, ist Hamburg, meine Geburts­stadt. Es ist eine Hafen­stadt, sie ist kosmo­po­li­tisch und offener als viele, es ist eine Stadt, die unver­wech­selbar ist, die eine Eigenart hat und dann auch eigenes Lebens­ge­fühl, eine Stadt, die übrigens ungefähr zur gleichen Zeit ein paar Mal deutscher Fußball­meister wurde, in der San Sebas­tiáns Fuss­ball­club Real Sociedad auch seine große Zeit hatte.

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Das dies­jäh­rige Filmfest Hamburg wird ein sehr beson­deres. Nach 20 Jahren hört Albert Wieder­spiel als Leiter auf. Das ist ein Einschnitt und ein Verlust, auch wenn die neue Chefin bestimmt spannende Ideen hat.
Dazu demnächst noch mehr.

Jetzt wollen wir erwähnen, dass es beim Filmfest einige „Must see“-Ereig­nisse gibt. Der Tribute für Alicia Rohr­wa­cher ist eines davon. Ihr neuer Film, La Chimera wurde in Cannes aus schwer vers­tänd­li­chen Gründen bei der Preis­ver­lei­hung über­gangen. Er ist zu sehen, wie anderes von dieser einma­ligen Frau. (»Unique« kann man auf Deutsch nicht besser sagen, oder?)

Ebenso „unique“, nicht nur für Deutsch­land, ist der fesselnde, das Gemüt nach­haltig beschäf­ti­gende zweite Film von Timm Kröger: Die Theorie von Allem.
Er erlebt seine Deutsch­land­pre­miere und eigent­lich sollten alle, die endlich wieder mal einen über­ra­schenden, uner­war­teten deutschen Film sehen möchten, jetzt nach Hamburg fahren.

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Und schließ­lich: Mehr „unique“ als Bertrand Bonello kann man gar nicht sein. Ihm ist beim Filmfest Hamburg die zweite Werkschau gewidmet. Bonello ist, glaube ich, der gerade inter­es­san­teste Regisseur des Gegen­warts­kinos.
Wer denn sonst?
Und es ist – jetzt wird es »in eigener Sache« – mir mehr als eine Ehre, es ist ein sehr sehr großes Vergnügen, dass das Filmfest Hamburg mir angeboten hat, das Werk­statt­ge­spräch mit Bonello zu führen. Es findet am Feiertag, 3. Oktober um 14 Uhr im Metro­polis statt. Details hier.

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Das Filmfest schreibt dazu: »Zwei nonkon­for­mis­ti­sche Stimmen des europäi­schen Kinos sind zu Gast in Hamburg: Die italie­ni­sche Regis­seurin Alice Rohr­wa­cher und der fran­zö­si­sche Regisseur Bertrand Bonello zeigen neben ihren jeweils aktuellen Filmen La Chimera und The Beast auch einige ihrer früheren Werke. Ausführ­liche Gespräche mit den Filme­ma­cher·innen vor Ort ergänzen das 2019 einge­führte Programm­format 'Gegen­warts­kino im Fokus'«.
»Beide verfolgen seit ihren Anfängen kompro­misslos ihre filmi­schen Visionen, die thema­tisch gezeichnet sind von der Fusion von Realität und Fiktion.« (Programm­lei­terin Kathrin Kohls­tedde)

Zu Bonello: »Obses­sionen und Mystik in politisch aktuelle Frage­stel­lungen einzu­binden, ist auch zentral für den in Frank­reich geborenen Bertrand Bonello – auch wenn er sich sonst in seinen Werken jeglicher kohä­renten Narration entzieht. Zwischen der visuellen klini­schen Klarheit von Bonellos Bild­sprache und der fast gegen­tei­ligen Verschach­te­lung seiner Hand­lungen, die von Zeitsprüngen, über Phan­tas­ma­go­rien hin zu Hallu­zi­na­tionen reicht, zeigen seine Filme eine große Leiden­schaft für neue Erzähl­formen des modernen Kinos. Hier reiht sich auch lückenlos sein neuster Film The Beast ein, der bei den Film­fest­spielen in Venedig läuft. Zwischen Liebes­me­lo­dram und Science-Fiction-Dystopie erzählt der Film innerhalb dreier Zeit­ebenen von Künst­li­cher Intel­li­genz, Liebe und gesell­schaft­li­chen Umbrüchen der jewei­ligen Epoche.«

Neben The Beast zeigt das Filmfest Hamburg auch die Filme Nocturama (2016) und Saint Laurent (2014). In seinem bis dahin aufwen­digsten Film widmet sich Bonello dem gleich­na­migen Mode­schöpfer Yves Saint Laurent, dessen Leben geprägt war von Kunst, Affären und seiner Drogen­sucht. Gespielt wird Laurent von Gaspard Ulliel. Der Darsteller war auch für die Haupt­rolle in The Beast vorge­sehen, doch er verun­glückte 2022 bei einem Skiunfall. Bertrand Bonello hat ihm seinen aktuellen Film The Beast gewidmet.

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In Venedig habe ich The Beast gesehen. Dies ist – verspro­chen! – ein Film, der ganz einmalig ist und der keines­wegs alles umfasst, was Kino kann, aber der einiges von dem, was Kino kann, in absolut bester Weise verkör­pert. Ein Film, dem man sich nicht entziehen kann, noch entziehen will, den man gerne immer länger sieht und wieder sieht und wieder... und wieder...

Es freut mich, dass auch andere das so wahr­nehmen. Christoph, deutscher Produzent, bestä­tigte mir gestern, dass das auch ein witziger Film ist.
Wie toll, dass ein Film gleich­zeitig intel­li­gent ist und emotional und witzig. Er packt einen am Schla­fitt­chen und lässt nicht mehr los.

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Und wer es jetzt immer noch nicht glaubt, den weise ich darauf hin, dass Léa Seydoux in der Haupt­rolle quasi immer im Bild ist. Und ich empfehle den gewohnt detail­lierten artechock-Podcast zur Premiere ín Venedig.

Bis nächste Woche also!

(to be continued)