17.08.2023

Countdown in die Einsamkeit

Kein schöner Land
Wie eine Szene aus »Oblomow«: Die Versunkenheit der Menschen
(Foto: Acker Film)

Die Kölnerin Katharina Huber gewinnt auf dem Locarno Filmfestival im Concorso Cineasti del presente den Preis für die beste Regie. Ihr Film Ein schöner Ort ist eine rätselhafte Untergangsallegorie

Von Dunja Bialas

Der Ausstieg aus dieser Welt steht unmit­telbar bevor. Aber im entschei­denden Moment, als die Rakete gezündet wird, die die Menschen ins Weltall bringen soll, versagt das Radio. Die Funk­wellen brechen ab. Und ohnehin: »Da draußen ist nichts«, am Rande der Galaxie, wo die Menschen ausge­sie­delt werden sollen, weil auf der Erde das Leben zu Ende geht.

Die Kölner Regis­seurin Katharina Huber hat für ihr Spiel­film­debüt die Apoka­lypse als Thema gewählt. Der Film mit der Unter­gangs­stim­mung reiht sich ein in die noch zu erwar­tende Welle der Filme über die »letzte Gene­ra­tion« – nicht zu verwech­seln mit den Aktivist*innen gleichen Namens. Ähnlich wie in Jessica Hausners jüngstem Film, dem Hungern-als-Klima­schutz-Drama Club Zero, gibt es für die jungen Leute in Ein schöner Ort nur eine Richtung: den Gang in den Tod und in die Einsam­keit.

Katharina Huber kommt vom Anima­ti­ons­film. Ihr fehle in der künst­li­chen Welt der Animation der Kontakt zur Realität, sie selbst wollte nicht mehr allein im Produk­ti­ons­studio arbeiten, erzählt sie am Rande des Film­fes­ti­vals Locarno, wo ihr Film nun Premiere in der Nach­wuchs­sek­tion »Concorso Cineasti del presente« hatte und den Preis als beste Nach­wuchs­re­gis­seurin gewann. Clara Schwin­ning in der Rolle der »Güte« gewann den Pardo für die beste schau­spie­le­ri­sche Leistung.

Güte: Die Figur mit dem spre­chenden Namen weist auf die alle­go­ri­sche Kraft von Ein schöner Ort hin. Leicht zu fassen ist der Film nicht. Er zählt rückwärts, beginnend bei 10, eine Erzählung, die nur eine Richtung kennt: Im Countdown geht es in die Einsam­keit, am Ende bleibt nur die andere der beiden Prot­ago­nis­tinnen übrig, Margarite (Céline de Gennaro). Im Schluss­bild sitzt sie allein in einer blumen­ü­ber­säten früh­lings­grünen Wiese in einer nicht näher bestimmten, alpin anmu­tenden Land­schaft.

Die nahende Apoka­lypse ist der Horizont von Katharina Hubers rätsel­haftem, wort­kargem und sehr stillem Film. Sie bricht über »die Medien« in den Ort der Frauen ein. Es sind Medien des letzten Jahr­tau­sends, ein Fernseher, auf dem ein bren­nender Wald zu sehen ist, ein kombi­nierter Radio-Kasset­ten­re­korder, aus dem unentwegt die schwer vers­tänd­li­chen, jedoch alar­mis­ti­schen und zunehmend resi­gniert klin­genden Nach­richten eines englisch­spra­chigen Senders ertönen. Eine Kassette legt niemand ein, Musik hört keiner. Und so ist es die brausende Natur, der Wind in den Bäumen, die den Sound­track der Menschen ausmacht, und die sich mit den sakralen Chorälen der Filmmusik mischen.

Katharina Huber nennt den Einsatz der Musik als eine ihrer Moti­va­tionen für ihre Konzep­tion von Ein schöner Ort: »Ich wollte schon lange einen Film machen, für den ich jemanden mit der Kompo­si­tion eines Chorals beauf­tragen könnte. Endlich ist es so weit. Er ist wunder­schön und heißt 'Empor hebt Luft'.« Der Choral stammt vom italie­ni­schen Kompo­nisten Federico Perotti, Organist am Dom von Piacenza. Und eines der ersten Bilder, die man im Film sieht, ist die Aufnahme eines wolken­durch­fe­derten strahlend blauen Himmels, eine Lüftl­ma­lerei der Natur. Aber selbst wenn Katharina Hubers Film in ihrer zurück­ge­nom­menen und gleich­zeitig sehr sinn­li­chen Erzähl­weise an Anatol Schusters Luft (2017) erinnert: Ein schöner Ort ist geerdet und sinnlich, da ist nichts über­sinn­lich, trotz der choralen Aufstiegs­the­matik und der angekün­digten Rake­ten­reise in eine andere Welt.

Die Bild­ge­stal­tung von Jesse Mazuch (heraus­ra­gend ebenfalls der von ihm foto­gra­fierte Das Massaker von Anröchte, 2021) und Carmen Riva­deneira taucht ein in die Räume der dunklen Häuser in dem abge­le­genen Weiler. Das Holz ist bereits ins Graue verwit­tert, auch die dort lebenden, über­le­benden Menschen scheinen verwit­tert, demo­ra­li­siert. Margarite und Güte sind umgeben von einem losen Konglo­merat an Menschen, Maria, Wolf, Onkel, Geni und anderen. Sie alle verschwinden nach und nach, sie sterben oder sind einfach nicht mehr da. Wie die Hühner, die nur teilweise im Kochtopf landen. Die schei­denden Wesen sind eine der Signa­turen der Apoka­lypse, die sich als gras­sie­rende Einsam­keit der Menschen nieder­lässt. Wir sind völlig allein und pfeifen im Dunkeln, könnte das Gefühl sein, das die Menschen beschleicht, wenn die Gene­ra­tionen sterben und die Dörfer immer leerer werden, bis nur noch eine, die letzte Gene­ra­tion übrig­bleibt.

Die Endzeit­bilder stammen bei Katharina Huber aus einer Welt, die in ihre eigene Vergan­gen­heit, ins frühe zwan­zigste Jahr­hun­dert, zurück­fällt. Viel erinnert in der bäuer­li­chen Zeichnung an Tarkow­skis Solaris (1972), den die gebürtige St. Peters­bur­gerin als eine ihrer Refe­renzen nennt. Die Menschen schlafen in schweren Bauern­betten, tragen Leinen­nacht­hemden wie unsere Ur- oder Urur­großmütter. Am Tisch sitzen alle in einer Runde, löffeln Hühner­suppe aus Emaille-Tellern. Die Welt mutet noch analog und eigent­lich intakt an, und dennoch macht Ein schöner Ort unmiss­ver­s­tänd­lich klar, dass die Vergan­gen­heit – außer als schönes Bild – sich nicht mehr als Sehn­suchtsort eignet.

Wo genau der titel­ge­bende schöne Ort liegt (und wofür er letztlich steht), lässt der andeu­tungs­reiche und rätsel­hafte Film im Vagen. Er meint wohl am wenigsten die Neun­zehn­tes­jahr­hun­dert-Idylle der verwit­terten Dorf­häuser, und noch weniger ist es der »schöne Ort«, an dem sich schönes Geld verdienen lässt, zu dem eine Agentin Margarite und Güte einmal lockt. Kein Mensch braucht in dieser versun­kenen Welt Geld… Aber viel­leicht liegt ja der schöne Ort auch am Rande der Galaxie: Dort, wo dann nichts mehr ist.

Katharina Huber verzichtet in ihrem Spiel­film­debüt auf phan­tas­ti­sche Bilder­welten, die ihr als Anima­ti­ons­fil­merin wohl in den Sinn gekommen sein mögen. Sie macht im Gegenteil einen welt­zu­ge­wandten Mate­ria­lismus stark, der sich nur ideell durch die archai­sche Sehnsucht und tiefe Trauer der Menschen in andere Sphären aufschwingen kann. Immerhin: Am Ende lächelt Margarite, als hätte sie es schon immer gewusst. Oder als wäre jetzt endlich alles gut.